Читать книгу Mein Name ist DRAKE. Francis Drake - Wulf Mämpel - Страница 17

Mein Leben!

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Vielleicht ist dieser blöde Spruch, den ich neulich zufällig beim Cricket-Spiel über mich hörte, der richtige Einstand für eine längere Lebensbeschreibung? Vielleicht - er lautet: „Martin Luther erschütterte das katholische Europa durch seine reformatorischen 95 Thesen im Jahre 1517, aber Sir Francis Drake beruhigte es wieder: Er gab uns die Kartoffel." Man muss sich diesen Unsinn nur einmal vorstellen: die Kartoffel. Unglaublich! Ich habe vor zwei Jahren England im Krieg gegen den katholischen Feind Spanien gerettet! Das ist mein größter Erfolg . . .

Solche blöden Witze kursieren bereits zu Lebzeiten über meine Person. Ist das üblich? Oder bin ich tatsächlich nur ein überschätztes, eitles und mit Komplexen behaftetes Mannsbild in einer Zeit, in der die pralle byzantinische Lebensweise eines Jahrhunderts, das wir Renaissance nennen, also der totale Überfluss – man denke nur an Spanien, Portugal, Frankreich und Italien – die Welt regiert? Überfluss in einer Zeit, in der die Demokratie auch in England das Laufen lernt? In der der Adel und der Klerus sich der Völlerei hingeben wie einst die übersatten Römer, bis sie durch die unverbrauchte germanische Kraft im Rahmen einer gewaltigen Völkerwanderung ihr Weltreich verloren? Wenn ich das Heute betrachte, dann denke ich an die neue Habgier, die nur Hass und Neid gebiert und mir Sorgen bereitet: „Wer in einem silbernen Bett schläft, der hat goldene Träume!“ Das darf England nie passieren! Niemals! Es ist aber auch die Zeit, in der eine Frau das Sagen hat, meine Königin Elisabeth I., eine Frau an der Spitze einer aufstrebenden Weltmacht, in einer von eitlen, brutalen und oft ungebildeten Männern dominierten Welt steht sie ihren Mann. Elisabeth wird wohl als die „jungfräuliche Königin“ in die Geschichte eingehen, obwohl es an Heiratskandidaten nicht mangelte. Ihren Oberstallmeister Sir Robert Dudley, den ich nicht leiden konnte, machte sie – neben der Affäre mit mir - zu ihrem Favoriten. Wir alle wussten natürlich, dass sie ihn allein aus politischen Gründen nicht heiratete. Wie auch den spanischen König nicht, der um ihre Hand anhielt, als seine ungeliebte Frau, Elisabeths Schwester, die „blutige Mary“, gestorben war.

Und ich? Ich an ihrer Seite! Mein bisheriges Leben lang handelte ich nach diesem Credo: „Sic parvis magna – Das Große entsteht aus kleinen Ursprüngen.“ Ich selbst bin das beste Beispiel dafür. Ein Mann - ehrgeizig, mutig, unwiderstehlich, eitel und oft beneidet. Geboren in einer spießigen Familie, doch voller Träume von der großen, weiten Welt, den weiten Meeren. Ich denke oft an meine Königin, an ihren schneeweißen, weichen Leib, an die Schreie, an ihre Lippen, die meinen Körper liebkosten, an die neugierigen Hände, die meinen Körper erforschten, an ihre staunenden Augen, wenn sie mich massierte. Ich sehe sie dann vor mir, neugierig, erwartungsvoll, gierig nach sexueller Liebe, nach Erlösung im Liebestod - im Liebestod vereint.

Zwei Wochen habe ich kein Wort geschrieben. Es fällt mir nichts ein. Ist mein Ausflug in die Welt der Autoren bereits beendet? Tagelang, oder sind es nicht doch sogar schon Wochen, quäle ich mich, bis ich etwas klarer sehen kann. Die Frage, die mich erneut beschäftigt: Soll ich diesen gewaltigen Berg erklimmen, der sich vor mir auftürmt? Wer wird die Oberhand bekommen, ich oder mein „Alter Ego“? Werde ich den Nerv der Erinnerungen treffen? Diesen Moment der Erkenntnis? Oder soll ich sagen: Schuster bleib bei deinen Leisten! Nein, ich entscheide mich für: Heureka, denn niemand wird meine Kreise, meine Erinnerungen stören. Niemand! Ich werde den Gordischen Knoten lösen, wie einst Alexander – mit einem Befreiungsschlag! Denn ich habe gelernt: Homo homini lupus – Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf! Das begreift der, der, so wie ich, lange bei Hofe lebt und im Schatten der Mächtigen hochgeachtet existiert. Dies sagte meine Königin mir in den ersten Monaten unserer Freundschaft: „Denkt daran, Mr. Drake, wer bei mir in einem Jahr reich werden will, wird schon nach zehn Monaten gehängt.“

