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Theo will einen Anwalt sprechen

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Nachdem sich Theo am nächsten Morgen wie immer an Olgas miserablen Kaffee den Mund verbrannt hat, macht er sich daran, den letzten Überlebenden der Familie Waldau ausfindig zu machen. Als er den Namen „Ruth Waldau“ in die Suchmaske eingibt, findet er für München zu seiner Überraschung nur einen Eintrag. Soviel Glück macht misstrauisch. Er liest: Ruth Waldau, Rechtsanwältin. Das wird nicht so einfach. Er googelt die Kanzlei. Fachanwältin für Handels-und Gesellschaftsrecht, Bogenhausen, allerfeinste Adresse. Auf der Homepage Kanzleiräume wie eine Filmkulisse, teuer und edel, bevölkert von Angestellten, die selber wie Filmstars aussehen. Ein Bild von Ruth Waldau, eine absolute Hammerfrau, so um die vierzig, dunkelhaarig, bildhübsch, lächelt mit kühler Intelligenz in die Kamera. Theo, das wird ganz schwierig. Aber: Nicht nur die Leber wächst mit ihren Aufgaben.

Theo schaut auf die Uhr. Halb elf. Da müsste Madame schon anwesend sein. Er ruft an. Ja, die Frau Rechtsanwältin ist im Haus. Nein, er kann der Sekretärin jetzt nicht sagen, worum es geht, das ist rein privat und streng vertraulich. Sie möge lediglich ausrichten, dass es etwas mit Beatrix Waldau zu tun hat. Gefühlt endlos hängt er in der Warteschleife. Dann ein Klicken. „Ich verbinde sie jetzt.“ Nun gilt es, Theo.

„Waldau.“ Angenehm tiefe Stimme. Nicht unhöflich, aber sehr distanziert, kühl und- wachsam.

„Guten Tag, Frau Waldau. Mein Name ist Theo Strack. Sind sie die Schwester von Beatrix Waldau, gestorben im Sommer vor zwei Jahren in Jesolo, Freundin des Journalisten Frank Stiller?“

Unbeeindruckt die Antwort: „Wieso wollen sie das wissen?“ Schon mehr distanziert und deutlich wachsamer. Keinen Fehler machen, Theo.

„Ich bin Privatdetektiv.“ Jetzt bloß keine Pause. „Die Eltern von Frank Stiller haben mich beauftragt, die äußerst mysteriösen Umstände des Todes ihres Sohnes zu untersuchen. Sie haben sicher davon gehört?“ Kurzes Zögern.

„Ja schon, aber was hat das mit mir zu tun?“

Spürt er da einen Funken Interesse? Jetzt alles auf eine Karte. „Frau Waldau, ich weiß, dass das alles jetzt etwas plötzlich kommt, ich habe vom Tod ihrer Eltern gehört, mein herzliches Beileid, aber es ist so: Ich vermute, ich glaube, dass ihre Schwester möglicherweise von den Hintergründen oder Umständen, unter denen Frank Stiller später gestorben ist, noch zu ihren Lebzeiten etwas gewusst oder geahnt haben könnte. Möglicherweise könnte ihr Frank etwas erzählt haben. Und möglicherweise hat ihre Schwester mit Ihnen oder ihren Eltern irgendwann darüber gesprochen oder Andeutungen gemacht, ohne dass ihnen damals aufgefallen wäre, worum es sich handelt, weil der Zusammenhang nicht erkennbar war. Oder es könnten sich im Nachlass ihrer Schwester Informationen befinden, die bis jetzt nur deswegen niemandem aufgefallen sind, weil sie eben nicht unter diesem Blickwinkel betrachtet worden sind. Nach so etwas suche ich. Und die einzige, mit der ich noch darüber sprechen kann, sind sie.“ Längere Pause. Wenn sie jetzt auflegt, denkt Theo, dann kann ich diese Spur vergessen.

Endlich sagt sie: „Ich rufe sie in einer halben Stunde zurück.“ Und die Leitung ist tot.




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Während Theo wartet, kommt Olga herein. Herr Colon bittet um Rückruf. Das ging aber fix, denkt Theo. Er wählt Colons Nummer. „Theo, mein Freund“ sagt der Chilene herzlich. „was für ein glücklicher Zufall. Ich habe heute jemand getroffen, der einen Mann gesehen hat, auf den deine Beschreibung passt.“

„Ja wie?“ freut sich Theo.

