Читать книгу London? Paris! Oumps. - Valeska Indetzky - Страница 6

Kapitel 4

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„Hallo David, endlich erwische ich dich mal, ich habe es schon so oft probiert.“ Im Hintergrund auf der anderen Seite der Leitung hörte Emma Leute sprechen und lachen. „Störe ich sehr?“

„Nein, kein Problem, ich habe einen Moment Zeit. Was gibt es denn?“

Was es gab? Nichts Besonderes, nur dass Emma das Gefühl hatte, seit ewigen Zeiten nicht mehr mit David gesprochen zu haben. „Ich wollte nur mal deine Stimme hören.“

„Äh, ja. Nett von dir.“

Er war offensichtlich nicht allein, und ein persönliches Gespräch demnach aussichtslos.

„Wie läuft es denn so im neuen Job?“

„Danke, es geht. So neu ist er jetzt ja nicht mehr, aber es gibt immer noch eine Unmenge zu tun, ich weiß kaum, welcher Tag heute ist.“

„Donnerstag. Was mich auf die Frage bringt, ob wir uns am Wochenende sehen.“

„Oh, das weiß ich noch nicht, Emma. Ich ruf dich heute Abend an, dann besprechen wir das, in Ordnung? Ich muss jetzt Schluss machen, bis später also.“

Emma starrte grimmig auf den Telefonhörer in ihrer Hand. Das war ja ein tolles Gespräch. Und was soll das heißen, dass er Donnerstag noch nicht weiß, ob er am Wochenende kommt. Wochenende ist morgen!

Sie hatte gewusst, dass der Job nur Scherereien bringen würde. „Nicht London,“ hatte sie gestöhnt, als David ihr von dem Angebot erzählte. Sicher, die Stelle hörte sich interessant an, das Gehalt war umwerfend, aber warum musste es diese Insel sein? In jedes andere Land der Welt wäre sie sogar mitgegangen, aber nach England und insbesondere nach London zog es sie nicht.

„Was hast du gegen London?“ hatte David verblüfft gefragt.

„Teuer, stressig, schwierig hin- und herzukommen ...“

„Unsinn, mit dem Flieger ist das kein Problem. Da können wir sogar ein Wochenende in Frankreich verbringen, wann immer du willst.“

„Und Milou? Willst du den etwa alle zwei Wochen in eine Kiste sperren, mit Schlaftabletten voll pumpen und wie ein Stück Gepäck behandeln lassen?“

„Du wolltest unbedingt einen Hund haben, nicht ich.“

„Das ist doch die Höhe. Kümmert dich Milou gar nicht?“

„Emma, sei doch vernünftig, ich kann doch nicht wegen eines Hundes ein solches Angebot ausschlagen!“

„Mir zuliebe auch nicht?“ Damit hatte die Diskussion jede sachliche Ebene verlassen und endete als hässlicher Streit, von dem beide sich noch nicht erholt hatten, und der immer noch zwischen ihnen stand. David hatte seinen Kopf durchgesetzt und den Job angenommen und als großes Zugeständnis versprochen, möglichst jedes Wochenende zu kommen. Emma war unglücklich, sie wollte keine Wochenendbeziehung, hatte aber auch nicht den Mut, die Beziehung zu beenden. Seit zwei Monaten war David nun in London, und aus dem „möglichst jedes Wochenende“ war ein vierwöchiger Rhythmus geworden, der Job war anstrengender und zeitaufwändiger, als es zunächst aussah, und David musste häufig am Wochenende arbeiten. Und die kurze Zeit, die ihnen dann gemeinsam blieb, behandelten sie sich zuvorkommend und höflich, um den schwelenden Streit nicht wieder neu zu entfachen. Wie lange das noch so gehen sollte, wusste Emma nicht. Sie hatte sich ein halbes Jahr stillhalten verordnet. Impulsiv und temperamentvoll wie sie war, fiel es ihr sehr schwer, abzuwarten, wie die Situation sich entwickeln würde.

Da sie nun schon einmal im Büro war, konnte sie ruhig noch ein bisschen arbeiten, gewissermaßen Probleme auf Vorrat lösen. Emma griff sich den obersten Brief von dem Stapel, den die Redaktion ihr geschickt hatte:

„Nie hätte ich gedacht, dass ich in eine solche Situation gerate. Ich habe ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Wir haben uns im Konzert kennen gelernt, dort sitzen wir zufällig nebeneinander, er zwischen seiner Frau und mir. Werner ist sehr romantisch. Eines Tages schickte er mir ein Buch, das ich unbedingt lesen sollte. Beim nächsten Konzert fragte er mich, ob ich bereits auf einer bestimmten Seite angekommen sei. Als ich zu Hause nachschlug, wurde dort eine sehr erotische Szene beschrieben. Das war sein ‚Antrag’, wie er es später formulierte.

