Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 15

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Der Schädel des Mannes war kahlgeschoren. Auf ihm waren ein paar dunkle Flecke zu sehen. Sie zeigten sich in ähnlicher Größe und Tönung auch an den Gelenken seiner Arme. Bekleidet war der Tote mit einer dunklen, scharf gebügelten Hose und einem weißen T-Shirt. Das war alles. Seine nackten Füße waren eingeknickt. Sie wirkten auf Bount seltsam weiß und zierlich.

Bount stieg über die bewusstlose Missis Shriever hinweg, ging auf den Toten zu und blieb vor ihm stehen.

Bounts Mund trocknete aus. Bount hatte keine Mühe, die verfärbten Stellen an Kopf und Armen zu deuten. Kein Zweifel, sie bezeugten, dass hier Elektroden mit hohen Stromstößen dafür gesorgt hatten, dass Derek Dark alias Martin Cervant auf die gleiche Weise gestorben war wie die Delinquenten, die er im Auftrag der Gerichte vom Leben zum Tode befördert hatte.

Noch eines war klar. Die Exekution des Ex-Henkers hatte nicht hier im Raum stattgefunden.

Dark war zu diesem Zweck wohl aus dem Haus geholt worden, unter Gewaltanwendung, wie angenommen werden durfte. Nach dem schrecklichen Ereignis hatten seine Mörder ihn zurück in die Wohnung gebracht. Besonders Letzteres musste erstaunen, denn damit hatten die Täter ein zusätzliches Risiko auf sich genommen, für das es keine Erklärung gab. Freilich, Dark war kein großer Mann, vermutlich war es leicht gewesen, ihn in einer Kiste oder einem Überseekoffer zu transportieren.

Die Frau stöhnte leise, blieb aber liegen, das Gesicht dem Boden zugekehrt.

Bount berührte das Handgelenk des Toten. Die Leichenstarre war noch nicht eingetreten. Die Exekution musste vor nicht mehr als zwei oder drei Stunden erfolgt sein.

Bount trat ans Telefon. Der Apparat funktionierte. Bount erreichte Preston in dessen Hotelzimmer.

„Ich bin beim Packen“, schnaufte Preston. „Ich freue mich auf die Heimfahrt. New York ist nichts für mich. Hier würde ich ersticken.“

„Dark ist tot“, sagte Bount.

„Was?“

„Alles spricht dafür, dass Ihre schlimmsten Befürchtungen sich erfüllt haben“, sagte Bount und schilderte, wo er sich befand und in welchem Zustand er den Toten angetroffen hatte.

„Mein Gott ... und das ist vermutlich nur der Anfang“, murmelte Preston kaum hörbar.

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Sie werden es erleben! Mit dem Henker haben sie begonnen, jetzt rollen sie den Fall von hinten auf, der Rachefeldzug nimmt seinen Lauf! Sie werden sich den Richter schnappen, vielleicht auch die Geschworenen, den Staatsanwalt, die Zeugen ... sie werden vor keinem Halt machen!“

„Ich muss die Polizei verständigen“, sagte Bount. „Ich fürchte, ihr mitteilen zu müssen, was sich hinter dem tragischen Ereignis verbirgt. In der Praxis bedeutet das, dass sich der Diebstahl des elektrischen Stuhls nicht länger wird verheimlichen lassen.“

„Das sehe ich ein, es lässt sich nicht ändern“, murmelte Preston niedergeschlagen.

„Wann haben Sie mit Dark telefoniert und ihm meinen Besuch angekündigt?“

„Gleich, nachdem ich Ihr Office verlassen hatte, so gegen elf Uhr vormittags.“

„Jetzt ist es siebzehn Uhr“, stellte Bount fest. „Die Täter müssen Dark kurz nach Ihrem Gespräch mit ihm hoppgenommen haben. Wann waren Sie bei ihm?“

„Gestern Abend, gegen zwanzig Uhr, eine Stunde nach meinem Eintreffen in der Stadt.“

„Ist es möglich, dass Sie dabei beobachtet wurden?“

„Warum fragen Sie mich das?“

„Dark hatte keinen Grund, über seine Vergangenheit zu sprechen. Er lebte hier praktisch unter Cover, mit einem Namen und einer Legende, die nichts mit seiner Vergangenheit zu tun hatte. Ich frage mich, ob die Leute, die wir suchen, durch Sie auf seine Spur kamen.“

„Was soll ich jetzt tun?“

„Bleiben Sie im Hotel, bis sie von mir oder der Polizei hören!“, bat Bount und legte auf.

