Читать книгу Westside Blvd. - Entführung in L.A. - Torsten Hoppe - Страница 16

Kapitel 10 (Steve Delaney)

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Ich parkte meinen Wagen außerhalb der Hollywood Sunrise Studios und stieg aus. Die über dem Asphalt aufgestaute Hitze stürzte sich gierig auf mich und nahm mich wie einen alten Freund in den Arm. Ich hasste diese Temperaturen. Tolles Wetter, um am Strand zu liegen, aber wenn man durch die Straßen der Stadt rennen musste, war diese Luft das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Ich zog eine Sonnenbrille aus der Tasche meines Hemdes und setzte sie auf. Nicht weil coole Polizisten stets mit dunklen Gläsern unterwegs waren, wie mir einige Kollegen gerne unterstellten, sondern schlicht und ergreifend aus dem Grund, dass die Sonne extrem blendete und meine Augen recht empfindlich auf die Helligkeit reagierten.

Als ich dem alten Pförtner der Hollywood Sunrise Studios meinen Ausweis zeigte und nach Sam Henley fragte, griff dieser kurz zum Telefonhörer und wies mir schließlich mit weit ausladenden Armbewegungen den Weg zum Verwaltungsgebäude. Wahnsinn – der Typ sah mit seinem verknitterten Gesicht so aus, als wäre er schon in den Gründerjahren der Filmbranche hier rumgelaufen. Ich schätzte sein Alter spontan auf hundertdreißig. Vielleicht hatte er schon Charlie Chaplin und Harold Lloyd den Weg zu ihren Drehorten gezeigt. Ich warf ihm noch einen faszinierten Blick über die Schulter zu, dann durchquerte ich einige Straßen und wischte mir dabei den Schweiß von der Stirn. Die Studios waren recht weitläufig und ich bereute bereits schnell, den Wagen bei diesen Temperaturen außerhalb geparkt zu haben. Nach einigen Minuten erreichte ich das Verwaltungsgebäude und öffnete die Tür.

Die kühle Luft der Klimaanlage begrüßte mich herzlich. Im Gegensatz zu der Empfangsdame mit den hochtoupierten Haaren, die mich mit kritischem Blick von oben bis unten musterte.

»Lieutenant Delaney vom LAPD. Ich möchte zu Mr. Henley.«

»Haben Sie einen Termin?«

Wow, ihre Stimme passte perfekt zu ihrem Äußeren: überheblich und abschreckend. Ich nahm die Sonnenbrille ab, klappte sie in aller Seelenruhe zusammen und verstaute sie in meiner Hemdtasche.

»Ja, ich habe mein Kommen telefonisch angekündigt.«

Die Hexe am Empfangstisch lachte heiser auf. »Ha, … Sie haben sich selbst angekündigt? Na, das heißt ja wohl noch lange nicht, dass Mr. Henley Sie erwartet, oder?«

Ich legte meinen Dienstausweis vor ihr hin, stützte mich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch ab und blickte ihr direkt in die hässlichen, grauen Augen.

»Genau aus diesem Grund wollten Sie doch jetzt wahrscheinlich zum Hörer greifen und Mr. Henley von meinem Eintreffen unterrichten, oder?«

Die Frau rollte mit ihrem Bürostuhl erschrocken ein Stück nach hinten und starrte mich mit großen Augen an. Ein Blick in mein leicht angespanntes Gesicht verriet ihr wohl, dass ich nicht vorhatte, mich auf eine Diskussion mit ihr einzulassen. Sie griff verunsichert nach dem Telefon, wählte eine Nummer und sprach leise in den Hörer. Als sie aufgelegt hatte, lag ein gequältes Lächeln auf ihrem Gesicht.

»Mr. Henley erwartet Sie. Fahren Sie mit dem Fahrstuhl bitte in den dritten Stock, das Büro auf der linken Seite.«

Ich nickte ihr freundlich zu und richtete mich wieder zu voller Größe auf. Ich wollte gerade zum Fahrstuhl gehen, als mein Blick auf eine riesige Topfpflanze neben dem Tisch fiel.

