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2. Kapitel

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Ein kleiner Mann trat neben Matthias. Er trug einen Gehrock aus schwarzem Samt, dazu gelbe Hosen aus Hirschleder und ebensolche Stiefel. In der Hand hielt er eine Tafel und einen Griffel. Der Schreiber des Vogtes, ein kleiner verschlagener Mann mit krummer Nase und noch krummeren Zähnen. Der linke Fuß war verkrüppelt und ließ den Mann sehr stark hinken.

»Meister Matthias, wollen wir?«

Marie lief es kalt den Rücken herunter, als sie von ihrem Beobachtungsposten aus Matthias´ unbewegte Miene und sein Nicken sah. Ohne ein Wort drehte er sich um und führte den Gefangenen fort, gefolgt von Popolius Harthrath, dem Schreiber des Vogts.

Insgeheim nannte Marie den Kerl nur ›die Ratte‹, weil er genau so aussah, sich wie eine solche in Ecken herumdrückte und plötzlich auftauchte, wenn man es am wenigsten erwartete und gebrauchen konnte.

Nach ein paar Augenblicken merkte sie, dass sie regungslos auf die nun leere Türöffnung gestarrt hatte, und riss sich zusammen.

Die Wäsche musste immer noch gewaschen werden, aber nun hatte Marie die Lust verloren, zur Tauber hinunterzugehen, und verdrückte sich in die Waschküche. Minuten später stand sie, in heiße Dampfschwaden eingehüllt, auf dem gestampften Sandboden und schrubbte Betttücher, aber ihre Gedanken waren noch immer bei dem Vorfall des Morgens.

Sie verstand nicht, wie jemand sich einfach an einem wehrlosen Kind vergehen und es dann töten konnte! Was für eine Angst Rosa, das kleine Mädchen, gehabt haben musste. Und jetzt war sie tot. Marie hatte das Kind gekannt, oft war sie auf dem Weg zum Markt bei Rosa stehengeblieben und hatte mit ihr ein paar Sätze geplaudert. Jetzt war sie einfach nicht mehr da! Was war nur in diesem Mann vorgegangen? Er hätte doch auch einfach in den ›Goldenen Schwan‹ gehen können, wenn es ihn juckte. Es gab genug Hübschlerinnen, die den Männern zu gerne zu Diensten waren.

Marie war der festen Überzeugung, dass er alles verdiente, was ihn nun unter den Händen von Meister Matthias erwartete.

Dennoch rieselte ein kalter Schauer über ihre Haut, als sie daran dachte. Sie wusste nicht genau, was bei der Folter mit den Beschuldigten passierte, aber sie hatte schon Menschen gesehen, die der hochnotpeinlichen Befragung unterzogen worden waren – die meisten schien die Hinrichtung danach nicht einmal mehr zu interessieren. Sie waren stumpf, wie bereits gestorben.

An diesem Punkt konnte Marie nicht verhindern, dass ihre Gedanken zum Rothenburger Henker abglitten. Wie kam man dazu, einen solchen Beruf auszuüben? Wie konnte man Menschen so etwas antun, auch wenn sie Schlimmes getan hatten? Wie konnte man ihr Betteln und Flehen ignorieren?

Es war für das Mädchen fast ebenso schwer zu begreifen wie das, was der fremde Steinmetz Rosa angetan hatte. Trotzdem – Matthias Wolf schien ein ganz normaler Mensch zu sein. Als sie ihm am Morgen das Seil gereicht hatte, hatte er sie angelächelt. Marie konnte sich nicht erinnern, ihn vorher schon einmal lächeln gesehen zu haben.

»MARIE!«

Die blonde Magd schrak ordentlich zusammen. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass Vogt Bernhard Steiner in den Raum getreten war. Verblüfft drehte sie sich zu ihm um und sah Zorn in seiner Miene, den sie nicht erwartet hatte.

»Ja, Herr?«

»Was hattest du vorhin im Haus zu suchen?«, fuhr der Vogt sie an. »Ich hatte dir doch aufgetragen, die Wäsche zu waschen!«

Marie spürte, wie sie rot wurde.

»Ich bin mit den Leuten zurück ins Haus gekommen, als …«

»Neugierig warst du also!«, schnitt Steiner ihr das Wort ab. »Meine Tagesgeschäfte haben dich nicht zu interessieren! Wenn ich dir einen Auftrag gebe, dann führst du ihn aus, gleich und ohne Verzögerungen! Hast du das verstanden?«

Marie presste die Lippen zusammen und senkte den Kopf, bemühte sich, reumütiger auszusehen, als sie war.

»Ja, Herr. Es tut mir leid.«

»Nun, das wird nicht reichen!«

Täuschte sie sich, oder klang die Stimme des Vogtes plötzlich genüsslich.

»Dreh dich um!«

Das Herz schlug der blonden Frau bis zum Hals, als sie verstand. Er wollte sie bestrafen! Das kam selten vor, meistens übernahm seine Frau es, die Angestellten zu maßregeln. Ihre Füße fühlten sich bleischwer an, als sie gehorchte. Und Steiner war noch nicht fertig.

»Beug dich nach vorne und heb deinen Rock!«

Maries Furcht wandelte sich in nacktes Grauen. Er würde sie doch nicht schänden? Bernhards begehrliche Blicke, die sie immer dann streiften, wenn seine Frau nicht in der Nähe war, waren ihr schon mehr als einmal aufgefallen, aber bis jetzt hatte sie ihn dennoch für einen Ehrenmann gehalten. Wie allen Dienstboten war ihr bekannt, dass er und seine Frau nicht in einem Bett schliefen. Das Getuschel hatte sie jedoch nicht interessiert. Es hatte sie nichts anzugehen, ob und wann der Vogt mit seiner Frau den ehelichen Beischlaf vollzog. Aber trotzdem lauschte sie immer mit roten Ohren, wenn erzählt wurde, dass Elsa Steiner sich seit Monaten ihrem Mann verweigerte.

Sie folgte seinem Befehl. Unter dem Rock trug sie weiter nichts, ihr nacktes Hinterteil war in die Höhe gereckt. Sie bebte innerlich und fürchtete, er würde sie besteigen wie eine Hündin.

Sie war beinahe erleichtert, als sie plötzlich einen Gertenhieb auf ihr nacktes Hinterteil erhielt und der Schrei entfuhr ihr mehr vor Überraschung als vor Schmerz. Beim ersten Mal jedenfalls! Beim fünften Hieb liefen ihr ungezügelt die Tränen übers Gesicht und sie schluchzte laut, was den Vogt jedoch nicht davon abhielt, ihr noch zehn weitere Schläge zu verpassen.

Schließlich hörte sie seine Aufforderung, sich wieder herzurichten. Um Beherrschung ringend ließ Marie ihren Rock fallen, konnte dem Vogt nicht in die Augen sehen, als sie sich wieder umdrehte und mit fast trotzigen Bewegungen ihre Tränen wegwischte. Sie würde wohl die nächsten paar Tage nicht sitzen können!

»Lass dir nicht noch einmal einfallen, meine Anweisungen an dich zu missachten!«

Die Stimme Steiners klang nun merkwürdig zufrieden.

»Beim nächsten Mal bekommst du doppelt so viele Hiebe! Wenn du mit der Wäsche fertig bist, läufst du zur Johanniterscheune und lässt dir von Popolius den Stand der Dinge mitteilen. Und sieh zu, dass du noch vor dem Abendessen wieder hier bist!«

Mit diesen Worten wandte er sich um und ließ die gedemütigte Marie in der Waschküche allein.

Der Henker von Rothenburg

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