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Im ersten Kugelregen

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Wer könnte die Gefühle beschreiben, die einem im ersten wirklichen Kugelregen überkommen? Als wir sprungweise vorgingen und so direkt ins Feuer kamen, fühlte ich keine Angst mehr und schien nur bestrebt, so schnell wie möglich in die Schützenlinie zu kommen. Doch beim Anblick der ersten Toten überwältigt» mich ein entsetzliches Grauen. Minutenlang war ich vollkommen betäubt, hatte die Selbstbeherrschung völlig verloren und war absolut unfähig, irgendetwas zu denken oder zu tun. Gesicht und Hände drückte ich fest an die Erde, um dann plötzlich im unbezähmbaren Drang einer neuen Gefühlserregung das Gewehr zu ergreifen und wie blind darauf los zu schießen. Nach und nach beruhigte ich mich wieder etwas, ja ich ward sogar beinahe zuversichtlich, als wenn alles ganz normal wäre. Ich war plötzlich mit mir selbst und den Verhältnissen zufrieden. Und als dann nicht sehr viel später auf der ganzen Linie das Kommando ertönte: Sprung auf! . . . Marsch, marsch! da rannte ich, wie jeder andere, wie besessen voraus, als ob es gar nicht anders hätte sein können. Das Kommando „Stellung“ folgte, wie nasse Säcke plumpsten wir zu Boden, das Feuern hatte von neuem begonnen . . .

Unser Feuer wurde von Minute zu Minute lebhafter und steigerte sich zu einem rollenden ohrenbetäubenden Lärm. In solchem Höllenfeuer muss man, will man sich seinem Nebenmann verständlich machen, diesem dermaßen in die Ohren brüllen, dass einem die Kehle schmerzt. Unter der Wirkung unseres Feuers wurde der Gegner unruhig, sein Feuer schwächer; die feindliche Linie kam ins Wanken. Da uns nur ungefähr 500 Meter vom Feinde trennten, konnten wir genau beobachten, was sich dort ereignete. Wir sahen, wie etwa die Hälfte des Gegners zurückgenommen wurde, und zwar wird das so gemacht, dass z. B. jeder zweite Mann zurückgeht, während No. 1 liegen bleibt, bis der zurückgehende Teil Halt gemacht hat. Diesen Augenblick benutzten wir, um dem zurückgehenden. Gegner möglichst starke Verluste beizubringen. Soweit wir das rechts und links von uns liegende Gelände überblicken konnten, sahen wir, dass die Deutschen auf mehreren Punkten im Vorgehen waren. Auch für unsere Abteilung kam der Befehl zum Vorgehen, als der Gegner seine ganzen Kräfte zurücknahm. Uns war die Aufgabe zugefallen, dem abziehenden Feinde so hartnäckig auf den Fersen zu bleiben, dass ihm keine Zeit zum Sammeln und zur neuen Aufstellung blieb. Wir folgten ihm daher sprungweise mit ganz kurzen Atempausen, um zunächst zu hindern, dass es ihm gelang, sich in dem vor ihm liegenden Dorfe festzusetzen. Wussten wir doch, dass uns sonst ein verlustreicher Häuserkampf bevorstehen würde. Die Belgier versuchten jedoch gar nicht, sich festzusetzen, sondern lösten sich mit erstaunlicher Geschicklichkeit von uns los.

Wir hatten inzwischen weitere Verstärkung erhalten. Unsere Kompagnie war ziemlich zerstreut worden, und man marschierte mit dem Trupp, bei dem man sich gerade zufällig befand, weiter. Der meine musste im Dorfe zurückbleiben, um Haus für Haus systematisch nach verborgenen oder versprengten Soldaten abzusuchen. Dabei sahen wir denn auch, dass sich die Deutschen auf allen Seiten im Vormarsch befanden. Feldartillerie, Maschinengewehr-Abteilungen u. s. w. kamen an. und wir alle wunderten uns, wo das alles so schnell herkam.

