Читать книгу Der Henker von Rothenburg - Werner Diefenthal - Страница 13

3. Kapitel

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Matthias war mittlerweile mit seinem Gefangenen und dem Schreiber in der Scheune angekommen. Zwei Wachleute des Vogtes hatten den Mann in ihre Mitte genommen und mitgeschleift. Ein Hieb auf den Kopf hatte den letzten Widerstand gebrochen.

Die Johanniterscheune lag im ehemaligen Judenviertel. Vorher war sie ein Lagerraum eines jüdischen Kaufmannes gewesen, der aber im Zuge der Enteignung und Vertreibung vor einigen Jahren die Stadt verlassen hatte. Der Vogt hatte verfügt, dass diese Scheune von da an dem Henker zur Verfügung stehen sollte, um einen Platz für die notwendigen Befragungen zu haben. Sie lag weit genug weg von den bewohnten Häusern der Stadt, sodass niemand die Schreie hören konnte.

Gemeinsam mit seinem Meister und einigen Handwerkern hatte Matthias diesen Raum umgebaut. Sie hatten einige Wände entfernt, ein Schmiedefeuer errichtet, Fenster zugemauert und die Bretter auf dem Boden entfernt. Stattdessen war nun eine festgestampfte Lehmschicht vorhanden, auf dem Sägespäne in dicken Schichten aufgebracht worden waren. Diese konnte man leicht entfernen, wenn sie voller Blut waren.

Weiter hinten war eine kleine Werkstatt eingerichtet. Dort reparierte Matthias seine Werkzeuge, schärfte sie und baute auch neue.

Unter der Scheune hatte Matthias einige geheime Räume entdeckt. Außer ihm wusste niemand von deren Existenz. Wie es schien, hatte der ehemalige Besitzer dort seine Reichtümer aufbewahrt. Es gab zwei Eingänge. Einer war in der Scheune, hinter einer doppelten Wand verborgen, die man stehengelassen hatte. Matthias war durch Zufall darauf gestoßen, als er einige Ratten gejagt hatte.

Von diesen Räumen führte ein Tunnel unter der Stadtmauer hindurch. Dieser endete einige Meter hinter dem Galgentor, in unmittelbarer Nähe des Richtplatzes. Matthias hatte sich gewundert, warum noch niemand diesen Eingang gefunden hatte, doch die Erklärung war einfach. Man konnte ihn nur erreichen, wenn man eine der Richteichen hinaufkletterte. Auf halber Höhe, was der Größe von zwei erwachsenen Männern entsprach, teilte sich die Eiche. Und genau in der Gabelung war ein Loch. Dort waren Sprossen eingelassen, über die man durch die dicke Eiche hinunterklettern konnte und sich dann in dem Tunnel befand.

Niemand würde auf die Idee kommen, die Richteiche hinaufzuklettern. Dazu waren die Menschen zu abergläubisch. Matthias passte so gerade eben noch durch den Spalt in dem Baum. Er hatte beschlossen, dieses Geheimnis vorerst für sich zu behalten.

Vor der Scheune blieb Matthias stehen und sah noch einmal auf den Mörder des kleinen Mädchens, der regungslos zwischen den beiden Wachen hing. Er empfand weder Mitleid noch Abscheu, seine Gefühle hatte er in die tiefsten Winkel seiner Seele verbannt. Nur so war es ihm möglich, seine Pflicht zu tun. Er griff dem Mann unter das Kinn und hob es an.

»Ich hoffe, du weißt, wie man betet«, sagte er zu ihm und wandte sich wieder ab.

Matthias sperrte die Tür auf. An der Wand hing eine Fackel, die er in ein Kohlebecken hielt, das immerwährend Glut hatte. Sofort knisterte sie und begann zu brennen. Langsam ging Matthias durch die Scheune und entzündete nach und nach alle Fackeln, die an den Wänden hingen. Der gesamte Raum wurde in ein diffuses Licht getaucht. Schatten waberten über den Boden, es roch nach Blut, Schweiß und Fäkalien.

