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Auf der Chippewa

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An einem herrlichen Morgen im Februar des Jahres 1860 schifften wir auf der Chippewa, einem Dampfboot der American Fur Company, ein. Im Hafen drängten sich Dutzende von Schaulustigen. Hüte und Taschentücher in den Händen schwingend sahen sie, wie eine dicke Rauchwolke nach der anderen den beiden vorderen Kaminen der Chippewa entwich, wo sie kerzengerade nach oben stiegen und sich irgendwo am azurblauen Himmel im Nichts auflösten. Der Kapitän, ein streng dreinblickender Mann im besten Alter, sah von der Brücke müßig auf uns herab. Ihm war es sichtlich egal, wen er wohin beförderte, solange er nur die Münzen in der Kasse klingeln hörte. Was ihm nicht egal schien, war sein Steamer, die Chippewa, die außer uns und unserem Hab und Gut noch große Mengen von Alkohol und Schwarzpulver beförderte, wie ich später erfahren sollte. Für die tapferen Frauen und Männer in den Forts, wie der Pilot des Steamers schmunzelnd immer wieder betonte. Ich ertappte ihn während der Reise dennoch mehrmals dabei, wie er mit sorgenvoller Miene zu den Depots hinüberschielte, in denen das gefährliche Pulver lagerte, und ehrlich gesagt, auch mir war das nicht ganz geheuer. Ein Funke würde genügen, um uns alle ins Grab zu schicken, auf den schlammigen Grund des Missouri in diesem Fall. Die Reise auf der Chippewa war ansonsten ein einziges Abenteuer. Der Missouri, an vielen Stellen reißend und Erde und Schlamm mit sich führend, war gewaltig. Oft kamen wir an kilometerlangen ockerfarbenen Sandbänken vorbei. Weites Land mit sanften Hügeln erstreckte sich vor unseren Augen bis zum Horizont, wo hohe Gebirgszüge in der klaren vor Kälte flirrenden Luft sichtbar waren. Links und rechts am Ufer kam es nicht selten vor, dass Büffel, die den Fluss überqueren wollten, uns den Weg versperrten. Bei einer solchen Gelegenheit ließ es sich der Kapitän nicht nehmen, das Boot kurzum zu stoppen, nur um höchstpersönlich drei oder vier Büffel zu erlegen. Lagen die Büffel dann tot am Ufer, schickte er einen Trupp hinaus, der nur das kostbarste Fleisch aus den Rümpfen schnitt, die Lende und ein ganz spezielles Stück vom Hinterschinken, den Rest aber einfach liegen ließ, woraufhin schon bald Schakale und Wölfe gierig darüber herfielen. Auch Indianer sahen wir. Diese hielten jedoch respektvollen Abstand. Warum, das sollte ich in einem Gespräch mit Lebœuf erfahren. Ich stand gerade auf dem verschneiten Deck und starrte mit größtem Interesse zu einer Gruppe Indianer hinüber, die ängstlich, aber auch voller Neugierde das Boot betrachtete.

Lebœuf hatte sich mir genähert, ohne sich durch einen einzigen Laut zu verraten. Er stand ganz plötzlich neben mir.

»Pocken! Sie haben Angst vor den Pocken.«

Ich erschrak heftig, worauf Lebœuf lachte.

»Nun ja. 1838 wurden die Blackfeet von den Pocken dezimiert, doch nicht nur sie. Auch die Crees und Assiniboin. Die Krankheit ist ausgebrochen, nachdem sie einem Dampfboot wie diesem einen Besuch abgestattet hatten. Deswegen ihre Angst.«

Nickend zog ich von dannen. Ich war geschockt. Nicht etwa von dem, was Lebœuf mir über die Indianer erzählt hatte, sondern von der Tatsache, dass er so plötzlich wie ein Schatten neben mir aufgetaucht war. Er hätte mich töten können, ohne dass ich je erfahren hätte, von wem und woher die Gefahr gekommen war. Das zeigte mir eindrucksvoller, als mir lieb war, dass ich ein verdammtes Greenhorn war, wie Debütanten und Stadtmenschen hier genannt werden. Unerfahren, schwach, verletzbar, und das wiederum gefiel mir nicht, machte mich wütend auf mich selbst. Wenn es nur irgend ging, hielt ich mich von Lebœuf fern, denn von ihm ging eine Bedrohung aus, die ich nicht in der Lage war genauer zu beschreiben.

