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„Was den Geruch betrifft“, sagte Mister Deane mit dem stereotypen Lächeln des geborenen Verkäufers, „was den Geruch betrifft, Sir, so sollten Sie sich nicht daran stoßen!“ Er zuckte beschwichtigend die Achseln. „Das Haus steht seit dem vierzehnten November vergangenen Jahres leer. Sie werden es nicht wiedererkennen, wenn ich zwei Tage lüften lasse und erst eine ganze Legion Putzfrauen zur Generalreinigung angesetzt habe!“

„Eine ganze Legion Putzfrauen ist eine liebenswürdige Lüge“, versetzte Colonel Buzfuz trocken. „So viele hauptamtliche Putzteufel gibt es in ganz Cleveland nicht. Übrigens riecht es hier nicht ungelüftet, sondern wie auf einem Schlachtfeld. Pfui Teufel! Ob sich hier irgendwo eine Katze zu ihren Ahnen versammelt hat?“

Die beiden standen in der dämmrigen Vorhalle einer alten Villa am Erie Park, die einer lange entschwundenen Epoche zu entstammen schien: Marmortreppen, Stuckornamente, farbige Gläser in den Fenstern, Staub. Staub schien das beherrschende Element des Hauses zu sein, zu dessen Kauf der Makler den pensionierten Offizier sanft überreden wollte.

„Well“, entschied Buzfuz stirnrunzelnd, „ich habe genug gesehen. Wollen nach oben gehen und die Etagen besichtigen!“

Er wandte sich zur Treppe, wurde aber von Deane, einem kleinen, vertrockneten Männchen von etwa sechzig Jahren, zurückgehalten. „Bemühen Sie sich nicht, Sir. Die Villa hat natürlich einen Aufzug. Sie ist überhaupt mit modernstem Komfort eingerichtet …“

„… beziehungsweise mit dem“, warf der Oberst freundlich aber bestimmt ein, „was man achtzehnhundert-neunzig darunter verstand. Geben Sie sich keine Mühe, Deane. Fünfundzwanzigtausend sind kein wucherischer Preis. Wenn ich nicht mehr als fünfzehn für die Renovierung bluten muss, machen wir das Geschäft perfekt!“

Der Makler rang die Hände und wand sich in gespielter Verzweiflung. „Ich habe von siebenundzwanzigkommafünf gesprochen, Sir …!“

„Und ich von fünfundzwanzig“, brummte der pensionierte Offizier. „Ich glaube, ich brauche Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch zu nehmen.“

„Aber so rennen Sie doch nicht gleich fort!“, jammerte Deane. „Wir kommen schon noch zusammen. Bitte, Sir, wir können sofort nach oben fahren!“

Bei den letzten Worten hatte der kleine Mann einen Spezialschlüssel aus der Tasche gezogen und die Tür des Lifts aufgesperrt. Dieser mochte später eingebaut worden sein und machte einen modernen Eindruck.

Buzfuz trat in die kleine Kabine; Licht flammte auf. Sofort verstärkte sich auch der unangenehm süßliche Geruch.

Der Oberst sah zur Decke, in die eine Klappe eingelassen war, damit man zu Reparaturarbeiten hinaussteigen konnte. Er hob den Zeigefinger. „Sehen Sie, Deane, hier sind vertrocknete rote Spuren …“ Er drängte den Makler aus dem Fahrkorb. „Kann man hier telefonieren?“

Deane nickte. „Doch, in der ersten Etage steht ein Apparat. Er ist nicht abgeschaltet!“

„Heillose Verschwendung“, brummte der alte Offizier und ging zur Treppe. „Aber in unserem Fall höchst nützlich!“

Der Makler führte seinen Begleiter in die Diele der ersten Etage und deutete auf ein Tischchen, auf dessen mit einer Schondecke versehenen Platte ein staubiger Apparat stand.

Buzfuz schlug das Telefonbuch auf, suchte die Nummer der Polizeizentrale und rief an.

Als sich die Vermittlung gemeldet hatte, bat er in einem Ton, der jeden Widerspruch im Keim erstickte, ihn mit dem Offizier vom Dienst zu verbinden.

Wenig später meldete sich ein Leutnant O'Keene.

