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Von Liebe und Erlösung

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Ein leichter Luftzug, begleitet von hellem Sonnenlicht wehte durch die offene Hüttentür. Ich setzte mich stöhnend auf meiner Pritsche auf. Mein Kopf dröhnte dumpf und ich steckte in Rock und Mieder, deren Schnürung mir in die Rippen schnitt. Ruckartig kontrollierte ich, ob ich noch Lenchen war, denn ich war mir sicher, dass ich nun die Tarnung aufrecht halten musste, solange Veith außer Gefecht gesetzt war.

Veith! Ich wandte mich zu seinem Bett um und sah ihn aufrecht an die Wand gelehnt sitzen. Sein Oberkörper war frisch bandagiert und in den Händen hielt er eine mit Suppe oder Eintopf gefüllte Schüssel.

„Irmer, du wirst Simons Grenze absichern. Nimm dir vier der Männer mit.“

Erst jetzt sah ich, dass einige Räuber am Fußende seines Lagers aufgereiht standen und sich an mir nicht störten.

„Henner und Jannis, ihr erstattet Fürst Ansphal Bericht. Bisher haben wir kein blondes Frauenzimmer ausfindig machen können. Und unterrichte sie, dass wir nach einem rothaarigen Jüngling in feinen Gewändern suchen. Schlagt ihnen einen Tauschhandel vor, im Fall, dass wir die beiden Gesuchten jeweils im anderen Gebiet ausfindig machen sollten.“ Er schmiss bereits wieder mit Befehlen um sich. Und er hatte Vitus nicht vergessen. Es wäre auch zu schön gewesen.

Helge machte sich daran, mir aufzuhelfen, nachdem er sich die dicke Beule oberhalb meines rechten Ohrs angesehen hatte. Genervt wehrte ich ihn ab.

Mir war Veiths fremdes Gesicht wieder eingefallen, das ich vor meinem Sturz in der Nacht erblickt hatte. Während die Männer die Hütte verließen, offensichtlich beruhigt bezüglich ihres gesundenden Anführers, umrundete ich unsicheren Schrittes das Bett.

„Was starrst du denn so“, fauchte Veith sogleich.

„Hast du einen Geist gesehen?“

Er sah mich direkt aus seinem einen Auge an und war hässlich wie immer.

„Also Veith, was soll denn das? Das Mädchen hat dich die ganze Zeit gepflegt und für dich gebetet. Offensichtlich hat es ja auch was gebracht“, schimpfte Helge von der anderen Seite des Raumes aus und rührte in seinem Kessel.

Gebetet? Wie viel hatte der Alte mitbekommen? Misstrauisch beäugte ich ihn, erntete aber nur ein wohlwollendes Grinsen, bis Luise um Helges Beine strich.

„Verdammtes Vieh, hau ab!“, fluchte er und schubste sie mit dem Fuß zur Tür. „Willst ja nur die Suppe ausschlecken.“ Und damit schnappte er die Katze und schloss die Tür hinter sich. Sogleich war das Licht sehr viel gedämpfter als zuvor und Veiths Züge lagen im Schatten.

Wortlos fühlte ich Veiths Stirn, die kühl, aber trocken war und löste seine Verbände.

„Die hat Helge schon gewechselt“, murrte er, wehrte sich jedoch nicht.

Vor einigen Jahren hatte sich Wilm einmal bei der Arbeit verletzt. Beim Kürzen eines Brettes war die Säge abgerutscht und ihm in den rechten Oberschenkel gefahren. Meine Tante Alke hatte die Blutung gestillt und die Wunde täglich ausgewaschen und verbunden. Ich selbst hatte vorgetäuscht, Blut nicht sehen zu können und die Zartbesaitete gespielt. Meine Lieblingsrolle.

Niemand hatte mich dafür gerügt, immerhin war meine Hilfe nicht notwendig gewesen. In Wirklichkeit hatte mich der Gedanke angeekelt, das zerfetzte Fleisch zu berühren. Und nun glitten meine Hände fachmännisch über die gut gesetzten Nähte und die leicht geröteten Wundverschlüsse. Ein unbekannter Instinkt sagte mir, dass die Wunde gut aussah, etwa so, als sei Veith vor einer Woche verletzt worden und nicht vor 38 Stunden. Ich war ein wenig überrascht und enttäuscht, dass er durch meine Energie nicht völlig geheilt war und das sagte ich ihm auch.