„Ich habe gerade meine Lieferung argentinisches Rindfleisch bekommen. Der Fahrer des Händlers und sein Bruder sind beide Argentinier. Ich habe den Fahrer nach dem Mann gefragt und er hat gesagt, ja, so jemanden hätten er und sein Bruder vor etwa einer Woche gesehen. Der Fleischhändler sitzt im Euro-Industriepark. Der Fahrer und sein Bruder fahren immer mit dem Bus zur Arbeit. Vor circa einer Woche nach Feierabend haben sie am Bushäuschen gewartet, als direkt aus dem Industriepark dieser Mann herausgekommen ist. Wie er gehört hat, dass sie sich auf spanisch unterhalten, hat er sie angesprochen und nach einer Trambahnverbindung gefragt. Wohin, wissen sie nicht mehr, sie konnten ihm jedenfalls nicht helfen. Sie haben ihn dann noch gefragt, wo er herkommt, er wollte aber nicht viel reden und hat nur gesagt Kolumbien. Er wäre Student und müsste jetzt wieder nach Hause. Dann ist er wieder in den Industriepark hineingegangen. Das hat sie gewundert, weil dort normalerweise niemand wohnt.“

Theo mag es gar nicht glauben. „Und die Beschreibung?“

„Ganz so wie du es gesagt hast“ antwortet Ernesto. „Statur, Kapuzenpulli, Narbe, Knoblauch.“ Seitdem aber nicht mehr gesehen. “ Theo bedankt sich fröhlich und verspricht, seine Weihnachtsfeier mit Olga heuer im „Santiago de Chile“ abzuhalten. „Da muss ich aber vorher meine Spirituosenbestände aufstocken“ lacht Ernesto und legt auf.

Euro-Industriepark, denkt Theo, eines der größten Gewerbegebiete der Stadt, Großhandelsketten, Abholgroßmärkte, das volle Programm. Wahrscheinlich illegale Arbeitskräfte. Keine ideale Gegend für einen Schnüffler, aber, wie sich gezeigt hat, die Welt ist klein.

Während Theo noch überlegt, läutet das Telefon. Olga sagt: „Kanzlei Waldau für Sie. Ich stelle durch“

Es klickt. „Hallo Herr Strack? Kanzlei Waldau. Ich verbinde mit Frau Rechtsanwältin.“

Es klickt. “Frau Waldau, sind sie dran?“

Kurze Pause. „Na schön, Herr Strack.“ Leichte Resignation in der Stimme. “Wir haben sie überprüft. Wenn sie wollen, können sie mich nächsten Mittwoch um zehn Uhr vormittags besuchen.“

„Passt“ sagt Theo.

„Gut. Kommen sie mit dem Auto, Herr Strack?“

„Ich denke schon, warum?“

„Weil ich ihnen dann einen Platz in der Tiefgarage reservieren lasse.“ Als Theo noch sagen will, dass er in üblichen Münchner Tiefgaragen für sein Auto zwei Stellplätze braucht, hat Ruth Waldau schon aufgelegt.



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Am nächsten Morgen sagt Olga: “Herr Hummel wäre jetzt da.“ Ach du lieber Gott, den hat Theo total vergessen. Das wird wieder was werden, denkt er sich, ich will gar nicht wissen, was er diesmal verhunzt hat.

Albert Hummel ist sozusagen Theos Lehrling. Hummel wollte eigentlich Polizist werden, hat aber den Fitnesstest nicht bestanden. Außerdem ist er dem Flaschengeist zugetan, ein Umstand, der ihn mit Theo zusammengebracht hat. Theo weiß, dass sich Privatdetektive nur im Fernsehen kilometerlange Verfolgungsjagden zu Fuß liefern und ganze Fußballmannschaften zum Karateduell herausfordern. Daher hat er sich in einem weinseligen Moment entschlossen, Hummel als Bruder im Geiste eine Chance zu geben und ihn als Privatdetektiv auszubilden.