Am vierten Tag auf der Chippewa kam es zu einem Vorfall, mit dem niemand gerechnet hatte, ich am allerwenigsten. Wir saßen bei sonnigem Wetter auf klobigen Holzbänken. Diese waren auf dem ersten Deck um eine aus Brettern gezimmerte Tanzfläche gruppiert. Am Rande spielte ein Trio einen langsamen Walzer, wenn man das Geplänkel, das sie zustande brachten, so nennen mochte. Es war ein feuchtfröhlicher Nachmittag und die Chippewa glitt langsam schlingernd Richtung Westen, der untergehenden Sonne entgegen. Es war kühl, doch die Getränke heizten allen mächtig ein, erhitzten auch die Gemüter. Lebœuf war betrunken, was man ihm jedoch kaum ansah, denn er hatte sich sehr gut unter Kontrolle.

»Und wenn alles klappt, ziehen wir von Fort Benton hinauf bis nach Helena. Das sind rund 130 Meilen. Bei gutem Wetter und wenn die Ochsen gesund und kräftig sind, schaffen wir das in einer Woche. Ich kenne da ’ne Abkürzung.«

»Helena?«

Ich hörte den Namen dieser Stadt zum ersten Mal.

Lebœuf nickte.

»Etwa die Gegend wo Sie hinwollen. Im Bett des Last Chance Creek, so munkelt man, liegt Gold. Na ja, zumindest ist es das, was die Blackfeet behaupten.«

Er zwirbelte seine Bartenden zwischen den Fingerspitzen nach oben, nahm einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche und rülpste. Dann flüsterte er einen Namen, ’Grizzly Gulch’ vermeinte ich zu verstehen, war mir aber nicht ganz sicher, während sein Blick schwer auf Annemarie, Ernst Bodenhausens Frau fiel. Mit zuckersüßer Stimme sprach er sie sogleich an.

»Darf ich um diesen Tanz bitten?«

In Annemaries Augen spiegelte sich Überraschung.

Der Franzose hatte sich fein rausgeputzt. Er trug einen schwarzen Anzug, der seine imposante Gestalt jedoch nicht verbarg, im Gegenteil. Wenn er sich bewegte, was er ständig tat, konnte man deutlich das Muskelspiel seines gut trainierten Oberkörpers erkennen. Gut einen Kopf größer als alle anwesenden Männer, war er sich sehr wohl bewusst, allein durch sein Aussehen schon im Mittelpunkt zu stehen. Lebœuf war auch ein perfekter Tänzer. Er führte Annemarie im Dreivierteltakt so eng, als wären sie miteinander verwachsen, und seine Drehungen waren gekonnt. Annemaries Abneigung Lebœuf gegenüber wich von Sekunde zu Sekunde und schon bald wich auch ihr sonst so bodenständiger Blick dem der absoluten Entzückung. Hierbei sei bemerkt, dass Annemarie eine attraktive Frau im besten Alter war. Ich selbst hatte sie heimlich schon oft bewundert und mich im Stillen gefragt, wie Ernst es angestellt hatte, eine so zierliche und bezaubernde Frau dazu zu bewegen, ihm hierher in die Wildnis zu folgen. Sie hätte besser in eine Modegalerie in Berlin oder in Paris gepasst.

Bodenhausen selbst saß mit verkrampfter Miene neben mir, seinen Blick voller Wut und Unverständnis auf das tanzende Paar gerichtet.

»Wie lange muss ich mir das noch gefallen lassen?«, fragte er.

Er trank eindeutig zu viel.