Der Gefangene hob seinen Kopf. Matthias konnte seine Angst förmlich riechen, die sich wie ein dunkler Mantel über den, sich jetzt wieder windenden, Mann gelegt hatte. Er trat näher zu ihm, hielt die Fackel hoch und sah ihm in die Augen.

»Hast du einen Namen?«

Der Angesprochene nickte. Mit krächzender Stimme kam ein »Johannes« hervor.

Der Henker nickte und zeigte mit dem linken Arm in die Scheune.

»Siehst du das, Johannes? Hier an diesem Ort werden Fragen gestellt. Und es hängt nur von deinen Antworten ab, wie lange du hierbleiben wirst.«

Er griff ihm unters Kinn und hob den Kopf an.

»Ich stelle Fragen. Du antwortest. Der Schreiber entscheidet. Erst wenn er zufrieden ist, kann ich aufhören. Hast du das verstanden?«

Johannes nickte. Matthias sah die Panik in den Augen des Mannes. Zeit für eine Steigerung, entschied er.

»Hast du schon einmal eine hochnotpeinliche Befragung erlebt?«

Kopfschütteln. Matthias dachte daran, wie er von seinem Meister eingewiesen worden war. Er hörte wieder die Schreie der Geschundenen, die Flüche. Das Betteln und Flehen. Mit einem Schaudern erinnerte er sich, als die Inquisition hier gewesen war. Sechs Jahre war das her. Tagelang hatte er mit seinem Meister die Angeklagten verhört. Männer, Frauen. Er roch wieder das Blut. Damals hatte er gelernt, alle Gefühle zu verbergen. Er wischte die Gedanken beiseite.

»Es gibt Regeln dafür. Normalerweise würde ich dir jetzt alle Werkzeuge zeigen, dir erklären, wozu sie gemacht wurden. Dann hättest du eine Nacht Zeit, um dir zu überlegen, ob du nicht lieber freiwillig alles zugibst.

Aber leider haben wir diese Zeit nicht. Daher werde ich es kurz machen. Ich zeige dir ein Werkzeug, sage dir, was ich damit machen werde. Dann hast du einen Augenblick Zeit. Kommt keine Antwort oder eine, die dem Schreiber nicht gefällt, wirst du das Werkzeug spüren.«

Er trat einen Schritt zurück und sah die beiden Wachen an, deren Namen er nicht kannte.

»Zieht ihn aus und auf die Streckbank mit ihm.«

Das Geräusch reißenden Stoffes war zu hören, ein leises »Nein«, dann ein dumpfer Knall, als Johannes auf die Bank geworfen wurde, gefolgt von einem Stöhnen. Matthias entfachte inzwischen das Schmiedefeuer in einer Ecke. Schnell erwachte es fauchend zum Leben. Dann wandte er sich wieder an Johannes. Dieser war mit breiten Ledergurten über der Brust und den Beinen fest auf die Streckbank geschnallt worden. Matthias nickte und nahm eine Zange von einem Tisch. Das Griffstück war abgewinkelt und die Backen vorne waren glatt geschliffen. Er hielt sie Johannes vor die Augen.

»Damit reißt man Nägel aus. Kannst du zählen, Johannes?«

»Ja, Herr«, stammelte Johannes.

»Wie viele Finger hast du?«

»Zehn, Herr.«

Matthias sah zu Popolius. Jetzt war dieser an der Reihe, die erste Frage zu stellen.

»Wie viele andere Kinder hast du noch geschändet?«, knarzte die Stimme des Schreibers.

»Keines, Herr.«

Ein kurzer Blick zu Popolius zeigte Matthias, dass dieser mit dieser Antwort nicht zufrieden war.

»Haltet seine linke Hand«, befahl er. Er suchte sich den Daumen aus, kniff die Zange am Rand des Nagels zusammen und mit einem kurzen Ruck löste sich der komplette Daumennagel.

Johannes brüllte laut auf. Matthias gab ihm eine Ohrfeige.

»Wie viele Nägel hast du noch an den Fingern?«, brüllte er.

»Neun, Herr«, winselte der Gequälte.

