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Der Mann mit der Kapuze

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Eine Stunde später steht Theo wieder am Fenster. Das Gewitter hat sich verzogen. Unten sieht er, wie Erwin, der Hausmeister, irgendeinen Junkie im Kapuzenpulli vom Hof jagt.

Theo beschließt, die Wohnung von Frank Stiller zu besichtigen. Irgendwo muss man ja anfangen. Er lässt sich von Olga Schlüssel und Adresse geben und fährt in den Innenhof hinunter, wo er seinen 1975er Pontiac Grand Am in eine Garage gezwängt hat. Lime-green metallic, weiße Vinylsitze, getunter 7,5 Liter V-8 Motor, das volle Programm. Der Wagen ist so breit, dass Theo in der Garage kaum die Tür aufkriegt. Aber: Wer schön sein will, muss leiden. Als Theo den Motor anlässt, vibrieren im ganzen Haus die Scheiben. Darum leiht er sich für unauffällige Observationen auch immer Olgas uralten Kadett aus.

Theo reiht sich in den Verkehr ein. Als er Gas gibt, hebt sich die Schnauze des Grand Am wie bei einem starken Motorboot, das in See sticht. Theo spielt eine CD ab.

Es kommt “I ain´t living long like this“, gecovert von Emmylou Harris. Theo singt den Refrain mit und denkt düster: Kommt mir irgendwie bekannt vor. Nach zwanzig Minuten hat er die Strecke von Giesing bis zu der Adresse in Obersendling geschafft. Keine Top-Gegend, Wohnbebauung und Gewerbe durcheinander, aber auch kein Glasscherbenviertel. Theo findet mit Mühe einen Parkplatz und geht dann zu dem Mehrfamilienhaus, 5 Stockwerke, 70er Jahre, aber noch gut in Schuss. Frank Stiller hat im zweiten Stock gewohnt, das Türschild ist noch dran.

Theo schließt die Wohnung auf. Was hofft er hier zu finden? Jeder Quadratzentimeter ist schon von den Bullen abgesucht worden. Gefunden haben sie nix. Vielleicht zu viel Technik und zu wenig Gespür? Theo sieht sich um. Zwei Zimmer, Küche, Bad, nichts Besonderes, modern, zweckmäßig eingerichtet. Einfache, schmucklose Möbel. Kein Computer, keine persönlichen Unterlagen. Alles mitgenommen und asserviert. Insgesamt die unpersönliche Wohnung eines allein stehenden Mannes, der sich dort nicht oft aufhält. An den Wänden Warhol-Drucke, ein paar gerahmte Fotos, Frank Stiller am Strand, im Gebirge, in fremden Städten, allein oder mit Freunden. Ein paar Mal zusammen mit einer jungen Frau, so Ende zwanzig, dunkelhaarig, hübsch. Auf einem Foto sitzt sie in einem Straßenlokal und prostet mit einem Glas Rotwein der Kamera zu. Das muss Beatrix gewesen sein, Franks Freundin, die so früh gestorben ist, ein Jahr vor Franks eigenem Tod. Einfach so. Herzversagen. Tragisch, aber unverdächtig.

Unverdächtig? Theo überlegt. Alle Personen, die auf diesen Bildern zu sehen sind, wurden garantiert von der Polizei identifiziert und unter die Lupe genommen. Abgeklopft, ob sie was mit der Sache zu tun haben könnten oder was wissen. Jemand, der zum Tatzeitpunkt schon ein Jahr tot gewesen ist, den kann man nicht mehr unter die Lupe nehmen. Was macht man dann? Liegt hier ein Schatz verborgen, den die Bullen womöglich deswegen nicht gehoben haben, weil sie gar nicht daran dachten, dass er da sein könnte? Theo nimmt das Bild aus dem Rahmen und steckt es ein. Dann verlässt er die Wohnung.

Theo hat den Wagen zwei Straßen weiter geparkt. Er geht auf ihn zu und fingert in der Hosentasche nach den Schlüsseln, auf den Jugendlichen, der mit dem Rad auf dem Gehsteig in seine Richtung rast, achtet er nicht. Theo dreht sich um, als er hinter sich einen gedämpften Knall hört und gleichzeitig einen Schlag am Kopf spürt. Dann wird alles schwarz.