Hummel erweist sich als willig, aber schwach. Tollpatschig wäre der richtige Ausdruck. Erst neulich hat er sich bei der Observation einer untreuen Ehefrau mit seiner Kamera so ungeschickt verhalten, dass er als vermeintlicher Voyeur verhaftet und nur auf Theos Intervention wieder freigelassen worden ist. Die Ehefrau war natürlich weg.

Jetzt steht also Albert Hummel, der mit seiner schmächtigen Figur wie ein Schulbub ausschaut, vor Theo und schaut irgendwie schuldbewusst drein. „Setz dich, Hummel, und erzähl mir, wie du mit deinen Fällen weitergekommen bist.“ Theo gibt Hummel kleinere Aufträge, an denen er sich erproben soll. Hummel berichtet. Es ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Da kommt Theo eine Erleuchtung. Er weiß, wofür er Hummel als nächstes einsetzen wird.

Stell dir vor, der Euro-Industriepark ist ein Wald, denkt Theo. In dem Wald ist ein Keiler, das ist der Südamerikaner mit dem Kapuzenpulli. Ich bin der Jäger, der den Keiler erlegen will. Was macht der Jäger, damit er seine Beute vor die Flinte kriegt? Sucht er stundenlang im Unterholz? Nein, er lässt den Keiler aufscheuchen. Dann braucht er nur zu warten, bis der Keiler zu ihm herauskommt. Das Prinzip der Treibjagd. Funktioniert todsicher. “Hummel, ich habe einen neuen Auftrag für dich.“

Theo erzählt, was geschehen ist, beschreibt den Südamerikaner und sagt: „Hummel, das ist der Mann den wir suchen. Er hat wahrscheinlich auf mich geschossen und ist sehr gefährlich. Versuch keinesfalls ihn selbst zu finden oder gar zu stellen. Wenn du durch Zufall auf ihn triffst, merk dir nur wo das war und hau so schnell ab, wie du kannst. Kapiert? Spiel ja nicht den Helden.“ Hummel schluckt und nickt eifrig. „Du sollst ein Gerücht streuen“, fährt Theo fort, „ geh in den Euro-Industriepark und gib dich als freiberuflicher Journalist aus. Sag, du wärst da an einer Story dran über einen Mordanschlag auf den Privatdetektiv Strack. Sag, dass du gehört hast, Strack sei überzeugt, der Täter würde hier im Industriepark sich aufhalten oder arbeiten. Strack wäre jetzt noch anderweitig beschäftigt, werde aber in wenigen Tagen herkommen und dann hier nach dem Mann suchen. Es soll sich um einen Südamerikaner handeln, aber genau wüsstest du das nicht. Nur das Strack hierher kommen wird. Frag, ob jemand dazu was weiß, das wäre wichtig für deine Story, und dass du dir Infos dazu ordentlich was kosten lässt. Wende dich an Sicherheitskräfte, Hausmeister, Gebäudeverwalter, Leute die überall hinkommen und immer über alles informiert sind. Noch Fragen?“ Hummel schüttelt den Kopf, so einen Auftrag hat er noch nie gehabt.

„Gut, dann geh jetzt raus zu Olga, sie wird dir Phantasievisitenkarten ausdrucken und ein Prepaidhandy geben, das du nur für diesen Auftrag benutzt. Anschließend mach dich auf die Socken, jeden Tag Bericht an mich.“

„ Jawoll, Chef!“ sagt Hummel markig. Er fühlt sich geehrt.

„Und Hummel“ ruft Theo ihm noch nach, „Ja?“ „Sei vorsichtig.“


Als Hummel gegangen ist, muss Theo noch zwei Vorkehrungen treffen. Denn was macht der Keiler, nachdem die Treiber ihn aufgescheucht haben? Variante eins: Er versucht zwischendurch zu entkommen. Variante 2: Er geht auf den Jäger los. Auf beide Möglichkeiten muss man vorbereitet sein.

Variante eins: Dass der Täter jetzt entkommt, muss Theo in Kauf nehmen. Denn um ihn aufzuhalten, müsste Baer und sein Polizeiapparat eingeweiht werden. Das will Theo im Moment aber nicht, weil er noch nicht weiß, inwieweit der Anschlag mit dem Stiller-Auftrag zusammenhängt. Und bei dem will er Baer nicht dabeihaben. So legt er alle Erkenntnisse und Verdachtsmomente gegen den Südamerikaner schriftlich nieder und verschließt das Schreiben in einem Umschlag. Den hinterlegt er bei Olga mit der Weisung, den Umschlag sofort an Baer zu übergeben, falls ihm etwas zustoßen sollte.

