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Griechisch WEISS DER MYTHOS DER WEISSEN STADT

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Das Weiße Haus, entworfen von James Hoban, 1792–80

Für die Malerarbeiten am Weißen Haus benötigte man im Jahr 1800 zwei Tonnen Bleiweiß für das innere Holzwerk und 100 Tonnen Kalkweiß für das äußere Mauerwerk. Heute wird der Amts- und Wohnsitz des US Präsidenten jedes Jahr mit etwa 2160 Litern strahlend weißer Farbe aufgefrischt.

Als die Gründerväter der neu entstandenen Vereinigten Staaten von Amerika mit dem französisch-amerikanischen Architekten Pierre Charles L’Enfant 1791 ihre neue Hauptstadt planten, entschieden sie, dass diese einer antiken Stadt ähneln sollte. Sie wollten ihr Land als eine Demokratie gestalten, welche ihren Ursprung in Griechenland hatte, und einige ihrer Politiker sollten in Anknüpfung an die römische Tradition als „Senatoren“ bezeichnet werden. So sollte auch die neue Hauptstadt – nach dem Vorbild der griechischen und römischen Städte der Antike – gitterförmig angelegt werden. Das Kongressgebäude als Ort der Gesetzgebung sowie der Amts- und Wohnsitz des Präsidenten als des höchsten Repräsentanten sollten mit Säulen, Kapitellen, Sockeln und Marmorstatuen ausgestattet werden, gerade so wie die Akropolis in Athen und das Pantheon in Rom. Und natürlich sollten diese Gebäude wie ihre antiken Vorbilder vollständig in Weiß gehalten sein. Die meisten wichtigen Bauten im antiken Griechenland und Rom waren allerdings gar nicht weiß. Heute wissen wir, dass fast alle von ihnen einst bunt geschmückt waren, manche sogar mit reinem Blattgold. Aber das passte nicht zu dem, was die Menschen in späteren Jahrhunderten sehen wollten. Sie hielten Farben für frivol und prahlerisch und stellten sich lieber eine idealisierte klassische Welt in makellosem Weiß vor.


Phidias zeigt seinen Freunden den Fries im Parthenon von Sir Lawrence Alma-Tadema, 1868–69 Im Jahr 1868 stellte sich der niederländisch-britische Maler Sir Lawrence Alma-Tadema vor, wie es gewesen sein mag, als die Marmorschnitzereien an der Spitze des Parthenon-Tempels in Athen vor 2500 Jahren erstmals dem Publikum gezeigt wurden. Alma-Tademas Farbwahl war absichtlich provokativ; denn zu seiner Zeit hielt man den Fries mit seinen Figuren für das Musterbeispiel einer klassischen weißen Skulptur.

Seit man im 15. Jahrhundert begonnen hatte, die antiken Marmorschätze in Griechenland und Italien auszugraben, kratzten die Händler die Stücke mit Skalpellen ab (oder, was noch schlimmer war, reinigten sie in einem Säurebad), um jede Spur von Farbe zu entfernen und den reinen, weißen Marmor darunter freizulegen. Und wenn wohlhabende Mäzene in der Renaissance und in späteren Zeiten neue Skulpturen in einem Stil in Auftrag gaben, den sie für den „klassischen“ hielten, wollten sie darauf keinerlei Farben sehen. „Bildhauer … brauchen sich nicht um Farben zu kümmern“, verkündete der große Leonardo da Vinci am Ende des 15. Jahrhunderts. Und für eine ganze Weile blieb dies auch so.

Doch dann, im 19. Jahrhundert, entwickelte sich die Wissenschaft der Archäologie. Und die Archäologen nahmen es sehr genau mit den Dingen, die sie im Boden fanden – wie man sie bewahrt und wie alles darüber detailliert und präzise aufzuzeichnen ist. Nachdem sie angefangen hatten, Regeln festzulegen – wie zum Beispiel die, dass keine Farben mehr abzukratzen oder keine Gegenstände in Säure zu tauchen sind –, fanden sie immer mehr Spuren vieler farbiger Pigmente (sie sprachen daher von „Polychromie“ oder Vielfarbigkeit). Sie mussten sich jedoch beeilen: Denn sobald diese wenigen Farbreste, die jahrhundertelang unter der Erde gelegen hatten, mit Luft und Licht in Kontakt kamen, begannen sie – wie die Höhlenmalereien von Lascaux – zu schwinden.


