Читать книгу Der Wilde Jäger - Vanessa S. Morolt - Страница 6

Geschichten aus einer anderen Zeit

Оглавление

Heller Kerzenschein erleuchtete den kleinen, holzvertäfelten Raum. Sie waren allein. Der Raum war vollkommen neu eingerichtet worden. Nichts erinnerte an seine Vorbesitzerin. Wilm hatte aus Eichenholz ein neues Bett gebaut, groß und massiv, aber nicht so prunkvoll mit Verzierungen geschmückt wie sein altes Ehelager. Dessen Rahmen hatte er in zwei Teile gesägt und daraus zwei einzelne Betten gefertigt, die er in dem neu angebauten Raum untergebracht hatte, in dem seine siebenjährige Tochter Theresia, liebevoll Tesi genannt, schlief. Auch Magdalenas Brauttruhe schenkte er ihr und stellte sie in ihre Kammer. Den überdimensionalen Kleiderschrank erhielt ein junges Ehepaar im Dorf. Annamaria hatte ihm mehrfach versichert, dass es ihr nichts ausmachen würde, den Schrank zu sehen und zu benutzen, aber Wilm hatte den Kopf geschüttelt.

Ich liebe Magdalena, aber ich liebe jetzt auch dich und will mit dir und Tesi ein neues Leben beginnen, frei vom Schatten einer toten Frau.“

Annamaria nickte leicht und wandte sich in dem Raum um. „Es gefällt mir. Dort an der Wand würde ich gerne einen Erntekranz aufhängen …“

Sie blickte zu ihm.

Lächelnd zog er sie an sich. „Alles, was du willst. Vorhänge, Tischtücher, ich erfülle dir jeden Wunsch.“

Er küsste sie fest und brauchte sich kaum vorbeugen, weil ihr Scheitel ihm bis zur Nasenspitze reichte.

Annamaria erwiderte seinen Kuss. Danach schob sie ihn ein Stück weg. „Das führen wir erst gar nicht ein. Ich bin keine Prinzessin, die von vorne bis hinten bedient werden muss.“

Wirst du nicht gerne verwöhnt?“, wunderte Wilm sich.

Doch“, lachte Annamaria, „von Zeit zu Zeit. Jetzt würde ich gern verwöhnt werden!“ Und in diesem Moment leuchtete ihr Gesicht so sehr vor Glück, dass sie so jung und hübsch aussah wie ein Backfisch.




„Diese Alpträume sind die wahre Folter“, beschwerte ich mich und zog die Füße aus der kühlen Timella.

Währenddessen schulterte Agatha ihre vollen Wasserkrüge.

„Da muss ich dir zustimmen. Am Anfang habe ich immer nur von meinen geliebten Mann Arno und meinen Kindern geträumt, wie sie um mich weinten und trauerten. Ich träumte von Arnos Tod auf dem Schlachtfeld nur wenige Jahre, nachdem ich selbst gestorben war und wie meine Kinder unter den Baronen der Gegend als Pagen und Mündel verteilt wurden. Meine kleine Susanna war erst elf und wurde einem widerlichen Mann vermählt, der ihr Großvater hätte sein können und der sie sehr schlecht behandelte.“

Die schöne Blondine wischte sich eine Träne von der Wange, lächelte jedoch.

„Aber nachdem er starb, träumte ich nicht mehr von ihr und ich hoffe, dass das bedeutet, dass es ihr danach gutging.“

Unvermittelt sprang ich auf und nahm ihr einen Krug ab. „Soll das bedeuten, wir träumen von dem wirklichen Leben der Lebenden?“

„Zum Teil. Ich träume aber auch davon, wie Ansphal die Menschen im Ikenwald quält. Was er mit den Frauen macht, die er fängt, während er nach mir sucht.“ Agatha verstummte. „Ich habe auch gesehen, was er dir angetan hat. – Manchmal denke ich, ich sollte mich ihm einfach stellen, damit der Spuk ein Ende hat.“

„Agatha“, begütigend legte ich meine Hand auf ihren Unterarm, „dieser Mann wird niemals aufhören, andere zu quälen. Und sieh, mir ist doch nichts geschehen.“ Ich lächelte.

„Aber warum nicht?“

Stirnrunzelnd dachte ich nach.

„Du weißt nicht, was geschah, nachdem er mich angefasst hat?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich sah nur, dass er dich … anfasste …“

Ein Ausdruck wie ‚begrapschen‘ wäre ihr nie über die Lippen gekommen.