»Wie viele Kinder hast du geschändet?«

Die Stimme von Popolius überschlug sich beinahe.

»Keines, Herr.«

Auf ein kaum wahrnehmbares Nicken des Schreibers hin, machte Matthias weiter.

Schnell folgten einige weitere Nägel, gefolgt von einem Eimer Wasser, als Johannes das Bewusstsein verlor.

»Er ist verstockt, Meister Matthias«, meinte Popolius. »Ich glaube, er verhöhnt uns.«

Mattias verstand, nahm eine andere Zange, erklärte den Zweck und wiederholte seine Frage. Johannes stammelte eine Antwort, aber der Schreiber schüttelte den Kopf. Also brach Matthias dem Mann zwei Zehen und drei Finger.

Daraufhin gestand er, in Mainz zwei Mädchen und einen Knaben geschändet zu haben.

Der Schreiber flüsterte Matthias etwas ins Ohr. Daraufhin holte er einige Eisenstäbe, die neben der Schmiede lagen, und zeigte sie Johannes.

»Ich denke, du hast noch mehr zu beichten. Sieh her, dieser Stab.«

Er fuhr mit ihm langsam über den Bauch des Mannes.

»Noch ist er kalt. Aber in ein paar Minuten wird er rot glühen. Wenn ich ihn dann auf deinen Bauch halte, wirst du erst denken, es wird ein Schwein gebraten, so riecht es. Dann kommt der Schmerz. Deine Haut wird rot, sie platzt auf. Das Fleisch verkohlt. Also erleichtere dein Gewissen.«

Er zeigte ihm die anderen Eisenstäbe, dann legte er diese in die Glut. Nach wenigen Minuten holte er den Ersten davon wieder heraus und zeigte ihn Johannes.

»Nun?«

Als keine Antwort kam, drückte er ihm das heiße Eisen auf die linke Brustwarze. Der Schrei des Mannes war ohrenbetäubend. Es roch nach verkohltem Fleisch, nach versengter Haut. Die Blase des Mannes entleerte sich und der Schließmuskel versagte. Es stank erbärmlich.

Doch Matthias folgte nur den Zeichen des Schreibers. Er hatte noch nie die Folter oder eine Hinrichtung ohne die Anleitung seines Lehrherren durchgeführt und wusste, mit dieser Befragung und allem, was danach kam, würde er sich beim Vogt beweisen. Es gab mehr als genug Henker ohne Anstellung. Und er hatte nichts anderes gelernt. Er musste nur aufpassen, dass er keine Körperteile beschädigte, die für eine Bestrafung in Frage kämen.

Ohren, Nase, Gemächt und Augen waren tabu, außer auf direkte Anordnung. Alles andere konnte er malträtieren.

Es verging eine weitere Stunde, bis der Schreiber schließlich »Genug« sagte. In dieser Zeit hatte Johannes gestanden, in mehreren Orten Ehebruch begangen zu haben. Er habe Vieh und Geld gestohlen. Er war in Kirchen eingebrochen. Hatte es mit Schafen und Ziegen getrieben. Und noch vieles mehr.

Matthias war klar, dass das meiste nur erfunden war, damit diese Qual ein Ende hatte, und hielt die ganze Befragung für überflüssig. Man hatte ihn auf frischer Tat bei etwas erwischt, was allein Grund genug war, den Schurken hinzurichten. Wozu noch mehr Geständnisse erpressen?

Der Schreiber drehte sich noch einmal um.

»Eine letzte Frage: Wer sind seine Komplizen?«

Matthias schluckte. Das war eine der gemeinsten Fragen. Hatte er keine und sagte es so, würde der Schreiber nicht zufrieden sein. Beschuldigte er jedoch jemanden, so war auch dieser dem Tode geweiht.