„Hier spricht Colonel Buzfuz“, sagte der Offizier. „Ich wohne im Hotel Franklin, halte mich aber augenblicklich im Haus fünfundsechzig Park Avenue auf. Das Haus wurde mir von der Firma Deane & Longfellow zum Kauf angeboten. Ich wollte es eben besichtigen, spürte aber schon beim Eintritt Verwesungsgeruch und habe den Eindruck, dass auf der Decke des Lifts eine Leiche liegt. Kommen Sie bitte sofort und bringen Sie einen Spezialisten mit, der etwas von Aufzügen versteht. Alles klar?“

„Gewiss, Sir; können Sie mir Näheres mitteilen?“

Buzfuz ließ sich gnädig dazu herab und vermochte den Polizeioffizier zu überzeugen. O'Keene schloss das Gespräch mit der Bemerkung ab, er werde in einer halben Stunde da sein, man möge bitte nichts berühren!

Der Oberst legte auf und wandte sich zu Deane um, der sich wieder in Verzweiflung wand, die diesmal allerdings durchaus nicht gespielt war.

„Großer Gott!“, flüsterte der Makler fassungslos. „Was soll daraus noch werden?“

„Diese Frage ist überflüssig, da Sie die Antwort ja abwarten können, mein Lieber!“, wurde er belehrt.

Fünfundzwanzig Minuten später hielt ein Polizeiwagen vor dem Haus.

*

Groß, kraftvoll, energisch, intelligent, so taxierte Buzfuz den eintretenden Polizeileutnant, der bestenfalls dreißig Jahre alt sein konnte.

Er kam höflich näher und legte seine Hand an den Mützenschirm. „Leutnant O'Keene. Habe ich das Vergnügen mit Oberst Buzfuz?“

Der Colonel musterte ihn blitzschnell und gab in seiner trockenen Art zurück: „Buzfuz, mein Name; ein Vergnügen wird für Sie mit meiner Bekanntschaft wohl nicht verbunden sein, sofern sich meine Mutmaßungen bewahrheiten. – Well, der Herr hier“, er deutete auf den Makler, „ist Mr. Deane. Darf ich Ihnen kurz berichten, Leutnant?“

O'Keene unterdrückte ein Lächeln. „Ich bitte darum, Sir!“

Der Oberst setzte in wenigen, aber treffenden Worten die Situation auseinander, und O'Keene wandte sich an einen seiner zwei Begleiter. „Der Fahrkorb hält im Erdgeschoss. Gehen Sie nach oben, Smith, und sehen Sie zu, dass Sie die Tür aufbekommen!“

Die Beamten gingen zur Treppe. Buzfuz schloss sich an, und Deane blieb nichts anderes übrig, als hinterherzutrotten. Die Sache gefiel ihm immer weniger, je mehr er über sie nachdachte.

Smith legte in der ersten Etage seine Werkzeugtasche ab und sah sich die Lifttür an.

„Ein Wilson-Schloss“, murmelte er befriedigt. „Wäre es ein Nalligan-Schloss, dann würde ich eine Stunde wenigstens brauchen!“

Die Beamten, Buzfuz und Deane sahen schweigend zu, wie Smith zu arbeiten begann. Nach etwa fünf Minuten war ein knackendes Geräusch zu hören und die Tür konnte geöffnet werden.

O'Keene drängte seinen Untergebenen beiseite und beugte sich über den Schacht.

Er fuhr gleich darauf mit einem leisen Aufschrei zurück und winkte dem Oberst. Dieser beugte sich ebenfalls vor und zuckte zusammen.

„Verdammt!“, entfuhr es ihm. „Hab ich mich also nicht getäuscht! Dort unten liegt die Leiche eines Mannes. Dem Verwesungsgeruch nach zu urteilen, ist er schon länger tot.“

O'Keene hielt sich nicht mit langen Reden auf. Während Deane in ein klagendes Wimmern ausbrach, erteilte der Polizeioffizier seine Befehle. „Smith, Sie gehen nach unten und bringen den Aufzug so herauf, dass die Oberseite des Fahrkorbes mit dem Boden hier abschließt. Sie müssen dann zwar im Lift aushalten, bis der Tote geborgen ist, aber ich kann Ihnen das nicht ersparen! –

Boudy, Sie rufen Inspektor Miller an und sagen ihm, ich ließe ihn bitten, die Mordkommission A, sofort hierherzuschicken. Halten Sie sich dann zum Stenografieren bereit!“

Der Leutnant wandte sich an den jammernden Deane. „Nehmen Sie sich doch zusammen, Mann. Ihnen geht es ja nicht an den Kragen. Es sei denn, Sie hätten den Mord begangen! Wo können wir uns unterhalten?“

Deane zuckte zusammen und stammelte mit weit aufgerissenen Augen hilflos: „Bitte, hier in der Diele, Sir, wenn‘s gefällig ist?“

O'Keene überflog die Einrichtung mit einem Blick: einige Truhen, ein runder Tisch mit vier Sesseln, ein verschlissener Teppich. Er nickte. „Keine Spuren. Können also auch keine zerstören. Nehmen wir Platz!“

Buzfuz und Deane gehorchten.