Kurz, obwohl ich nie etwas mit einem Mann anfangen wollte, der bereits gebunden ist, habe ich mich verliebt. Ich bin seinem Charme regelrecht erlegen. Zumal er mir erzählt hat, dass er und seine Frau nur aus organisatorischen Gründen noch zusammen leben, sie in der oberen Etage im Haus, er unten. Trotzdem treffen wir uns bei mir, und meinen Fragen, ob seine Frau von unserem Verhältnis wisse, ist er bisher ausgewichen. Er wolle den richtigen Zeitpunkt abwarten, um es ihr zu sagen, im übrigen ginge sie sein Privatleben nichts an.

Nun haben wir ein Problem. Bei unserem letzten Rendez-vous hatten wir, verliebt und romantisch, überall im Schlafzimmer Kerzen aufgestellt. Nach ..., nun danach sind wir eingeschlafen. Als wir wieder aufwachten, stand Werners Kopfkissen in Flammen. Es ist ihm gelungen, das Feuer zu ersticken, aber er hat ein paar leichte Brandverletzungen davongetragen. Und nun ist seine Frau misstrauisch geworden. Offensichtlich sieht sie ihr Zusammenleben mit ihrem Mann ganz anders als er, und mein schlechtes Gewissen wird immer lauter. Aber ihn aufzugeben, würde mir sehr schwer fallen.

Übrigens: Ich bin 65 Jahre alt, Werner ist im vergangenen Monat 80 geworden. Haben Sie einen Rat?“

„Liebe Susanne, verlegen Sie Ihre nächste romantische Verabredung ins Badezimmer, das brennt nicht so schnell.“

Nein, das konnte selbst Emma nicht schreiben, deren Antworten gerade wegen ihrer locker-flockigen Art von den Lesern geschätzt wurde. Sie schüttelte den Kopf. Nicht zu fassen, 80 Jahre alt und immer noch auf Freiersfüßen. Und verheiratet, natürlich. Hörten denn diese Beziehungsscherereien nie auf?

Emma bemühte sich um eine mitfühlende Antwort, die auch die betrogene Ehefrau mit einbezog, ohne allzu moralisch zu wirken. Aber wenn man sich denn mit 80 Jahren noch auf eine Affäre einließ, war man auch nicht zu alt, um seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Der Himmel bewahre mich vor solch einer Situation, stöhnte Emma. Um dann selbstkritisch nachzufragen: Einer Affäre, die ich habe oder einer, die David haben könnte? Energisch schob sie diesen Gedanken beiseite, rief nach Milou, der fröhlich angesprungen kam und machte sich auf den Weg zu Marc, um ihn in die profanen Geheimnisse der Schwimmbadpflege einzuweihen. Dieses Mal nahmen Frau und Hund den offiziellen Weg durch den Vorgarten.

* * *

„Hi Dave, kommst du auch mit in den Pub? Wir gehen alle noch ein Bier trinken.“ Samantha, die von allen Sam gerufen wurde, blieb neben Davids Schreibtisch stehen. David seufzte. Er machte sich nichts aus den fast allabendlichen Treffen im Pub, die für etliche seiner Kollegen regelmäßig mit tiefen Abstürzen endeten, und die Marotte, jeden Namen zu verstümmeln, hatte er bereits in der Vorschule gehasst. Allerdings war er neu im Team und bemüht, nicht als arroganter Ausländer zu gelten.

„Wohin geht ihr, Samantha?“, er sprach sie bewusst mit ihrem vollen Namen an, so viel Individualität konnte er sich als Kontinentaleuropäer wohl leisten. „Ich warte noch, bis das hier durch ist, dann komme ich nach.“ Dabei wies er auf die Datenzeilen, die über seinen Computerbildschirm huschten.

„Ins Grüne Einhorn, wie immer. Arbeite nicht zu lange, du verdirbst die guten Sitten.“ Sam klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und eilte den anderen nach.