Fehlt noch Variante 2. Wenn der Keiler angreift, darf der Jäger nicht danebenschießen. Habe ich nicht vor, denkt Theo, holt seine neun Millimeter Glock aus der Schublade und steckt sie ein.


11

Der erste Tag von Hummels Undercover-Aktion verläuft erfolglos. Niemand will etwas gehört, gesehen oder gewusst haben. Und wenn, dann sagt er es nicht. Aber schon tags darauf ruft Hummel aufgeregt an: „Chef, ich glaub wir haben was. Gerade hab ich mit drei Männern von einem Sicherheitsdienst geredet, die sind auch sonntags da. Zuerst haben alle gesagt, so einen Mann haben sie nie gesehen. Aber nachdem ich gegangen bin, ist mir einer von denen nachgelaufen. Er war ganz nervös und hat sich dauernd umgedreht, ob ihn auch keiner sieht. Er meinte, er wüsste da was und ich soll ihn morgen Abend im Weißen Bräuhaus treffen.“

„Gut“, antwortet Theo, „geh hin, aber sei vorsichtig. Und morgen unter Tags noch weiterhin im Industriepark umschauen.“

„Geht klar, Chef“ sagt Hummel eifrig. Das Jagdfieber hat ihn gepackt.

Am Montag Abends um zehn läutet Theos Handy. Es ist Hummel.

„Chef, ich habe zwei Stunden gewartet, aber der Mann ist nicht gekommen.“ “Mist“ entfährt es Theo, „dranbleiben“. Hoffentlich verläuft mein Termin mit Ruth Waldau übermorgen besser, denkt er. Aber er ist zuversichtlich. Wenn es mit Hummel einen Schritt zurück geht, muss es mit Ruth Waldau eben vorwärts gehen.


Am Mittwoch überlegt sich Theo ernsthaft, zu diesem Anlass einen Anzug anzuziehen, lässt es dann aber doch bleiben. So bleibt es bei Chinos, Sakko und Sneakers, nur dass Chinos und Sakko heute frisch aus der Reinigung kommen. Die Glock nimmt er auch mit, man weiß ja nie.

Theo erreicht das gediegene, aber unauffällige Gebäude, in dem sich die Kanzlei befindet und drückt die Ruftaste an der Tiefgarageneinfahrt. „Herr Strack, ja, für sie ist reserviert, Stellplatz zwölf, rechts in der Mitte.“ Stellplatz zwölf, und dann auch noch in der Mitte, denkt Theo unfroh und sieht sich schon wie wild herumrangieren. Wie sich zeigt, sind seine Befürchtungen unbegründet. Die Stellplätze in dieser Garage sind für Fahrzeuge ab S-Klasse Langversion aufwärts ausgelegt. Mühelos fährt sein Grand Am in die Lücke. Theo steigt aus und sieht sich um. Den geparkten Autos nach wohnen hier nur Ölscheichs. Sein Grand Am passt dazu wie ein besoffener Rocker zum Elternabend der Montessori-Schule. Theo betritt den Aufzug, der ihn lautlos in den zweiten Stock bringt.

Der ist komplett von Ruth Waldaus Kanzlei belegt, die in echt noch umwerfender aussieht wie im Internet. Teppichboden aus englischer Wolle, der jeden Laut schluckt, Mahagoni, Chrom, Glas, Leder, an der Wand Fotografien von Ansel Adams. Hinter dem Empfang schenkt ihm eine schlanke Blondine ihr Filmstarlächeln.

„Guten Morgen, Herr Strack,“ sagt sie. Woher kennt die mich? fragt sich Theo, lässt sich aber nichts anmerken.

„Frau Rechtsanwältin hat gleich Zeit für sie. Wenn sie nur noch für einen Moment hier warten würden?“ Sie geht voraus und bringt ihn in ein geräumiges Wartezimmer, wo Theo in einem Ledersofa von der Größe eines Kleinwagens versinkt.