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Als Theo am nächsten Tag im Krankenhaus zu sich kommt, mit einem Verband um den Kopf, sieht er drei Gesichter, die sich über sein Bett beugen: Das bestürzte von Olga, das milde lächelnde eines älteren Herren, der wie der verstorbene Volksschauspieler Gustl Bayrhammer ausschaut, und das verkniffene einer ausgezehrten Krankenschwester.

“Mein Gott, Chef, ich bin ja so froh, ich habe schon gedacht, ich weiß gar nicht..“ Olga ringt nach Worten. Zu ihrer Erleichterung fällt ihr ein: „ Ich hab ihnen auch was mitgebracht.“ Sie zieht aus ihrer Handtasche eine Flasche Wodka heraus, der sie eine Geschenkschleife um den Hals gebunden hat. „Für sie, Chef, und gute Besserung“ sagt sie, sichtlich froh, die Situation gerettet zu haben. Sie stellt die Flasche auf Theos Nachttisch.

„Alkohol ist wohl kaum das geeignete Mitbringsel für Kranke, junges Fräulein“ keift die ausgezehrte Krankenschwester und macht Anstalten, die Flasche wieder wegzunehmen. Theo platzt der Kragen.

„Was ist denn das hier für ein Laden?“ schreit er die Schwester an. „Da liege ich in so einem Scheißkrankenhaus, wo ich nicht weiß, wie ich hingekommen bin, und sie wollen auch noch meine Gewohnheiten ändern und mein Personal anschnauzen?“

Der Mund der Schwester klappt erst auf, dann zu, und sie dreht sich um und rauscht aus dem Zimmer, nicht ohne die Tür hinter sich zuzuknallen.

„Olga, was ist hier eigentlich los?“

„Das erklärt ihnen besser der Herr dort“ antwortet Olga und guckt scheu zu dem Volksschauspieler hinüber. „Ich muss dann los, ins Büro, sonst ist ja keiner am Telefon, am Abend komm ich noch mal wieder, Servus Chef“ Olga macht, dass sie wegkommt. Der Volksschauspieler schaut mitleidsvoll.

„ Seit wann machst du Krankenbesuche bei der Konkurrenz?“ brummt Theo misstrauisch. Kriminalhauptkommissar Hans Baer lächelt milde. „ Bei Mordversuch ist das leider mein Job, das müsstest du doch wissen, Theo.“

„Mordversuch? Kann mir endlich mal einer sagen, was hier Sache ist?“

„Hast du gar keine Erinnerung mehr?“

„Nur dass ich gestern in Obersendling in mein Auto steigen wollte.“

„Also, hör zu“ fängt Baer bedächtig an, „ du bist angeschossen worden, gestern in Obersendling. Streifschuss am Kopf. Dir wird nichts bleiben. Du hast aber unwahrscheinliches Glück gehabt. Zwei Millimeter mehr, und du wärst tot.“ Baer sieht, dass Theo etwas sagen will und hebt die Hand.

„Lass mich erst ausreden. Eine Verkäuferin in dem Laden, vor dem du geparkt hast, hat zufällig aus dem Schaufenster geguckt. Sie hat dich auf dein Auto zugehen sehen, als ein Mann mit Kapuzenpulli hinter dich getreten ist und eine Pistole mit Schalldämpfer gezogen hat. Er hat auf dich angelegt und geschossen, aber in dem Moment hat ihn ein Jugendlicher mit dem Fahrrad gestreift. Das hat ihm offenbar die Waffe verrissen, so dass er nicht genau getroffen hat. Der Täter ist dann weggelaufen. Der Jugendliche ist einfach weitergefahren. Und bevor du fragst: Eine genaue Täterbeschreibung gibt es nicht. Ein Mann, etwa eins achtzig groß, kräftig, nur von hinten gesehen, dunkle Hose und Kapuzenpulli. So laufen Hunderte rum. Fahndung in der Umgebung ohne Erfolg. Und von dem Jugendlichen auf dem Rad weiß die Verkäuferin gerade noch, dass er ein rotes Hemd angehabt hat. Wir haben schon Zeugenaufrufe an die Öffentlichkeit raus gegeben. Ob das was bringt, weiß der Geier.“

„Verdammt“ schnauft Theo, er ist ganz blass geworden. Baer fragt:

„Fällt dir dazu irgendwas ein, Theo?“ Theo schüttelt den Kopf. Baer lächelt jetzt nicht mehr. „Theo, das war kein x-beliebiger Raubüberfall, das war ein gottverdammter Mordanschlag, so was passiert nicht zufällig. Was hast du denn gestern in Obersendling gewollt?“

„ Berufsgeheimnis“ sagt Theo verschlossen. Er denkt nicht daran, Baer einzuweihen und hofft inständig, dass man das Foto der toten Beatrix nicht bei ihm gefunden hat.