»Was ist das für eine Pflanze?«

Die Frau sah mich verwirrt an. »Ääh…, ich weiß nicht.«

Ich ging in die Knie und sah mir die Blätter genauer an. »Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es sieht aus wie die afrikanische Steppenlilie, die unter absolutem Naturschutz steht und deren Einfuhr strengstens verboten ist. Nun ja, ich werde erst mal mit Mr. Henley sprechen; um die Pflanze kann ich mich ja später kümmern.«

Ich zwinkerte dem Empfangsdrachen kurz zu und ging zum Fahrstuhl. Zurück blieb ein wortloses Frauchen in den Fünfzigern mit offenem Mund und nervösen Zuckungen. Ach, das Leben kann so schön sein…

Als ich den Lift im dritten Stock verließ, kam mir ein Mann im dunkelgrauen Anzug bereits lächelnd entgegen.

»Hallo Lieutenant, ich bin Sam Henley. Was kann ich für die Polizei von Los Angeles tun? Ich hoffe, Sie wollen mich nicht wegen zu schnellen Fahrens verhaften.«

Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Nein, Mr. Henley; keine Sorge. Die Auswertung der Verkehrskameras wird erst in zwei oder drei Tagen vorliegen.«

Das Lächeln war abrupt aus seinem Gesicht verschwunden und er starrte mich verunsichert an. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.

»Keine Angst, Sir, ich bin nicht von der Verkehrspolizei. Allerdings wünschte ich, es würde sich um eine solche Bagatelle handeln. Ich komme vom ‘Major Case Squad’.«

Die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen, denn sein Fahrstil schien ihn schon häufiger in Schwierigkeiten gebracht zu haben.

»Sie haben mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, lächelte er und machte eine Handbewegung in Richtung seines Büros. Wir ließen uns in einer gepolsterten Sitzecke nieder und ich kam gleich zur Sache.

»Mr. Henley, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass eine Ihrer Schauspielerinnen gestern Abend entführt worden ist.«

Sam Henley setzte sich aufrecht hin und starrte mich mit großen Augen an.

»Oh mein Gott; wer ist es?«

»Es handelt sich um Heather Simms, die in der von Ihnen produzierten Serie ‘Westside Blvd.’ mitspielt.«

»Heather? Oh nein; ich habe sie gestern Mittag noch in der Kantine getroffen. Was ist passiert?«

»Das versuchen wir gerade herauszubekommen. Sie hat gestern nach Drehschluss die Studios gegen neunzehn Uhr verlassen, ist in ihrer Wohnung aber nicht angekommen. Ihre Mitbewohnerinnen waren davon ausgegangen, dass sie bei ihrem Freund Peter übernachten würde und haben sich nichts dabei gedacht. Heute Morgen bekamen die Eltern von Heather Simms jedoch einen Anruf von ihrer Tochter, in dem sie ihnen sagte, dass sie entführt worden sei.«

Sam Henley trank einen Schluck Wasser und stellte das Glas mit zittrigen Händen wieder auf dem Tisch ab.

»Das arme Mädchen…; Wissen Sie schon, was der Entführer will?«

»Nein, er hat aus irgendwelchen Gründen nicht mit dem Vater gesprochen. Ist Ihnen bekannt, ob es bei Heather in der letzten Zeit irgendwelche Probleme gegeben hat?«

Der Produzent schüttelte den Kopf. »Nein, aber dafür bin ich auch nicht nah genug am Set. Ich kann Sie zu unserem Regisseur Terry Gordon bringen, vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen.«

»Das wäre sicherlich hilfreich. Ist er auch Samstags hier in den Studios?«

»Oh ja; er lebt für seine Arbeit. Er bereitet schon unzählige Dinge für die Drehs der nächsten Woche vor.«

»Sind noch andere Personen da, mit denen Heather regelmäßig zu tun hatte? Jemand, zu dem sie ein eher freundschaftliches Verhältnis hat?«

»Nein, heute nicht; aber wenn Sie möchten, könnte ich ein paar Anrufe machen.«

Ich nickte ihm dankbar zu. »Das wäre wohl sehr hilfreich. Aber erwähnen Sie am Telefon bitte nichts von der Entführung. Wir wollen es nicht an die große Glocke hängen, ehe wir nicht mehr Informationen haben. Insofern möchte ich auch Sie bitten, diese Unterredung für sich zu behalten.«

Sam Henley erklärte mir den Weg zum Studio 4, in dem die Serie ‘Westside Blvd.’ gedreht wurde und griff anschließend zum Telefon. Ich verabschiedete mich und fuhr mit dem Fahrstuhl wieder hinunter. Als ich die Kabine verließ, saß die Empfangsdame an ihrem Schreibtisch und zeigte mir ihr schönstes Lächeln – was sie jedoch auch nicht wirklich attraktiver erscheinen ließ. Dörrpflaume bleibt Dörrpflaume. Der Blumentopf neben dem Tisch war wie von Geisterhand verschwunden. Ich unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen und eilte zum Ausgang.

