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UNSRE KINDHEIT WAR SCHWER, DOCH JAN FREUT SICH SEHR

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„Er ist’s!“, rief Kira so laut, dass ich vor Schreck aus dem Laufrad purzelte. Sie saß auf dem Bett, ein aufgeschlagenes Buch auf den angezogenen Knien. Weit und breit war niemand zu sehen. Von wem sprach sie? Und zu wem sagte sie es?

„Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“, posaunte Kira durchs Zimmer.

„Wen meint sie bloß?“, fragte ich Lee, der auf seinem Polster hockte. „Kennen wir jemanden, der Frühling heißt?“

Lee schüttelte den Kopf.

Chan, der seinen Futtervorrat nach Körnergröße sortierte, sagte: „Wir kennen nur Frau Sommer, und bei der flattern höchstens die Ohren ihres Dackels.“

„Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land“, fuhr Kira fort.

Chan hob das Näschen und schnupperte. „Ich rieche nichts.“

„Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.“ Kira seufzte. Es klopfte. „Veilchen – herein – träumen schon“, wiederholte Kira. „Wollen – hallo Jan – balde kommen.“

„Horch, von fern ein leiser Harfenton!“, sagte Jan. Was für eine merkwürdige Begrüßung.

Chan spitzte die Ohren. „Seit wann macht Hafer Geräusche?“

„Nicht Hafer“, sagte Lee. „Harfe. Das ist ein Musikinstrument.“

Jan breitete die Arme aus. „Frühling, ja du bist’s! Dich hab’ ich vernommen!“

„Du kannst das Gedicht schon auswendig?“, staunte Kira. „Ich tue mir total schwer mit dieser Kitschpoesie.“

„Aha, ein neues Schulfach“, sagte ich zu Lee und Chan. „Das ist des Rätsels Lösung. Neben Scheißbruchrechnen und Grammatikschrott darf Kira jetzt auch Kitschpoesie lernen.“

„Mir gefällt das Gedicht“, sagte Jan zu Kira, während er die Abdeckung von unserem Glaskäfig hob und mir die Hand hinhielt, damit ich draufkletterte. „Ich finde Eduard Mörike toll.“

Möhren!“, sagte Chan betont. „Die wären toll.“

„Ein neues Abenteuer“, sagte ich und machte es mir auf Jans Schulter gemütlich. „Das wäre toll.“

„Wollen wir das Gedicht gemeinsam aufsagen?“, fragte Kira. „Vielleicht lerne ich es dann schneller.“

„Nix da, genug geflattert!“, rief ich dazwischen, obwohl ich natürlich wusste, dass die beiden mich nicht verstanden. „Ich will sofort hinaus in den Frühling mit den süßen Düften, den träumenden Veilchen und dem leisen Harfenton, um ein Abenteuer zu erleben.“


Lee klatschte anerkennend in die Pfoten. „Toll, wie du dir den Inhalt des Gedichts gemerkt hast, Neo. Und das nach nur einem Mal hören. Du bekommst von mir eine Eins in Kitschpoesie.“ Lee war zwar nicht mein Lehrer, aber ich freute mich trotzdem.

„Ich habe schon etwas anderes vor“, sagte Jan. „Ich muss gleich wieder los.“

„Wieso bist du dann überhaupt gekommen?“ Kira wirkte etwas verärgert.

„Ich muss mir etwas von dir leihen. Und zwar deine Hamster. Nur für ein oder zwei Stündchen.“

„Wozu?“, fragte Kira.

„Das verrate ich nicht“, sagte Jan.

Kira runzelte die Stirn. „Warum nicht?“

„Weil es ein Geheimnis ist. Keine Sorge, du wirst es erfahren. Aber erst, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“

„Na gut“, sagte Kira. „Du darfst die drei mitnehmen. Dann lerne ich das Gedicht eben allein weiter.“

Jan steckte uns in den Rucksack und machte sich auf den Weg. Ich war sehr gespannt, wohin er uns brachte und was er vorhatte.

Während wir unterwegs waren, hörte ich ein paarmal die Fahrradklingel. „Wir radeln“, sagte ich.

„Nein, wir hocken“, verbesserte Lee. „Jan radelt.“

„Was meint ihr, wo wir hinradeln?“, fragte ich.

„Du meinst, wo wir hinhocken“, sagte Chan.

Ich gab es auf, mit den beiden eine vernünftige Unterhaltung führen zu wollen.

Kurz darauf waren wir schon da. Als Jan uns aus dem Rucksack holte, befanden wir uns in einer sehr vertrauten Umgebung: In der Zoohandlung von Herrn Schmeckts.