Hinter ihm wurden Geräusche laut. Bount blickte über die Schulter. Die Frau kam mit einiger Mühe auf die Beine und lehnte sich gegen den Türrahmen. Ihre Modebrille war verrutscht und gab den Gesichtszügen, die sie schmücken sollte, einen noch absurderen Ausdruck als vorher.

„Ist er ... tot?“, würgte sie hervor. „Warum hat man ihm den Schädel kahlgeschoren? Wie sieht er bloß aus, um Himmels willen?“, wimmerte sie, stieß sich vom Türrahmen ab und torkelte ins Badezimmer. Bount hörte Sekunden später das Rauschen der Wasserspülung. Er tippte die Nummer von Captain Rogers' Office herunter.

Sein Freund Toby meldete sich. Joe berichtete, wo er sich befand und was geschehen war. Toby Rogers war Chef des Morddezernats Manhattan.

„Wir sind in einer Viertelstunde bei dir“, sagte der Captain und legte auf.

Bount warf den Hörer aus der Hand und sah sich im Zimmer um. Bei den Bildern an den Wänden handelte es sich um Unikate, die Kunstverständnis verrieten und beträchtliche Werte verkörperten. Die Teppiche waren ebenso echt wie die alten Möbel. Es gab keine Hinweise auf einen Kampf. Der Raum machte in jedem Detail einen gepflegten, ordentlichen Eindruck.

Missis Shriever kehrte zurück, leichenblass. Sie setzte sich, und zwar so, dass sie dem Toten den Rücken zukehrte.

„Er war ein feiner Mann, wirklich großartig ... und großzügig dazu! Wer hat das bloß getan?“

Bount setzte sich.

„Es sieht so aus, als sei er aus dem Haus gelockt, zu seinen Mördern gebracht, und danach zurücktransportiert worden“, sagte er. „Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen und gesprochen?“

„Gestern. Ich habe für ihn gesorgt. Täglich zwei bis drei Stunden.“

„Wissen Sie zufällig, ob er Besuch erwartete?“

„Er lebte allein und sehr zurückgezogen. Er hatte keine Freunde, soviel ich weiß ... auch keine Freundin“, fügte sie matt hinzu.

„Korrespondierte er mit irgendwelchen Leuten?“

„Mit einer Schwester, die in Louisiana wohnt. Sie schrieb ihm zwei- oder dreimal im Jahr. Sonst erhielt er keine Post - Drucksachen ausgenommen.“

„Womit vertrieb er sich die Zeit?“

„Er unternahm regelmäßig Spaziergänge im Park, fütterte die Enten, las sehr viel, und war im Übrigen mit seinem Leben mehr als zufrieden. Er wirkte ausgeglichen. Er war ein guter Mensch. Und ausgerechnet ihn bringt man um!“

„Ich erkundige mich bei den Leuten im Haus, ob irgendjemand etwas Verdächtiges bemerkt hat“, meinte Bount und stand auf.

„Lassen Sie mich bitte nicht mit ihm allein!“, flehte die Frau. „Das halten meine Nerven nicht aus.“ Bount setzte sich wieder. „Da fällt mir etwas ein“, sagte Missis Shriever. „Ich habe gestern einen Mann gesehen, der auf der anderen Straßenseite stand und zu Mister Darks Fenstern hochblickte. Ich war dabei, die Gardinen aufzumachen. Mich wunderte, dass er sich für die Fenster interessierte, für meine Arbeit, wie ich glaubte, aber so interessant war die nun auch wieder nicht ...“

„Was war das für ein Mann?“

„Nicht mehr ganz jung. So um die Vierzig, würde ich sagen“, meinte Missis Shriever.