»Wir sind jetzt fast zwanzig Jahre lang verheiratet und Annemarie hat noch nie mit jemand anderem getanzt als mit mir ... zumindest nicht so! So was aber auch!«

Ratlosigkeit mischte sich in seine Stimme, die einst entschlossen und zielstrebig geklungen hatte.

Ich zuckte nur mit der Schulter, denn ehrlich gesagt interessierte mich das im Augenblick nicht allzu sehr. Mit zunehmender Stunde hatte ich nur noch Augen für Carmen, deshalb achtete ich nicht besonders auf Bodenhausens für mich unwichtige Probleme. Auch ich hatte tief ins Glas geschaut.

»Es würde nicht auffallen, wenn wir kurz verschwinden«, flüsterte ich ihr zu und versuchte meiner Stimme einen männlichen, festen Klang zu geben. Carmen jedoch lachte nur schelmisch und unterhielt sich weiter angestrengt mit Margaret und Phillip über eine neue Tanznummer.

Plötzlich saß Lebœuf neben mir. In der einen Hand hielt er ein Blatt Papier und in der anderen einen schwarzen Kohlestift.

»Hier!« Er malte eine Linie, die zickzackförmig von Nordosten nach Südwesten verlief. »Das ist der Missouri zwischen Fort Benton und Helena. Und das ...«

Kenneth und Paul waren inzwischen aufmerksam geworden und hatten sich zu uns gesetzt. Auch Bodenhausen rückte, wenn auch widerwillig, näher.

Lebœuf zeichnete einen kleinen Kreis. »Das ist Helena.«

Alle nickten, rückten noch näher.

Fast theatralisch zog er nun eine direkte Linie in das linke untere Eck des Blattes. »Meine Herren, ich stelle vor ... Grizzly Gulch! Unser Ziel!«

Wir hielten den Atem an. So lange zumindest, bis es fast aus allen Kehlen gleichzeitig nur so sprudelte und alle auf einmal zu Wort kommen wollten.

»Grizzly Gulch?«

Kenneth verrenkte sich fast den Hals.

»Und da wollen wir hin?«

»Oh Gott, hört sich aufregend an!«, entfuhr es Annemarie.

»Was gibt es in Grizzly Gulch, was es in Helena nicht gäbe?«, fragte Carmen und es wurde plötzlich still.

Lebœuf warf ihr einen Blick zu, der mir gar nicht gefiel. Er tat, als wäre ich Luft, und starrte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. Dabei zog er sie mit seinen Blicken fast aus, stöberte tief in ihrer Intimität, zu tief, fand ich.

Interessant und völlig neu für mich jedoch war, dass Carmen, anders als ich es erwartet hätte, diesen Blick frech erwiderte.

Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, bleckte Lebœuf grinsend seine Zähne und lachte Carmen unverschämt über den Tisch hinweg an.

»Nichts«, antwortete er. »Noch nicht! Aber es sieht so aus, als ob es dort tatsächlich Gold gibt.«

Annemarie Bodenhausen hatte sich zwischen ihren Mann und Lebœuf gezwängt. Etwas musste geschehen sein, denn ihre Augen hingen wie gebannt an Lebœufs Lippen. Wie zufällig berührte seine Hüfte ihren Ellbogen, doch sie machte keinerlei Anstalten sich dieser Berührung zu entziehen. Ein schneller Seitenblick verriet mir, dass auch Ernst Bodenhausen dieses Detail nicht entgangen war, denn er bekam einen knallroten Kopf. So gut es ging, versuchte er diese scheinbar unbedeutenden Zufälligkeiten zu ignorieren, doch in ihm kochte es.

Lebœuf indes sprach weiter, als wäre nie etwas geschehen.

»Wo es Gold gibt, entstehen Orte, in denen man Geschäfte treiben kann. Heute ist es ein mieses Zeltlager mit einer Handvoll Digger und einigen verwegenen Abenteurern, aber morgen vielleicht schon sind Zehntausende dorthin unterwegs und die Bibel irrt, wenn sie sagt, die Letzten werden die Ersten sein. Wenn Sie mich fragen, so sind die Ersten diejenigen, die ans große Geld kommen, die besten Claims abstecken und, wie in eurem Fall, die Ersten, die den Menschen was bieten können und somit berühmt werden.«

Man konnte von Lebœuf halten, was man wollte, aber eines konnte er sicherlich. Gut und überzeugend reden!