Zwei Wochen später: Ich habe die Hemmung überwunden, mir geht es wieder gut. Ich schreibe weiter, ich döse aber heute besonders lange vor mich hin. Eine dicke Felldecke aus Wolfspelz wärmt mich. Irgendetwas langweilt mich und stört meinen Gedankenfluss. Ich beobachte voller Interesse einen großen Falken, der steil über mir seine Kreise zieht. Falken bewundere ich seit meiner Jugend. An Falkenjagden der Königin bin ich immer gerne Gast gewesen. Der stolze Greif stürzt plötzlich wie ein Stein in die Tiefe und schlägt wenig später eine Taube, die er sicher und überlegen in seinen scharfen Fängen hält und sie in sein Nest fliegt. Das nenne ich eine faire Jagd, denn der Falke tötet nur, um satt zu werden. Nicht aus Lust am Töten wie der Mensch. Ich selbst habe getötet, ja, das ist wohl wahr. An Land und auf den Meeren. Mit dem Schwert, dem Dolch und der Pistole, aber eben auch mit den alles zerstörenden Bordkanonen. Wenn der Donner erscholl und wenig später die Bordwand eines Schiffs zersplitterte oder der Mast auf das Deck krachte und Feinde tötete, jubelten wir. Dabei vergaßen wir die Toten, die jeder Treffer bedeutete. Ich habe bei all meinen Einsätzen immer wieder beschwichtigend meine Seele beruhigt, indem ich mir sagte: Ich bin Soldat, ich habe einen Kampf zu führen, ich will siegen. Meine Frau und meine Freunde sagen jedes Mal, wenn ich an Bord meines Schiffes gehe: „Als Sieger kehre heim. Wehe den Besiegten!“

Natürlich war ich ein Glückspilz: Mein Erfolg ist möglich geworden, weil sich das Verhältnis zwischen dem reichen und damit mächtigen Spanien und dem aufstrebenden England mit einem Mal trübte: Als einige unserer Schiffe im Golf von Mexiko 1568 von einem starken spanischen Verband brutal überfallen wurden, änderten sich die bis dato eher neutralen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Neutral ist vielleicht falsch: Durch die spektakuläre Heirat König Philipp II. von Spanien mit Elisabeths Schwester Maria Tudor, die fünf Jahre lang bis 1558 Königin von England und Irland gewesen ist, waren die Bande sogar recht eng geknüpft. Viele meiner Landsleute waren über diese Heirat empört, zumal der Protestantismus in England in krassem Widerspruch zur strengen katholischen Ausrichtung in Spanien stand. Spanien und Portugal sind wie Frankreich und Italien „papsthörig“. Und der Schrecken der katholischen Inquisition, der wie eine alles niederbrennende Fackel durch Europa raste und unschuldige Menschen auf brutalste Weise dem Feuertod übergab, entsetzte die neuen evangelischen Länder Europas.