„Groß, klein, mittel?“

„Mittelgroß, würde ich sagen.“

„Würden Sie ihn wiedererkennen?“

„Nein. Meine Augen sind nicht die besten, auch mit Brille nicht, und die Entfernung von hier oben zur Straße war zu groß, um Einzelheiten wahrzunehmen.“

„Sie sagten, er sei so um die Vierzig. Das ist ein wichtiges Detail.“

„Er kann auch dreißig gewesen sein. Oder fünfzig. Ich sagte vierzig, weil das mein Eindruck war. Ach ja, und er war barhäuptig und dunkelhaarig. Als er merkte, dass ich ihn musterte, zog er die Schultern ein und ging davon. Er hatte eine schlechte Haltung, ging ziemlich gekrümmt, mit rundem Buckel ... wie jemand, der krank ist. Oder wie einer, der Sorgen hat.“

Die Mordkommission traf mit vollem Gefolge ein. Arzt, Fotografen, Techniker. Sie gingen sofort an die Arbeit. Toby Rogers nahm Bount beiseite. Die Männer setzten sich in die Küche.

„Du fängst an, meine Substanz aufzuzehren“, grollte der beleibte Captain. „Kannst du mich nicht mal anrufen und mir einfach einen guten Tag wünschen? Nein, es muss jedes Mal ein Toter sein! Und was für einer ...“, fügte er grimmig hinzu.

„Ein Ex-Henker“, sagte Bount und berichtete, was er von Ronald M. Preston erfahren hatte. Der Captain hörte mit großen Augen zu.

„Fantastisch“, sagte er, als Bount seine Schilderung beendet hatte. „Bizarrer geht’s wohl nicht, was? Die Freunde oder Bekannten eines Hingerichteten haben sich entschlossen, einen Rachefeldzug zu beginnen und schnappen sich zum Auftakt den Henker. Natürlich wollen sie’s stilecht haben, nach der Methode Auge um Auge, Zahn um Zahn. Deshalb holen Sie sich den elektrischen Stuhl aus dem Lager und heizen ihn auf. Das sind doch wohl Verrückte, oder?“

„So gesehen ist jeder Mörder verrückt.“

„Wo soll ich mit meinen Nachforschungen beginnen? Alles spricht dafür, dass der oder die Täter aus einem anderen Bundesstaat kommen.“

„Das ist immerhin schon ein Anhaltspunkt“, sagte Bount. „Du wirst vor allem die Hotelgäste checken müssen, die aus Louisiana angereist sind.“

„Das werde ich tun, aber ich wette, das bringt uns nicht weiter“, grollte Toby Rogers. „Unser Mann kann bei einem Verwandten wohnen, vielleicht ist er auch drüben in New Jersey vor Anker gegangen. Solche Leute wissen doch, wie die Polizei arbeitet. Darauf stellen sie sich ein.“

„Ich weiß“, sagte Bount. Er stand auf. „Ich spreche mit den Leuten im Haus. Was dagegen?“

„Nicht, wenn du mir versprichst, verwertbare Nachrichten an mich weiterzuleiten.“

„Ist doch klar“, meinte Bount und ging, aber die Gespräche, die er mit den Hausbewohnern führte (einer war nicht anzutreffen, er machte gerade Urlaub), trugen nicht dazu bei, das Geschehen aufzuhellen.

Die Hausbewohner hatten Mister Dark natürlich gekannt und gegrüßt. Sie schilderten ihn übereinstimmend als ruhigen, freundlichen Mann, aber wie sich herausstellte, hatte niemand von ihnen jemals mehr als zwei oder drei Sätze mit ihm gesprochen. Sie waren zu der Erkenntnis gelangt, dass er keine Kontakte wünschte, sie hatten ihn als Sonderling eingestuft und ihn seiner Wege gehen lassen.

Bount kehrte in Darks Wohnung zurück, berichtete, was er gehört hatte, gab zu Protokoll, was er wusste, unterschrieb das Ganze, und hinterließ für den Captain auch Ronald M. Prestons Hoteladresse, dann ging er.

Als er die Straße betrat, wurden seine Augen schmal. Unter den vielen Neugierigen, die durch die Polizeifahrzeuge angelockt worden waren, stand ein dunkelhaariger Mann im Trenchcoat, der durch seine schlechte Haltung auffiel. Er hielt sich wie einer, der mit einer Rückgratverkrümmung fertigwerden muss. Bount zupfte ihn am Ärmel. Ihm fiel auf, wie lebhaft der Mann dabei zusammenzuckte.

„Kann ich Sie mal sprechen, bitte?“, fragte Bount.

