Читать книгу Liebe! - Ulrich Stöveken - Страница 6

1 Einleitung

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Noch ein Buch über die Liebe? In welchem Roman, in welchem Film kommt sie denn nicht vor? Sie ist – so scheint es – allgegenwärtig, und dennoch wird sie von so vielen vermisst. Schon von klein auf suchen wir nach ihr, und manch einer hat die Suche irgendwann enttäuscht aufgegeben. Wer von uns könnte denn nicht etwas mehr Liebe im Leben gebrauchen? Die Religionen der Welt haben sie als Idee in ihre Systeme eingebunden, bedeutende Philosophen haben sich über sie den Kopf zerbrochen. Doch: Wer versteht sie, und wer verwirklicht sie tatsächlich in seinem Leben?

Für mich persönlich war Liebe lange nur ein vager Begriff. Ich hatte gelernt, dass ich der Frau meiner Träume mit dem magischen Satz „ich liebe dich“, ein Geschenk machen konnte. Liebe bedeutete für mich, mit genau diesem Menschen zusammen sein zu wollen und hatte somit etwas mit Beziehung zu tun. Der Begriff Liebe aber blieb für mich unklar. Da halfen mir weder Philosophen noch Religionen. Zwar verspürte ich ein besonderes Gefühl, wenn sich mein Herz für einen anderen Menschen öffnete, konnte es aber nicht verstehen. Das Gefühl kam und ging, wie es wollte. Meistens jedoch war es sehr flüchtig. Dennoch sehnte ich mich nach diesem besonderen „Etwas“, ohne es genau erklären zu können.

Ich suchte nach einer passenden Lebensweise, ich tat viel für gute Beziehungen und bemühte mich um Freunde, Partnerschaft und ein positives menschliches Umfeld. Mein Leben sollte nicht einfach so dahinplätschern. Gleichwohl blieb ein unerfülltes Sehnen mein ständiger Begleiter.

Vor dreißig Jahren war ich wieder einmal in Eile auf der Fahrt zu einem beruflichen Termin. Es war Herbst. Ich fuhr auf einer kleinen gewundenen Landstraße an frisch gepflügten Feldern vorbei. Es roch nach schwerer, feuchter Erde. Die rot-braun gefärbten herbstlichen Wälder leuchteten im warmen Sonnenlicht. Es wäre ein guter Grund gewesen, um anzuhalten und die Natur mit allen Sinnen wirklich zu erleben. Meine Augen aber waren auf die Straße geheftet. Ich musste die nächste Kurve so schnell wie möglich nehmen. Den Straßenrand fixieren, die Biegung der Fahrbahn dahinter einschätzen, so nah wie möglich am Randstreifen entlang in die Kurve gleiten, Gas geben, um die kurze Gerade dahinter wieder optimal auszunutzen. Dann die nächste Kurve ansteuern und die nächste, immer mit der Straße und der Uhr vor Augen, um pünktlich zu meinem Termin zu kommen. Da war kein Raum, um den Herbsttag zu genießen. Ich hatte noch nicht einmal gefrühstückt. Ein Apfel lag auf dem Beifahrersitz, aber bei dem Tempo war nicht einmal dafür Zeit. Die nächste Kurve beanspruchte meine volle Aufmerksamkeit. Wieder den Straßenrand fixieren, nah an die Seitenlinie heran und dann, so schnell es die Biegung zuließ, in die Kurve. Aber diesmal lag ein umgekippter Sattelschlepper hinter der Kurve. Auf meiner Spur! Die Gegenfahrbahn war mit Flaschen übersät. Speiseöl, wie ich später erfahren sollte. Zum Bremsen reichte die noch verbleibende Strecke auf meiner Fahrbahnseite nicht, das war klar. Also auf die Gegenfahrbahn ausweichen und dort bremsen. Doch die Bremsen reagierten nicht. Das Auto rutschte geradeaus weiter, direkt auf einen Baum am Straßenrand. Jeder Lenkversuch war ohne Wirkung. Der Wagen rutschte mit voller Geschwindigkeit auf den massiven Stamm zu.

In solchen Momenten dehnt sich die Zeit. Eine Sekunde wird zur Ewigkeit und gibt Raum für hundert Gedanken und Empfindungen. Ein ganzes Leben kann an einem vorbeiziehen. Der Geruch des Apfels auf dem Beifahrersitz wurde so intensiv, dass er mich ganz ausfüllte. Mein Leben, meine Lebendigkeit, meine Lebenslust hing an diesem Apfelgeruch. Es war das Köstlichste, was ich jemals gerochen hatte. Doch der Baum vor mir würde dem allen ein jähes Ende setzen. Meine hektischen Versuche, das Auto wieder auf die Fahrbahn zu lenken, waren vergeblich. Ich hatte das Empfinden, wie auf Schienen auf den Baum zu zugleiten. Dann schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Auf dem grasbewachsenen Seitenstreifen müssten doch die Räder wieder greifen. Wenn ich nun einfach versuchte, das winzige Stück Grass am Straßenrand zu nutzen, könnte ich den Wagen doch an dem Baum vorbei auf den Acker lenken …

