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ROTER Ocker HEILIG UND GEFÄHRLICH IN AUSTRALIEN

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Die Tiwi-Inseln vor der Nordspitze Australiens werden von nur wenigen Tausend Aborigines bewohnt. Lange glaubten die Tiwi-Insulaner, dass sie die einzigen Menschen auf der ganzen Welt seien, und auch der Name tiwi bedeutet in ihrer Sprache „wir, die einzigen Menschen“.

Im Laufe der Zeit fanden die Tiwi-Insulaner eine Möglichkeit, die Heirat zwischen engen Verwandten zu vermeiden: und zwar mithilfe von Farben. Bereits als kleine Kinder erfahren sie, welche Farbe sie „haben“. Manche sind rot und repräsentieren die Sonne; andere sind schwarz und repräsentieren den Stein; wieder andere sind weiß wie der Pandanus-Busch; der Rest ist gelb und repräsentiert die Meeräsche. „Rote“ dürfen weder „Rote“ noch „Schwarze“ heiraten, sondern nur „Gelbe“ oder „Weiße“.

Die Insulaner verwenden diese vier Farben für viele Dinge, zum Beispiel bei der Herstellung ihrer erstaunlich bemalten Begräbnis-Pfähle, der pukumani, was soviel bedeutet wie „tabu“ oder „gefährlich“. Früher war es Außenstehenden gewöhnlich nicht erlaubt, die Pfähle an den Begräbnisstätten zu sehen. Aber als der erste Tiwi-Fremdenführer in den 1990er Jahren starb, beschloss seine Familie, den Besuchern die für sein Begräbnis angefertigten Pfähle zu zeigen, auf denen seine Lebensgeschichte in einem speziellen Code aufgezeichnet war. Der Mann war ein Roter, so waren die Pfähle vorwiegend in rotem Ocker gehalten, mit Punkten und Strichen, die für die in seinem Leben wichtigen Menschen und Orte standen. Auf einem Pfahl waren oben ringsherum große gelbe Ovale aufgemalt. „Was stellen sie dar?“, fragte ein Besucher mit gedämpfter Stimme. „Ach, die stehen für den Australian Football. Er liebte es, Football zu spielen.“


Pukumani-Pfahl, Australien, 2011

Alle Farben der Tiwi stammten von den Inseln. Auf dem Festland mussten die Aborigines dagegen manchmal lange Strecken zurücklegen, um an die besten Farben zu gelangen. Gewöhnlicher roter Ocker ist in Australien vielerorts zu finden. Wenn man aus dem Flugzeug schaut, erscheint der ganze Kontinent rot gefärbt, und in jedem Flussbett gibt es Steine, die, zu Pulver zermahlen, für Farben genutzt werden können. Die Fundstellen von heiligem rotem Ocker waren jedoch rar und es lohnte sich, dafür weite Reisen zu unternehmen.


Trockenes Flussbett mit Ocker – ein „natürlicher Malkasten“, Jumped Up Creek, Beswick, Australien, 2000

Ein Fundort des heiligen Ockers war Wilgie Mia in den Weld-Bergen in Westaustralien, ein anderer die Bookatoo-Mine in Parachilna in Südaustralien. Mindestens bis in die 1880er Jahre gab es Berichte darüber, dass sich alljährlich 70 oder 80 junge Männer aus dem Diyari-Stamm in der Nähe des Lake Howitt zu einer Pilgerreise in den Süden nach Parachilna aufmachten, um die rote Farbe zu sammeln. Es dauerte etwa zwei Monate, bis sie die insgesamt 1 600 Kilometer Hin- und Rückweg zurückgelegt hatten. Sie handelten mit Bumerangs, Äxten und einem Buschtabak namens Pituri, und nachdem sie mit ihren Possumhaut-Beuteln voller Ocker heimgekehrt waren, verwendeten die Männer des Stammes die Farbe, um ihre Körper für heilige Rituale zu bemalen.

Man hielt dieses Rot für so gefährlich, dass es nur bestimmte Männer, niemals aber Frauen sehen durften. Manchmal wurden Menschen auch getötet, weil sie es unerlaubt angesehen hatten. Der Grund, warum gerade diese Farbe so besonders war, ist noch immer ein Stammesgeheimnis. Vielleicht war sie es, weil Rot das Blut und den Tod symbolisiert; einige Anthropologen glauben allerdings, dass diese Farbe deshalb als gefährlich gilt, weil sie glänzt. Bis zur Ankunft der Europäer im 17. und 18. Jahrhundert hatte die indigene Bevölkerung Australiens weder Metall noch Glas gesehen. Und die einzigen schimmernden Dinge, die sie kannte, waren Schweiß und Blut, Wasser in einem Tümpel nach dem Regen oder Luftspiegelungen in der heißen Wüste. In einer solchen Kultur wurde dem Glanz der roten Farbe möglicherweise eine ungewöhnliche Kraft zugemessen – vielleicht die Kraft, ein Fenster in die Welt der Vorfahren zu öffnen.

Wissenswertes über Rot

In der Sprache der Komantschen wird ein und dasselbe Wort – ekapi – für „Farbe“, „Kreis“ und „rot“ verwendet.

Rot steht in China für Glück. Bräute tragen bei der Hochzeit Rot. Häuser, in denen das Glück wohnt, haben rote Dächer.

2008 wurden in einer Studie der Samford University in Alabama die Muskelkraft und der Händedruck von 18 jungen Männern untersucht. Ihre Stärke wurde unter rotem, blauem und normalem weißen Licht verglichen. Die Forscher fanden heraus, dass die Männer bei rotem Licht größere Kräfte entwickelten und stärker waren.