Zu langen Betrachtungen gab es jedoch keine Zeit. Mit aufgepflanztem Seitengewehr ging es durch Haus und Haus und Tür und Tür. Und wenn auch die Ausbeute sehr mager war, da wir keine Soldaten fanden, so gingen wir doch nicht ganz leer aus, weil die Einwohner alle in ihrem Privatbesitz befindlichen Feuerwaffen, Munition etc. abliefern mussten. Der uns begleitende Ortsälteste (Gemeindevorsteher) hatte es jedem Bürger klar zu machen, dass jeder Waffenfund nach der Durchsuchung kriegsrechtlich geahndet werden werde. Und Kriegsrecht heißt — Tod!

Wieder mochte eine Stunde vergangen sein, als wir durch Gewehr- und Artilleriefeuer aufgeschreckt wurden; ein neues Treffen hatte begonnen. Ob die Artillerie auf beiden Seiten tätig war, konnte man vom Dorfe aus nicht beurteilen, aber laut genug war es, denn die Luft erzitterte fast von dem Rollen, Grollen und Stöhnen, das hin- und herüberrollte und immer stärker zu werden schien. Die Sanitätskolonnen brachten die ersten Verwundeten; Ordonnanzen sausten an uns vorbei — der Krieg hatte mit voller Wucht eingesetzt . . .

Die Dunkelheit kam über uns, ehe wir mit unseren Hausdurchsuchungen zu Ende waren. Wir schleppten Matratzen, Strohsäcke, Federbetten, was wir gerade erwischen konnten, nach der Gemeindeschule und Kirche, um dort die Verwundeten unterzubringen. So gut es ging, wurden sie gebettet; mit rührender Sorgfalt nahm man sich dieser ersten Opfer des grausen Völkerschlachtens an. Später als man schon mehr an diese grausigen Bilder gewöhnt war, machte man weniger Umstände mit den Verwundeten.

Von anderen umliegenden Ortschaften kamen nun die ersten Flüchtlinge an. Sie mochten wohl viele Stunden lang marschiert sein, denn sie sahen ermattet, aufs höchste erschöpft aus. Frauen, alte greise Männer und Kinder im bunten Gemisch, die allesamt nichts weiter hatten retten können als ihr bisschen nacktes Leben. In einem Kinderwagen oder auf einer Schubkarre bargen diese Unglücklichen alles, was rohe Kriegsgewalt ihnen gelassen hatte. Und ganz im Gegensatz zu den Flüchtlingen, die uns bisher begegnet waren, waren diese aufs äußerste eingeschüchtert, bebend voll Angst, in Schrecken vor der ihnen feindlichen Welt in sich zusammengesunken. Sobald sie nur einen von uns Soldaten ansahen, bekamen sie es so mit der Furcht zu tun, dass sie ordentlich in sich zusammenschrumpften. Wie ganz anders die Bewohner des Dorfes, in dem wir uns aufhielten, die uns freundlich, ja zuvorkommend entgegenkamen. Wir versuchten die Ursache dieser Angst zu erfahren und hörten dann, dass diese Flüchtlinge in ihrem Dorfe Zeuge erbitterter Straßenkämpfe gewesen. Sie hatten den Krieg kennen gelernt, hatten ihre Häuser brennen, ihr bisschen Hab und Gut darin untergehen sehen und die mit Leichen und Verwundeten angefüllten Straßen noch nicht vergessen können. Es wurde uns klar, nicht die Furcht allein gab diesen Leuten den Blick des gehetzten Wildes, — es war der Hass, der Hass gegen uns, die Eindringlinge, die sie — wie sie annehmen mussten — in Nacht und Nebel überfallen, von Haus und Hof vertrieben hatten. Aber nicht nur gegen uns, die deutschen Soldaten, richtete sich dieser Hass, nein, auch ihre eigenen, die belgischen Soldaten, wurden davon nicht verschont.