Als David allein im Großraumbüro war, griff er zum Telefon. Er sprach lieber mit Emma, wenn er ungestört reden konnte. Das war in letzter Zeit nicht allzu häufig der Fall gewesen, und irgendwie wurde ihr Verhältnis immer verkrampfter. David weigerte sich, daran ganz allein Schuld zu sein, schließlich hatte er Emma mehrfach vorgeschlagen, mit nach London zu kommen. Aber wenn sie nicht wollte ... , andere Paare lebten auch in der Woche getrennt, das war in diesen Zeiten offenbar eher normal als ungewöhnlich. Dass sie sich allerdings so selten sahen, verbesserte ihre Situation nicht gerade. Natürlich hatte er damit gerechnet, in den neuen Job zunächst viel Zeit investieren zu müssen, aber dass er nun drei Wochenende in Folge in London bleiben musste, war ärgerlich. Und Emma hatte gemeint, wenn er denn am Computer säße, machte es wenig Sinn, wenn sie käme. Allein herumsitzen könne sie in Frankreich besser. Und als er sagte, es wäre sicher auch ein Problem, Milou unterzubringen, hatte sie spitz geantwortet: „Um den Hund brauchst du dir keine Gedanken zu machen, unsere Nachbarn gegenüber haben nichts dagegen, ihn hin und wieder in Pension zu nehmen.“ Aber vielleicht konnten sie am Wochenende noch einmal über alles reden. Er hatte den Flug für den nächsten Abend bereits gebucht.

Emma war nicht zu Hause und ihr Handy ausgeschaltet. Also hinterließ er die frohe Botschaft auf dem Anrufbeantworter: „Hallo meine Liebe, morgen Abend um viertel nach acht bin ich am Flughafen. Kannst du mich abholen? Ich gehe jetzt noch mit den Kollegen ein Bier trinken. Wenn es nicht zu spät wird, melde ich mich noch einmal. Ich freue mich schon auf das Wochenende.“

Emma hatte das Angebot abgelehnt, in dem frisch gereinigten nachbarlichen Schwimmbecken zu baden, und dafür einen Spaziergang durch den Ort vorgeschlagen. Mit Milou an der Leine, der liebend gern alle die Hunde begrüßt hätte, die hinter den Mauern und Zäunen bellten, als sie vorbeigingen, bummelten sie durch die engen Gassen des mittelalterlichen Ortskerns. Da das Dorf an einem Hügel lag, boten sich immer wieder überraschende Ausblicke über das Tal.

„Selbst ich als überzeugter Städter kann verstehen, warum Sie hier wohnen“, bemerkte Marc, als sie sich endlich auf der Terrasse des Bistros zu einem Aperitif niederließen. „Es ist schon ein schönes Fleckchen Erde. Aber ist es Ihnen nicht manchmal etwas zu beschaulich?“

„Im Sommer nicht“, antwortete Emma. „Da bin ich als klimageschädigte Nordeuropäerin viel zu sehr damit beschäftigt, die Wärme und die Sonne zu genießen. Selbst nach so vielen Jahren kann ich es kaum fassen, dass der Himmel jeden Morgen blau ist, und ein Gewitter nicht das Ende der wärmeren Tage bedeutet, auf die eine Unzahl kühler, feuchter folgen.“ Nachdenklich schaute sie in die Krone der Akazie, die den Gästen des Bistros Schatten spendete. „Und im Winter bin ich bisher immer nur an einem oder zwei Wochenenden im Monat hier gewesen. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass es im Winter hier ziemlich einsam ist.“

„Wo leben Sie denn sonst im Winter?“

„Bisher in Norddeutschland und in Lyon.“ Emmas Stimme klang so bedrückt, dass Marc eilig das Thema wechselte.

„Kann man hier ganz gut essen? Ich habe nämlich offen gestanden keine große Lust, zu kochen. Dafür aber einen Bärenhunger.“

Pierre, begeisterter Koch und Chef des Bistros, kam heraus und stellte das Tagessmenu vor, und die nächsten zwei Stunden vergingen mit Essen und Plaudern, wobei Emma und Marc in stiller Übereinkunft persönliche Themen mieden.

* * *

„Hi Dave, hast du dich endlich aus dem Sklavenjoch befreit!?“, freundschaftlich schlug Donald seinem neuen Kollegen auf die Schulter und schob ihm ein Bier zu. „Hier, hast du dir verdient.“ Die beiden Männer hoben ihr Glas und nickten sich zu. Ein Gespräch war in dem gut gefüllten Pub nur schwer möglich; in die fröhlichen Rufe, die von Gruppe zu Gruppe flogen, mischten sich Musikfetzen. Der Fernseher, in dem einige Männer am Tresen gerade ein Cricketspiel verfolgten, lief ohne Ton. Sie hätten angesichts des Geräuschpegels ohnehin kein Wort von dem Kommentar verstanden.