O'Keene setzte sich ebenfalls und zog sein Taschentuch aus dem Dienstrock. Er sah den Makler scharf an. „Sie sind der Seniorchef der Maklerfirma Deane & Longfellow?“

Deanes Lippen formten nur mühsam Worte. „Ja, Sir!“

„Ihr Büro ist in der Payne Avenue?“

„Stimmt, Sir.“

„Wem gehört das Haus, seit wann verwalten Sie es, wann betraten Sie es letztmalig?“

„Das Haus gehörte dem Fabrikanten Frederik Holme, Sir. Holme ist im Oktober vergangenen Jahres gestorben. Erben sind die drei verheirateten Söhne. Sie wohnen in Galveston, Philadelphia und Toledo …“

O'Keene sah erstaunt auf. „Einer der Erben müsste doch hier in Cleveland wohnen, dächte ich. Schon wegen der Fabrik.“

Der Makler schüttelte den Kopf. „Die jungen Holmes haben andere Berufe, Sir, und deswegen wurde die Fabrik schon vor zehn Jahren verkauft. Die Erben übernahmen die immobilen Werte in Gemeinschaft und betrauten Rechtsanwalt Coleman mit der Abwicklung.“

„Coleman – ein ordentlicher Mensch. Kein Gedanke, dass er mit der Schweinerei hier zu tun hat. – Was ist aus dem Personal geworden?“

„Die beiden Diener wurden von den ältesten Söhnen übernommen, die Haushälterin in ein Altersheim eingekauft, wenn ich recht im Bilde bin. Das Haus selbst steht seit vierzehnten November leer. Coleman übertrug meiner Firma den Verkauf. Ich habe das Haus zuletzt am fünfzehnten März kurz überprüft.“

O'Keenes nervige Finger spielten mit dem Kugelschreiber. „Also vor genau einem Monat. Haben Sie damals etwas von der Leiche bemerkt?“

Deane fuhr gekränkt auf. „Natürlich nicht, Sir, sonst hätte ich mich doch sofort mit der Polizei in Verbindung gesetzt. Dass mir das passieren muss! Ausgerechnet in einem von mir verwalteten Haus geschieht ein Mord!“

„Immerhin leben wir in einer Industriestadt mit einer Million Einwohner“, bemerkte der Polizeioffizier unwillig. „Außerdem spricht niemand von einem Mord. Es kann sich auch um einen Selbstmord handeln!“

O'Keene wurde durch das leise Surren des Aufzuges unterbrochen. Er erhob sich rasch und trat zu der geöffneten Lifttür, in der eben die Oberseite des Fahrkorbes erschien und zitternd stehen blieb.

„Gehen wir nach unten!“, bat der Leutnant, nachdem er einen Blick auf die Leiche geworfen hatte. „Kein schöner Anblick kann ich nur sagen!“

Er begleitete Deane und den Colonel nach unten und sagte, er wolle die Herren nicht länger zurückhalten, er bitte nur, zunächst über den Vorfall zu schweigen und sich für weitere Vernehmungen bereitzuhalten.

Das letzte, was er hörte, war, dass Deane den Oberst fragte, ob er immer noch auf das Objekt reflektiere, was dieser forsch bejahte.

O'Keene lächelte mit schmalen Lippen. Der alte Haudegen war vermutlich alles andere als abergläubisch.

*

Wenig später erschien die Mordkommission und machte sich nach der Weisung des Polizeioffiziers an die Arbeit.

O'Keene ließ seine Spezialisten ruhig gewähren, ohne sich allzu sehr einzumischen, und bat sie am späten Abend um einen ersten Bericht.

„Vor der Autopsie lässt sich nicht allzu viel sagen“, murmelte der Polizeiarzt vorsichtig. „Meiner Meinung nach ist der Mann etwa einen Monat tot. Sein Gesicht ist zerschlagen und wahrscheinlich nicht zu identifizieren. Ob die furchtbare Verletzung auf den Sturz allein zurückzuführen ist, lasse ich dahingestellt.