Tatsächlich kam mein Wagen einige Meter später auf dem Acker zum Stehen. Mein erster Gedanke galt dem Apfel! Dieses Stück Lebenslust wollte ich jetzt nicht mehr hergeben! Ich fand ihn im Fußraum. Es dauerte etwas, bis ich begriff, dass ich den Sicherheitsgurt lösen musste, um aussteigen zu können, aber dann stand ich mit dem Apfel in der Hand draußen auf dem Acker. Meine eilige Fahrt war definitiv zu Ende. Ich ging über die aufgepflügte Erde zur Straße zurück. Der Lastwagenfahrer stand apathisch am Rand, neben dem Baum, an dem ich fast mein Leben gelassen hätte. Ein Stück Rinde fehlte. Meine Heckstoßstange hatte sie wohl beim Vorbeirutschen herausgerissen. Damals wurden Autos noch mit Stoßstangen aus Eisen gebaut. Ich stellte mich neben den LKW-Fahrer, brach meinen Apfel in zwei Teile und gab ihm einen davon. Wir standen da und kauten. Der Apfel gab mir den Geschmack des Lebens zurück. Ich roch die frische Erde und den herbstlichen Geruch des Laubes. Die Sonne wärmte meinen Körper, der mir so durchlässig erschien wie noch nie. Ich lebte! Und wie ich lebte! Ich war so wirklich, wie noch nie in meinem Leben! Das war das, wonach ich mich immer gesehnt hatte! Wirklich-Sein! So intensiv, so unmittelbar. Alles aufnehmen. Mit allem verbunden sein. Spüren. Leben. Lieben.

Eine Welle starker Gefühle erreichte mich. „Ich lebe und all dieses Leben um mich herum ist meine Wirklichkeit!“ In diesem Moment lebte ich so wirklich, so intensiv und so verbunden wie noch nie zuvor. Das war Wirklich-Sein! Das war Verbundenheit. Das war Liebe. Liebe zum Leben, Liebe zur Natur, Liebe zu diesem apathischen LKW-Fahrer, selbst Liebe zu der unangenehmen Aufgabe, das Auto irgendwie wieder von diesem Acker herunter zubekommen.

Als ich dann mit großer Verspätung bei meinem Termin eintraf, war ein großer Teil dieser Liebe, dieses Wirklich-Seins schon wieder verflogen. Aber ich wusste: An der Unfallstelle hatte ich das Gefühl erlebt, nachdem ich schon immer gesucht hatte. Ich konnte es nicht in Worte fassen, nicht begreifen, was da mit mir geschehen war. Irgendetwas hatte mein Leben berührt und mich verändert. Ich hätte das Gefühl dieses winzigen Augenblicks zu gerne wieder für mich hergestellt. Es war so, als ob ich zum ersten Mal das eigentliche, das wirkliche Leben geschmeckt hatte. Und dann hatte es sich mir schon wieder entzogen.

Wirklich Sein! Liebe! Darum ging es! Diese Verbundenheit war so berührend. In diesem einen Augenblick nach dem Unfall war ich so wirklich wie noch nie!

Womit ich nicht sagen will, dass ich vorher oberflächlich war! Schließlich meditierte ich regelmäßig und setzte mich mit philosophischen und spirituellen Gedanken auseinander. Ich hatte eine Zeit in einem Zen Kloster verbracht, kam aus einer sehr religiös christlichen Tradition und war es als ausgebildeter Künstler gewohnt, quer zu denken und zu handeln und als Therapeut damit vertraut, tiefere Hintergründe wahrzunehmen. Aber hier ging es um etwas ganz anderes als alles, was ich bisher gelebt hatte. Es ging um das Wirklich-Sein.

Dann kam der Tag, an dem dieses Wirklich-Sein für mich fassbarer wurde.

Ich war mit meinem uralten, orangefarbenen Bulli auf dem Weg zur französischen Atlantikküste. Anke, meine große Liebe, verbrachte dort ihren Urlaub und ich wollte ein paar intensive Tage mit ihr verbringen. Vor mir lag eine sehr lange Fahrt über kleine Landstraßen mit malerischem Panorama.