Der Mann legte den Kopf zur Seite. Er war schlecht rasiert. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Die Augen selbst waren von einem schmutzig wirkenden Grau, sie wirkten verwaschen, trist und hoffnungslos. Bount schätzte den Mann auf 35.

„Worum geht es?“, fragte der Mann. Seine Stimme klang mürrisch und abweisend.

Jemand wandte neugierig den Kopf.

„Nicht hier“, sagte Bount und ging mit dem Mann zur nächsten Kreuzung. „Wie Sie wissen, hat es Mister Dark erwischt.“ Während Bount diese Worte äußerte, beobachtete er den Dunkelhaarigen gelassen. Der zuckte zusammen und blieb stehen.

„Dann ist das also die Mordkommission?“

„Ja“, erwiderte Bount.

„Verdammt, verdammt, verdammt!“

„Was regt Sie daran so auf? Kannten Sie Dark?“

„Was geht Sie das an?“

„Eine ganze Menge“, meinte Bount und zückte seine Lizenzkarte. „Ich untersuche den Fall.“

„Ein Privatdetektiv“, murmelte der Mann. Er lachte plötzlich kurz und verächtlich. „Was, zum Teufel, geht es mich an, welche Interessen Sie verfolgen? Meine sind sicherlich anders gelagert. Ganz anders. Guten Tag, Schnüffler!“ Er machte auf den Absätzen kehrt, aber Bount blieb an seiner Seite. Der Mann stoppte. Er sah jetzt böse aus, sogar wütend. „Hauen Sie ab, Mann!“

„Erst wüsste ich gern, was Sie von ihm wollten.“

„Ich? Ich wollte gar nichts von ihm!“

„Sie haben gestern vor seinem Haus gestanden, und heute wieder. Warum?“

„Ich denke, das ist meine Sache, oder?“

„Ja und nein. Immerhin ist inzwischen ein Mord geschehen. Es liegt an mir, der Polizei von Ihrem Verhalten Mitteilung zu machen, oder darauf zu verzichten ...“

„Verhalten, was heißt hier Verhalten?“, explodierte der Mann. „Habe ich etwas getan, was gesetzwidrig ist, sittenwidrig, nicht vertretbar?“

„Wie gut kannten Sie ihn?“

„Ich sage nicht, dass ich ihn kannte.“

„Sie haben ihn beobachtet.“

„Das müssen Sie mir erst mal beweisen.“

„Immerhin wussten Sie, wer Dark ist, und ihre Reaktion auf die Nachricht von seinem Tod war nicht zu übersehen“, stellte Bount fest.

„Ich kann Schnüffler nicht ausstehen“, presste der Mann durch seine tabakbraunen, unregelmäßig gewachsenen Zähne. „Entweder Sie stinken jetzt ab, oder ich verpasse Ihnen ein Ding, dessen Wirkung bestimmt keiner Schönheitsoperation gleichzusetzen ist.“

Bount lächelte.

„Na los, probieren Sie's!“

Er hielt den Mann für ein Großmaul, für einen Phrasendrescher ohne Mumm zur Aktivität, aber wie sich zeigen sollte, beruhte diese Einschätzung auf einem Missverständnis. Urplötzlich riss der Mann die Rechte hoch. Bount gelang es in letzter Sekunde, den Kopf herumzureißen, dass die Faust nur mit ihren Knöcheln über seinen Backenknochen rutschte. Bount konterte in einem Reflex. Das Gesicht des Mannes verzerrte sich, er riss den Mund auf, schnappte nach Luft und hatte offenbar Mühe, den Treffer zu verkraften.

Ein Mann blieb verwundert stehen und musterte Bount und dessen Kontrahenten, dann ging er kopfschüttelnd weiter.

Bounts Gegenüber massierte sich die getroffene Stelle.

„Oh Mann“, krächzte er. „Machen Sie das immer so?“

„Nicht immer“, meinte Bount. „Kommen Sie jetzt!“

„Wohin?“

„Ich stelle Sie meinem Freund, dem Captain, vor. Ihm gegenüber werden Sie sicherlich kooperativer auftreten.“

„Mit Bullen habe ich nichts im Sinn!“

„Okay, aber Sie hatten was mit Dark im Sinn. Ich wüsste gern, was es war.“

Der Mann biss sich auf die Unterlippe.