Am Abend marschierten wir noch ab und versuchten unsern Truppenteil zu erreichen. Die Belgier hatten sich mit Einbruch der Dunkelheit noch weiter nach rückwärts konzentriert; sie befanden sich schon ganz in der Nähe von der Festung Lüttich. Viele der Ortschaften, durch die wir zogen, standen in Flammen, die vertriebenen Einwohner zogen scharenweise an uns vorüber; Frauen, deren Männer vielleicht auch ,,ihr Vaterland“ verteidigten, Kinder, Greise, die hin und hergestoßen wurden und überall im Wege zu sein schienen. Ziel- und planlos, ohne einen Ort, an dem sie ihr Haupt niederlegen konnten, krochen diese Züge des Elends und Unglücks an uns vorüber — die beste Illustration des männermordenden; des völkervernichtenden Krieges!

Wieder erreichten wir ein Dorf, das allem Anschein nach einst von wohlhabenden Leuten, von einem zufriedenen Völkchen bewohnt gewesen. Jetzt freilich sah man nichts als wie Ruinen, verbrannte, zerstörte Häuser und Bauerngüter, tote Soldaten — deutsche und belgische — und mitten zwischen ihnen mehrere Zivilisten, die man standrechtlich erschossen hatte. . . .

Gegen Mitternacht kamen wir zur deutschen Linie, die ein Dorf in ihren Besitz zu bekommen trachtete, das schon im Festungsbereich von Lüttich lag und von den Belgiern hartnäckig verteidigt wurde. Hier mussten unsererseits alle verfügbaren Kräfte eingesetzt werden, um dem Gegner Haus um Haus, Straße um Straße zu entreißen. Es war noch nicht völlig dunkel, sodass wir den schrecklichen Kampf, der sich hier entwickelte, mit allen Nerven mit durcherleben mussten. Man kämpfte Mann gegen Mann, alle Waffen und Hilfe mussten zur Anwendung gelangen; mit dem Gewehrkolben, mit dem Messer, mit Faust und Zähnen ging es gegen den Gegner vor. Einer meiner besten Freunde kämpfte mit einem riesigen Belgier; das Gewehr war beiden entfallen. Sie bearbeiteten sich mit den Fäusten. Ich hatte grade mit einem etwa 22jährigen Belgier abgerechnet und war im Begriff, meinem Freunde beizustehen, weil der gigantische Belgier ihm so sehr an Kraft überlegen war. Da gelang es meinem Freunde plötzlich, den Belgier durch eine blitzschnelle Bewegung in das Kinn zu beißen. Und zwar so tief, dass er ihm mit den Zähnen ein Stück Fleisch herausriss. Der Schmerz des Belgiers muss ungeheuer gewesen sein — er ließ meinen Kameraden los und rannte unter wahnsinnigen Schmerzensschreien davon.

Alles hatte sich in Sekunden abgespielt. Meinem Freunde rann das Blut des Belgiers aus dem Mund; ein entsetzlicher Ekel, ein unbeschreibbares Entsetzen erfasste ihn, der Geschmack des warmen Menschenblutes brachte ihn fast an den Rand des Wahnsinns. Er, der junge, lebensfrohe, frische Bursch von 24 Jahren war in dieser Nacht um seine Jugend betrogen worden. Dem bisher Fröhlichsten unter uns konnten wir kein Lächeln mehr entlocken.

Im Verlaufe des Nachtkampfes kam ich zum ersten Male mit einem belgischen Gewehrkolben in Berührung. Während ich mit einem Belgier im Handgemenge war, schlug mich ein zweiter von rücklings mit dem Gewehrkolben dermaßen auf den Kopf, dass sich der Kopf bis unter die Ohren in den Heim hineinzwängte. Ich fühlte einen furchtbaren Schmerz am ganzen Kopf, knickte zusammen und wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, lag ich mit verbundenem Kopf in einer Scheune unter anderen Verwundeten.

Kriegs-Erinnerungen eines deutschen Soldaten

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