Besonders die Hexenverbrennungen erschütterten die Menschen. Spanien versuchte durch die Heirat mit Maria, Einfluss auf die protestantische Religion in England zu bekommen, was aber misslang. Es ging ein Aufatmen durch England, als Maria 1558 verstarb und ihre puritanische, ehrgeizige Halbschwester Elisabeth am 15. Januar 1559 den britischen Thron bestieg. Es war geradezu absurd: König Philipp glaubte ernsthaft, sich nun mit Elisabeth vermählen zu können! Er wollte beide Schwestern in seinem Bett haben! Ein Gelächter setzte ein von Schottland bis Cornwall. Unsere Queen ließ den eitlen, engstirnigen Pfau nicht nur abblitzen, im Gegenteil – sie drückte beide Augen zu, als mutige englische Kapitäne als Freibeuter im karibischen Meer spanische Schiffe ausraubten und versenkten. Mit einem Mal war die Rivalität zwischen beiden Ländern ausgebrochen, zumal die Spanier in religiöser Verblendung und sicher mit der Unterstützung Roms immer wieder englische Gefangene quälten und sie sogar im Rahmen ihres Inquisition genannten Wahns als Ketzer verbrannten. Da lief das Maß über! Hinzu kam die mit päpstlichen Segen brutal durchgeführte Kolonisierung der neuen Welt in Mittel- und Südamerika – als Missionierung deklariert. Dabei ist es allen klar gewesen: Es ging um Gold, viel Gold. Ähnlich wie bei den Kreuzzügen, so interpretierte ich es bei jeder Gelegenheit, stand hinter allem der unausgesprochene Befehl: Gott will es! Hinzu kam die religiöse Entwicklung in den Niederlanden, die Elisabeth unterstütze, um sie von der spanischen Besatzung zu befreien, was wiederum Spanien und Frankreich empörte. Als in Frankreich die Hugenotten ermordet wurden, waren die Fronten klar: Es schlug die Stunde der Männer meines Kalibers, Piraten wurden mit einem Mal anerkannt, ja, zum Teil auch bewundert, weil sie durch ihre erfolgreichen Operation für Spanien zu einem ernsten Problem wurden. Das Ziel war klar: Letztendlich ging es um die Vormachtstellung in der alten und in der neuen Welt, die zu einer wirtschaftlichen Konkurrenz auf den Meeren führte. Mein Vetter John Hawkins und später auch ich brachten natürlich im Verein mit weiteren Kapitänen den lukrativen „Gold- und Silberfluss“ nach Spanien ins Stocken. Ich erinnere mich noch an meine erste fette Beute, als meine Männer und ich eine große Schatzkiste aufbrachen, die voll von Goldmünzen war: Wir warfen das Gold vor Übermut über uns wie einen goldenen Mantel! Wir „badeten“ im spanischen Gold. Endlich reich! Endlich von Armut und Entbehrung befreit!

Das weitere Ziel, das Elisabeth jedoch niemals offen aussprach: Die Welt sollte britisch werden! Männer wie ich trugen dazu bei, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht wird . . . Einen Beweis liefert sogar der Papst selbst in einem Brief, den ich auf einem der spanischen Beuteschiffe fand: „Der König spielt mit seiner Armada herum, doch die Königin handelt in Ernsthaftigkeit. Wäre sie nur katholisch … sie wäre unsere meistgeliebte, denn sie ist von großem Wert! Seht nur diesen Freibeuter Drake: Wer ist er? Was für Kräfte hat er? Und dennoch hat er vor Gibraltar, dem Felsen des maurischen Eroberers Tarik, 25 von des Königs Schiffen verbrannt und noch einmal so viele in Lissabon. Er hat die Flotte beraubt und sogar Santa Domingo eingenommen. Sein Ruf ist so groß, dass seine Landsleute ihn bejubeln, zu ihm strömen, um an seiner Beute teilzuhaben. Es tut Uns leid, dies sagen zu müssen, aber Wir haben keine hohe Meinung von dieser spanischen Flotte und befürchten sogar ein Unglück!“

In letzter Zeit kommen mir Zweifel, ob das, was ich mit meinem Leben gemacht habe, wirklich gut gewesen ist, ob es Bestand hat und meine Berühmtheit rechtfertigt. Zweifel eines berühmten Seehelden? Ich sitze hier und langweile mich doch schon wieder, die häusliche Ruhe ist nichts für mich. Sie zwängt mich ein, behindert mich, blockiert meinen wachen Geist. Mir fehlt, ich bekenne es offen, die Gesellschaft der Königin und die Planken eines schnellen Seglers. Sie will mich nicht sehen! Sie sei krank, heißt es aus ihrer Umgebung. Ein Bote brachte mir die Nachricht gestern erst, obwohl ich schon eine Woche auf ihre Antwort warte. Meine Frau lacht mich aus, sie ärgert mich auf ihre charmante Weise: „Die Königin liebt Dich nicht mehr, Francis, begreife es doch endlich. Du bist nicht mehr ihr Galan, Du bist der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat, wie unser Freund Shakespeare es so trefflich formulierte. Er meinte, als er bei seinem letzten Besuch in unserem Haus aus seinem neuen Drama vorlas, nicht seinen schwarzen venezianischen Admiral Othello, sondern Dich!“

Ich nicke belustigt, es stimmte ja, was meine Frau da sagt. Ich vermisse die Königin ja nicht als Frau, sondern als Regentin. Irgendwie ist ein Stillstand eingetreten, der die großartigen Pläne verzögert. Hat unsere Königin Angst bekommen, ihren kühnen Gedanken Taten folgen zu lassen? Ich stelle fest: Sie lässt mich nicht mehr teilhaben an ihren Gedanken . . .

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake

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