„… und dann endete der Traum.“

Das glimpfliche Ende hatte sie also nicht gesehen und auch nur die unglücklichen Momente im Leben ihrer Familie. Glück zu sehen, blieb uns anscheinend verwehrt. Aber ich hatte heute Nacht doch einen glücklichen Wilm und eine überglückliche Annamaria in ihrer Hochzeitsnacht gesehen. Und noch jetzt brachte mich der Gedanke daran dazu, mit den Zähnen zu knirschen und mir zu wünschen, meine ehemals beste Freundin zu erwürgen. Sie hatte mir alles genommen, was ich geliebt hatte!

„Agatha, mir ist nichts geschehen. Veith kam und rettete mich. Es ging alles gut.“

Schweigend wanderten wir den Weg zu ihrer Höhle zurück. Immer wieder hatte ich mich in den letzten Tagen zu ihr geschlichen, um ein Stündchen oder zwei mit ihr zu verbringen, wenn die Männer unterwegs waren und niemand meine Abwesenheit bemerkte. Da sich meine Fähigkeiten mehr und mehr verstärkten und verbesserten, konnte ich das Putzen und Wäschewaschen in wenigen Minuten erledigen. Nur das Kochen machte ich auf altbewährte Art, damit weder Veith noch einer der anderen Männer auf meine Zauberkünste aufmerksam wurde. Und auch die Illusion hatte ihre Grenzen. Veith war wieder vollkommen genesen, doch seine Heilung hatte acht volle Tage in Anspruch genommen und diesen Zeitraum hatten weder ich, noch er selbst verkürzen können. Irgendwie gelang es Agatha auch nicht, Wasser innerhalb der Höhlen in ihre Krüge zu zaubern und ich hatte festgestellt, dass sie in vierhundert Jahren der Einsamkeit ihre Künste wundersam perfektioniert hatte.

Es war ihr möglich, ihre Gedanken und Erinnerungen, die sie mir schilderte, bildlich an die Höhlenwände zu werfen.

An einem Nachmittag hatten wir nebeneinander auf dem Boden gesessen und sie hatte mir Stickmuster gezeigt, die zu ihren Lebzeiten in Mode gewesen waren und die ich nicht kannte, aber sogleich begeistert ausprobierte. Agatha war eine gute Stickerin, doch so elegant und fein wie meine Stiche sahen ihre nicht aus.

So bestickten wir gemeinsam ein weinrotes Tischtuch mit Blättern und Ranken und Agatha erzählte von ihrem Leben als Gattin des Fürsten von Ansphal.

Ich sah eine Illusion des aufgedunsenen Fürsten an den Wänden. Wie er arrogant und hochtrabend über einen Festplatz schritt und die Stufen zu einer Tribüne hochstampfte, um auf einem gepolsterten Sessel gleich neben seiner Gemahlin, der schönen Fürstin Agatha, Platz zu nehmen. Agatha trug ein himmelblaues Seidenkleid und einen durchsichtigen Schleier auf dem Haar, der von einem goldenen Reif gehalten wurde. Sie war überirdisch schön und tottraurig. Auf der Tribüne warteten die Adligen auf den Beginn des Pfingstturniers und die Wiese bevölkerten die Bürger und Bauern in freudiger Erwartung auf das Spektakel.

Die Ritter kamen auf den Platz geritten und stellten sich nacheinander dem Fürstenpaar vor. Einer von ihnen hielt den Helm unter dem Arm und sein dunkelrotes Haar zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Er war jung und hatte ein interessantes Gesicht, mit lebhaften hellen Augen und unzähligen Sommersprossen auf den Wangen und der Stirn.

Als die Blicke der jungen Fürstin und die des Ritters einander trafen, spürte ich regelrecht, wie der Funke übersprang und sie sich auf den ersten Blick ineinander verliebten.

Der Ritter war Arno, ein jüngerer Sohn des Barons von Blausee, der niemals zu Reichtum kommen würde, es sei denn, er könnte eine reiche Erbin heiraten.

„Ich war vom ersten Moment Feuer und Flamme für ihn. In den Turnieren konnte ich seine Minnedame sein, aber ich wollte mehr. Ich wollte Arno voll und ganz.“

In Agathas Stimme schwang eine Leidenschaft, die ich ihr niemals zugetraut hätte. „Doch Arno war ein Ehrenmann, der sich an die Tugenden der Ritterschaft hielt. Obwohl auch er in Liebe zu mir entbrannt war, hätte er mich niemals berührt. Abgesehen davon hätte Wilfried uns beiden von der Kehle bis zum Rumpf aufgeschlitzt, wenn wir auch nur einen Kuss getauscht hätten.“

„Wie konnte Arno dann dein Gemahl werden? Du warst doch Ansphals Gattin …“, unterbrach ich sie gespannt.