Phillip, Mary und Jo Ann tanzten vor Freude.

»Wir werden berühmt, berühmt. Ist das nicht aufregend!«

Ich unternahm nichts, um ihre Freude zu dämpfen, denn auch ich schwebte auf einer weißen Wolke. Margaret und Julius hingegen gaben sich skeptisch, doch ihre Einwände gingen in der allgemeinen Euphorie unter.

Es war gegen achtzehn Uhr, und die Sonne berührte bereits den Horizont. Ihre langen, grellen Zungen brachen sich auf dem schlammigen Gewässer, das sich an dieser Stelle träge gab und nur langsam dahinfloss. Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit begaben wir uns in unsere Zimmer.

Wir belegten vier Räumlichkeiten in der Etage direkt unter dem Deck. Darin war es stickig, voller Rauch und eng. Wie dieser Abend weiter verlief, so muss ich zu meiner Schande gestehen, wusste ich nicht mehr. Ich erwachte urplötzlich aus einer Art Tiefschlaf, weil die Detonation eines Schusses mein Trommelfell fast zum Platzen brachte, und ich war schlagartig nüchtern.

Aus einem Reflex heraus sah ich hinüber, dorthin, wo Carmen sich schlafen gelegt hatte. Ihr Bett war leer! Zeit darüber nachzudenken hatte ich wenig, denn plötzlich wurden im Flur Stimmen laut.

»Er hat mich angegriffen! Es war Notwehr!«

Es war Lebœufs Stimme. Sie klang ruhig, fast kalt.

Als ich aus dem Zimmer direkt in den Flur stürmte, war das Erste, was ich sah, eine Gestalt, die reglos am Boden lag. Über sie gebeugt Annemarie. Sie war halb nackt. Um ihre nackten Füße bildete sich ein kleiner roter See. Blankes Entsetzen lag in ihren vom Schlafmangel müden Zügen.

Daneben stand Lebœuf. Er hielt einen Revolver in seiner Rechten, aus dessen Mündung sich Rauch kräuselte. Er trug nur ein Handtuch um seine Hüften, welches er mit der Linken festhielt.

Man brauchte mir kein Bild zu malen, damit ich verstand, was geschehen war.

Für Ernst Bodenhausen kam jede Hilfe zu spät. An der Stelle, wo ich sein Herz vermutete, war ein fast faustgroßes Loch. Er musste sofort tot gewesen sein.

Offenen Mundes starrte ich den Franzosen an. Keine Spur von Reue oder von Mitleid war in seinen Zügen zu erkennen, nur üppige Selbstgefälligkeit.

Eine dunkle Vorahnung überfiel mich. Irgendwie bekam ich das beklemmende Gefühl, dass in diesem Augenblick ein Albtraum begonnen hatte, der mich nie mehr loslassen sollte. Zumindest aber fühlte ich tief in mir, dass eine Tür aufgestoßen wurde, die ins Unbekannte führte.

Auf Wunsch Annemaries wurde Ernst Bodenhausen noch am selben Tag auf dem linken Ufer des Missouri begraben. Die Zeremonie war schlicht. Zuvor hatte der Kapitän Lebœuf kurz ins Kreuzverhör genommen. Es stellte sich heraus – und Annemarie bestätigte dies unter Tränen –, dass Ernst Bodenhausen wohl mitten in der Nacht bemerkt hatte, dass seine Gemahlin nicht an seiner Seite lag. Daraufhin begab er sich mit nur einem Messer bewaffnet in Lebœufs Schlafgemach, wo er seine Frau in flagranti mitten im schamlosen Liebesspiel ertappte. Angeblich hatte er sich sofort auf Lebœuf gestürzt, worauf dieser sich lediglich verteidigt habe, mit anderen Worten: Er hatte Ernst Bodenhausen niedergeschossen wie einen räudigen Hund!

