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3 Visionen

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Die Welt, in der wir leben, unterstützt nicht gerade ein Bemühen um die Liebe. Wenn wir mehr Liebe in unser Leben bringen und unsere Welt zu einem liebevolleren Ort machen wollen, brauchen wir eine große Vision von dem, was Liebe sein kann und welche Kraft ihr innewohnt. Wenn wir gemeinsam träumen und bereit sind, mutig für diese Vision einzutreten, kann sich weit mehr verändern als nur die eigene Partnerschaft.

Ich habe einen Traum! In diesem Traum leben wir alle in einer Welt, die von der Liebe bestimmt wird.

In diesem Traum gehe ich über die Straße und begegne den Menschen mit Warmherzigkeit und Neugierde. Ich fahre Auto und erlebe achtsame Gesten zwischen den Autofahrern. In allen Geschäften werde ich freundlich bedient, weil die Angestellten ihren Beruf lieben. Ich träume von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen oder Religionen, die sich interessiert und freundlich begegnen, weil das Neue eine Bereicherung darstellt und keine Bedrohung. Ich stelle mir vor, beim Einkauf zu wissen, dass ich die besten und gesündesten Lebensmittel bekomme, weil die Produzenten und Ladenbesitzer es lieben, etwas Gutes weiterzugeben. In diesem Traum wird allen Kindern mit großer Liebe gesagt, dass sie wundervoll, schön, klug und begabt sind. Sie wachsen in liebevollen Kontakten und mit Begegnungen, die nähren, stärken und begleiten.

Ich stelle mir vor, Liebe zu geben und Liebe zu bekommen, die meine Wunden heilt und die Wunden der Welt, weil ich mich dadurch angenommen fühlen kann, so wie ich bin.

Ich stelle mir vor, mich so anzunehmen, wie ich bin und meinen Körper, meinen Geist und meine Seele als das großartige Geschenk zu würdigen, das mich ausmacht. Ich stelle mir vor, dass alle Menschen sich mit der Welt, mit Anderen und der Natur verbunden fühlen und wir uns deshalb darum bemühen, nichts und niemanden zu schaden. Ich stelle mir vor, mich an der Kraft zu erfreuen, die ich habe, weil ich der Liebe vertraue, weil ich anderen vertraue und mir selbst vertrauen kann.

Ich stelle mir vor, welche Energien wir alle freisetzen können, wenn wir aufhören gegeneinander zu kämpfen und misstrauisch, neidisch oder ängstlich zu sein. Stattdessen würden wir unsere Kraft gemeinsam auf das richten, was wir wirklich wollen!

Ich habe einen Traum, den ständigen Kampf mit meinem Nachbarn aufzugeben und stattdessen wohltuende Begegnungen zu erleben.

Wenn wir uns umsehen, bestimmt aber nicht grade die Liebe unsere Welt.

Mein Nachbar beispielsweise hat die unangenehme Angewohnheit, unaufgefordert in meinem Garten aufzutauchen, wenn ich dort entspannt arbeiten möchte. Hände in den Taschen, Brust rausgestreckt, ertönt seine barsche Stimme: „Wann kommt denn wohl endlich mal das Holz hier weg?“, oder auch „Putzt ihr eure Fenster überhaupt mal?“, „Der Wagen hat hier aber nichts zu suchen. Wenn der nicht bald wegkommt, dann ruf ich bei der Polizei an.“ Es gibt noch andere ebenso unerfreuliche Variationen. Viele Menschen kennen solche Nachbarn und wissen, wovon ich spreche. Ich habe mich redlich bemüht, klärende Gespräche zu führen, – was auch kurzfristig funktionierte – komme aber trotzdem kaum dagegen an, eine Abneigung gegen ihn aufzubauen. Wenn ich ihn nur von Weitem auf der Straße sehe, versuche ich, ihm auszuweichen, warte oft sogar einen Moment, bis er weg ist. Ich schließe auch die Gartentür ab, obwohl ich ein Freund offener Türen bin, nur um diesen Begegnungen zu entkommen. Ich könnte diese Liste noch weiterführen. Was mir aber noch zusätzlich passiert, ist noch viel schlimmer. Ich beschäftige mich dauernd mit ihm! Das verdirbt mir manchmal dauerhaft die gute Laune und verhindert einen nahen Kontakt zu mir selbst und zu andern. Das ist ein hoher Preis!

Ich bin nicht bereit, diesen Preis zu zahlen!

Aber was wäre die Alternative? Wegziehen? Noch mehr Grenzen ziehen oder selbst mit Drohungen reagieren? Das sind alles keine verlockenden Lebensaussichten.

Wie wäre es, wenn ich mich hier für die Liebe entscheide?

Was würde die Liebe tun?

Sobald ich das denke, kommt die Wahrnehmung ins Spiel. Ich stelle fest, der Nachbar ist nicht „böse“, er will mich nicht einmal verletzen. Er ist nur ungeschickt und unsensibel, aber nicht wirklich hinterhältig! Auch wenn ich mir klarmache, dass der Nachbar mich nicht willentlich verletzen will, empfinde ich die Begegnungen als sehr unangenehm. Ich tauche mit meiner Wahrnehmung tiefer in mein Leben ein und mache mir bewusst, dass ich es bei diesem Nachbarproblem mit einer Wunde zu tun habe, die mich schon lange begleitet. Es ist die alte Erfahrung, missachtet zu werden. Meine Grenzen, mein Garten, meine Persönlichkeit bekommen nicht den Respekt, den ich brauche. Ich fühle mich verachtet und klein gemacht. Diese Erfahrung geht bis weit in meine Kindheit zurück und es wäre an der Zeit, mich darum zu kümmern, anstatt davor wegzulaufen. Leichter gesagt als getan! Seitdem mir dies klar geworden ist, rumort es in mir. Erinnerungen und alte Wunden kommen hoch und mit ihnen viel Schmerz, aber auch Klarheit und Verstehen meiner Geschichte.