„Theo“, Baer wird eindringlich,“ ich weiß dass du bei deinen Ermittlungsmethoden bisweilen, sagen wir mal, den Boden der Strafprozessordnung verlässt. Und solange du es nicht zu toll treibst, will ich das auch gar nicht so genau wissen. Aber hier geht es um ein Kapitalverbrechen, da kann ich mich nicht einfach hinstellen und sagen ach, da stellen wir die Ermittlungen mal ein, damit dem Theo seine Berufsgeheimnisse auch schön geheim bleiben. Theo, bist du in letzter Zeit jemandem auf die Füße getreten?“

Doch Theo schweigt eisern. Nach einer halben Stunde gibt Baer resigniert auf. „Wir haben uns sicher nicht zum letzten Mal gesehen“ sagt er zum Abschied, „ meine Telefonnummer hast du ja noch.“ Dann geht er.

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Theo bleibt noch einen weiteren Tag in der Klinik, dann hält er es nicht mehr aus. Er muss einen Wisch unterschreiben, wonach er das Krankenhaus auf eigene Gefahr vorzeitig verlässt. Dann geben sie ihm noch eine Packung Schmerztabletten mit dem Hinweis, diese keinesfalls zusammen mit Alkohol einzunehmen. „ Wann soll ich die dann jemals schlucken?" fragt Theo, lässt die Packung liegen und begibt sich direkt zu seinem Büro.

Dort geht er zuerst in den Innenhof, weil er nachschauen will, ob die Bullen auch seinen Grand Am schön zurückgebracht haben. Dabei läuft ihm der Neger Erwin über den Weg. Erwin, der Hausmeister, ist kein Schwarzer, wird aber wegen seinem schwarzen Kraushaar von allen nur liebevoll Neger genannt. Erwin plappert sofort los: „ Mensch Theo, bist schon wieder da, Mann, wir haben´s natürlich alle gehört, was…“

„Mach mal halblang, es geht schon wieder „ unterbricht Theo den Redefluss . Ihm ist etwas eingefallen. Kann vielleicht nur Zufall sein, aber Fragen kostet nix.

„Hör mal, Neger,“ sagt er „ du hast doch vor zwei Tagen hier unten so einen Typ mit Kapuzenpulli verjagt, was war denn da?“

„Ganz komische Sache“ antwortet der Neger. „ Hab den Kerl nie vorher gesehen. Hat sich da hinten bei den Mülltonnen rumgedrückt und immer zur Hoftür geguckt. Ich frag´ ihn, was er da will, und da wird er ganz aggressiv und beschimpft mich auf spanisch und zeigt mir den Stinkefinger.“

„Spanisch?“ fragt Theo.

„Ja, kenn ich doch von Malle“ sagt der Neger „ und überhaupt hat der irgendwie so ausgeschaut…so, wie man sich halt einen Südamerikaner vorstellt. Du weißt schon, dieser Farbton der Haut, die Nase, die Augen- so wie eben die Südamerikaner im Fernsehen immer ausschauen. Ja und dann sage ich, wenn er nicht geht, hol´ ich die Polizei, und wie er Polizei hört, ist er ab wie der Blitz.“

Das kann jetzt natürlich auch noch alles Zufall sein, denkt Theo, aber es wird immer unwahrscheinlicher. „Kannst du mir den näher beschreiben?“

„Na ja, groß, so eins achtzig, kräftig, vielleicht Ende zwanzig, hatte so `ne auffällige Narbe unterm linken Auge. Und er hat ziemlich nach Knoblauch gestunken.“ Theo bedankt sich und fährt hinauf in sein Büro.

Olga fällt ihm um den Hals. „Chef, ich hab´s gewusst, dass sie früher kommen, wie geht´s ihnen? Einen Brandy zur Begrüßung?.“ Statt einer Antwort macht Theo mit den Fingern ein Zeichen, dass er einen doppelten will, und geht in sein Zimmer. Olga kommt mit den Gläsern nach, sie hat sich ungefragt selbst einen mit eingeschenkt, dann liest sie Theo die Anrufe der letzten Tage vor. Nichts Bewegendes. Theo greift in seine Jackentasche, das Foto von Beatrix ist noch da. Er trinkt aus und sagt:

„Olga, ruf mal bei den Stillers an, ob die verstorbene Freundin ihres Sohnes noch Angehörige hat.“ Olga räumt ab und geht. In der Zwischenzeit, denkt Theo, kann ich ja mal schau´n, ob jemand meinen südamerikanischen Freund kennt.