Nach mehreren Minuten in der sengenden Hitze stand ich vor einer riesigen Halle, die mit Studio 4 gekennzeichnet war. Ich war nur wenige Schritte in das Gebäude hineingegangen, als ich schon inmitten eines großen Straßenzuges stand. Rechts und links von mir ragten imposante Hauswände in die Höhe. Ich ging auf ein Haus zu und klopfte mit der Faust leicht gegen die Mauer; Holz. Ich ging um die Wand herum und starrte gebannt auf die stabilen Holzpfeiler, die die Kulisse von hinten abstützten. Fasziniert schlenderte ich die Straße entlang in die Richtung, aus der ich entfernte Stimmen vernahm.

Nach der nächsten Kreuzung endete die Wohnsiedlung plötzlich und ich stand direkt vor einem geräumigen Wohnzimmer mit eleganten Designermöbeln. Die Stimmen kamen von links. Ich ging durch das Zimmer hindurch und fand mich kurz darauf in einer Bar wieder. Zwei Männer diskutierten über mehrere Zeichnungen und deren Umsetzung.

»Terry Gordon?« Ich ging auf die beiden Männer zu. Der Typ mit den Zeichnungen blickte kurz auf. Er gab dem anderen Mann die Papiere in die Hand und kam mir entgegen.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Lt. Delaney, LAPD. Können wir uns kurz unterhalten?«

Der Regisseur betrachtete die Polizeimarke und nickte kurz.

»Mr. Gordon, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Heather Simms gestern Abend entführt worden ist.«

Er starrte mich mit großen Augen an. »Sie wollen mich auf den Arm nehmen, oder?«

»Nein, Sir. Leider nicht. Heathers Eltern haben heute Morgen einen Anruf von ihr bekommen, in dem sie ihnen mitgeteilt hat, dass sie gekidnappt worden ist.«

Terry Gordon setzte sich sichtlich bestürzt auf einen der Barhocker. »Aber… warum sollte jemand Heather entführen? Sie ist doch nicht reich; ihre Eltern ebenso wenig…«

»Genau das ist auch unser Problem. Wir können bisher kein Motiv für eine Entführung erkennen. Sie haben hier in den Studios fast jeden Tag mit Heather zu tun, ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Gab es Probleme, Konflikte? War sie unkonzentrierter als sonst? War sie mit ihren Gedanken häufig woanders?«

Terry Gordon dachte kurz nach und schüttelte dann langsam den Kopf. »Nein, sie hat sich eigentlich wie immer verhalten; sehr professionell, teilweise ihrem Alter entsprechend albern und ungeduldig; ansonsten locker, entspannt, konzentriert.« Er schwieg einige Sekunden lang. »Nein, wenn ich darüber nachdenke, dann gab es in den letzten Wochen nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass irgendwelche Probleme sie belasteten würden.«

»Hatte sie Stress mit anderen Schauspielern oder Leuten, die hier arbeiten?«

»Nein, Heather ist ein sehr umgängliches Mädchen. Ich habe in der ganzen Zeit, die ich mit ihr zusammenarbeite, noch nie erlebt, dass sie wirklich Streit mit anderen Menschen hatte.«

»Gibt es hier am Set irgendjemanden, zu dem sie ein besonders gutes Verhältnis hat? Gibt es Personen, die uns am ehesten etwas sagen können, falls Heather Probleme hatte?«

Der Regisseur dachte für einen Moment nach. »Nun, zum einen wäre da ihr Freund Peter, der zur Zeit auch in der Serie mitspielt; zum anderen Richard Kent, der für sie eine Art Mentor ist. Wenn es in Heathers Leben größere Probleme gibt, sollte einer von beiden eigentlich etwas davon mitbekommen haben.«

Wir unterhielten uns noch einige Zeit über Heather, als Terry Gordons Handy klingelte. Der Produzent Sam Henley hatte mit Richard Kent und Peter Warren genau die beiden Kollegen angerufen, die auch der Regisseur als Vertrauenspersonen genannt hatte; beide waren auf dem Weg ins Studio.

