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Kapitel 1

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Kapitel 1

„Milou? Milou!“

Wo mochte dieser schwarze Teufel nur wieder stecken? Emma lehnte vorsichtig ihre Farbrolle gegen den Eimer. Als sie sich das letzte Mal auf die Suche nach ihrem Vierbeiner gemacht hatte, war die triefende Rolle auf der Unterlage festgeklebt, ganz wunderbar. Aber immerhin war sie gerade noch zurecht gekommen, um Milou daran zu hindern, die letzten der kleinen orangefarbenen Rosen auch noch zu köpfen. Davor hatte sie ihm Schnecken samt Gehäuse aus dem Maul gepult, davor … ein Auge auf einen ungebärdigen Junghund haben und gleichzeitig ein Schwimmbecken streichen war eine Schnapsidee.

„Milouuuuu?“ Kein Gebell, nichts. Nur die Zikaden zirpten in der heißen südfranzösischen Frühsommersonne. Abgesehen davon herrschte mittägliche Ruhe. Diese Stille war verdächtig und währte auch nicht lange. Ein lautes Platschen brachte Emma auf die Spur – oh je, nun war dieser Rabauke ausgebüchst und im Nachbarpool gelandet! Sie kletterte über die halbhohe Mauer, die für einen lebhaften Riesenwelpen offensichtlich kein Hindernis darstellte, und flitzte um die Hausecke. Zum Glück waren die Nachbarn nicht da.

„Mi“ – die zweite Silbe blieb Emma im Hals stecken, denn auf einer

Liege neben dem nachbarlichen Schwimmbecken räkelte sich ein Mann. An einem Mann war an sich nichts Erschreckendes, aber dieser Mann war nackt. Er trug buchstäblich nichts bis auf seine dunkle Sonnenbrille, die er gerade abnahm und mit ihr in Richtung Wasser wedelte.

„Wenn Sie einen schwarzen Kleinbären suchen, der ist gerade baden gegangen.“

Das war in der Tat nicht zu überhören.

„Ich, äh, er ...“

Warum war es bloß so schwer, einem nackten Mann beim Sprechen in die Augen zu sehen? Emma kam sich hochgradig dämlich vor. Gut, normalerweise waren ihre Gesprächspartner bekleidet, aber sie hatte in ihrem Leben auch durchaus schon mehr als einen nackten Mann gesehen. Warum machte dieses Exemplar dann aus ihr einen stotternden Teenager – oder ehrlicher eine stotternde ältliche Jungfer? Weil, wie sie sich nach einem raschen zweiten Blick aus den Augenwinkeln gestand, dieser zu der sehr ansehnlichen Sorte Mann gehörte, obwohl er sicher auch bereits wie sie selbst die 40 bereits hinter sich hatte. Schluss jetzt, Emma rief sich resolut zur Ordnung und wandte sich dem Schwimmbecken zu, über dessen Rand gerade der Kopf ihres herzallerliebsten tierischen Lebensgefährten auftauchte, in Begleitung von zwei dicken Tatzen, mit denen er sich krampfhaft am Beckenrand festhielt. Wider Willen musste Emma lachen.

„Du siehst aus wie ein begossener Pudel“, begrüßte sie den Ausreißer, „das kommt davon, wenn man nicht hören will.“

Sie beugte sich nach vorn, um Milou am Fell zu packen und aufs Trockene zu hieven. Das war leichter gedacht als getan, denn der junge Briardrüde strampelte heftig mit den Hinterläufen. Um ein Haar wäre Emma kopfüber ins Wasser gestürzt, erst im letzten Augenblick gelang es ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden. Als die Rettungsaktion dann endlich beendet war, waren Hund und Mensch nahezu gleich nass. Ohne das zappelnde Wesen loszulassen, drehte sich Emma langsam um und hielt Ausschau nach dem Liegestuhlmann. Der hatte sich in der Zwischenzeit eine Shorts übergezogen, was seiner Attraktivität keinen Abbruch tat.

„Hallo“, sagte der schöne Fremde, „tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Ich heiße Marc.“

„Nein“, wehrte Emma ab und war zu ihrem Unwillen schon wieder verlegen, „ich muss mich entschuldigen, dass ich so einfach hier eingedrungen bin. Aber ich wusste nicht ...“ ... dass hier ein nackter Mann im Garten liegt oder was willst du sagen? Emma war mit sich höchst unzufrieden. „ ... dass hier jemand ist“, beendete sie ihren Satz etwas lahm. „Ich heiße übrigens Em ...“, weiter kam sie nicht, denn Milou hatte es geschafft, ihre Hand abzuschütteln und sich ein weiches Plätzchen mitten auf dem gepflegten Rasen ausgesucht, um dort nach all der Aufregung in Ruhe seinen Haufen zu machen.

