Читать книгу Kriegs-Erinnerungen eines deutschen Soldaten - Unbekannter Autor - Страница 7

Vor Lüttich mit „Tante Berta“ und Zeppelins

Оглавление

Meine Verletzung war nicht schwer, nur hatte ich das Gefühl, als ob der Kopf das Doppelte des normalen Umfangs hätte: und die Ohren sausten mir, als wären es die Räder eines Schnellzuges.

Die andern Verwundeten und die Sanitätssoldaten erzählten, die Belgier seien auf die Festung zurückgeworfen worden, wir hörten aber, dass noch immer schwer gekämpft wurde. Fortwährend kamen Verwundete an und diese erzählten uns, dass die Deutschen schon beim ersten Ansturm mehrere Festungswerke wie Zwischenforts überrannt hätten, dass sie sich jedoch nicht halten konnten, weil sie artilleristisch nicht genügend vorbereitet gewesen wären. Die Verteidigungsstellen und -werke innerhalb der Forts waren ebenso wie die Besatzung noch so gut wie völlig intakt. Die Forts waren eben noch nicht sturmreif, so dass sich die Deutschen mit geradezu ungeheuren Verlusten zurückziehen mussten. Die verschiedenen Berichte widersprachen sich, ein klares Bild daraus zu erhalten, war unmöglich.

Inzwischen hatte eine artilleristische Beschießung der Festung eingesetzt, die selbst den deutschen Soldaten Entsetzen einflößte. Die schwerste Artillerie war gegen die modernen Betonforts in Aktion gebracht. Kein Soldat wusste bis dahin etwas von der Existenz der 42 Zentimeter-Mörser. Als sich Lüttich bereits in deutschen Händen befand, konnten wir Soldaten es uns noch immer nicht erklären, wie es möglich war, dass diese gewaltigen Festungswerke, die teilweise aus einem bis zu sechs Meter dicken Eisenbeton bestanden, nach einer Beschießung von nur wenigen Stunden einen Schutthaufen darstellten. Ich selbst hatte ja, infolge meiner Verwundung, an diesen Operationen nicht teilnehmen können; aber meine Kameraden erzählten mir später, wie diese Einnahme der einzelnen Forts vor sich ging. Artillerie aller Kaliber nahm die Forts unter Feuer, aber es waren 21-Zentimeter-Mörser und die Zweiundvierziger, die die eigentliche Arbeit verrichteten. Schon von weitem hörte man das 42-Zentimeter-Geschoss ankommen. Unter einem unheimlichen Sausen und Zischen, das sich wie ein langgezogener rauer Pfiff anhörte, der die ganze Atmosphäre sekundenlang zu erfüllen schien, bohrte sich das Geschoss durch die Luft. Wo es niederfiel, wurde in einem Umkreise von mehreren hundert Metern alles vernichtet. Wie oft habe ich nicht später noch diese Hekatomben angestaunt, die sich der 42-Zentimeter-Mörser auf allen seinen Wegen errichtet! Der durch das Krepieren der Geschosse erzeugte Luftdruck war so ungeheuer, dass uns Deutschen in den vorgeschobensten Stellungen das Atemholen sekundenlang erschwert wurde. Um den Hexensabbat voll zu machen, erschienen nachts die Zeppeline, um sich am Vernichtungswerk zu beteiligen. Die Soldaten hörten plötzlich das den meisten Deutschen bekannte Propellerschwirren und das Geräusch der Motore über sich. Die Zeppeline kamen immer näher, wurden aber erst, als sie sich bereits in nächster Nähe der Forts befanden, vom Gegner entdeckt, der sofort alle verfügbaren Scheinwerfer spielen ließ, um das Firmament nach den gefürchteten fliegenden Feinden abzusuchen. Das Propellerschwirren der Luftschiffe, die sich auf die verschiedenen Forts verteilt hatten, hörte plötzlich auf; dafür tauchte ganz hoch oben in der Lust ein grelles, scharfes Licht auf — der Scheinwerfer des Zeppelin, der für einen kurzen Augenblick das Gelände unter sich beleuchtet hatte. Dann wurde es ebenso unvermittelt dunkel und still, bis — ein paar Momente später — mächtige Detonationen die Kunde brachten, der Zeppelin habe soeben „Ballast“ abgeworfen. Das ging so eine ganze Weile weiter, Explosion folgte auf Explosion, die höchstens — durch kleine, vor uns aufblitzende Feuerwölkchen abgelöst wurden — in der Luft platzende Schrapnells, die die belgische Artillerie den Luftschiffen zugedacht hatte. Dann setzte das Propellerschwirren wieder ein, erst laut und aus nächster Nähe, fast kerzengerade über uns, dann leiser und leiser, bis das gewaltige Schiff der Lüfte gänzlich unserem Gesichts- und Hörkreise entschwunden war.