„Wenn ich’s Ihnen sage, behalten Sie es dann für sich?“, erkundigte er sich schließlich mit schief gelegtem Kopf und lauerndem Gesichtsausdruck.

„Kommt ganz darauf an.“

„Ich erzähle Ihnen meine Geschichte“, sagte der Mann und ließ die Arme fallen. „Sie ist nicht sehr hübsch, und schon gar nicht erbaulich, aber vielleicht hilft sie Ihnen, mich zu verstehen.“

„Schießen Sie los!“, bat Bount.

„Ich bin Marcus L. Dwyer“, sagte der Mann beinahe feierlich. Er sprach seinen Namen aus, als sei er etwas zutiefst Ehrfurchtgebietendes und als müsste man ihn kennen wie den eines Stars oder Politikers.

„Bount Reiniger.“

„Haben Sie noch nie was von mir gehört?“

„Nein.“

„Mann, und Sie wollen Privatdetektiv sein! Ich war in den Garcia-Fall verwickelt.“

„Der liegt jetzt sieben Jahre zurück. Das Ende einer Bande. Ich kann mich nicht erinnern, in diesem Zusammenhang Ihren Namen gelesen oder gehört zu haben.“

„Ich gehörte zu der Gang. Okay, ich war keiner der ganz Großen, aber innerhalb der Bande wurde ich respektiert, man schützte meinen Rat, und wenn es diffizile Aufgaben zu lösen gab, war ich am Drücker. Wirklich, ich war damals ’ne große Nummer. Als wir aufflogen, kam ich mit fünf Jahren Knast davon. Eigentlich verpassten sie mir sieben, aber vor zwei Jahren wurde ich entlassen, wegen guter Führung. Nicht übel, was?“

„Großartig“, sagte Bount.

„Ich wollte wieder loslegen. Ich dachte, jetzt fängt das Leben erst wirklich an. Schließlich bin ich einer von den Garcia Boys gewesen. wissen Sie, was passierte? Gar nichts! Kein Schwein erinnerte sich an Garcia, und wenn ich mit meiner Vergangenheit prahlte, mit meinen Jahren im Knast, lachten sie nur. Die hatten offenbar das Gefühl, ich sei einer von Gestern. Ich wollte es ihnen zeigen. Ich nahm mir vor, ein Ding allein zu drehen. Und da passierte es. Als ich mit einem gestohlenen Wagen unterwegs war, fuhr mir jemand in die Seite. Ich lag drei Monate im Hospital. Seitdem habe ich Schwierigkeiten, mich aufzurichten. Sehen Sie mich an! Ich bin ein halber Krüppel! Oh ja, ich war mal einer von Garcias Boys, eine große Nummer, aber danach fragt heute kein Schwein, für die meisten bin ich wie der Schnee von gestern ...“

„Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, von Dark zu sprechen“, mahnte Bount.

„Ach ja, Dark. Aber wenn wir von ihm reden, kommen wir nicht an mir vorbei. Ein halber Krüppel wie ich hat's schwer. Die Syndikate brauchen oder wollen mich nicht. Also muss ich Solo arbeiten. Ich verrate Ihnen sogar, wie das läuft. Ich mache mich an diejenigen heran, die etwas besitzen und nicht den Mumm haben, sich zu verteidigen. Ich baldowere aus, was zu holen ist, und wie, dann schlage ich zu. Meine Opfer suche ich mir im Park. Das heißt, dort beobachte ich sie. Frührentner. Pensionäre, die es sich leisten können, in einer guten Gegend zu wohnen. Das sind meine Leute. Fällt jetzt der Groschen?“

„Ich denke schon. Dark ist Ihnen aufgefallen.“

„Stimmt, beim Entenfüttern. Ich habe ihn einige Male gesehen. Ein Mann, der viel Zeit und Muse hatte, einer mit Geld. wissen Sie, woran ich das erkenne? An der Kleidung, richtig, vor allem aber am Schuhwerk. Darks Schuhe waren erstklassig. Handgearbeitetes Material. Ich beobachte ihn jetzt seit einer Woche. Und nun bringt ihn jemand um. Scheiße!“ Dwyer sah in diesem Moment wirklich wütend und verzweifelt aus. Bount bezweifelte nicht, dass der Mann die Wahrheit gesagt hatte.

Bount holte eine Fünfzigdollarnote aus seiner Brieftasche.