Statuette von Apollo, des griechischen Gottes der Musik, um 300 v. Chr.

Dieser neue Beweis für eine bunte antike Welt regte die Fantasie der Menschen an. In den 1880er Jahren strömten die Besucher zu Ausstellungen, um Gipsabgüsse antiker Statuen zu bestaunen, die in den vermeintlichen Originalfarben bemalt worden waren. Dennoch ließ sich nicht jeder überzeugen. „Ich spüre hier drinnen, dass sie niemals bemalt waren“, beharrte der französische Bildhauer Auguste Rodin, indem er mit der Faust gegen seine Brust klopfte.

Zahlreiche Experten hielten an der Idee fest, dass die antiken Skulpturen nur teilweise bemalt waren. Sie bemerkten, dass die Hände und Gesichter der griechischen Statuen gewöhnlich stark poliert waren, wohingegen die Spuren von roten oder gelben Pigmenten (die nach 2000 Jahren noch am besten sichtbar sind) meistens an der Kleidung und am Haar zu finden waren. So nahm man noch bis in die jüngste Zeit an, dass die unbedeckten Körperbereiche der Marmorstatuen unbemalt gewesen sein könnten, während die Kleidung und das Haar farbig waren.

Nachdem 2006 allerdings die Aufnahmetechnik zur Identifizierung von Ägyptischblau erfunden wurde, waren die Konservatoren in der Lage, dieses antike blaue Farbpigment allein mithilfe einer Kamera und eines Infrarotfilters aufzuspüren. Und es ist erstaunlicherweise überall zu finden. Man entdeckte Spuren von Blau auf Schwertern, auf Satteldecken und in den Augen. Man fand es am Rücken der Skulpturen, wohin niemand jemals schauen würde. Und die Wissenschaftler waren fasziniert, als sie feststellten, dass es sich auch auf vielen hautfarbenen Bereichen der Statuen, wie Gesichtern und Händen, befand.


Kopf des Hades, Herrscher der Unterwelt, Sizilien, um 400–300 v. Chr.


Cheerleader (1988) und Surfer (1987) von Duane Hanson Als der US-amerikanische Künstler Duane Hanson in den 1960er Jahren begann, seine lebensgroßen Figuren farbig zu gestalten, stellte er fest, dass sich diese Arbeit erheblich vom Malen auf der Leinwand unterschied. So musste er Licht und Schatten an speziellen Stellen wie den Augen stark überzeichnen. Er experimentierte mit unterschiedlichen Materialien, darunter auch mit Buntstiften, um Unregelmäßigkeiten in der Haut darzustellen, und verwendete Nagellack über Ölfarbe für die Fingernägel. Als Joseph Nollekens dagegen seine Venusfigur aus Marmor schuf (nächste Abbildung), verspürte er keinerlei Bedürfnis nach Farbe. Und was gefällt Ihnen besser?

Eine neue Erklärung, warum die Hautbereiche so stark poliert waren, lautet nun, dass das Polieren nicht die Bemalung ersetzte, sondern zu ihrer Vorbereitung gehörte. Die Künstler hatten die Oberfläche des Steins vielleicht erst poliert und dann mit einer Mischung aus roter, weißer, gelber, schwarzer und blauer Farbe schichtweise bemalt, bis sie einen realistischen Hautton erzielten. „Wenn dann Licht auf die Skulptur fiel, entstand durch den polierten Marmor eine Art Transluzenz, die durch die bemalte Fläche reflektierte und das Licht streute“, vermutet der Kurator für Antiquitäten des Getty-Museums, Kenneth Lapatin. „Dies verlieh den Statuen Leben und ließ sie von innen her leuchten.“

Diese Entdeckungen bedeuten jedoch nicht, dass alle Statuen vollständig bemalt waren. Sie tragen aber dazu bei, unser Verständnis der Antike zu erweitern. Es ist vorstellbar, dass manche Skulpturen vollkommen bemalt waren und aussehen sollten wie echte Menschen, andere dagegen nicht. Und nach über 2000 Jahren beginnen wir erst jetzt, die antike Welt mit ihren Farben zu verstehen.


Venus von Joseph Nollekens, 1773, und Apollo krönt sich selbst von Antonio Canova, 1781–82

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