So wurden die Forts dem Erdboden gleichgemacht; tausende von Belgiern lagen hinter und unter den Wällen und Verschanzungen tot und begraben. Der Generalsturm folgte, Lüttich war in den Händen der Deutschen. . . .

Ich lag bis zum 9. August bei der Sanitätskolonne und war dann so weit genesen, dass ich mich meinem Truppenteil wieder anschließen konnte. Nach stundenlangem Suchen fand ich meine Kompagnie auf freiem Felde im Biwak. Manchen guten Freund fand ich hier nicht mehr vor; 65 Mann hatte meine Abteilung inzwischen an Toten und Verwundeten verloren, obgleich sie sich an der Verfolgung des Feindes gar nicht beteiligt hatte.

Wir waren nun dem neugebildeten 18. Reserve-Armee-korps (Hessen) zugeteilt und gehörten zu der 4. Armee, die unter dem Befehl des Herzogs Albrecht von Württemberg stand. Wo diese Armee, die damals noch gar nicht gebildet war, operieren sollte, war uns gemeinen Soldaten gänzlich unbekannt. Wir hatten ja nur zu folgen; wohin die Herde zur Schlachtbank geführt werden würde — was lag auch daran, wo das sein würde?! Am 11. August marschierten wir ab und legten jeden Tag 40 bis 70 Kilometer zurück. Wie wir später erfuhren, hielten wir uns stets in der Nähe der luxemburgischen Grenze, um dort sofort übertreten zu können, falls die Notwendigkeit eintreten sollte. Wäre es nicht so drückend heiß gewesen, würden wir ganz zufrieden gewesen sein, hatten wir doch mehrere Ruhetage, die unsern Körper wieder zurecht rückten.

Am 21. August stießen wir — 25 Kilometer östlich von der belgischen Stadt Neufchâteau — auf die ersten deutschen Truppen, die zur vierten Armee gehörten. Die Schlacht bei Neufchâteau, die vom 22. Bis 24. August währte, hatte bereits begonnen; Eine französische· Armee stieß hier mit der vierten deutschen Armee zusammen, ein mörderisches Schlachten folgte. Erst kamen, wie immer, die kleinen Vorposten- und Patrouillengefechte, nach und nach nahmen immer größere Soldatenmassen an den Kämpfen teil, und als wir am Abend des 22. August ins Gefecht kamen, hatte sich die Schlacht bereits zu einer der mörderischsten des Weltkrieges entwickelt. Als wir ankamen, hielten die Franzosen noch nahezu drei Viertel der Stadt besetzt. Die Artillerie hatte den größten Teil von Neufchâteau in Brand geschossen und nur ein prachtvolles Villenviertel im Westen der Stadt entging vorläufig der Vernichtung. Die ganze Nacht tobte der Häuserkampf, aber erst als am Mittag des 28. August die Stadt in den Händen der Deutschen war, konnte man die ungeheuren Opfer ermessen, die dieser Kampf auf beiden Seiten gekostet. Die Wohnungen, die Keller, die Straßen und Trottoirs lagen dicht besät mit Toten und grässlich Verwundeten; die Häuser waren Ruinen, ausgebrannte, leere Schalen, in denen sich kaum noch irgendetwas unversehrt befand, das wirklichen Wert besaß. Tausende waren in der einen grauenvollen Nacht zu Bettlern geworden. Frauen und Kinder, Soldaten und Bürger lagen da, wo sie der Tod gerade erfasst, durcheinander, wie sie die erbarmungslosen Granaten und Kanonenkugeln aus dem Leben in das dunkle Nichts befördert hatten, Und wahre Unparteilichkeit hatte gewaltet, da lag der deutsche Soldat neben der greisen Belgierin, der kleine belgische Spross, den die Furcht aus dem Hause auf die Straße getrieben, eng angeschmiegt an den „Feind“, den deutschen Soldaten, der ihm Schutz und Sicherheit bedeutet haben mochte.