Während wir auf das Eintreffen der anderen warteten, zeigte Terry Gordon mir die weiteren Kulissen der Serie. Ich staunte nicht schlecht, wie viele verschiedene Sets hier auf engstem Raum Platz fanden. Wir standen gerade in dem kleinen Café, in dem die Serie ihre Akteure häufig agieren ließ, als Richard Kent sich uns näherte.

Als der renommierte Bühnenschauspieler die Kulisse betrat, betrachtete ich ihn staunend. Der Schauspieler gab eine imposante Erscheinung ab. Er war knapp zwei Meter groß, mit breiten Schultern und einem markanten Gesicht. Die dunklen Augen funkelten zwischen den scharf geschnittenen Zügen des mittlerweile einundsechzigjährigen. Seine gepflegte Erscheinung wurde durch den eleganten Maßanzug noch zusätzlich unterstrichen. Seine ungeheure Präsenz füllte augenblicklich das ganze Café aus. Es fiel mir in diesem Moment leicht, in ihm den ebenso beeindruckenden wie fesselnden Hauptdarsteller zahlreicher klassischer Bühnenstücke zu sehen, der als ‘Hamlet’ die Frage des ‘Seins’ aufwirft, als ‘Macbeth’ den Tod seiner Frau betrauert oder als ‘Faust’ seine Seele an den Teufel verkauft.

»Hallo, Terry. Lieutenant. Ich bin Richard Kent. Sam Henley hat mich über Heathers Verschwinden informiert. Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht.«

Ich schüttelte ihm die gewaltige Hand. »Danke, Sir. Ich weiß das sehr zu schätzen. Ich wünschte, wir würden uns unter anderen Umständen kennenlernen.«

Nachdem Terry Gordon sich verabschiedet hatte, setzten wir uns an einen Tisch des Cafés.

»Gibt es schon Hinweise?« Richard Kents harte Züge wichen einem sorgenvollen Gesichtsausdruck.

»Wir sind noch dabei, sämtliche Hinweise zusammenzutragen. Es gibt bisher allerdings keinerlei Spuren, die uns weiterbringen könnten. Sie haben ein gutes Verhältnis zu Heather?«

»Oh ja, wir zwei verstehen uns sehr gut.«

»Hat sie Ihnen gegenüber mal Andeutungen über irgendwelche Probleme gemacht?«

Der große Mann schüttelte den Kopf. »Nein, so weit ich weiß, läuft es in ihrem Leben zur Zeit sehr gut. Der Job macht ihr Spaß, sie ist glücklich mit Peter, ihre Eltern wohnen in der Nähe, sie hat eine super Wohngemeinschaft; eigentlich läuft alles perfekt für Heather.«

Ich zuckte leicht mit den Schultern. Diese Informationen brachten mich nicht wirklich weiter.

»Trotz aller Perfektion scheint es aber jemanden zu geben, der ihr nicht ganz so wohlgesonnen ist.«

»Das ist bei Heather nur schwer vorstellbar. Sie war überall sehr beliebt. Sie ist auf dem Weg nach Hause verschwunden?«

»Wir gehen zur Zeit davon aus. Zumindest ist sie nach dem Verlassen des Studiogeländes von niemandem mehr gesehen worden. Ging sie eigentlich immer alleine nach Hause?«