In diesem Geschäft sind Kontakte alles. Und nach zwanzig Jahren LKA und fünfzehn Jahren als Privatschnüffler kriegt man Kontakte, aber schon so was von, denkt Theo. Zum Thema Südamerika fällt ihm sofort Ernesto Colon ein. Dem gehört das „Santiago de Chile“ in Haidhausen, Anlaufpunkt und Kontaktbörse für alle Südamerikaner in der Stadt. Steht mittlerweile schon in den Reiseführern. Theo hat Ernesto einmal aus einer üblen Patsche geholfen und kann sich seither der höchsten Wertschätzung des Chilenen erfreuen. Er ruft ihn an.

„Ernesto, hier ist Theo…“weiter kommt er nicht, weil er erst einmal eine überschwängliche Begrüßung über sich ergehen lassen muss. Als Ernesto endlich fragt, was er denn für Theo tun kann, sagt der:

„Sag mal, ist dir in letzter Zeit ein neues Gesicht in eurer Gemeinde aufgefallen? Junger Mann, so Ende zwanzig, groß, kräftig, Narbe unter dem linken Auge, vielleicht im Kapuzenpulli und mit Knoblauchfahne?“ Ernesto überlegt, dann sagt er:

„ In meinem Lokal sicher nicht. Aber ich höre mich um und gebe dir dann Bescheid.“ Theo bedankt sich und legt auf.

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Theo hat das Gespräch gerade beendet, als Olga hereinkommt. „Also, die Stillers haben gesagt, die Eltern von Beatrix, Franz und Christine Waldau, wohnen in Germering, Adresse und Telefonnummer hab ich aufgeschrieben. Und dann gibt es da noch eine ältere Schwester, Ruth, aber wo die lebt, haben sie nicht gewusst.“ Theo nimmt die Notiz entgegen und beschließt, erst mal in Ossis Eckkneipe eine Currywurst zu essen. Es ist eh Mittag. Olga nimmt er nicht mit, sonst artet das nur wieder aus. Ossi, der eigentlich Uwe heißt, aber von allen nur Ossi gerufen wird, weil er nach der Wende aus Sachsen hier eingewandert ist und die Kneipe übernommen hat, reißt die Augen auf.

„ Mensch, ich seh´ Gespenster!“ schreit er durchs Lokal. Theo wiederauferstanden!“

Die ganzen anderen Alkis, die wie üblich schon mittags um Ossis Tresen herumhängen, umringen Theo wie ein Haufen Fliegen den Kuhfladen. Er kommt nicht zum Bestellen, bevor er nicht erzählt hat: Ja, angeschossen, keine Ahnung warum, nur Streifschuss, unbekannter Täter mit Kapuzenpulli, möglicherweise, aber nur so eine Überlegung von ihm, Südamerikaner.

„Südamerikaner?“ unterbricht Ossi, und plötzlich wird es ganz still. „Mensch, so einen hab ich vor vier Tagen hier gesehen! Groß, kräftig, Kapuzenpulli. Ist bestimmt eine Stunde hier die Straße immer auf und ab gegangen und hat sich dauernd umgesehen. Dann ist er vor meiner Kneipe stehen geblieben und hat so durch die Scheibe gelinst, du weißt schon, so mit vorgehaltener Hand. Ich hab mir gedacht, der hat sich vielleicht verlaufen und bin zu ihm raus. Da hab ich sein Gesicht gesehen, so wie wenn du zum Fernsehen sagst, jetzt zeigt mir mal ´nen kolumbianischen Drogengangster, genauso würde der dann aussehen. Hatte ´ne Narbe untern Auge und fürchterlich nach Knoblauch gestunken. Aber wie ich ihn angesprochen hab, ist er wie der Teufel davon“

Soviel zum Thema Zufall, denkt Theo. Er hat keinen Appetit mehr auf Currywurst. „Ich muss noch mal ins Büro“ sagt er und geht.