„Könnte die Ihre Situation ein wenig aufbessern?“. erkundigte er sich.

Dwyers schmutziggraue Augen wurden rund. Er streckte die Hand nach dem Geld aus, aber Bount entzog es ihm.

„Langsam“, sagte er. „Ich brauche eine Information. Vielleicht sind Sie in der Lage, sie mir zu geben.“

„Machen Sie's nicht so spannend“, meinte Dwyer ungeduldig. „Was wollen Sie wissen?“

„Sie haben Dark beobachtet. Sie standen auf der Straße, wenn er in der Wohnung war. Sie haben zu seinen Fenstern hochgesehen, und, wie ich annehme, die Leute gemustert, die das Haus betraten und verließen. Es könnte sein, dass sich darunter der oder die Mörder befanden.“

Dwyers Augen wurden schmal, aber sie wirkten auf einmal heller und wacher als vorher. Bount spürte, wie es in Dwyer arbeitete. Er sah sofort seine Chance.

„Für die Aufklärung eines Mordes gibt’s mehr als fünfzig Bucks, Mann. So ’ne heiße Kiste ist gut und gern einen Riesen wert, habe ich recht?“

„Ich halte Sie nicht davon ab, Ihre Information der Polizei zu verkaufen“, nickte Bount, „ich möchte nur wissen, wen Sie gesehen haben.“

„Da war ein ständiges Kommen und Gehen“, erinnerte sich Dwyer. „Nach einiger Zeit, schon nach drei Tagen, kannte ich die Leute, die im Hause wohnten. Natürlich gab es auch Besucher ...“

„Ist Dark heute mit jemand weggegangen?“

„Ich war den ganzen Nachmittag über im Bett. Mir ging’s nicht sonderlich gut. Ich bin erst vor ’ner Viertelstunde aufgekreuzt - und da sah ich die Bullenkarawane vor dem Haus stehen“, sagte Dwyer. Er starrte auf das Geld in Bounts Hand. „Ich kann Ihnen trotzdem einen heißen Tipp geben.“

„Lassen Sie hören.“

„Er ist mehr wert als ’n Fünfziger.“

„Um das beurteilen zu können, müssen Sie mir schon sagen, was Sie wissen.“

„Lorraine Banter war im Haus“, sagte Dwyer. Er äußerte es geradezu ergriffen.

„Lorraine Banter?“, echote Bount verständnislos. Er hörte den Namen zum ersten Mal.

Dwyer sah enttäuscht und verwundert aus.

„Mann, wo leben Sie eigentlich? Sie wollen New Yorker sein und kennen Lorraine nicht? Sie ist Schauspielerin! Sie verkörpert die Mandy in dem neuen Musical, in ,Hot Drops‘.“

„Ich komme nicht sehr häufig ins Theater“, meinte Bount.

Von dem Musical hatte er gehört. Es war kein großer Erfolg, jedenfalls war es von der Kritik zerrissen und als vulgär und wenig unterhaltsam eingestuft worden.

„Lorraine ist super. Das schönste Mädchen der Stadt“, sagte Dwyer. „Ich habe mir überlegt, ihr zu folgen und sie um ein Autogramm zu bitten, aber ich habe schließlich darauf verzichtet. Ich wollte vermeiden, dass sie einen mitleidigen Blick auf meinen Buckel wirft“, schloss er grimmig.

Bount überließ ihm das Geld.

„Wie lange war sie im Haus?“, fragte er.

Dwyer rieb die Banknote zwischen den Fingern, als müsste er ihre Echtheit überprüfen.

„Etwa eine halbe Stunde“, erwiderte er. „Dann fuhr sie mit ihrem Schlitten davon. Ein weißer Porsche mit grünen Zierstreifen. Super!“

„War sie bei Dark?“

„Woher soll ich das wissen?“

„Danke“, sagte Bount, ließ Dwyer stehen, und kehrte zurück in das Haus 97 und klingelte erneut an allen Wohnungstüren. Der Name Lorraine Banter war bei vier von sechs Befragten bekannt, aber niemand wollte am Vortag den Besuch der Schauspielerin gehabt haben.

Daraus ließ sich mühelos folgern, dass Lorraine Banter den Mann aufgesucht hatte, der einmal der Henker des Bundesstaates Louisiana gewesen war.

Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis

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