Nun komme ich mir näher! Was für ein Gewinn! Viele Dinge beginnen, sich zu lösen. Ich sehe plötzlich Zusammenhänge anders und sollte meinem Nachbarn fÜr dessen „übergriffe“ eigentlich danken. Er hat mich auf alte, unverdaute Erinnerungen gebracht. Na ja, Dankesagen fällt mir doch noch ein bisschen schwer! Aber wie wäre es, ihm das nächste Mal mitzuteilen, dass es mir etwas ausmacht, wenn er mit mir so redet, und dass ich an einem guten Miteinander mit ihm interessiert bin. Ich bin gespannt, was dann passiert. Meinen „Gewinn“ aus der liebevollen Betrachtungsweise habe ich aber schon jetzt. Ich sehe mich nicht mehr so sehr in Abwehr bei dem nächsten Kontakt mit ihm. Ich stelle mir vor, dass er auf meine Anmerkung etwas verstört reagieren wird, aber ich bin sicher, dass er darüber nachdenkt. Das ist die erste Veränderung, die die Liebe bringen kann.

Mit Liebe lebe ich den Traum, die Menschen, mit denen ich zu tun habe, so zu sehen und zu lieben, wie sie sind. Ich bewerte und verurteile niemanden, nur weil er mir fremd oder unverständlich erscheint; noch begegne ich Anderen geringschätzig, weil sie sich anders geben oder kleiden, als es mir vertraut ist.

Mit Liebe lebe ich den Traum, meinen Sohn zu unterstützen, ihn seinen eigenen Weg wählen zu lassen, wo auch immer er hinführen mag. Ich bin stolz auf seine Großartigkeit und liebe ihn für das, was er ist: ein eigenständiger Mensch mit eigenen Ideen, Fähigkeiten, Vorstellungen, Wünschen und Nöten.

In einem Leben in Liebe kommen Eltern glücklich und zufrieden zu ihren Kindern nach Hause, weil sie einer Arbeit nachgehen, die sie ausfüllt. Die Arbeitsatmosphäre war liebevoll und unterstützend, und aufgetankt mit dieser Energie, begegnen sie nun ihren Kindern. Alle freuen sich auf diesen Feierabend. Niemand ist vom alltäglichen Kampf ausgebrannt und reagiert nur noch gestresst auf die Kontaktwünsche der Familie.

In einer liebenden Partnerschaft sehe ich meine Frau so, wie sie ist. Ich will sie nicht verändern, stelle keine Erwartungen und Forderungen, sondern lebe in Begeisterung und Dankbarkeit über das, was ich Großartiges in ihr sehen kann; ihre Tiefe in Herzensfragen, ihre unbeschreibliche Großzügigkeit, ihre verschwenderische Schönheit und ihre atemberaubende Liebesfähigkeit. Wenn da nicht auch die offene Zahnpastatube wäre und das Geschirr im Waschbecken und das falsche Wort, und dieser Blick, und, und, und … In meinem Traum von einem Leben in Liebe blicke ich liebevoll auf diese Eigenheiten und Störfelder in der Partnerschaft und sehe sie als das, was sie sind: meine Störfelder, meine Erwartungen, meine Enttäuschungen, meine Angst und meine Möglichkeit, mich zu entdecken.

Ich glaube es wäre eine Welt machbar, in der ein Unternehmen all seine Beschäftigten als einen gemeinsamen Organismus begreift und dieser Gesamtheit so begegnet, dass jedes einzelne Teil gesund und wohlauf bleibt.

In dieser Welt der Liebe würde es Politiker geben, die am Wohl Aller interessiert sind, weil sie verstehen, dass wir alle miteinander verbunden sind, wie Organe in einem Körper. Es gäbe Politiker die wüssten, dass es keine Feinde gibt und dass die Menschen, die anders sind, uns an unsere eigenen Schwächen und Ängste erinnern.

In dieser liebenden Welt gäbe es ein Rechtssystem, das alles daran setzte, den Menschen zu verstehen der Unrecht getan hat und ihm begreiflich machte, welche Auswirkungen seine Tat hat und wie er die Verantwortung dafür übernehmen kann.

Mit Liebe sind Pädagogen in der Lage, die Stärken eines jeden Schülers zu sehen und zu fördern und Störungen als das zu begreifen, was sie sind: ein Ruf nach Aufmerksamkeit und Liebe.

In einer Welt der Liebe nehmen wir Menschen die Natur als unsere Lebensgrundlage wahr. So sind wir voller Dankbarkeit für all das, was sie uns gibt.

In einer solchen Welt möchte ich leben! Diese Welt ist machbar, wenn ich den Mut dazu aufbringe, mich der Liebe zuzuwenden. Die Liebe fängt bei mir an und hört niemals auf. Ich kann Teil von ihr werden oder mich ausschließen. Diese Entscheidung treffe ich, an jedem Tag, in jeder Minute, mit jedem Atemzug.

Liebe!

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