„Schon wieder da, Chef?“ fragt Olga, aber Theo hat keine Lust auf Konversation. Er verschanzt sich in seinem Büro und rekapituliert: Ein Südamerikaner mit Narbe und Kapuzenpulli wird erst in seiner Straße, einen Tag später direkt in seinem Hinterhof gesehen, wobei er sich verdächtig verhält. Am selben Tag verübt jemand mit Kapuzenpulli einen Mordanschlag auf ihn. Die zehntausend-Taler Preisfrage lautet: Hat der Attentäter eine Narbe und riecht nach Knoblauch? Verzettel´ dich jetzt nicht, denkt Theo. Mach mal was anderes- denk an die Eheleute Waldau. Eine Stunde lang ruft Theo ständig dort an, aber keiner hebt ab. Schöner Tag heute, denkt Theo, vielleicht wursteln sie im Garten und hören das Telefon nicht. Theo hält das Rumsitzen nicht mehr aus. „Ich fahr nach Germering!“ ruft er Olga im Vorbeigehen zu.

Germering ist ein Städtchen westlich von München, in dem sich der Mittelstand, dem es in München zu teuer ist, gern ansiedelt. Genauso ein Idyll ist die Straße, wo die Waldaus wohnen.

Hübsche Einfamilienhäuser, nicht zu groß, nicht zu klein, in hübschen Gärtchen. Häuser, die in den Siebzigern, frühen Achtzigern von hoffnungsvollen Paaren gebaut wurden, um darin Ihre Kinder großzuziehen. Jetzt sind die Kinder ausgezogen, und die Eltern sitzen allein mit ihren Erinnerungen in den halbleeren Buden. Ich hab keine Kinder, denkt Theo. Ich werde im Alter auch allein sein, aber wenigstens nicht jeden Tag vergeblich auf einen Besuch meiner Kinder warten. Theos Ziel tut wenig, um seine trübseligen Gedanken zu vertreiben. Das Haus der Waldaus wirkt unbewohnt, Rollläden heruntergelassen, Rasen nicht gemäht, aus dem Postkasten quellen die Werbeprospekte. Theo steigt aus und läutet trotzdem. Natürlich vergebens, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

„Sie sind wohl nicht von hier“ ruft der Nachbar, ein grimmiger Tattergreis, über den Zaun. „Wieso?“ fragt Theo.

“Weil sie dann wüssten, dass hier keiner mehr wohnt.“ Der Alte, sichtlich erfreut, jemanden gefunden zu haben, der die Geschichte noch nicht kennt, macht eine theatralische Kunstpause. „Doppelselbstmord“ raunt er dann und winkt Theo näher zu sich. „Vor zwei Wochen. Die Putzfrau hat sie gefunden.“ Theo ist platt, damit hat er nicht gerechnet. Sollte seine vermeintlich heiße Spur schon wieder kalt geworden sein?

„Auf der Familie liegt ein Fluch“ gibt der Alte jetzt verschwörerisch zum Besten „ vor zwei Jahren hat es die jüngste Tochter erwischt, jetzt die Eltern, und die ältere Schwester kommt bestimmt auch noch dran.“ Hoffentlich erst, nachdem ich mit ihr gesprochen habe, denkt Theo und sagt: “Wissen sie denn, wo die ältere Tochter wohnt?“

„Ach, irgendwo in München“ sagt der Alte unwirsch, weil er sich über die Unterbrechung ärgert. Doch Theo hat jetzt genug von diesen Geschichten. Er verabschiedet sich kurz und geht dann zu seinem Wagen. “Halt, wo wollen sie denn hin?“ ruft ihm der Alte nach. “Wer sind sie überhaupt? Was…“ Das weitere Gezeter des Nachbarn geht im Donnergrollen von Theos Grand Am unter.

Als Theo zurück nach Giesing kommt, ist es schon dunkel. Auf den Straßen vor den Cafes und Lokalen füllen sich die Plätze, es ist ein warmer Sommerabend. Theo hat dafür heute kein Auge. Er ist fix und fertig. Vielleicht hätte ich doch noch im Krankenhaus bleiben sollen, denkt er. Der Kopf tut ihm weh. Er parkt den Grand Am und trottet zwei Häuser weiter in seine Wohnung, wo eine Flasche Cardenal Mendoza auf ihn wartet. Morgen ist auch noch ein Tag.

In dieser Nacht schläft er schlecht. Was wird er von Ruth Waldau erfahren, wenn sie überhaupt mit ihm redet? Was ist mit dem Südamerikaner? Soll er doch Baer einweihen? Erst in den frühen Morgenstunden fällt er in einen traumlosen Schlaf.





Der Aschenmann

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