Weiter nehme ich an, dass der Tote zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt gewesen ist; er war von kräftiger Statur, aber keineswegs fett, und befand sich in gutem Ernährungszustand. Seine Hände sind nicht die eines geistig arbeitenden Menschen, aber trotzdem gepflegt. Nach Lage der Dinge scheidet Selbstmord oder Unglücksfall aus; ich vermute einen Mord.“

„Dafür spricht auch meine Entdeckung in der zweiten Etage“, mischte sich Sergeant Smith bescheiden ein. „Die Aufzugtür ist beschädigt. Normalerweise ist es doch so, dass sich eine Lifttür nur dann öffnen lässt, wenn der Fahrkorb mit ihr auf gleicher Höhe ist. In jeder anderen Lage ist sie automatisch gesperrt, um jede Unfallmöglichkeit auszuschließen. Der Täter hat den Mechanismus beschädigt und den Mann durch die offene Tür in den Schacht geworfen, während der Lift selbst im Erd- oder Kellergeschoss hielt …“

„So wird es gewesen sein!“, murmelte der Leutnant. „Vielleicht hat der Täter bei Dunkelheit die Tür geöffnet, der zu Ermordende glaubte, er könne in den Lift steigen und ist stattdessen ahnungslos ins Leere getreten. Well, soweit ist alles klar. Wie steht es mit der Untersuchung der Leiche?“

„Der Tote trägt ein braunes Jackett und eine Hose aus gleichem Stoff“, berichtete ein anderer Sergeant herunter. „Die Untersuchung war keine sehr appetitliche Arbeit, Sir!“

„Wenn sie Ihnen nicht passt, können Sie ja auf Babysitter umschulen!“

Der Beamte errötete. „So war‘s nicht gemeint, Sir! – Well, der Anzug zeigt keinerlei Herkunftsmerkmale. Brieftasche, Ausweise, Uhr, Hausschlüssel – nichts dergleichen. Dagegen fand ich einen Betrag von zweihundertfünfundvierzig Dollar und dreiunddreißig Cent …“

O'Keene sah auf. „Also kein Raubmord! – Sonst noch etwas?“

Der Sergeant nahm einen weißen Umschlag aus der Tasche und holte mit der Pinzette eine Kinokarte heraus:

Roxy-Theater 33. März, Sperrsitz Reihe 35, 3. Vorstellung

*

Der Polizeioffizier zündete sich eine Zigarette an und fragte interessiert: „Wo haben Sie die Karte gefunden?“

„In der äußeren Brusttasche des Jacketts, Sir.“

„Dann wird die Karte zu den Asservaten genommen. Sie ist unter Umständen für die Festlegung der Mordzeit wichtig. Der Kontrollabschnitt ist abgerissen, also hat der später Ermordete die Vorstellung noch besucht.“

„Oder der Mörder hat sie ihm in die Tasche geschoben, um eine Fehlspur zu legen.“

„Wenig wahrscheinlich. Am fünfzehnten März war Deane hier und hat von der Leiche nichts bemerkt. Also ist der Unbekannte wohl nach dem fünfzehnten März getötet worden.“

Der Leutnant erhob sich. „Wenn sonst nichts mehr vorliegt, kann die Leiche abtransportiert werden. Das Haus wird amtlich versiegelt. Wir fahren zur Zentrale zurück und sehen nach, ob das Signalement auf eine der seit fünfzehnten März vermissten Personen passt.“

O'Keene überließ alles Weitere der Mordkommission und fuhr zum Polizeihauptquartier. Dort setzte er sich sofort mit der Vermisstenzentrale in Verbindung und nahm seine routinemäßige und langwierige Arbeit auf. Lange nach Mitternacht musste er sich seufzend eingestehen, dass das Signalement der in Cleveland seit 15. März als vermisst gemeldeten männlichen Personen in keinem Fall auf den grausigen Fund in der Park Avenue passte.

„Bleibt nichts anderes übrig“, sagte Sergeant Boudy, der seinem Chef geholfen hatte, „als die Öffentlichkeit einzuschalten. Vielleicht ist der Ermordete zu Lebzeiten ein Herumtreiber gewesen und hat sich schon öfter längere Zeit entfernt, so dass seine Angehörigen gar keine Vermisstenanzeige erstatteten!“

O'Keene sah düster und abgespannt vor sich hin.

Ihm ging zum ersten Mal auf, dass er sich mit dem Mord vielleicht einen verdammt harten Brocken aufgehalst hatte.

„Es wird nichts anderes übrigbleiben“, gab er widerwillig zu. „Ich setze mich heute Nacht noch mit der Presse in Verbindung. Suchen Sie morgen früh gleich Deane auf und stellen Sie fest, wer in letzter Zeit das Haus besichtigt hat. Der Mörder wusste über die Umstände verdammt gut Bescheid.

Well, genug für heute. Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie sich aus. Es reicht, wenn ich nicht zur Ruhe komme!“

Schattenparade: Kriminalroman

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