Richard Kent rang sich ein dezentes Lächeln ab. »Sie meinen ohne Bodyguard? Ja natürlich. Sie sollten Heathers Status hier nicht überschätzen. Sie ist ein junges Mädchen, das vielleicht eine große Karriere vor sich hat, aber bisher ist sie erst ganz am Anfang ihres Weges und hat noch nicht wirklich viel erreicht. Sie ist einer der Stars einer Daily Soap, aber sie hat keinerlei Kinofilme oder ähnliches gedreht. Heather hat ihre Fans, ihr Publikum; aber wirklich bekannt ist sie deshalb noch nicht. Anfangs standen immer mal wieder einzelne Fans vor den Toren des Studios, aber das legte sich nach der Zeit. Wie arbeiten schließlich jeden Tag hier, es ist so gesehen nichts Besonderes mehr für die Leute. Im Grunde führen wir alle ein ganz normales Leben. Wir fahren unsere Autos selber, wir gehen persönlich einkaufen und spazieren durch die gleichen Parks, wie alle anderen Menschen auch. Heather oder ich – wir sind nicht Brad Pitt oder Angelina Jolie; wir können uns frei bewegen und geben hin und wieder mal ein Autogramm.«

Ich schaute ihm in die dunklen Augen.

»Nun, ich denke, dass Sie in Ihrem Leben schon verdammt viele Autogramme gegeben haben«, sagte ich anerkennend, woraufhin er leicht den Kopf hin und her wiegte.

»Viele behaupten, ich sei früher einmal ein Star gewesen, aber diese Zeiten sind sehr lange her. Das war in einem anderen Jahrhundert - genau genommen sogar in einem anderen Jahrtausend. Ich habe mich nach dem Tod meiner Frau für viele Jahre aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Als man mir das Angebot für diese Rolle in ‘Westside Blvd.’ gemacht hatte und ich mich nach sehr langen und intensiven Überlegungen dazu entschlossen hatte, zuzusagen, gab es für ein paar Tage einen kleinen Fanauflauf vor den Studios; danach hatte sich das alles wieder gelegt. Wobei meine Fans natürlich eher zu den reiferen Generationen zählen.«

Richard Kent zeigte ein verlegenes Lächeln und zeichnete mit dem linken Zeigefinger eine imaginäre Linie auf dem Tisch nach.

»Wenn Heather sich jedoch so weiterentwickelt, wie in den letzten Monaten, dann kann ihr der große Durchbruch durchaus gelingen. Sie hat zwar keinerlei Erfahrungen als Schauspielerin, aber sie hat das nötige Feuer und sie ist bereit, sich von anderen helfen zu lassen. Ich werde Ihnen etwas erzählen, damit Sie einschätzen können, was für ein Mensch Heather ist: Wissen Sie, dort hinten gibt es einen großen Raum mit Spiegeln, in den wir beide uns häufig zurückziehen, um uns auf Szenen vorzubereiten und sie durchzusprechen. Vor ein paar Monaten fragte Heather mich in einer Drehpause, ob ich ein paar Minuten Zeit hätte. Sie musste in der Serie mit ihrem damaligen Freund Schluss machen und wollte von mir wissen, wie sie die Szene am besten anlegen sollte. Wir gingen in unser Spiegelkabinett, ich setzte mich in eine Ecke und sie spielte ihre Rolle. Es war routiniert, ohne Textwackler, schon fast professionell; aber auch völlig gefühllos. Ich setzte mich zu ihr und erzählte ihr zehn Minuten lang von den unterschiedlichsten Emotionen, die Dana Burton – ihre Serienfigur – in dieser Situation durchlebte. Wir machten gemeinsam eine Kreuzfahrt durch Danas Gefühlswelt, kehrten ihr Innerstes nach außen. Heather saß gebannt neben mir und versuchte, alles zu verinnerlichen; es zu fühlen, es zu leben.

