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Fiona

Eine malerische Abenddämmerung tupfte herrliche rötliche Farbtöne in den Himmel. Unter der sich entfaltenden Pracht glitt ein kleiner weißer Punkt, kaum sichtbar in der Unendlichkeit des Ozeans, durch die sanfte Dünung. Es war Fiona, der Schwan. Zügig schwamm sie entlang der nun eisfreien Gestade der Antarktis. Links von ihr erhoben sich auf einer Landzunge mehrere Vulkane. Vor wenigen Tagen waren sie noch unter der meterhohen Eisschicht des Südpols tief begraben, versunken in einem Millionen Jahre langen Schlaf. Seitdem Helena und ihre Soldaten die gesamte Eismasse des kältesten Kontinents der Erde geschmolzen hatten, waren jene Vulkane von einem Tag auf den anderen zum neuen Leben erwacht. Aus ihren Kratern stiegen nun unentwegt düstere von Flammenzungen durchzuckte Rauchwolken empor.

Fiona war beeindruckt von der schier endlosen Weite des Ozeans, der sich vor ihr erstreckte. Mit dem Hereinbrechen der Nacht verschmolzen See und Firmament zu einer dunklen Szenerie, nur gelegentlich erhellt vom Flackern der Feuerberge. Sie schwamm an den schattenhaften, zerklüfteten Felsen der antarktischen Küste entlang und beobachtete den Tanz der sich spiegelnden Sterne auf der Meeresoberfläche. Fiona dachte an ihre Herrin, Stella, die Eisprinzessin. Mit ihr war sie zur Erde gekommen, um den Eiskaiser und seine Gefährten vor dem Ertrinken zu retten, nachdem Helena, die neue Hitzekönigin, alles Eis auf der Welt vernichtet hatte. Stella wollte die Flüchtlinge auf ihrem Planeten Urania in Sicherheit bringen. Obwohl die eisige Heimat der Eisprinzessin nicht weiter von der Erde entfernt war als der Mond, entzog sich diese bis heute den präzisen, aber kalten Augen sogar der bestentwickelten Satelliten und Instrumente der Weltraumforschung, die die Menschen je erfunden hatten. Ebenso wie die Prinzessin selbst, blieb ihr kleines Reich vor allen Nachforschungen verborgen. Auf Urania führten Fiona und Stella ein schönes und friedliches Dasein. Der Schwan erinnerte sich noch sehr lebhaft an Stellas spannende Erzählung über die Entstehung ihres Planeten. Die Eisprinzessin nahm Platz auf ihrem Sessel aus blank poliertem Eis, schlug die Beine übereinander und machte es sich bequem. Ihr intensiver Blick schien durch Fiona hindurch tief in die Vergangenheit zu reichen.

„Vor einer Ewigkeit schlug ein Asteroid auf der Antarktis ein. Der Aufprall war so heftig und der Himmelskörper so groß, dass ein Stück des bereits zu jener Zeit vereisten Kontinents aus der Erde gerissen und hinaus ins Weltall geschleudert wurde. Dieses enorme Trümmerstück umrundet seither den Ort seiner Herkunft auf einer stabilen Umlaufbahn. Eines Tages bin ich am Fuße jenes Berges aufgewacht, auf dessen Gipfel jetzt mein Schloss thront. Im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen, kann ich mich daran erinnern, als wäre dieses Ereignis gestern geschehen. Die gleißende Sonne blendete mich vor dem Hintergrund der eisigen Schwärze des Weltalls. Ich setzte mich hin und sah mich um. Ein eisbedeckter See erstreckte sich inmitten einer verschneiten hügeligen Landschaft, die sich am Horizont merklich krümmte. Flimmernde Sternenmuster tanzten funkelnd über dem Schnee. Ich war von der unberührten prachtvollen Schönheit dieses winzigen Planeten bezaubert. Erfüllt von Lebensfreude und Dankbarkeit für seinen unbekannten Schöpfer reckte ich meine Arme in den samtschwarzen von unzähligen goldenen Punkten durchzogenen Himmel.“

Das Bild der eisigen Heimat stieg in Fiona auf. Märchenhafte weiße Berge, die wie schützende Mauern ihren kleinen See umkreisten. Was würde sie jetzt nicht alles geben, um auf diesem vertrauten Fleckchen reinen kristallklaren Wassers zu verweilen. Stella hielt ihn stets eisfrei, damit Fiona sich von all den darunter verborgenen leckeren Pflanzen ernähren konnte.

Die Eisprinzessin liebte Schwäne, jene Tiere, die von jeher als Symbol der Reinheit und des Lichts galten. Während eines ihrer zahlreichen Aufenthalte auf der Erde, hatte sie viele von ihnen gesehen. Deren anmutige und äußerst elegante Erscheinung begeisterte sie jedes Mal aufs Neue. Schon lange bevor sie Fiona im hohen Norden entdeckt hatte, empfand sie die Last ihrer Einsamkeit in ihrem unberührten Exil als erdrückend. Sie sehnte sich nach Gesellschaft, um die Freuden ihres hübschen kleinen Winterparadieses teilen zu können.