Matthias nahm ein Werkzeug, welches ähnlich wie eine Zange geformt war. Sie hatte zwei spitze Dornen statt zwei Backen. Nachdem er Johannes den Zweck dieses Werkzeuges erklärt hatte und auf die Frage nach den Komplizen die Antwort nicht zur Zufriedenheit des Schreibers ausgefallen war, setzte Matthias das Werkzeug ein. Mit der linken Hand griff er sich den Bauch des Delinquenten, presste das Fleisch zusammen und setzte es an. Langsam drückte er es zusammen, bis sich die Dornen durch das Fleisch gebohrt hatten. Blut sprudelte hervor. Der Mann brüllte wie am Spieß.

»Der kahle Walther. Dazu der krummbeinige Franz.«

Dann fiel er in Ohnmacht.

»Das genügt, Meister Matthias. Bringt ihn morgen nach der Frühmesse zum Gerichtsplatz.«

Matthias nickte. Als der Schreiber sich zur Tür drehte, sah er dort ein Mädchen stehen.

Marie war kreidebleich, bleicher noch als der gefolterte Johannes. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie schon hier stand und das Grauen miterlebte, aber jede Sekunde war zu viel gewesen. Gerne wäre sie gleich wieder davongelaufen und hätte vor der Johanniterscheune auf Popolius´ Rückkehr gewartet. Aber sobald sie den ersten Schrei des Gequälten gehört hatte, zitterten ihre Knie so sehr, dass sie keinen Schritt mehr hatte tun können.

»HEDA, du neugieriges Luder!«, schrie da der Schreiber mit seiner hohen, nasalen Stimme zu ihr hinüber. »Was hast du hier zu spionieren?«

Wie unter einem Schlag zuckte Marie zusammen, aber ihr Blick blieb unverändert auf Matthias gerichtet, den sie die ganze Zeit angestarrt hatte wie den Teufel persönlich und der sich jetzt zu ihr umgewandte. Das Blut des Delinquenten klebte noch an seinem Hemd. Sie brauchte drei Anläufe, ehe ihr endlich die Stimme nicht mehr versagte und sie stammelnd ihren Auftrag schildern konnte.

»Der Vogt schickt mich … er fragt nach dem Stand der Dinge!«

Das passte Popolius ausgesprochen gut, bedeutete es doch, dass er nicht selbst in die Vogtei zurückkehren musste und den Abend mit angenehmeren Dingen verbringen konnte. Seine Miene glättete sich sofort und er nickte wohlwollend, ging auf die zitternde Magd zu.

»Schön, schön. Du kannst ihm berichten, dass der Mörder all seine Vergehen zugegeben hat. Auf der Tafel steht alles, was der Vogt wissen muss. Pass auf, dass du die Schrift nicht verwischst!«

Er drückte die Tafel in Maries Hände, die sie in ihrer entsetzten Erstarrung beinahe fallen gelassen hätte. Der Umstand, dies durch schnelles Zupacken verhindern zu müssen, weckte das Mädchen schließlich aus seiner Lähmung und sie wich zurück, die Schreibtafel wie einen Schutzschild an die Brust pressend.

Sie wagte es nicht, Matthias den Rücken zuzuwenden, als ob er sie für das, was sie beobachtet hatte, einholen und derselben Behandlung unterziehen könnte.

Noch immer starrte sie ihn voller Grauen an, ging so lange rückwärts, bis sie aus dem Türrahmen verschwunden war und den Henker von Rothenburg nicht mehr im Blick hatte. Dann erst warf Marie sich herum und rannte aus der Johanniterscheune, so schnell ihre Beine sie trugen.

Am Ende der Burggasse stolperte sie und stürzte hart zu Boden, schlug sich schmerzhaft die Knie auf. Nun kam die blonde Magd langsam wieder zu sich und zum zweiten Mal an diesem Tage begann sie zu weinen, noch heftiger als bei den Schlägen ihres Herrn. Sie war sich sicher, nie wieder vergessen zu können, welchen Schrecken sie in dieser Scheune gesehen hatte.

Marie war nun endgültig davon überzeugt, dass Matthias auf gar keinen Fall ein Mensch sein konnte. Nur ein Teufel direkt aus der Hölle war fähig, einem anderen Menschen die Dinge anzutun, die er gerade getan hatte.

Der Henker von Rothenburg

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