Knapp eine Stunde später stand ihre Szene auf dem Drehplan. Sie saß neben ihrem Freund in ihrer Zimmerkulisse und wartete auf ein Zeichen von Terry, das es losging. Ich hatte mich hinten in den Kulissen auf einen Stuhl gesetzt und beobachtete sie. Als die Klappe kam, gab es ein Feuerwerk der Gefühle. Dana Burton ist ein kaltes, verzogenes Miststück. Eine Rolle, die bewusst emotionslos angelegt wurde. Heather hatte schon mehrmals mit Terry gesprochen und ihn gebeten, Dana ein paar menschlichere Züge geben zu dürfen, war aber immer wieder vertröstet worden. Ich ermutigte sie in unserem Spiegelkabinett, ruhig mal etwas zu riskieren. Als sie nun in dieser Szene mit ihrem Freund Schluss machen musste, hielt sie sich anfangs genau an die Textvorgaben. Aber sie brachte Emotionen ins Spiel; Gefühle, die Dana noch nie gezeigt hatte. Sie präsentierte diese mit einer Intensität, wie ich selbst es nie zuvor gesehen habe. Schon nach wenigen Sekunden kullerten echte Tränen über ihr Gesicht. Wissen Sie, eine Daily Soap ist Stress pur. Während einer Aufnahme laufen zeitgleich unzählige Arbeiten und Vorbereitungen leise im Hintergrund ab. Niemand nimmt wirklich Notiz davon, wenn eine Szene gedreht wird; es ist einfach tägliche Routine. An diesem Tag hielten die Menschen inne. Ich stand hinten und sah, wie immer mehr Mitarbeiter, die eigentlich nur leise an der Zimmerkulisse vorbeigehen wollten, stehenblieben. Beleuchter, Dekorateure, Stylisten, Assistenten und Schauspielerkollegen. Sie alle standen wie gebannt da und hörten Heather zu, die weinend auf dem Bett saß und einem total überforderten Jungschauspieler erklärte, warum sie ihre Beziehung beenden musste. Sie hatte ihr Skript mittlerweile verlassen, sie sprach völlig frei. Heather zeigte eine ganze Palette von Gefühlen und das so glaubhaft, dass sich niemand im Studio auch nur zu flüstern traute.

Terry Gordon ist bekannt dafür, dass er sofort einschreitet, wenn eine Szene nicht so läuft, wie er sie haben will; aber an diesem Tag schwieg er ebenso wie alle anderen, die anwesend waren. Die Szene sollte gut neunzig Sekunden dauern, aber Heathers emotionaler Monolog dauerte zwölf Minuten. Zwölf Minuten, in denen sie die intimsten Gefühle von Dana Burton offenbarte; in schonungsloser Offenheit, mit Details, die bisher in keinem Drehbuch gestanden hatten, aber absolut glaubhaft und harmonisch in ihre Vita hineinpassten. Zwölf Minuten, in denen alle Anwesenden – und das waren mittlerweile verdammt viele – gebannt an ihren Lippen hangen. Als sie fertig war verharrte sie für ein paar Sekunden mit einem verzweifelten, traurigen Gesichtsausdruck. Es kam natürlich kein Cut-Kommando, da es hier schon lange nicht mehr um ein Drehbuch ging, sondern um Emotionen und Gefühle. Heather selbst war es schließlich die ‘Cut’ rief, lächelte und den armen Jungen neben sich in den Arm nahm. Dann stand sie auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und verließ das Set mit einem strahlenden Lächeln. Sie erblickte mich hinten in den Kulissen, kam auf mich zu, gab mir einen Kuss auf die Wange, zwinkerte mir zu und verschwand in Richtung ihrer Umkleidekabine. Die Stille im Studio war noch immer greifbar. Es dauerte noch endlose Sekunden, bis die Anwesenden sich von dieser Szene lösten und leise tuschelnd in verschiedene Richtungen verschwanden. Und soll ich Ihnen etwas sagen? Die Szene landete genau so in der Serienfolge. Zwölf Minuten mit einer einzigen Kameraeinstellung – ohne Schnitte. Sämtliche Skripte mussten geändert werden, schließlich war diese Folge plötzlich zehneinhalb Minuten länger als vorgesehen. Handlungsstränge wurden nach hinten verschoben und neu zugeschnitten; aber es stand nicht für eine Sekunde zur Diskussion, Heathers Szene zu kürzen.«

Richard Kents Augen waren feucht geworden. Eine Träne rollte über seine Wange und er wischte sie mit dem Handrücken weg.

»Sie ist ein Schwamm, der alles aufsaugt, was sie zu einer besseren Schauspielerin machen kann. Und sie ist ein tolles Mädchen, das allen Menschen mit Respekt begegnet. Ob sie ihren Weg machen wird? Ich bin mir absolut sicher.«

Ich betrachtete den bekannten und erfolgreichen Schauspieler schweigend, als dieser glücklich und ergriffen in seinen Erinnerungen schwelgte. Ich wartete einen Moment, bis Richard Kent seine Emotionen wieder in den Griff bekam.