„Ach Herrje, du Unglücksviech“, hektisch sah sich Emma nach etwas Geeignetem um zur Beseitigung der tierischen Hinterlassenschaft.

„Ich hole Ihnen eine Tüte“, bot sich Marc an. Gelassen sah er zu, wie Emma sich an die Säuberungsaktion machte und nahm die unterbrochene Vorstellung wieder auf. „Also, Sie sind Em, und das ist ...?“

„Milou“. Als der Hund seinen Namen hörte, wedelt er fröhlich und legte sich ins Gras, Vorderteil nach unten, Hinterteil erhoben. „Nein, Milou, jetzt wird nicht gespielt“, beschied Emma ihn knapp.

„So, Milou.“ Marc beäugte das triefende Tier leicht erstaunt.

„Ich weiß“, räumte Emma ein, „Milou ist eigentlich klein, weiß und ziemlich pfiffig.“ Jedes Kind in Frankreich kannte Milou, den plietschen Hund aus der Comicserie Tintin, Tim und Struppi.

„Na, der da macht doch auch einen ganz aufgeweckten Eindruck.“ Marc ging in die Hocke und hielt Milou eine Hand hin. Der hielt sich nur kurz mit dem Beschnuppern auf, dann begrüßte er seinen neuen Freund stürmisch mit einem kleinen Hüpfer und einem Nasenstüber, woraufhin Marc sich prompt auf den Hosenboden setzte. Milou legte den Kopf schief, als versuchte er sich an etwas zu erinnern, dann schüttelte er sich ausgiebig.

Es reicht, beschloss Emma und klemmte sich den Kleinen, wie sie ihn für sich nannte, unter den Arm. Knapp zwanzig Kilo nasser Hund waren zwar nicht sehr bequem zu tragen, aber so konnte er ihr auch nicht wieder ausbüchsen. „Noch einmal, entschuldigen Sie bitte die Störung.“ Dann trat sie den ungeordneten Rückzug über die Gartenmauer an.

Später, als sie wieder in ihrem Schwimmbecken stand und friedlich die letzte Wand strich – friedlich deshalb, weil sie Milou auf der Terrasse angebunden und ihr schlechtes Gewissen ob dieser drakonische Maßnahme mit einem Kauknochen für den Kleinen besänftigt hatte – kehrten ihre Gedanken zu dem Fremden in Nachbars Garten zurück. Dunkle, kurze Haare, braune Augen umgeben von sympathischen Lachfalten, ein sensibler, sinnlicher Mund, schlank, aber athletisch gebaut - wer er wohl war? War er allein gekommen? Wie lange würde er bleiben? Die möglichen Antworten lenkten sie zumindest vorübergehend davon ab, über sich, ihr Leben im Allgemeinen und David im Besonderen nachzudenken.

* * *

Marc räkelte sich wieder auf der Liege. Von einer Nachbarin hatte sein Freund Hervé nichts erzählt, als er ihm anbot, es sich in seinem Haus in Oumps in der südfranzösischen Provinz gemütlich zu machen. Warum auch, schließlich hatte Marc kein Ferienhaus mit privatem Anschluss gesucht, als er kurzfristig nach einer Unterkunft für seinen Urlaub gesucht hatte. Er war aus allen Wolken gefallen, als Marie, seine Frau, ihm eine Woche vor ihren geplanten, gemeinsamen Ferien mitgeteilt hatte, dass sie in diesem Jahr allein wegfahren würde. Sie wolle sich eine Auszeit nehmen, um über ‚vieles’ nachzudenken. Und nun saß oder vielmehr lag er hier unter der südfranzösischen Sonne und versuchte seinerseits, zu verstehen, was mit ihnen beiden passiert war. Er hatte gerade versucht herauszufinden, wie es um über seine Gefühle für Marie bestellt war nach fast zwanzig Jahren Ehe. Noch vor wenigen Wochen wäre er um eine Antwort nicht verlegen gewesen, er hätte ohne nachzudenken, ganz spontan geantwortet: „Ich liebe sie.“ Aber im Moment war er sich nicht mehr sicher, und damit stellte sich die Frage nach ihrem weiteren gemeinsamen Leben. Wenn es denn ein gemeinsames Leben gab, denn Marie hatte dazu sicher auch einiges zu sagen, wenn sie sich nach dem Urlaub wieder trafen.

