Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 12

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„Erschrick nicht, wenn er hereinkommt!“, warnte June ihren Chef. „Er sieht aus wie die Karikatur eines alternden Cowboys. Stetson, Nietenstiefel, Schleifchen.“

Bount nickte mechanisch, ohne zu merken, wie verdrossen er an diesem Morgen aussah. Er hatte nur wenige Stunden geschlafen und wegen der leidenschaftlichen Blonden, die er in einer Bar aufgegabelt hatte, einen faden Geschmack im Mund. Er drehte das Kärtchen zwischen den Fingern hin und her, das June ihm überlassen hatte. Ronald M. Preston stand darauf. Mehr nicht. Weder die Adresse noch eine Berufsbezeichnung.

„Wirklich ein seltsamer Vogel“, fuhr June fort. „Wenn nicht die Augen wären, könnte er einem Angst machen.“

Bount legte das Kärtchen aus der Hand.

„Was ist mit den Augen?“, fragte er.

„Sie sind klar, intelligent, ein wenig grüblerisch - ein deutlicher Gegensatz zu seinem Faschingskostüm.“

„Schick ihn herein!“, bat Bount seufzend.

Der Mann, der gleich darauf sein Office betrat, war tatsächlich gekleidet wie ein Texaner, freilich wie einer, der die Moderichtung der Jahrhundertwende vertrat. Sein dunkler Gehrock stand offen. Darunter glänzten auf einer geblümten Weste blanke Messingknöpfe. Die Cowboystiefel knarrten, als der Mann mit wiegenden Schritten den Raum durchquerte. Er bewegte sich dabei nicht ohne Würde und ließ erkennen, dass er eine Person von einiger Bedeutung war.

Ronald M. Preston war schwergewichtig, hochgewachsen und nicht mehr jung, mindestens 60. Er atmete laut und hielt sich leicht gebückt wie einer, der unter seiner Körpergröße leidet. Den Stetson hielt er in der Rechten. Das stark gewellte, bis tief in den Nacken reichende Haar war graublond und schon etwas gelichtet. Er atmete laut und rasselnd, dennoch war etwas an ihm, das es verbot, ihn für krank, schwach oder gar hinfällig zu halten.

Mit einem Seufzer ließ er sich in den Besucherstuhl fallen. Aus hellen, blaugrauen und sehr klaren Augen starrte er Bount ins Gesicht. Es schien, als besäße Ronald M. Preston die Gabe, Gedanken zu lesen oder auf andere Weise zu erkennen, mit wem er es zu tun hatte.

„Was kann ich für Sie tun, Sir?“, fragte Bount höflich.

„Ich möchte, dass Sie etwas für mich finden. Das gehört doch zu Ihren Aufgaben als Privatdetektiv, nicht wahr?“

„Ja. Worum handelt es sich?“

Preston räusperte sich.

„Es ist eine sehr delikate Angelegenheit … und auch wieder nicht“, meinte er.

Bount kannte dieses Zögern von vielen Besuchern. Die meisten hatten Mühe, ihre Wünsche in Worte zu kleiden.

„Es geht um eine bestimmte Geldsumme, nehme ich an?“, fragte Bount.

„Damit hat es nichts zu tun.“

„Soll ich einen Menschen finden?“

„Nein. Ein Sitzmöbel.“

In Bounts Gesicht zuckte kein Muskel. Er war den Umgang mit seltsamen Klienten gewöhnt. Kürzlich war es ihm gelungen, eine kostbare Vase aus der Ming-Zeit wiederzubeschaffen. Ihr geschätzter Wert betrug einhundertfünfzigtausend Dollar.

„Etwa aus der Medici-Epoche oder so?“, fragte Bount vage.

„Nein, das gute Stück ist jüngeren Datums“, erwiderte Ronald M. Preston. „Es stammt aus dem Jahre 1899.“

„Können Sie sich nicht etwas präziser ausdrücken?“, fragte Bount ungeduldig.

„Ja, Sir. Ich möchte, dass Sie den elektrischen Stuhl aufspüren, der uns gestohlen wurde.“

Bount schluckte. Er griff nach einem offenen Päckchen PALL MALL, das in Reichweite auf dem Schreibtisch lag. Er hielt es dem Besucher entgegen. Der schüttelte den Kopf. Bount schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und knipste das Feuerzeug an.

„Wir?“, echote er. „Sie sprechen in der Mehrzahl.“

„Ich bin der Vertreter des Bundesstaates Louisiana. Wie Sie wissen, haben wir die Todesstrafe schon vor vielen Jahren abgeschafft. Der elektrische Stuhl wurde seinerzeit eingemottet und eingelagert. Ich bin der Verwalter des Magazins. Ich fühle mich deshalb verantwortlich für das mysteriöse Verschwinden des elektrischen Stuhls.“

„Ist er betriebsfähig?“

„Warum fragen Sie?“

„Es interessiert mich.“

Prestons blasse Lippen zuckten.

„Sie können ihn nicht wie einen x-beliebigen Heizofen an das Stromnetz anschließen. Er wird mit Starkstrom gefüttert ... aber falls es jemand darauf anlegen sollte, ihn in Betrieb zu setzen, steht er natürlich vor keinem unlösbaren Problem.“

Bount inhalierte tief. Er begann zu ahnen, was ihn erwartete.

