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Freitag, 20. Juli 2012

Ich bin jetzt hellwach und schaue auf meine Uhr: Zwanzig Minuten vor Mitternacht. Zum Glück bin ich immer noch angekleidet! Schnell schlüpfe ich in meine Schuhe und eile aus dem Zimmer. Von unten höre ich lautes Wehklagen, deshalb renne ich, so schnell es geht, die Treppe hinunter. Auf dem untersten Treppenabsatz, oberhalb der Rezeption, bleibe ich abrupt stehen und lasse unwillkürlich einen kleinen Schrei fahren. Eine dunkelhaarige Frau, die ich sogleich als zum grossen Tisch gehörig erkenne, steht mitten im Raum, klammert sich mit beiden Händen an die Hotelchefin und schreit in einem fort: »Matthias ist tot, Matthias ist tot, …« Claudia Dietrich versucht, sich von ihr loszureissen, schafft es aber nicht. Als sie mich erblickt, ruft sie erleichtert: »Schnell, holen Sie meinen Mann, in der Bar, schnell!« Ich renne ins Freie und will mich zum Nebengebäude wenden, da kommt schon Daniel Dietrich gelaufen.

»Was ist denn los?«

»Offenbar ein Todesfall…« stammle ich, und wir laufen zusammen zur Rezeption zurück.

»Schnell, Zimmer siebzehn«, schreit Claudia Dietrich uns zu, während sie immer noch von der Frau umklammert wird. Der Hotelchef und ich rennen keuchend die Treppe hoch.

Die Türe zum Zimmer siebzehn steht halb offen. Ein Mann, nur mit einem dunklen Pyjama bekleidet, liegt reglos am Boden. Auf der Höhe seines Rückens bedeckt ein grosser Fleck, offenbar von eingetrocknetem Blut, die Holzdielen. Der Mann kommt mir ebenfalls vom grossen Tisch her bekannt vor. Daniel Dietrich kniet sich hin und versucht, dem Mann Puls und Atem zu fühlen. Dann erhebt er sich kopfschüttelnd.

»Ich denke, er ist wirklich tot. Sie, Herr Wolf, bleiben hier und passen auf, dass niemand hereinkommt und nichts angefasst wird. Ich rufe unterdessen den Notarzt an.« Er schliesst die Türe von aussen, und ich bleibe ganz allein mit dem Toten im Zimmer. Ein mulmiges Gefühl schleicht an mir hoch, die Zeit will kaum vergehen, ich stehe am Fenster und starre hinaus in die Dunkelheit. Schliesslich kommt Dietrich zurück und meldet, der Arzt sei unterwegs. Es würde mich natürlich brennend interessieren, mehr über den Verstorbenen zu erfahren, aber ich wage nicht zu fragen, und Dietrich, sichtlich geschockt vom Ereignis, schweigt vor sich hin.

Endlich, um zwanzig nach zwölf, höre ich ein Auto vorfahren, und eine Minute später erscheint ein grossgewachsener, schlanker, älterer Mann mit Glatze und kurzem weissem Bart im Türrahmen.

»Grüss dich, Fritz«, sagt Daniel Dietrich, sichtlich erleichtert, »ich habe dich wahrlich nicht gern aus dem Bett geholt, aber hier sieht es ganz nach einem unnatürlichen Todesfall aus. Übrigens, das ist Herr Valentin Wolf, Hotelgast, und Doktor Fritz Tschanz, diensttuender Arzt aus Meiringen.« Tschanz zieht sich Einweghandschuhe über und untersucht den am Boden liegenden Mann vorsichtig und gründlich. Dann erhebt er sich seufzend.

»Ja, dem armen Matthias Moser ist leider nicht mehr zu helfen. Dürfte seit einer guten Stunde tot sein. Über die Todesursache kann nur eine Autopsie letzte Klarheit bringen, aber jedenfalls wurde der Mann von hinten niedergestochen, vermutlich mit einem Messer.« Tschanz wendet sich zu Dietrich.

»Ich fülle jetzt den Totenschein aus, und du, Daniel, avisierst die Polizei. Ich denke, es reicht, wenn die morgen früh anrückt. Bis dann muss aber das Zimmer verschlossen bleiben und niemand darf etwas anrühren.«

»In Ordnung«, erwidert Dietrich, »dann versuche ich, direkt Polizist Peter Kehrli zu erreichen. Er ist doch ein Neffe der Ehefrau des Verstorbenen.«

»Ach ja, stimmt, die Linda Moser ist seine Tante. Wo steckt sie eigentlich?«

»Ich nehme an, immer noch unten bei Claudia. Gehen wir doch hinunter.« Unglaublich, denke ich, hier in der Gegend scheinen alle irgendwie miteinander verwandt zu sein. Wir treten auf den Flur hinaus, und der Hotelchef schliesst das Zimmer von aussen ab. Mittlerweile haben sich im Flur etwa zwanzig Hotelgäste versammelt, sprechen durcheinander, gestikulieren, wollen wissen, was passiert ist. Daniel Dietrich erklärt, es habe einen Todesfall gegeben, und bittet die Leute, auf ihre Zimmer zu gehen und Ruhe zu bewahren. Aber da mich selbst das Geschehen so fasziniert und mich niemand weiter beachtet, gehe ich einfach mit hinunter, immer einige Schritte hinter Tschanz und Dietrich bleibend, und beobachte vom untersten Treppenabsatz aus, was weiter passiert.

Während Daniel zum Telefon geht, kommt Claudia mit Linda Moser zusammen aus dem Büro heraus. Doktor Tschanz begrüsst Linda und drückt ihr gegenüber sein Bedauern und Mitgefühl zum Verlust ihres Ehemanns aus. Er will ihr ein Beruhigungsmittel geben, damit sie besser schlafen könne, aber sie lehnt dies ab. Claudia bietet ihr an, sie dürfe gerne ein anderes, freies Zimmer zum Schlafen benutzen.

»Nein danke«, sagt sie, »ich gehe lieber zu meiner Tochter Elena ins Zimmer. Es wird uns gut tun, heute Nacht nicht allein zu sein.« Da kommt Daniel Dietrich zurück.

»Ich habe soeben mit Peter Kehrli telefoniert. Er war total fassungslos, ist aber derselben Meinung wie Fritz Tschanz. Es genügt, wenn er morgen früh hierherkommt, sofern wir das Zimmer verschlossen halten.«

»Danke, Daniel«, sagt Linda Moser.

»Kann ich noch irgendetwas für dich tun, Linda?«, fragt Claudia. Linda schüttelt den Kopf, verabschiedet sich mit einem Händedruck von allen und steigt die Treppe empor in Richtung Elenas Zimmer. Nachdenklich steige auch ich wieder zu meinem Zimmer hoch und lege mich ins Bett, kann aber erst nach zwei Uhr morgens einschlafen.

Mosers Ende

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