„Ich habe so viel Energie in dich hineingepumpt, dass ich an eine sofortige Heilung geglaubt habe.“

Über Veiths Gesicht huschte eine Grimasse, die ich wohl als Lächeln deuten musste.

„Welche Verschwendung. Nein, Schätzchen, zum Wunderheiler wird hier niemand. Alle Verletzungen, die nicht tödlich sind, heilen schneller als in der Welt der Lebenden, jedoch nicht sofort.“

„Vermutlich in einem Sechstel der Zeit“, murmelte ich und sendete noch ein wenig Energie in ihn hinein, bevor er meine Hände wegschob und mir versicherte, das sei nun nicht mehr nötig.

„Wie kommst du darauf, dass nur ein Sechstel der Zeit notwendig ist?“, erkundigte er sich beiläufig und löffelte seine kalt gewordene Suppe.

„Der Vampir sagte mir, dass er zur Sommersonnenwende, wenn der Tag 16 Stunden unter den Lebenden andauert, vier Stunden im Forno – im Fegefeuer, wie er es nennt – verbringt. Das würde bedeuten, dass seit deiner Verletzung außerhalb des Ikenwaldes sechs Tage vergangen sind.“

„Warum interessiert dich das?“ Seine Stimme klang matt. „Du solltest dich nicht an die Welt außerhalb des Nebels klammern. Das ist Zeitverschwendung.“

Gehorsam nickte ich. Was brachte es, mit ihm zu streiten?

„Heute Nacht“, flüsterte ich, „als ich versuchte, dir Kraft zu spenden und dich zu heilen, da dachte ich …“, ich schluckte, „da dachte ich, ich hätte auch deine alten Narben geheilt. Ich dachte, ich hätte dich wieder schön gemacht.“

Ein hartes Lachen schüttelte Veith Leib, das hustend verebbte, als seine Wunde zu schmerzen begann.

„Du hattest eine Menge Kraft verloren und warst halb im Delirium. Vielleicht war es ja Wunschdenken?“ Er hob eine Augenbraue. „Du wirst dich doch nicht in mich verliebt haben?“

Er gackerte fast.

Wieder einmal hatte er mich wütend gemacht. „Du hast mein Haar gestreichelt!“

„Dem Wahnsinn anheimgefallen“, spottete er. „Du bist meine Gefährtin und deine Erziehung erwartet von dir, dich deinem Mann unterzuordnen und ihm gefällig zu sein. Da ist es nicht verwunderlich, wenn du dir die Realität ein wenig Schönreden willst.“

Er umfasste mein Kinn und bohrte den Daumen in meine Haut um mich zu zwingen, ihn anzusehen. Sein Blick war kalt und abstoßend.

„Wir existieren im Subburgatorium. Wir sind dazu bestimmt, zu leiden bis zum letzten Tag. Es gibt weder Liebe, Erlösung, noch das himmlische Paradies.“

Er ließ mich los und drehte sich von mir weg.

Betäubt starrte ich auf seinen vernarbten Rücken und all die Bilder meiner schlimmsten Alpträume schwirrten durch meinen Kopf. Fratzen mit aufgerissenen Mäulern und flehend zum Himmel erhobenen Händen. Ich sah die gierigen Dämonen, die nach ihnen griffen, um sie zu verschlingen oder sie mit neunschwänzigen Katzen zu foltern und inmitten dieses Schauspiels thronend ein gleichmütiger Jesus, der von all dem Geschehen um sich herum nichts zu registrieren schien. Flankiert von hartgesichtigen Engeln, mit Schwertern und Lanzen bewaffnet, und bereit, jeden Eindringling oder Bittsteller von ihrem Himmelskönig fernzuhalten.

Gab es keine Gnade? Keine Barmherzigkeit, kein Mitleid für uns? Für die Verdammten? Zeichnete sich das Christentum nicht durch großzügige Vergebung aus?

Aber wieder einmal musste ich mir eingestehen, dass ich mich nur wenig um meinen Katechismus gekümmert hatte. Meistens hatte ich meine Ohren vor den lehrreichen Tiraden meiner Tante verschlossen, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, den Gedanken von Hiobs von Furunkeln und Geschwüren versehrten Körper aus meinem Kopf zu bekommen. Die Lehre des Gleichnisses zog ich nicht.

Leise schlich ich zu meinem Bett und rollte mich darauf zusammen, darauf gefasst, die ganze Nacht über Hiobs tote Familie sehen zu müssen, doch es kam noch schlimmer.




Der Wilde Jäger

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