»Hat sich Heathers Rolle durch diesen Tag verändert?«

Der große Mann nickte lächelnd. »Oh ja. Sie spielte zwar immer noch das kleine, verzogene Miststück, aber von nun an auch ein Miststück, das Gefühle hatte.«

»Mr. Kent, Sie sind ein großartiger Geschichtenerzähler und ich könnte Ihnen stundenlang zuhören, aber leider sind wir aus einem sehr ernsten Grund hier. Können Sie mir irgendetwas über Heather sagen, was mit ihrer Entführung in Zusammenhang stehen könnte?«

Richard Kent schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, Lieutenant. Heather ist bei allen hier unheimlich beliebt. Ich kann mir niemanden vorstellen, der ihr etwas antun wollte.«

»Gab es mal Streitigkeiten, Eifersüchteleien, Handgreiflichkeiten?«

»Nun, ich glaube, Sie stellen sich das tägliche Leben in diesen Filmstudios viel spannender und konfliktbeladener vor, als es in Wirklichkeit ist. Im Grunde ist dies genau so ein Job, wie jeder andere auch. Wahrscheinlich gibt es in Ihrem Department auch ein paar Kollegen, die gerne auf Ihrem Sessel sitzen würden, aber daraus kriminelle Energie abzuleiten, wäre sicherlich völlig überzogen. Bei einer Serienrolle kommt noch erschwerend hinzu, dass sie nach einer gewissen Laufzeit immer mit einem bestimmten Gesicht verbunden ist. Natürlich ist es schon häufiger vorgekommen, dass Schauspieler in laufenden Serien ausgetauscht wurden – manchmal kommentarlos, manchmal mit der wenig originellen Idee eines Unfalls und anschließender Schönheitsoperation der Serienfigur – aber im Grunde wird dies vom Publikum nicht angenommen. Insofern gibt es keinen Neid auf eine bestimmte Rolle – höchstens auf den prozentualen Anteil, den jeder im Endeffekt auf dem Fernsehschirm zu sehen ist. Bei uns gab es auch mal diese Diskussionen. Als Heather bei den Zuschauern gut ankam, wurden ihre Szenen natürlich etwas ausgebaut, was gleichzeitig bedeutete, dass die Anteile von anderen Rollen dementsprechend gekürzt werden mussten. Emmy Linwood war damals davon betroffen. Sie spielte die Rolle einer Arzttochter, war von ihren schauspielerischen Qualitäten her allerdings recht limitiert. Sagen wir es mal so: Emmy profitierte von anderen, sehr auffälligen Vorzügen…; wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich glaube, Heathers Sympathiezuwächse kamen den Produzenten damals sehr gelegen, um die Serie etwas umzustrukturieren. Emmy war damals richtig sauer und lief nur noch nörgelnd durch die Gegend. Sie hat allerdings niemanden direkt angegriffen, die ganzen Sticheleien gegen Heather, Terry und die Produzenten liefen hinter deren Rücken ab. Als Emmys Serienmutter vier Wochen später ein lukratives Filmangebot bekam und ihren Vertrag bei ‘Westside Blvd.’ mit Einverständnis des Studios auflöste, war dies natürlich auch das Aus für Emmy. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie irgendetwas mit Heathers Entführung zu tun hat.«

»Nun, wahrscheinlich nicht. Aber wir gehen lieber einem Hinweis zu viel nach, als dass wir eine Chance auslassen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie mich bitte an. Mr. Kent, ich muss Sie bitten, mit niemandem über die Entführung zu sprechen. Wenn die Medien davon Wind bekommen, würden uns wahnsinnige Probleme bei den Ermittlungen entstehen.«

Der Schauspieler nickte bedächtig. »Ich werde nichts tun, was Heather gefährden könnte; darauf können Sie sich verlassen.«

Wir schüttelten uns die Hände und ich machte mich auf den Weg zum Ausgang.

Die Sonne brannte noch immer gnadenlos. Ich setzte mir gerade die Sonnenbrille auf, als ein junger Mann auf die Halle zugerannt kam.

»Sind Sie der Lieutenant?«

Er schnaufte wie eine völlig überforderte Dampflok. Für Joggingläufe war das Wetter sicherlich auch nicht geeignet.