Hatten wir nicht die ganze Nacht hindurch geschossen und gestochen, gemordet und geschlagen, so viel und so kräftig wie wir nur konnten?! Und doch gab es kaum einen unter uns, dem beim Anblick dieser Szenen nicht Tränen des Schmerzes und der Rührung geflossen wären! Da war z. B. ein Mann, dessen Alter schwer festzustellen war; er lag tot vor einem brennenden Hause. Durch das herabfallende Feuer waren ihm beide Beine bis zum Knie verbrannt. Frau und Tochter des Toten lagen an seiner Brust und schluchzten so gotterbärmlich, dass es einfach nicht zu ertragen war. Viele, viele der Toten waren ganz oder teilweise verbrannt; das Vieh in den Ställen brannte, und das wilde Brüllen dieser mit dem Feuertode kämpfenden Tiere vermischte sich mit dem Wimmern, dem Stöhnen, dem Ächzen und den Aufschreien der Verwundeten. Wer aber hätte jetzt Zeit, sich daran zu kehren — jeder will Hilfe haben, jeder will sich helfen, jeder denkt nur an sich und sein bisschen Leben. „Wer fällt, der bleibe liegen, wer steht, der kann noch siegen.“ Das lernt man vom Militarismus, und der Durchschnittssoldat handelt danach. Und doch werden die meisten Soldaten durch die Umstände gezwungen, Samariter zu sein. Leute, die früher weder Blut noch gar einen Toten sehen konnten, verbanden jetzt die von den Granaten amputierten Arme und Beine ihrer Kameraden. Nicht, weil sie es etwa aus einem inneren Herzensdrange taten, sondern weil sie sich sagten, morgen magst du vielleicht schon an der Reihe sein und dann Hilfe brauchen. Es ist ein gesunder Egoismus, der aus diesen harten Menschen barmherzige Brüder macht.

Die Franzosen hatten sich außerhalb der Stadt, auf freiem Felde, wieder gestellt. In dem Augenblick, als der Gegner die Stadt räumte, geschah auf deutscher Seite ein Irrtum, dem Hunderte deutscher Soldaten zum Opfer fielen. Die Deutschen hatten nämlich den Rest der Stadt so schnell besetzt, dass unsere Artillerie, die dieses Stadtviertel beschoss, noch nichts von der Situationsänderung wusste und Granaten auf Granaten in die eigenen Reihen warf. Dieses Versagen des Meldedienstes hat manchem unserer Kameraden das Leben gekostet. Schließlich mussten wir, durch das feindliche und das eigene Feuer gezwungen, einen Teil des Gewonnenen wieder preisgeben, um ihn später — wieder mit großen Opfern — noch einmal zurückzugewinnen. Aber merkwürdigerweise, das Villenviertel, von dem wir schon einmal sprachen, hatte auch jetzt nicht ernstlich gelitten; die Häuser wurden alle mit der Genfer Flagge versehen und als vorläufige Lazarette eingerichtet.

