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Der Bruder im Geiste

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… und jona war drei tage und drei nächte im bauch des fisches (Buch Jona 1-4)

Lieber Jona,

Dank, Dank und nochmals Dank für Deine erfrischende Offenheit!

Wie selten sind in heutiger Zeit so klare Worte zu hören, geschweige denn zu lesen. Dabei muss das deutliche Aussprechen der Wahrheit gar nicht unmenschlich sein, wie Du bewiesen hast. Bis zuletzt hast Du Deinem zweifelnden Gewissen Genüge getan, obwohl Dein hervorragender Verstand sich von Anfang an der sinnlosen Liebesmüh verweigert hatte.

Und was von beidem behielt Recht?

Kennt einer noch den ach-so-reuigen Sündenpfuhl Ninive?

Wurde etwa aus Ninive, der großen Stadt, mit dem Licht der Erkenntnis ein Weltbrand der Verständigkeit entzündet? Schwangen etwa Ninives Glocken ausdauernd im reinsten Halleluja, auf dass endlich das Zeitalter der Liebe zu allem, was sich bewegt und lebt eingeläutet worden wäre?

Nein! Natürlich nicht!

Nachdem Du im zweiten Anlauf wider besseren Wissens vollendet hast, was Gott von Dir begehrte, und Du mit ansehen musstest, wie leichtgläubig Gott es nach Deiner trefflich knappen Predigt nur dem Kleider zerreißenden Elend dankte, setztest Du Dir für die weniger hellsichtigen Leser die Narrenkappe auf. Die mochten Deinethalben über Dich denken, was ihnen beliebte und Gottes Güte höher schätzen als Deine Leistung.

Aber lass Dir versichern: Die Wahrheit setzt sich letztlich durch! Und heute dächte so mancher anders, sofern er oder sie Deine Geschichte überhaupt zur Kenntnis genommen hätte.

Als Du vom Hügel aus dem Heulen und Zähneknirschen in der Stadt zuschautest, und Gott ein weiteres Mal sein Spielchen mit Dir spielte, hattest Du jedenfalls mein vollstes Mitgefühl.

Denkst erst noch: „Na ja, wenigstens lässt ER nach all der Plage ein bisschen Schatten über meinem Kopfe wachsen“, und dann macht ER Dir die kleine Freude wieder madig. Die Staude hinter Deinem Rücken verdorrte, und Du warst wieder der gleißendheißen Sonne ausgesetzt.

Damit nicht genug, soll's auch noch ein Lehrbeispiel gewesen sein: Um das bisschen Schatten hätte es Dich gedauert, aber hunderttausend Menschen täten Dir nicht leid – wie könntest Du Gott darauf anders geantwortet haben, als erneut Deiner Todessehnsucht Ausdruck zu verleihen. Dein eingangs erwähnter Verstand wusste es längst: Gott ist in seiner Barmherzigkeit einfach entsetzlich!

WIDER DIE BOSHEIT DER STADT PREDIGEN meinte zuerst, ihren verdienten Untergang zu prophezeien.

„Wieso sich dafür hergeben?“ magst Du gedacht haben. Wollte Gott diese Stadt tatsächlich zerstören, hätte ER es ohne lange Vorrede einfach getan. Den anderen wäre damit ein äußerst einprägsames Vorbild gegeben worden, und vielleicht sähe es heute auf der Welt ganz anders aus – aber nein, Gott gibt der Stadt noch eine Chance.

Und die Stadt nutzt sie natürlich. Was ist den Menschen natürlicher, als auf begangenes Unrecht mit symbolischen Handlungen Zeichen zu setzen: Weinen, Kleider zerreißen und Asche in die Augen streuen ...

Und Gott ließ das als Reue, Umkehr, Neubeginn gelten und tut weiter nichts.

Die Menschen aber, gar nicht dumm, machten diese Posse zur Methode.

Du müsstest erleben, wie heute geradezu TrauerARBEIT geleistet wird: Der Unrat unserer Städte verpestet die Luft, bringt Meere zum Überlaufen und Berge zum Einstürzen. Menschen, die dagegen anpredigen, sich im Gegensatz zu Dir sogar an Abflussrohre ketten, erregen kurz das öffentliche Ärgernis und verschwinden dann in der Versenkung.

Die bei uns etwas zu sagen haben, sagen es sehr ausführlich und berufen dazu unaufhörlich Konferenzen ein. Das übrige Volk bräuchte sich erst beunruhigen, sagen sie, wenn keine Konferenzen mehr einberufen würden.

Und Gott verteilt in seiner unendlichen Güte weiterhin Gelegenheiten zur Reue, Umkehr und zum Neubeginn.

Nur in Wirklichkeit sind diese Gelegenheiten nicht unendlich, und Gott setzt völlig ohne Sinn für das, was beim Volk ankommt, altbekannte Warnsignale – oder hatte es den sturen Pharao aus Ägypten zum Einlenken gebracht, als Moses mit dem Stab ins Wasser patschte und sich der Nil darauf in Blut verwandelte?

Jona, lieber Jona, vielleicht hättest Du Dich besser nicht im Dunkeln des großen Fisches erweichen lassen, denn Gottes Barmherzigkeit ist, wie schon gesagt, entsetzlich.

Jeder Mensch würde einem sterbenskranken Tier den Gnadentod gönnen: Sauber, schmerzlos und mit einem geraden Schnitt!

Gott aber will nicht einsehen, dass die Menschen allesamt an langer Leine um den Marterpfahl der eigenen Dummheit krebsen, sich prompt von der Leine einwickeln lassen, und dann im schier endlosen Todeskampf wild um sich schlagen.

Jona, lieber Jona, vielleicht bin ich ja doch glücklicher als Du, denn ich spüre, dass Gottes Gelegenheiten bald ausgeschöpft sind, und dann werden alle Plagen, auch solche, die Du Dir zu Deiner Zeit noch gar nicht ausmalen konntest, auf einmal über uns hereinbrechen, und dann ist endlich Ruhe.

In der Hoffnung, Dir mit diesen Zeilen wenigstens nachträglich etwas Trost gespendet zu haben, und mit besten Wünschen

Dein S. Atan

VERQUER

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