Als ich mich nach der Beerdigung ein letztes Mal umdrehte, erschauerte ich unwillkürlich. Ein hölzernes Kreuz mit den Initialen B.E. und der Jahreszahl 1862 thronte auf einem frischen, winzigen Erdhügel, und es war mehr als wahrscheinlich, dass noch in dieser Stunde eine Horde Coyoten oder ein einsamer Bär die letzte Ruhestätte des Deutschen auf der Suche nach dessen Fleisch umgraben würden, Amen!

Der Tag darauf war frisch. Ein ständiger Nordostwind blies unangenehm und ungewöhnlich kalt. Die Luft war trocken und klar. Wie üblich drängten sich um die Mittagszeit die Menschen auf dem Deck. Hin und wieder sah ich im Gewühl unseren Freund Lebœuf. Er diskutierte des Öfteren mit einem Halbblutindianer, der aussah wie jemand, der einem für ein Wenn und Aber die Kehle durchschneiden würde. Dieser Indianer hatte ein narbenübersätes Gesicht und schien sich über jeden, auf den sein Blick fiel, lustig zu machen. Lebœuf verhielt sich komisch. Sah er mich, lächelte er mir zwar freundlich zu, schien aber sonst seltsam abwesend. Je weiter wir Richtung Nordwesten kamen, desto düsterer wurden die Wolken am Horizont. Als ob der Mord an Bodenhausen – und für mich war es Mord – der Auslöser für eine ganze Serie von Unglücken gewesen wäre, von denen eines das nächste jagte. Einmal brach sogar Feuer an Bord der Chippewa aus. Da jeder den Anweisungen des Kapitäns folgte und der Besatzung half, wo es nur ging, kamen wir alle glimpflich davon. Irgendwie schafften wir es, dass das Feuer nicht auf den Teil des Bootes übersprang, in dem sich das Schwarzpulver befand. Diesen Augenblick hätte wohl keiner von uns überlebt, dennoch, knapp die Hälfte unserer Ausrüstung, so auch Seile und Kostüme, fiel den Flammen zum Opfer. Wieder einen Tag später wäre das Boot fast gekentert, so sehr wurde es von plötzlich auftretenden Stürmen hin und her geschüttelt, und dann, einen Tag darauf, fuhr es frontal auf eine Sandbank. Um das Malheur perfekt zu machen, brach unter der Besatzung eine mysteriöse Krankheit aus, die den Bootsbetrieb für einige Tage lahmlegte. Die Anzeichen dieser Krankheit waren ähnlich wie die der Blattern. Letztere hatten einige Jahre vorher in diesen Breiten schon gewütet. Laut dem Kapitän der Chippewa und wie Lebœuf auch meinte, seien damals Tausende von Indianern den Blattern zum Opfer gefallen. Nach Ablauf einer Woche zerschlugen sich jedoch unsere Befürchtungen, es waren wohl die verdorbenen Lebensmittel an Bord schuld gewesen, die Fahrt konnte weitergehen.

Irgendwann tauchte zu unserer Linken ein breiter Fluss auf, breiter jedenfalls als der Missouri.

»Das ist der Yellowstone«, sagte der Kapitän.

»Wie weit ist es noch bis Fort Benton?«, fragte ich ungeduldig, ohne weiter auf seine Feststellung einzugehen.

»Knappe 450 Meilen«, antwortete der Kapitän irritiert. »Das dauert noch ’ne Weile.«

Plötzlich kamen mir Zweifel.

»Sie kennen die Gegend bei Helena?«

Er nickte. »Kann man so sagen.«

»Kennen Sie auch einen Ort, den man Grizzly Gulch nennt?«

»Ja. Üble Gegend dort, wenn ich das wiedergeben darf, was man mir erzählt hat. Sie müssen wissen, dass der Missouri nur bis Fort Benton schiffbar ist, und ich werde den Teufel tun, mich von meinem Boot weiter zu entfernen, als ich spucken kann.«

Dann überlegte er eine Weile und nahm einen Bissen vom Kautabak, den er sich in die rechte Backe schob, und sah mich merkwürdig an.