„Kann ich ihnen etwas anbieten? Espresso vielleicht? Oder lieber etwas hiervon?“ Ihr Blick schweift zu einem Beistelltisch, auf dem eine Batterie der erlesensten Whiskys und Cognacs aufgebaut ist. Keine Flasche unter hundert Euro. Vorsicht, Theo.

„Nein danke“ sagt er nur. Die Blondine guckt fast ein wenig enttäuscht.

„Gut, sollten sie ihre Meinung ändern, können sie mich jederzeit rufen.“ Sie dreht sich um und geht. Theo schaut ihr anerkennend nach. Sie hat einen Gang wie ein Model auf dem Catwalk. Theo sieht sich um. Keine Zeitschriften. Leute, die hier warten, warten entweder nicht lange genug oder sie lesen keine Zeitschriften. Auch Theo muss nicht lange warten, bis ihn die Blondine abholt und mit ihm durch ein Gewirr von Gängen bis vor eine große Mahagonitüre geht. Sie klopft, öffnet die Tür ein Stück, schiebt den Oberkörper hinein und sagt: „Herr Theo Strack, Frau Rechtsanwältin.“

„Bitte“ hört Theo eine tiefe, angenehme Stimme. Dann geht die Tür ganz auf.


12

Nicht nur ihre Kanzlei, auch Ruth Waldau selbst sieht in echt noch umwerfender aus als auf der Webseite. Groß, schlank, ebenmäßiges Gesicht wie ein Celebrity, dezent geschminkt, Kostüm, Bluse, Perlenkette, einfach perfekt. Sie lächelt zurückhaltend. „Guten Morgen, Herr Strack. Bitte nehmen sie Platz“. Sie deutet auf eine Sitzgruppe im Eck. Theo scannt den Raum: Neben der Sitzgruppe gibt es noch einen großen Schreitisch, auf dem ein Telefon und ein Notebook stehen. Ein Block und ein Montblanc- Füller. Sonst ist der Schreibtisch völlig leer, keine Akte, nichts. Hinter dem Schreibtisch ein Sideboard, darauf ein Blumenarrangement. An der Wand Werke des amerikanischen Fotographen Lee Friedlander. Sonst ist das Büro leer. Wird hier auch gearbeitet? fragt sich Theo, der an das Chaos in seinem eigenen Büro denken muss.

Sie setzen sich. „Kann ich ihnen noch etwas bringen lassen? Kaffee oder,“ sie macht eine Pause und sieht ihn aufmerksam an „etwas anderes?“ Theo denkt an den Whisky im Wartezimmer. Aber so leicht geht er niemandem auf den Leim.

„Nein danke, sehr freundlich.“

Ruth Waldau nickt, offenbar mit der Antwort zufrieden. Dann schlägt sie einen dünnen Aktenordner auf, der auf dem Couchtisch liegt. Zuoberst liegt ein Foto von Theo. Deswegen hat mich die Sekretärin gleich erkannt, denkt er. Die machen hier ganze Arbeit.

„Herr Strack,“ sagt Ruth Waldau ohne Umschweife „wie ich am Telefon schon sagte, haben wir sie überprüfen lassen. Sie sind ein äußerst erfolgreicher Privatdetektiv, allerdings stehen sie auch in dem Ruf, bei Ihrer Arbeit die Gesetze, sagen wir, etwas sehr einseitig zu ihren Gunsten auszulegen.“ Theo lächelt milde.

„Frau Waldau, sie sind Fachanwältin für Gesellschaftsrecht. Wenn man so wie sie offensichtlich sehr erfolgreich in der Welt des Big Business unterwegs ist- kann man das schaffen, ohne gelegentlich die Gesetze, sagen wir, etwas einseitig zu seinen Gunsten auszulegen?“ Ruth Waldau lächelt versonnen.

„Nicht schlecht, Herr Strack“ sagt sie dann. „Lassen sie uns zu dem kommen, weswegen Sie hier sind“.