Die Aborigines in Australien, deren Maltradition über 40.000 Jahre alt ist, waren jedoch nicht die Ersten, die diese Farbe benutzten. In Afrika kannten die Menschen den roten Ocker schon Jahrtausende früher, lange bevor die Menschen in Europa mit ihren Tierhaarpinseln zu malen begannen. Im Jahr 2008 fanden Archäologen in der südafrikanischen Blombos-Höhle die älteste bisher entdeckte Malausrüstung. Sie umfasst Abalone-Schalen, die als Farbnäpfe verwendet wurden und in denen sich noch Reste von rotem und gelbem Ocker befanden, sowie Steinwerkzeuge zum Zermahlen des Pigments und Knochenstücke, die zum Anrühren der Farbe gedient haben könnten. Außerdem entdeckten sie zwei ziegelartige Blöcke aus rotem Ocker, die mit diamantförmigen Gravuren versehen waren. Bei ihnen könnte es sich um die ältesten Kunstwerke der Welt handeln, wenngleich der Ocker – merkwürdigerweise – nicht als Farbe gebraucht wurde, sondern das Kunstwerk selbst war.


Süßwasserschildkröte und Warzenschlange von Tony Djikululu, um 1965

Die gesamte Malausstattung war vor 80.000 Jahren im Sand vergraben worden. „All diese Artefakte wurden zusammen gefunden“, erklärte ein BBC-Reporter im Jahr 2011, „fast so, als ob sie jemand weggelegt hätte, um sie später wieder hervorzuholen.“ Doch das hat niemand mehr getan.


Natürliche Pigmente wie Ocker spielen bei einigen traditionellen Malweisen der Aborigines weiterhin eine große Rolle.

Roter Ocker und sterbende Sterne

Das meistverbreitete rote Farbpigment der Erde ist roter Ocker, auch Rötel oder Roteisenerde genannt. Scheunen in Skandinavien sind damit getüncht; Straßen werden manchmal damit beschichtet; rote Ziegel erhalten ihre Farbe von ihrem Eisengehalt. Warum aber kommt roter Ocker so häufig vor, dass er zu den billigsten Farben der Welt gehört? Die Antwort finden wir in den Sternen und in der Kernfusion. Also aufgepasst: Hier kommt eine ziemlich atomare Erklärung.

Wasserstoff ist das leichteste Element, das gewöhnlich nur ein Proton und keine Neutronen besitzt (Atommasse: 1). Und so wird ein Stern geboren – nämlich als eine riesige Wasserstoffkugel. Dann beginnt der Druck der Schwerkraft im Zentrum des Sterns, die Wasserstoffatome zusammenzudrücken. Sie fangen an, mit einer solchen Kraft zusammenzustoßen, dass sie verschmelzen und sich in Helium (das zweitleichteste Element, mit einer Atommasse von 4) verwandeln. Dieser Vorgang, der als Kernfusion bezeichnet wird, findet auch in der Sonne statt, bei der es sich um einen relativ jungen Stern handelt.

Nach mehreren Milliarden Jahren ist nur noch wenig Wasserstoff übrig. Die Energie der Kernfusion lässt etwas nach, und der Stern kühlt langsam ab und schrumpft. Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Der gewaltige Druck dieses Abkühlungs- und Schrumpfprozesses presst die gesamte Materie im Inneren des Sterns zusammen und die kleineren Atome verschmelzen zu größeren und schwereren. Durch die Kompression steigt wiederum die Temperatur an, bis sie so hoch ist, dass eine neue nukleare Reaktion mit dem Helium erfolgen kann. Diese Reaktion ist jedoch etwas schwächer, da Helium weniger leicht verschmilzt. Wenn die Energie das nächste Mal nachlässt, wiederholt sich dieser Vorgang, und die Elemente werden noch schwerer. Und so geht es immer weiter, bis der Knackpunkt – nämlich eine Atommasse von 56 – erreicht ist.


Darstellung der Sonne und der Mondphasen aus: Über die Natur der Vögel, Frankreich oder Flandern, um 1275–1300

Denn nun kollabiert der Stern und explodiert als eine Supernova, gefüllt mit zahlreichen Elementen, aber auch mit großen Mengen der schweren Materie, deren Erzeugung zur finalen Explosion geführt hat. Der Prozess ist damit allerdings noch immer nicht beendet. Ein solcher Kollaps ist ein ziemlich dramatisches Ereignis: Der Druck steigt erneut an und löst eine weitere Welle von Kernreaktionen aus, durch die all die schwereren Elemente entstehen und im Universum verstreut werden, die uns so vertraut sind – darunter Kupfer, Arsen, Gold, Silber und Zink. Sie verbinden sich miteinander und bilden (aufgrund der Schwerkraft) manchmal sogar Planeten. Diese Reaktionen produzieren jedoch keine neue Kernfusionsenergie, sondern nur Materie.

Das Element mit der Atommasse von 56, das erzeugt wird, wenn ein Stern zur Supernova wird, ist – richtig vermutet – Eisen. Es ist das vierthäufigste Element in der Erdkruste. An dritter Stelle steht Aluminium und an zweiter Silizium. Das häufigste Element auf der Erde ist Sauerstoff. Roter Ocker enthält Eisen und Sauerstoff in Form von Eisenoxid (Fe2O3). So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass dieses besondere Rot das meistverbreitete Pigment darstellt – und zwar nicht nur auf der Erde, sondern im gesamten Universum.

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