Ich hatte Zeit, musste nicht pünktlich irgendwo sein. Ich konnte durch den Sommer fahren, mich ausruhen, wo es mich zum Bleiben einlud und weiterreisen, wenn es mich vorantrieb. Nach einigen Stunden wurde mein Auto zum Backofen. Grade rechtzeitig glitzerte mir eine Kühle verheißende Wasserfläche entgegen. Meine Rettung! Ich parkte den Bulli und erreichte zu Fuß einen idyllischen kleinen See. Niemand außer mir schien diese Erfrischung entdeckt zu haben. Allein der Anblick war schon eine Abkühlung! Ich zog mich aus und war Sekunden später im Wasser. Welche Wohltat! Nach ein paar Schwimmzügen in dem klaren See stieß ich fast mit der Nase auf diese gelbe Plastikente. Weit und breit waren weder Erwachsene noch Kinder zu sehen. Deshalb beeindruckte die Plastikente mich auch so seltsam. Sie schien ganz für sich hier zu sein, ja, fast so, als habe sie seit meinen Kindertagen hier auf mich gewartet. Sie erinnerte mich. Sie ließ vor mir diese selbstvergessene Zeit entstehen, in der ich alles hinter mir lassen konnte, um ganz in meinem Spiel zu versinken. Als Kind war stets das wichtig, was ich grade in diesem Augenblick tat. Mit fünf Jahren konnte ich noch ganz im Moment leben. Da gab es in mir noch dieses uneingeschränkte Ja für den Moment, in dem ich mich gerade befand. Die gelbe Plastikente schien davon zu sprechen. Sie hatte dieses Wissen für mich hier auf dem See bewahrt. So habe ich sie auf meine Reise mitgenommen.

Mit der Spielzeugente auf dem Armaturenbrett ging die Fahrt weiter. Dieses kleine gelbe Ding war wie ein Wegweiser. Es war eine Erinnerungshilfe an die Ursprünglichkeit meiner Kindheit: Eine Zeit ohne Planungen, Absichten, Pflichten oder Verstellungen.

Wie ein Kind auf Entdeckungsreise fand ich während der weiteren Fahrt abgelegene Stellen für wundervolle Augenblicke des Verbundenseins. So konnte ich während einer Pause eine sonnenübergossene Waldlichtung genießen und den Duft der Blumen und Kräuter aufsaugen. Nach weiteren Kilometern auf den Landstraßen badete ich während der Mittagszeit meine Füße in einem klaren Bach und ein Tee in einem schattigen Gartencafe weckte meine Lebensgeister. Die Bedienung sprach erstaunlicherweise Englisch mit mir – ich spreche leider kein Französisch – und nach einer Weile saß sie an meinem Tisch, und wir sprachen über Glück und Liebe. Alles auf dieser Fahrt schien mir von Verbundenheit und Liebe zu erzählen. So verbrachte ich den gesamten Tag, nah und eins mit Allem und Jedem bis ich vollkommen gelöst und entspannt in den Abendstunden bei Anke ankam. Überglücklich uns wiederzusehen und unsere Nähe und Liebe feiern zu können, flogen wir uns in die Arme. Was für ein Tag!

Dies war mein beeindruckendstes Erlebnis, was Leben sein kann, wenn ich die Verbundenheit mit mir und mit dem, was mich umgibt, wähle, wenn ich eins bin. Einen ganzen Tag lang! Von morgens bis abends in Liebe mit allem! Ohne Unterbrechung!

Dieser Tag wurde meine Vision von dem, was Liebe sein kann.

Die kleine Plastikente ist mein Symbol für die Reise durch mein Leben geworden, nicht nur durch die verschwenderische Schönheit der französischen Landschaft, sondern auch für eine Reise zur Akzeptanz, zur Liebe und zum Eins-Sein.

Ich wollte diesen Tag wiederholen! Ich wollte dieses Eins-Sein erneut erleben und fragte mich ständig, was ich tun konnte, um dieses gute Gefühl zurückzuholen. Diese Frage wurde bestimmend für mein Leben! Ich habe danach gesucht, viel meditiert, viel nachgedacht und viel Selbsterfahrung betrieben. Dennoch wusste ich nicht, wie ich den Weg zurück zu dieser Verbundenheit und der Liebe gehen konnte.

In unerwarteten Momenten stellte sich dieses Gefühl von Eins-Sein wohl immer wieder scheinbar von selbst ein. Kürzer zwar, als an jenem denkwürdigen Tag, aber dennoch! Nach meinen Beobachtungen besuchte mich dieses Gefühl, wenn ich mich mit ganzem Herzen meinem Leben widmete, ohne Erwartungen, ohne Urteile, ohne Wollen. Meist waren diese Momente nur kurz. Wenn ich einem Menschen bei der Arbeit mein ganzes Herz schenken konnte, wenn ich meinem Sohn beim Spielen zuschaute, wenn ich meine Frau ohne alle Erwartungen in ihrer Großartigkeit wahrnehmen konnte, immer dann hatte ich für einen kurzen Moment dieses überwältigende Gefühl der Nähe, der Verbundenheit und des Wirklich-Seins. In solchen Augenblicken stimmte alles. Ich war dann einfach nur so, wie ich bin. Ich war in Liebe!