„So wie ich sie am Telefon verstanden habe,“ fährt sie fort „ glauben sie, dass meine verstorbene Schwester etwas von den Umständen, Hintergründen, oder Ursachen, die später zum Tod ihres Freundes Frank Stiller geführt haben, gewusst haben könnte. Und dass sie dieses Wissen irgendwie mitgeteilt oder hinterlassen haben könnte. Und dass die Polizei nicht gezielt danach gesucht hat, weil meine Schwester durch ihren frühen Tod gewissermaßen“- sie setzt Anführungskennzeichen in die Luft- „unverdächtig war?“ Besser hätte ich es selbst nicht sagen können, denkt Theo. Ihn wundert nicht, dass Ruth Waldau so erfolgreich ist.

„So ist es“ antwortet Theo. „Und ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein: Diese Vermutung ist meine einzige Chance, die Sache aufzuklären. Alle anderen denkbaren Spuren wurden bereits von der Polizei untersucht. Ich kenne Kommissar Baer, der die Ermittlungen geleitet hat. Das ist kein Mann, der etwas übersieht. Wenn diese Spur ins Nichts führt, ist der Fall erledigt.“

Ruth Waldau überlegt quälende Minuten. Theo sitzt wie auf Kohlen. Endlich sagt sie nachdenklich: „Das wüsste ich selbst gerne…“ und nach einer Pause:“ Also gut, Herr Strack. Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen.“ Theo kann ein erlöstes Schnaufen nicht unterdrücken. Ruth Waldau muss lächeln. „Eines kann ich ihnen aber gleich sagen, Herr Strack: Mir gegenüber hat meine Schwester niemals irgendetwas erwähnt, das in diese Richtung deuten könnte. Meine Eltern können wir nicht mehr fragen, aber wenn Beatrix ihnen etwas erzählt haben sollte, so haben meine Eltern zu mir jedenfalls nie etwas darüber gesagt. Wenn, dann kann sich ein Hinweis nur im Nachlass meiner Schwester befinden.“

“Was ist denn noch übrig?“ fragt Theo.

„Nicht mehr viel. Die Wohnung wurde nach Beas Tod aufgelöst, die meisten Sachen weggegeben. Meine Eltern haben nur einige persönliche Sachen behalten, das hat in einen Karton gepasst. Der müsste noch im Haus meiner Eltern im Keller stehen. Wenn sie wollen, können wir uns das kommenden Sonntag dort gemeinsam anschauen. Wissen sie, wo das ist? Gut, dann Sonntags um halb drei.“

Gar kein schlechter Anfang, denkt Theo und wendet sich zum Gehen. „Gestatten sie mir noch eine persönliche Frage: Der Selbstmord ihrer Eltern, hat das einen bestimmten Grund gehabt?“ Das Funkeln in Ruth Waldaus Augen erlischt.

„Meine Eltern haben Beas Tod nie richtig verwunden. In der letzten Zeit ist es aber immer schlimmer geworden. Mutter hat mir einmal erzählt, Bea würde ihnen oft nachts erscheinen und sagen, sie sollten mit ihr mitgehen. Ich habe sie zu einem Arzt geschickt, aber der hat ihnen auch nur Psychopharmaka verschrieben. Ich war so hilflos…wenn ich mich mehr gekümmert hätte, würden sie vielleicht noch leben..“ Dann strafft sie sich und sagt abrupt:“ Also bis Sonntag. Auf Wiedersehen, Herr Strack.“ Theo bedankt sich und geht, nachdenklich über das, was Ruth Waldau zuletzt gesagt hat.

Zurück im Büro rudert Olga aufgeregt mit den Armen. „Kommissar Baer hat schon ein paar mal angerufen. Sie sollen sich gleich bei ihm melden.“ Theo vergewissert sich, dass sein Handy ausgeschaltet ist. Heute hat er auf Baer keine Lust mehr. Er will seinen guten Anfang bei Ruth Waldau feiern. „Mach ich Morgen“ sagt er.

„Ach ja, Chef, Hummel hat auch noch angerufen. Der Mann, mit dem er sich gestern treffen wollte, ist weder gestern noch heute zur Arbeit erschienen, sein Handy ist abgeschaltet.“ Davon lass ich mir auch nicht die Laune verderben, denkt Theo. „Ich geh dann mal zu Ossi. Bis morgen Olga.“ Olga kennt dieses Glitzern in Theos Augen.

„Heute Kante, Chef?“

„Volle Kante, Olga.“ Dann geht er.




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