Einen Moment herrschte Stille, bevor Agatha mich mit hartem Blick ansah: „Ich ermordete meinen Mann und der Weg war für uns frei.“




‚Natürlich‘, dachte ich eine Stunde später betäubt, als ich mich durch die Hecken oberhalb des Hanges kämpfte. ‚Niemand kommt unschuldig in den Ikenwald.‘

Ich hatte mir nur keine Gedanken darum gemacht, weshalb Agatha in die Verdammnis gekommen sein könnte. Sie wirkte so süß und unschuldig. Sie war elegant und freundlich und hatte mich nach Überwindung ihrer Ängste mit offenen Armen aufgenommen.

Sie war eine Mörderin. Sie hatte ihren alten, hässlichen und bösartigen Gatten kaltblütig ermordet, um einen schönen, mittellosen Ritter heiraten zu können. Diesem hatte Agatha niemals gestanden, dass sie den Tod ihres ersten Mannes verursacht hatte. Viel mehr hatte ich nicht erfahren. Ich war auch zu verwirrt und verstört über ihr Geständnis gewesen und hatte mich ziemlich bald von ihr verabschiedet.

Die Enttäuschung darüber, in der neugefundenen Freundin erneut eine weitere Verbrecherin des Ikenwaldes zu finden, hatte mich überwältigt.

Plötzlich drang ein Pfiff in mein Bewusstsein ein und dann ein zweiter. Ich blieb stehen und blickte mich um. Hinter einem Holunderbusch gewahrte ich ein gelbes Wams und eine helle Hand winkte mich zu sich.

„Vitus?“ Ich machte ein paar Schritte in seine Richtung. „Vitus!“

„Psst!“ Er legte den Finger an die Lippen.

„Ansphals Männer waren vor einer Weile an den Grenzen zum Südwald.“

Er griff nach meiner Hand und zog mich zum Dunst.

„Was hast du denn vor?“, flüsterte ich.

„Wir gehen zu den Lebenden. Hier ist es zurzeit zu unsicher für mich. Überall sind die Späher des Räuberhauptmanns auf der Suche nach mir und sogar Ansphals Männer scheint er eingespannt zu haben.“

„Das stimmt. Veith soll nach Ansphals Frau suchen und der Fürst nach dir.“

Ich konnte nicht weitersprechen, denn der Nebel schwappte über mich und drückte mich von allen Seiten zusammen als tauchte ich unter Wasser. Vitus dagegen war ruhig und führte mich ein Stück. Er blieb stehen und streckte meine Arme aus. Hinter mir stehend flüsterte er in mein rechtes Ohr:

„Stell dir vor, du besäßest ein Band, das in der Nacht leuchtet. Und nun spannst du dieses Band an einen Baum am Eingang des Nebels und führst es mit dir bis zum Ende der Nebelwand und dort spannst du es an einen Baum in der Welt der Lebenden.“

Er legte seine Finger an meine Wangen und drehte meinen Kopf ein wenig.

„Da sieh, das ist das Band, das ich gespannt habe.“

Durch den Nebel schien sich ein glühender blauer Faden zu winden, dem wir langsam folgten.

„Das ist der Faden der Ariadne.“

In Vitus‘ Stimme schwang ein Lachen. Sehen konnte ich ihn nicht.

„Was für ein Faden?“, fragte ich.

„Ähem …“, er räusperte sich, „sagen wir, das sind die Brotkrumen von Hänsel und Gretel.“

„Sind die nicht von den Vögeln aufgepickt worden und daraufhin haben sich die Kinder total verirrt?“

Verwirrt folgte ich dem Band.

Erneut ertönte Vitus‘ tiefes Lachen hinter mir.

„Bleiben wir also besser bei Ariadne. Sie war eine Königstochter, deren Liebster durch ein Labyrinth finden musste, um eine gefährliche Bestie zu besiegen und Ariadne gab ihm einen Knäuel goldener Wolle mit, das ihr Held am Eingang des Irrgartens befestigte und auf seinem Weg abrollte. Als er die Bestie überwunden hatte, folgte er dem abgerollten Goldfaden und fand seinen Weg zurück aus dem Labyrinth zu seiner Liebsten.“

Dieses Märchen über einen edlen Ritter und seine Prinzessin führte meine Gedanken erneut zu Agatha und ihrem Arno. Bestimmt verdrängte ich die beiden. Jetzt war es wichtig, mich auf den Weg in die Außenwelt zu konzentrieren.


Der Wilde Jäger

Подняться наверх