Hier soll es nun vorgekommen sein, dass belgische Bürger einige deutsche Verwundete schändeten. Ob es wahr war, ob es sich nur um Gerüchte handelte, wie vielfach auch von deutschen Soldaten, die dort gelegen hatten, behauptet wurde, weiß ich nicht. Das aber weiß ich, dass am 24. August, als sich die Franzosen allgemein zurückgezogen hatten, durch Armeebefehl bekannt gemacht wurde, deutsche Soldaten seien dort ermordet worden, und die deutsche Armee könnte den Schauplatz dieser Schandtaten nicht verlassen, ohne vorher für die armen Kameraden Rache geübt zu haben. Daher wurde befohlen — vom Führer der Armee —, den Rest der Stadt unbarmherzig dem Erdboden gleich zu machen. Als wir später, es war schon abends und wir befanden uns auf der Verfolgung des Feindes, kurze Rast machten, zeigten uns die im Osten aufsteigenden Rauchsäulen, dass das Urteil vollstreckt war. Eine zurückgebliebne Batterie Artillerie hatte Haus für Haus in Asche gelegt. Rache ist süß, auch für christliche Heerführer. . . .

Die Franzosen hatten außerhalb der Stadt wieder Front gemacht und leisteten äußersten Widerstand. Aber sie waren den deutschen, zum großen Teil jungen, aktiven Truppen nicht gewachsen. Gefangene Franzosen erklärten, es sei einfach unmöglich, einem Sturmangriff dieser Kriegsmaschine zu widerstehen, wenn die deutschen Kolonnen mit aufgepflanztem Seitengewehr und dem durch Mark und Bein gehenden ,,Hurra, hurra!“ angriffen. Und ich kann das verstehen, schien es uns doch manchmal selbst, als ob wir eine gute Imitation amerikanischer Indianer darstellten, die sich auch gleich uns mit gellenden Schreien auf ihre Feinde stürzten. Nach dreistündigem Kampfe gaben sich denn auch viel Franzosen gefangen, die mit hocherhobenen Händen Pardon anboten. Ganze feindliche Bataillone gelangten auf diese Weise in unseren Besitz. Endlich, in der Nacht vom 23. auf den 24. August, gerieten die feindlichen Reihen in Verwirrung und wichen erst langsam, dann fluchtartig zurück. Ganze Batterien, Munitionskolonnen, Sanitätskolonnen etc. ließ der Gegner zurück.

In der ersten Verfolgungsabteilung befand auch ich mich. Die von uns dazu benutzten Straßen waren wieder mit Leichen geradezu besät; Tornister, Gewehre, tote Pferde und Menschen lagen in wirren Knäueln durcheinander. Die Toten waren teilweise von Pferden und Fahrzeugen zerstampft, zu Brei zerquetscht worden — ein ganz furchtbarer Anblick selbst für den abgehärteten Soldaten. Rechts und links von der Fahrstraße, auf Feldern und in Straßengraben lagen Tote und Verwundete; die roten Beinkleider der Franzosen hoben sich grell vom Erdboden ab, die feldgrauen der Deutschen waren dagegen kaum zu erkennen und schwer zu entdecken. . . .

Der Abstand zwischen uns und den fliehenden Franzosen wurde größer und größer und die Laune unserer Soldaten, trotz der überstandenen Strapazen, besser und fröhlicher. Man scherzte und sang, vergaß ganz die Leichen, welche noch immer die Wege und Stege füllten, und fühlte sich ordentlich frei. Man hatte sich schon so an das Grässliche gewöhnt, dass man seelenruhig über die Leichen hinwegstieg, ohne auch nur den kleinsten Umweg für nötig zu halten. Wir waren durch die Erlebnisse dieser ersten paar Kriegswochen schon gänzlich verroht. Wie sollte das erst werden, wenn das noch monatelang so fortging? . . .

Kriegs-Erinnerungen eines deutschen Soldaten

Подняться наверх