„So, da sind wir“, sagte Jan zu Herrn Schmeckts. „Ist alles vorbereitet?“

„Ja, ich habe die kleinen Hamster vorübergehend ausquartiert, damit du den Käfig für das Fotoshooting benutzen kannst.“

Aha, Jan wollte uns fotografieren. Warum ausgerechnet hier? Er fotografierte uns doch sowieso ständig. Seit ich ihn kannte, zückte er jedes Mal sein Handy, wenn wir etwas Lustiges oder Spannendes machten. Früher hatte ich nicht gewusst, was das für ein seltsames Ding war, das er sich manchmal ans Ohr hielt und manchmal vors Gesicht. Auf dem er manchmal herumtippte und in das er manchmal hineinsprach. Inzwischen wusste ich, dass ein Handy ein wahres Wunderding war, mit dem man telefonieren, Texte versenden, Filme und Fotos machen und Antworten auf alle möglichen Fragen finden konnte. Das Ding schien einfach alles zu wissen. Es war ein noch größerer Klugscheißer als Lee.

Der Käfig, zu dem Jan uns brachte, war nicht irgendein beliebiger Käfig. Ich erkannte ihn sofort: Es war der Käfig, in dem ich mit Lee und Chan gelebt hatte, als Kira in die Zoohandlung gekommen war, um einen Hamster zu kaufen. Dann hatte sie uns gleich alle drei gekauft.

Der Käfig war klein und mit einem Schlafhaus und einem gelben Laufrad eingerichtet. Herr Schmeckts öffnete ihn und Jan setzte uns hinein.

„Lasst es uns schnell hinter uns bringen“, sagte Lee. „Hier drin ist es ungemütlich. Es gibt nicht mal ein Sitzpolster. So eine Bruchbude. Wie habe ich es hier während der endlosen Wochen meiner Kindheit nur ausgehalten?“

Auch Chan meckerte. „Seht euch diesen winzigen Fressnapf an. Da passt nicht mal eine vollständige Mahlzeit hinein.“

Ich trippelte ins Laufrad. War es so ruckelig und quietschig, wie ich es in Erinnerung hatte? Ich lief ein bisschen. Das Laufrad ruckelte und quietschte. „Du hast recht“, sagte ich zu Lee. „Das hier ist eine Bruchbude. Absolut nicht artgerecht.“

Jan holte sein Handy aus der Hosentasche, ging vor dem Käfig in die Hocke und sagte zu Herrn Schmeckts: „Es wäre prima, wenn die drei sich genau so verhalten würden wie damals, als Kira sie gekauft hat.“

Lee dachte nach und meinte dann: „Ich glaube, ich habe mich immer gerne tot gestellt, weil ich hoffte, dass Herr Schmeckts dann einen Tierarzt holt.“ Er legte sich auf den Rücken, streckte die Pfoten von sich und wurde stocksteif.

„Und ich habe immer den Napf geleert, damit Herr Schmeckts ihn auffüllt“, sagte Chan und begann, sich die Backen vollzuschlagen. „Ja, genau scho war dasch“, nuschelte er zufrieden.

„Und ich habe mich damals beschwert, dass ich zu wenig Abwechslung hatte“, sagte ich. „Immer nur fressen, schlafen, putzen, das ist doch kein Hamsterleben!


Lee hob den Kopf: „Du sollst nicht quatschen, sondern posen. Das ist ein Fotoshooting, kein Hörspiel.“ Er schloss die Augen und hielt wieder still.

Sportliche Posen waren meine leichteste Übung. Ich hatte damals versucht, oben auf dem Laufrad zu laufen, war aber in hohem Bogen in den Fressnapf geflogen. Diesmal würde es sicher gelingen, schließlich hatte ich fast ein Jahr lang trainiert. Ich kletterte die Gitterstäbe hoch, schwang mich von oben aufs Laufrad und wetzte los. Es lief wie geschmiert. Ein tolles Gefühl. Damit Jan außer dem fressenden Chan und dem herumliegenden Lee noch ein bisschen Action für sein Foto hatte, beschloss ich, einen Sprung zu wagen. Ich stieß mich mitten im Lauf ab, flog über den Fressnapf und den Wassernapf hinweg, prallte am Käfiggitter ab und landete auf Lee.

„Aaaaaah“, kreischte Lee.

Jan lachte. „Super“, sagte er und steckte das Handy weg. „Ich habe eine Serienaufnahme gemacht, da ist bestimmt etwas Geeignetes dabei.“

Er holte uns aus dem Käfig, bedankte sich bei Herrn Schmeckts, kaufte eine Packung Nagisan und machte sich auf den Heimweg.

„Grässlich“, sagte Lee unterwegs. „Absolut grauenvoll. Ich weiß nicht, wie ich mich jemals wieder davon erholen soll.“

„War es so schlimm, als ich auf dir gelandet bin?“, erkundigte ich mich besorgt.

„Nein, aber es war schlimm, sich daran zu erinnern, was für eine schwere Kindheit wir hatten. Es grenzt an ein Wunder, dass aus uns trotzdem normale, gesunde Hamster geworden sind.“

Der Karatehamster hisst die Segel

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