»Lt. Steve Delaney vom LAPD. Peter Warren?«

Der junge Schauspieler atmete tief ein und aus, als er hektisch nickend meine Hand ergriff. »Wissen Sie schon wo Heather ist? Geht es ihr gut?« Die Panik in seinem Gesicht war offensichtlich.

»Beruhigen Sie sich erst einmal, Peter. Wir wissen noch nicht, wo sie ist. Aber wir werden alles tun, damit sie unversehrt nach Hause kommt. Atmen Sie erst mal ruhig durch.«

Peter Warren stützte sich mit beiden Händen auf den Oberschenkeln ab und saugte gierig den Sauerstoff in seine Lungen.

»Geht’s wieder?«

Der junge Mann nickte wortlos.

Ich deutete mit der linken Hand in Richtung des Ausgangs. »Ich wollte gerade zu Fuß zu Heathers Wohnung gehen. Haben Sie Lust mich zu begleiten?«

Erneut ein stummes Nicken. Nach wenigen Metern schien sich sein Zustand wieder zu normalisieren.

»Wie lange sind Sie schon mit Heather zusammen?«

»Seit acht Monaten. Wir haben uns in einem Schauspielkurs kennengelernt.«

»Dann kennen Sie Heather wohl recht gut, oder?«

»Ich denke schon.«

»Hatten Sie in der letzten Zeit das Gefühl, dass Ihre Freundin irgendetwas bedrückt hat? Hat sie sich vielleicht wegen irgendwelchen Dingen oder Personen Sorgen gemacht?«

Peter Warren schüttelte energisch den Kopf. »Nein, sie hat definitiv keinerlei Probleme gehabt. Das hätte sie mir erzählt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr jemand etwas antun will.«

»Hatten Sie vor, sich gestern Abend noch mit ihr zu treffen?«

»Nein, ich war gestern mit zwei Freunden verabredet. Ein Männerabend, Sie verstehen? Wir wollten uns heute Vormittag treffen und zum Strand fahren. Ich bereitete gerade einen Picknickkorb vor, als mich Sam Henley anrief und mich informiert hat. Ich bin zu meinem Wagen gerannt, aber der Motor ist nicht angesprungen. An manchen Tagen geht einfach alles schief. Ich bin dann sofort losgelaufen.«

Ich deutete auf die Straße vor dem Studio. »Diesen Weg geht Heather jeden Tag?«

Er nickte. »Ja, wenn es bereits zu dunkel ist, nimmt sie den Bus; der hält praktisch vor ihrer Haustür. Aber im Sommer, wenn es lange hell ist, geht sie immer zu Fuß nach Hause. Es hilft ihr, nach der Arbeit abzuschalten; und es sind ja auch nur ein paar Minuten.«

»Hat sie immer zur gleichen Zeit Drehschluss?«

»Nein, jeden Tag unterschiedlich. Manchmal, wenn sie viele Shots hat, kann es bis acht Uhr gehen, an anderen Tagen, wenn Szenen gedreht werden, in denen sie nicht mitspielt, kommt es auch mal vor, dass sie gegen drei oder vier Schluss hat. Wir haben in dem Sinne keine festen Arbeitszeiten; das Drehbuch entscheidet über den Tagesablauf.«

»Das heißt, es wäre gar nicht so einfach, sie auf dem Heimweg abzufangen?«

»Nun, um sicher zu gehen, müsste man schon relativ früh hier sein und eventuell sehr lange warten.«

»Das ist interessant. Dann werden wir alle Anwohner entlang des Weges noch mal befragen, ob ihnen aufgefallen ist, dass eine Person hier längere Zeit rumgelungert ist, oder ob ein Auto hier wartete, beziehungsweise häufig auf und ab fuhr. Das könnte uns vielleicht weiterbringen.«

Ich griff zu meinem Handy und gab entsprechende Anweisungen durch. Wir unterhielten uns noch während des restlichen Weges, ohne dass Peter Warren jedoch irgendwelche entscheidenden Hinweise geben konnte. Alle Beteiligten schienen sich in einem Punkt einig zu sein: Heather Simms war ein nettes, unkompliziertes Mädchen, das mit allen Menschen gut klar kam und keinerlei Feinde besaß. Vor Heathers Haus angekommen verabschiedete ich mich von Peter Warren und versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten.

Westside Blvd. - Entführung in L.A.

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