Marc und Marie – sie waren schon so lange zusammen, dass Marc sich ein Leben ohne Marie gar nicht vorstellen konnte. Nach seiner Ansicht hatten sie sich harmonisch und liebevoll in ihrer Zweisamkeit eingerichtet. Er kannte Marie so gut, er respektierte sie und liebte sie auf eine selbstverständliche Art, die er nicht genau erklären konnte. Und bis vor kurzem war er davon überzeugt gewesen, dass Marie ihr gemeinsames Leben ebenso sah wie er, dass Marie ihn mit der gleichen, beständigen Liebe wiederliebte.

Aber irgendwo in der Vergangenheit hatte er offenbar einen Wendepunkt nicht mitbekommen, er hatte sich zu sicher gefühlt in der trauten Geborgenheit ihrer Ehe, die wohl doch trügerisch gewesen war. Seit einigen Wochen war Marie, die rationale und ausgeglichene Marie, immer fahriger und nervöser geworden. Manchmal kam es ihm so vor, als sei nur noch ihr Körper anwesend, ihre Seele und ihr Geist aber hielten sich in weit entfernten Regionen auf. Sie hatten sogar gestritten, nicht diskutiert, nein richtig gestritten, und zudem auch noch aus völlig unwichtigen Anlässen! Eine dieser Auseinandersetzungen, die wieder einmal aus dem Nichts entstanden war, sprang urplötzlich auf elementare Grundzüge ihrer Beziehung über. Sprachlos vor Erstaunen hatte Marc erlebt, wie Marie schließlich in einer ungewohnt heftigen Art hervorgestoßen hatte: „Dieses Leben, das wir führen, kommt mir so furchtbar oberflächlich vor. Und du ... du bist mir manchmal so fremd, dass ich gar nicht mehr meinen Marc in dir erkenne.“

‚Oberflächlich’ wäre nun nach Marcs Einschätzung wirklich nicht die treffende Bezeichnung für ihr Leben gewesen. Insbesondere Marie war alles andere als oberflächlich. Sie hatten keine Kinder, obwohl sie gern welche gehabt hätten. Woran es lag, konnten auch nach einer schier unendlichen Reihe von Untersuchungen nicht mit Sicherheit geklärt werden. Aber Marc und Marie waren sich einig, dass sie der ‚Natur nicht auf die Sprünge helfen’ wollten, wie Maries Gynäkologe es mehrfach vorgeschlagen hatte. Und nach einigem Nachdenken hatten sie auch den Gedanken verworfen, Kinder zu adoptieren. Sie hatten sich irgendwann damit abgefunden, Onkel und Tante zu sein und die Kinder ihrer Freunde zu hüten. Marie engagierte sich außerdem sehr wirkungsvoll in Hilfsprojekten für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Marc unterstütze sie dabei, wenn auch eher mental. Seinen Tatendrang lebte er in der Firma aus, seine Gefühle und Leidenschaften mit Marie.

Nicht nur, dass ihn die Streitereien mit Marie zermürbten, er vermutete dahinter einen ernsten Grund. Bisher aber war es ihm nicht gelungen, herauszufinden, was seine Frau wirklich bedrückte. Hartnäckig hatte sie alle Fragen abgewehrt. Und als er auf einer Antwort bestand, kurz vor Beginn der gemeinsamen Ferien, weil er so nicht weitermachen wollte und konnte, war sie kurzerhand mit dem Vorschlag, nein, mit ihrer gefällten Entscheidung herausgerückt, allein wegzufahren. Zeit zum Nachdenken hatte sie sich erbeten und gefordert, als er nicht nachgeben wollte. Am Ende dieser Diskussion war er so geschafft, dass er erleichtert war über die Atempause, die sie ihnen mit der dem Vorschlag verschaffte, im Sommer getrennt Urlaub zu machen. Sie wollte sich in ein Wellnesshotel zurückziehen, ein für die Marie, die er kannte, völlig abwegiger Vorschlag, und er ... nun, er wusste eigentlich nicht so recht, was er wollte, außer, dass er bestimmt nicht allein zu Hause sitzen und grübeln wollte, an welcher Gabelung ihres Lebensweges sie denn eigentlich diese holprige Abzweigung genommen hatten. Der Vorschlag seine Freundes Hervé kam daher ganz gelegen, und so war Marc also in Richtung Süden aufgebrochen.

Und in diesem ganzen Durcheinander war eine Affäre wirklich das Letzte, was Marc brauchen konnte, auch wenn Em, was für ein kurioser Name im übrigen, interessant und attraktiv war. Aber in der warmen Sonne wollte er ohnehin über nichts nachdenken. Marc rollte sich auf den Bauch und war kurz darauf eingeschlafen.

London? Paris! Oumps.

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