»Wollen Sie von Helena aus dorthin? Zum Grizzly Gulch?«

Ich bejahte.

»Falls Sie die Absicht haben, diesen Franzosen, … wie heißt er noch?«

»Lebœuf.«

»Den meine ich. Also falls Sie die Absicht haben, ihn als Führer zu nehmen, dann kann ich Ihnen nur abraten.« Er sah sich um. »Suchen Sie sich einen anderen!«

»Und warum, wenn ich fragen darf?«

Er musterte mich eine Weile abschätzend und legte dann seine Hand auf meine Schulter.

»Ich wette, dass Sie und Ihre Truppe über genügend Wertsachen verfügen. Gold, Bares oder sonst was, hab ich Recht?«

Ich überlegte kurz, schüttelte aber entschieden den Kopf.

»Wir bezahlen ihn, damit er uns nach Grizzly Gulch führt. Ich denke, er wird nicht mehr dafür bekommen, als üblich ist, ein paar Dollar hin, ein paar Dollar her. Reich wird er sicherlich nicht damit.«

Jetzt lachte der Kapitän. Er lachte mich aus, so kam es mir vor. Ich hatte mich schon halb abgewandt, als seine Stimme mich erreichte.

»Sie sind ein verdammter Einfaltspinsel, aber die Geschichte geht mich im Grunde nichts an. Tun Sie, was Sie für richtig halten, aber ein Wort noch.«

Ich hob ihm fragend mein Gesicht entgegen.

»Es geht nicht nur um Sie, haben Sie auch daran gedacht? Sie haben Frauen und Kinder dabei. Einen Mann hat Lebœuf schon unter die Erde gebracht. Einer weniger, der sich im entscheidenden Augenblick gegen ihn richten kann. Sie sind im Besitz von etwas, das er sich aneignen will. Und was dieser Gent nicht will, und da können Sie Gift drauf nehmen, sind einige lumpige Dollar. Farewell, Mister Fontaine, ich wünsche Ihnen viel Glück und bei Gott, das werden Sie auch brauchen.«

Ich dachte an die Diamanten. Ich trug sie in einem ledernen Beutel auf meiner Brust, und niemand, auch Lebœuf nicht, konnte davon wissen. Carmen bildete die einzige Ausnahme, und so sollte es auch bleiben. Die Worte des Kapitäns gingen mir nicht aus dem Kopf, und ich verbrachte die nächsten Tage damit, Lebœuf heimlich zu beobachten. Nichts jedoch in seinem Verhalten gab mir einen Hinweis, der mich dazu zwang, unser Vorhaben einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Fakt war, keiner von uns mochte ihn, aber wir waren inzwischen alle davon überzeugt, dass er der richtige Mann für uns war. In Kansas City hatten wir uns wohlweislich über ihn erkundigt. Man kannte ihn dort als Frontiersman, einen jener Männer also, welche das Land, die Indianer und die Launen der Natur sehr genau kannten. Man beschrieb ihn uns als jemanden, dem Angst ein Fremdwort und umsichtiges Handeln eine Tugend war. Er, da waren wir überzeugt, würde uns ein guter Führer und Begleiter sein. Mit den Tagen, die vergingen, vergaß ich das Gespräch mit dem Kapitän, vergaß den guten Ernst Bodenhausen und wie er gestorben war, und das war gut so. Nachdem wir den Yellowstone weit hinter uns gelassen hatten, wurde der Fluss wieder enger und Stromschnellen gehörten fortan ins alltägliche Bild. Die weitere Reise bis Fort Benton verlief ab diesem Zeitpunkt merkwürdig ruhig und so gingen wir dort mit dem Gefühl von Bord, nichts könne uns mehr etwas anhaben.

Dog Soldiers

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