„Sie glauben, jemand könnte das Ding gestohlen haben, um damit eine Exekution vorzunehmen?“

„Eine oder mehrere“, nickte Preston.

„Ich sehe keine rechte Logik in dieser Befürchtung“, meinte Bount. „Es gibt schließlich einfachere und effizientere Wege, einen Gegner auszuschalten.“

„Es ist keine Frage der Effizienz, fürchte ich“, meinte Preston. „Wer hassen kann und Rache sucht, ist darauf erpicht, seinen Gegner mit exakt den gleichen Waffen zu schlagen, die denjenigen trafen, den es zu rächen gilt. Mit anderen Worten: Könnte es nicht sein, dass der Angehörige eines Delinquenten, der auf dem Stuhl endete, mit eben diesem Stuhl seine Racheaktion in Szene zu setzen wünscht? Ich bin überzeugt davon, dass es Leute gibt, die so quer denken.“

„Kennen Sie welche?“

„Ja.“

„Ich nehme an, Sie haben behördlicherseits schon Nachforschungen angestellt?“

Preston winkte ab, mit grimmigem Gesichtsausdruck.

„Die sind nicht der Rede wert. Sie verstehen, dass wir das Ereignis nicht in die Schlagzeilen geraten lassen möchten. Wir leiden ohnehin schon unter dem Negativimage, Provinzler zu sein, Hillbillys. Wenn ich unsere Polizei damit betraue, weiß die Presse binnen weniger Stunden, worum es geht. Ich möchte, dass das Ganze mit der gebotenen Diskretion behandelt wird.“

„Warum kommen Sie mit dieser Geschichte zu mir nach New York? Ich wette, es gibt auch in Louisiana ein paar tüchtige Privatdetektive.“

„Die gibt es, aber die sind bei den Reportern bekannt und müssen damit rechnen, dass man ihnen bei ihrer Arbeit auf die Finger schaut“, meinte Preston. „Deshalb komme ich zu Ihnen. Wir haben uns erkundigt. Sie sind ein Mann mit internationalem Renommee, aber in Louisiana“, fügte er lächelnd hinzu, „werden Sie es schwer haben, erkannt zu werden.“

„War es schwierig, in das Magazin einzubrechen?“

„Es wird rund um die Uhr bewacht und kontrolliert, aber, der oder die Diebe - es müssen mehrere gewesen sein, schon wegen des Gewichtes, das es zu transportieren galt - kannten offenbar das Sicherheitssystem und hatten keine Mühe, es zu knacken.“

„Expertenarbeit?“, fragte Bount.

„Ich würde sagen, ja, aber das muss nicht bedeuten, dass ich recht habe. Das Magazin liegt etwas außerhalb von Hammond, unweit der Morrison Barracks, einer Artilleriekaserne. Zwischen den beiden Komplexen befindet sich eine Mülldeponie. Es dürfte nicht schwer gewesen sein, von dort aus die Gewohnheiten des Wachpersonals zu erkunden. Ebenso leicht war es später, die Türschlösser aufzusprengen.“

„Spuren?“

„Wir kennen den Wagen, der für den Transport des elektrischen Stuhls benutzt wurde. Er wurde eigens zu diesem Zweck einem Garagenbesitzer namens Jerome Littleton gestohlen und am nächsten Tag am Ortsrand aufgefunden. Der Stuhl ist also, wie vermutet werden darf, umgeladen worden. Die Reifenprofile von Littletons Truck wurden an der Magazinrampe gesichert. Littleton selbst ist nach unseren Erkenntnissen ein braver Bürger, ein untadeliger Mann - und doch habe ich den Eindruck, als enthielte er uns etwas vor.“

„Nämlich?“

„Wenn ich das wüsste, wäre ich klüger. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass er weiß, wer den Wagen gestohlen hat. Vielleicht vermutet er es auch nur, hat aber Angst, darüber zu sprechen. Das ist es - Angst. Aus Angst vor Rache hält er den Mund. Sie kennen das ja. Natürlich habe ich Littleton in die Mangel genommen, sehr gründlich sogar, aber er ist stur, er schweigt sich aus. Ich bin nicht in der Lage, ihn der Lüge oder der bewussten Verheimlichung wichtiger Informationen zu beschuldigen.“

„Ist es nicht denkbar, dass irgendein Sonderling, ein Sammler abartiger Gegenstände, auf die Idee gekommen ist, seine Kollektion um einen elektrischen Stuhl zu bereichern?“

„Natürlich, das ist durchaus denkbar, aber ich kann es mir nicht leisten, Hypothesen aufzustellen, ich muss Gewissheit haben. Mehr noch: Ich muss den verdammten Stuhl zurückbekommen, um jeden Preis.“

„Ich nehme an, Sie haben sich schon mit meiner Tarifordnung beschäftigt und ...“

Preston fiel Bount ins Wort.

„Louisiana ist kein reicher Bundesstaat, wir schwimmen nicht gerade im Geld, aber ich habe Vollmacht, Sie mit allem auszustatten, was zur Klärung des Falles notwendig ist. Sind Sie bereit, ihn zu übernehmen?“

„Es kann Wochen dauern, ehe ich fündig werde“, warnte Bount.

„Darauf sind wir eingerichtet.“

Bount stülpte die Unterlippe nach außen, dann sagte er: „Okay, ich bin Ihr Mann.“

Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis

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