Es hat einige Jahre gedauert, bis mir dies bewusst geworden ist. Und weitere Jahre habe ich gebraucht, um mir klarzuwerden, wie ich diese Liebe herstellen kann. Denn es waren nicht meine Bemühungen um Wissen, Weisheit oder Erleuchtung, die mir dieses Wirklich-Sein oder die Liebe gebracht haben, es war allein meine Entscheidung für die Liebe in jedem Moment, in dem ich mich dazu traue. Mein Leben ist dadurch lebenswerter geworden! Auch wenn ich oft in alte Gewohnheiten zurückfalle und mich durch Arbeitsstress, Verpflichtungen, Erwartungen oder Ängste von dem Wirklich-Sein und der Liebe wegreißen lasse, weiß ich heute, wie ich dorthin zurückfinden kann.

Die Liebe in meinem Leben hat sich so sehr vergrößert, das sich jedes Risiko dafür lohnt. Die Liebe zu meiner Frau wächst genauso wie zu meinem Sohn oder zu den Menschen, mit denen ich arbeite. Aber das Schönste von allem ist, dass meine Akzeptanz und Liebe zu mir selbst so viel größer geworden sind.

Als Therapeut begegnen mir viele Menschen, deren Leben gerade aus den Fugen gerät, die sich selbst verloren haben oder die einfach mehr Tiefe in ihr Leben bringen möchten. Immer wenn diese Menschen zu sich oder zu Anderen Nähe finden, kommt Wirklich-Sein ins Spiel und von dort bis zur Liebe ist es nur ein kleiner Schritt. Diese Liebe bringt Tiefe, Verstehen, Akzeptanz und Lebendigkeit mit sich. Sie ist heilend für alte Wunden und stärkend gegenüber den neuen. Menschen, die in meiner Arbeit zu ihrer Liebe gefunden haben, sind mit Verstehen, einer kraftvollen Zuversicht und verheilenden seelischen Wunden nach Hause gegangen. Das hat zwar nicht für eine dauerhafte Veränderung gereicht, da uns der Alltag mit seinen Tücken sehr schnell wieder in altes Fahrwasser bringt. Dennoch ist die bewusste Erfahrung von Liebe eine wichtige Erinnerung daran, worum es in diesem Leben wirklich geht, was heilend ist und was Tiefe bringen kann.

Doch wie sollten meine Klienten auch im Alltag immer wieder zur Liebe finden, wenn das Alltagsleben ihnen genau das so schwer macht? So habe ich begonnen, zu forschen und in mich zu horchen. Was passiert und was tue ich, wenn ich ins Wirklich-Sein und darüber auch in die Liebe komme?

Wieder war es ein „Urlaubserlebnis“, das mir weitergeholfen hat. Auf einer Bergkuppe in den Cevennen an einem Sommernachmittag lag ich träumend auf einer Wiese. Meine Gedanken schweiften zu dem Unfall von damals und den besonderen Erlebnissen des Wirklich-Seins. Andere Erlebnisse, in denen ich die Liebe berühren konnte, flossen dazu. Ich verglich alles miteinander. Plötzlich war es mir klar! Ich sah diese notwendigen Schritte zur Liebe so deutlich vor mir, dass ich sie nur noch aufschreiben musste. Ich sah, was ich tue, wenn ich liebe und ich sah auch, was mich wieder aus der Liebe hinausschleudert. In diesem Moment war ich überglücklich! Nun ging es nur noch darum, alles aufschreiben.

Erst zu Hause beim Durchlesen wurde mir die Bedeutung meiner Notizen klar. Ich hatte einen Acht-Schritte-Fahrplan zur Liebe in den Händen. Ich habe ihn sofort ausprobiert und er funktionierte! Immer wieder!

In meiner Praxis wollte ich das natürlich auch mit meinen Klienten erproben und siehe da, es funktionierte auch hier! Anfangs war ich noch sehr holperig in der Vermittlung meines Wissens, aber es führte zur Liebe! Nicht alle Menschen haben sich dafür entschieden, aber bei denen, die diese Schritte gewählt haben, hat es funktioniert.

Aus meinen Erfahrungen entwickelte ich einen Workshop, um diese acht Schritte anschaulich zu vermitteln. Auch in diesem Workshop kamen die Menschen mit diesen acht Schritten zu ihrer Liebe. Immer wieder!

Nach vielen Jahren mit dieser Arbeit traue ich mich jetzt, dies in einem Buch zu veröffentlichen. So können mehr Menschen diese acht Schritte zur Liebe kennenlernen. Ich empfinde eine tiefe Freude, das alles aufzuschreiben und weiterzugeben.

Liebe!

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