Eines Tages fand sie unweit vom Schloss des Eiskaisers, am Ufer eines Fjords in Spitzbergen eine ganze Schwanenfamilie. Vater, Mutter und sechs niedliche Küken lagen leblos auf der zugefrorenen Wasseroberfläche. Stella hatte bei diesem Anblick gespürt, wie sich alles in ihr zusammenzog. Sogleich hatte sie versucht einen nach dem anderen wiederzubeleben, bis eine vorbeiziehende Robbe ihr erklärte, dass die Tiere schon vor Stunden verstorben waren.

„Sie haben vergiftetes Wasser geschluckt“

Stella hörte ihr verdutzt zu.

„Wodurch wurde das Wasser vergiftet?“

„Durch Pestizide. Das sind chemische Stoffe, die die Menschen auf Obst, Gemüse, Tee und Kräuter spritzen, um Insekten oder Schnecken aus ihrer Landwirtschaft fernzuhalten. Auf diese Weise können sie viel mehr ernten, hat man mir erzählt. Deren Gift ist aber leider für alle Lebewesen gefährlich. Wenn es in den Kreislauf des Wassers gerät, sterben auch die Schwäne daran.“

Die Robbe senkte traurig den Kopf auf die Eisdecke und ruhte sich weiterhin aus.

Bestürzt, trug Stella die toten Geschöpfe auf den Strand. Dort grub sie im Schnee eine Vertiefung und legte die regungslosen Körper nebeneinander. Sie war gerade dabei die Tiere mit Schnee und Sand zuzudecken, als sich plötzlich das schmächtigste von den Küken leicht bewegte. Die Augen der Prinzessin weiteten sich. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, schnappte hörbar nach Luft und nahm das zarte Tier aus dem Loch heraus. Es schaute Stella flehend an. Die Prinzessin schloss es auf Anhieb in ihr Herz und fütterte das hilflose Wesen mit allen Heilkräutern, die sie fand. Stella war gerührt von dem kleinen Vogel, mit seinem flauschigen, silbergrauen Gefieder und niedlichen Schnabel. Dem Schwan zuliebe verlängerte die Eisprinzessin ihren Aufenthalt auf Spitzbergen um mehrere Monate. Geduldig wartete sie, bis sich das geschwächte Tier vollständig erholt hatte und kräftiger wurde. Dann kam der Moment, indem sich entscheiden musste, ob sich ihre Wege trennen würden. Stella nahm das wunderbare Geschöpf in ihre Hände und hob es bis zu ihrem Gesicht. Ihre Blicke trafen sich. Das Küken schaute sie intensiv an. Noch nie hatte sie einen so intelligenten Ausdruck in den Augen eines Tieres erlebt. Darin lag eine tiefe Weisheit vermischt mit unendlicher Dankbarkeit.

„Möchtest du mich auf meinen Planeten begleiten? Dort gibt es einen See mit leckeren Pflanzen. Wir könnten zusammenbleiben und ich werde dich mein ganzes Wissen lehren.“

„Wunderbar. Ich kann mir keine größere Freude vorstellen, als deine Schülerin zu sein“, gab der Schwan zurück, ohne zu zögern.

Überglücklich über diese Antwort, erkannte die Prinzessin zugleich in dem zauberhaften Tier eine ungewöhnliche Gabe. Es konnte sprechen. Als sie auf Urania ankamen, nannte Stella ihre neue Freundin Fiona, was „hell“ bedeutete. Mit dem inzwischen strahlend weiß gewordenen Federkleid machte der Schwan seinem Namen alle Ehre. Darüber hinaus gab es etwas Unglaubliches, das die Eisprinzessin zunehmend in Staunen versetzte. Von Woche zu Woche wuchs eine goldene Krone auf Fionas Kopf. Auf deren Vorderseite funkelte ein lupenreiner Diamant. Der Eisprinzessin war noch kein Schwan auf der Erde mit einem derartigen Schmuckstück begegnet. Selbst Fiona wusste nicht, warum diese Krone aus ihrem Schädel wie eine kostbare Blüte spross. Erst bei der Rettung des Eiskaisers und seiner Trolle hatten Harald und Stella das Rätsel lüften können. Eines Tages war Harald über die watschelnde Schwanenfamilie geflogen. Dabei hatte sich glitzerndes Schneepulver aus dem Eiskristall seines Zepters rein zufällig gelöst und war sacht auf Fionas Kopf heruntergerieselt. Das Schwanenküken hatte weder von dem über ihnen fliegenden Eiskaiser noch von den Schneeflocken auf ihrem kuscheligen Gefieder Notiz genommen. Es war ausschließlich damit beschäftigt seinen Eltern und Geschwistern hinterher zu schwimmen. Diese besonderen frostigen Kristalle hatten jedoch den Samen für das Wachstum ihrer Krone gelegt. Und so wurde sie allmählich zu einer einmaligen Schwanenprinzessin. Bei ihrer letzten hastigen Reise zur Rettung des Eiskaisers und seiner Gefährten war ein Abbild von Haralds Eiskristall über ihrer Krone mit zunehmend gleißender Leuchtkraft erschienen, je näher sie an ihn herankamen. Erst als sie und Stella, den Eiskaiser und seine Begleiter aus deren Notlage erretteten, erfuhr Fiona die Wahrheit über ihre wundersame Verbundenheit mit dem Herrscher der Eiswelten auf der Erde.


Hüter des Klimas

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