Über den Rand seines Glases betrachtete David die Gäste. Die meisten schienen sich zu kennen, aber die Zusammensetzung der einzelnen Gruppen änderte sich nicht. In einer Ecke gestikulierte Samantha und war offensichtlich in ein ernstes Gespräch mit Irene vertieft, einer Kollegin aus der Buchhaltung. Als hätte sie seinen Blick bemerkt, schaute sie plötzlich auf und winkte ihm quer durch den Raum zu. Samantha war eine Schönheit, groß, schlank, mit kastanienbraunen Locken und grünen Augen - und noch zu haben, wie ihm Donald gleich am zweiten Tag seines neuen Jobs beim Lunch erklärt hatte.

„Nicht, dass nicht sämtliche Männer dieser Firma ihr Glück bei ihr versucht hätten“, seufzte er theatralisch. „Aber die liebe Sam ist wählerisch. Sie wartet anscheinend auf den Prinzen mit dem weißen Pferd.“ Dann grinste er. „Wer weiß, vielleicht bist ja du es? Ihr Franzosen habt ja einen legendären Ruf als Liebhaber.“

„Nach der letzten Umfrage haben wir deutlich hinter den Italienern gelegen“, gab David trocken zurück. „Außerdem bin ich nicht interessiert.“

„Du? Wer redet von dir? Ist dir schon mal aufgefallen, dass es meistens die Frauen sind, die sich ihre Männer aussuchen? Also, wenn Sam dich erwählt ...“

Gerade schob sich Samantha durch das Gedrängel im Pub in Davids Richtung. Sie trug Jeans, ein enges Oberteil und einen Leinenblazer und bewegte sich auf ihren hohen Hacken so sicher wie eine Katze. Obwohl sie die Herren reihenweise abblitzen ließ, war sie bei Männern wie bei Frauen beliebt. Sie gab sich unkompliziert, freundlich und hilfsbereit.

„Und?“, schrie sie David zu, als es ihr endlich gelungen war, zu ihm vorzudringen, „hast du dich schon ein bisschen eingelebt?“ Notgedrungen stand sie ganz nahe bei ihm, ihre Lippen berührten fast sein Ohr. Ihre Nähe war aufregend, aber David bemühte sich bewusst, das durch einen neutralen Ton zu überspielen. Ihm war nicht nach flirten, die eisige Stimmung zwischen ihm und Emma lag ihm zu sehr auf der Seele. Ein Glück, dass er sie am nächsten Tag sehen würde. Sie fehlte ihm mehr, als er geglaubt hätte. Schließlich war er viele Jahre seine Lebens allein gewesen, nicht ohne Frauen, aber ohne eine Lebensgefährtin. Dass er Emma so sehr vermisste, verwirrte ihn, und die meiste Zeit gelang es ihm, nicht über die Gründe für diese Gefühle nachzudenken.

„Das war nicht schwer“, gab David freundlich zurück. „Das Team ist nett, der Job ist interessant, ich habe sogar ein Appartement gefunden, dass ich allein bezahlen kann. Wenn es sich auch kaum lohnt für die paar Stunden, die ich dort mein müdes Haupt bette.“

„Du arbeitest auch wirklich viel zu viel. Übertreib es nicht, die Arbeit ist auch am nächsten Tag noch da. Keiner nimmt sie dir weg, wenn du mal früher als um acht aus dem Büro gehst.“

„Guter Tipp“, lachte David. „Keine Angst, wenn ich erst mal die Systeme so weit aktualisiert habe, dass sie stabil laufen, werde ich nicht mehr der Letzte sein, der im Büro das Licht ausmacht.“

„Dann hättest du ja sogar Zeit für so etwas wie ein Privatleben“, gab Samantha zurück. Und fügte angesichts Davids sich verdüsternder Miene hinzu. „Das tut nicht weh. Das ist die Zeit, in der man ins Kino geht, sich amüsiert, mit Freunden trifft ... zum Beispiel mit mir.“ Und noch ehe David auf diese direkte Herausforderung reagieren konnte, sagte sie. „Was machst du übrigens Samstagabend? Ich habe ein paar Leute eingeladen und würde mich sehr freuen, wenn du auch kommst.“

„Tut mir leid, ich bin am Wochenende nicht da“, wehrte David ab. Weder wollte er in diesem übervollen Pub darüber sprechen, dass er nach Hause flog, noch, dass dort Emma auf ihn wartete. Denn damit hätte er ganz sicher Fragen heraufbeschworen, die er keineswegs brüllend zu beantworten gedachte, wenn er denn überhaupt darüber reden wollte.

„Schade, dann ein anderes Mal. Solltest du es dir doch noch überlegen, hier findest du mich.“ Samantha gab ihm eine ihrer Visitenkarten, auf deren Rückseite sie ihre Privatadresse notiert hatte. Dann hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange, winkte noch einmal kurz und machte sich auf den Weg zur Tür.

London? Paris! Oumps.

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