Читать книгу Mein Name ist DRAKE. Francis Drake - Wulf Mämpel - Страница 8

Ich werde mit der Königin darüber reden müssen!

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Ist Schreiben wie das Malen eines Bildes? Dann mische ich mir schon mal die benötigten Farben . . . Ist Schreiben wie Tapferkeit? Wenn Tapferkeit Furchtlosigkeit bedeutet, dann ist mir in meinem sehr abenteuerlichen Leben noch kein tapferer Mann begegnet, denn jeder Mensch hat im Angesicht des Todes Angst. Je intelligenter er ist, umso mehr hängt er an seinem bisschen Leben. Tapfer ist dann wohl nur der, der von seiner Tapferkeit keine Notiz nimmt.

Ist Schreiben wie Verrat? Verrate ich etwas, indem ich über mich, meine Gefühle, Gedanken und über andere schreibe, über Ereignisse und über Eventuelles? Bin ich ein moderner Judas, der seinen Herrn verriet, um den göttlichen Auftrag zu erfüllen? Bin ich noch ich selbst? Ich habe durch meinen strenggläubigen Vater folgendes gelernt: Ohne Judas kein Jesus, keine Kreuzigung, keine Wiederauferstehung, keine neue Religion. Ohne Judas kein Christentum! War mein Vater, als er mir diese Interpretation erklärte, ein wenig verrückt? Judas kein Verräter, sondern ein im Auftrag Gottes handelnder guter Mensch? Ein Befehlsempfänger?

Ich muss dieses Grübeln drangeben, sonst werde ich nichts zu Papier bringen können. Niemals . . . Es bleibt die Frage: Was bleibt von mir und meinem Leben übrig? Wie werden folgende Generation diesen Piraten Drake, den Seehelden Sir Francis, den Sklavenhändler Drake, den Beutemacher beurteilen? Ist er vielleicht sogar in der Bedeutungslosigkeit versunken, wie so viele vor ihm? All diese Fragen quälen mich und lassen mich zu viel nachdenken. So wird es nicht klappen, niemals.

Meiner Frau habe ich gestern einige erste Passagen, die ich als Übungen bezeichne, vorgelesen, weil sie mich darum bat. Ihr Kommentar ist mir sehr viel wert: „Deine Art, die Dinge zu beschreiben, gefällt mir, lieber Francis. Der Leser kann sich in Deine Lage versetzen, er nimmt Teil an Deinen Erlebnissen, Deinen Gefühlen, Gedanken und an Deinen Schwächen. Aber besonders an Deinen Stärken. Der Leser blickt auch in einen Spiegel, den Du ihm vorhältst. Du hast Talent, lieber Francis, nutze es.“ Nun bin ich noch unsicherer, weil Elisabeth jetzt eine Erwartungshaltung entwickelt, vor der ich mich fürchte. Ich möchte sie nicht enttäuschen, ich möchte niemanden enttäuschen – auch meine Königin nicht.

Ein Leben zu beschreiben, das können offenbar nur wenige. Je älter ich werde, und mit Anfang 50 beginnt ja wohl das Alter, desto größer wird bei mir die Erkenntnis, dass ich zu wenig weiß! Andererseits wächst mit dem Wissen der Zweifel, das macht mich nervös. Mein Wissen stammt lediglich aus der Erfahrung und dem, was ich in meinem Elternhaus vorgelebt bekam, es ist also Stückwerk. Es fehlt irgendwie das System. Da lob ich mir das englische Sprichwort: Das Erkennen der eigenen Unwissenheit ist der erste Schritt zur Weisheit! Ob das stimmen mag? Meine Frau, mit der ich mich oft über solche Fragen austausche, meint: „Man könnte auch sagen, wenn der Teufel alt wird, möchte er Mönch werden. Das Alter und das Wissen sind wie Geschwister – beide setzen sich im Laufe der Jahre durch. Deine Gedanken, lieber Francis, entspringen Deiner Erfahrungswelt, einer bunten, wilden und spannenden Welt. Lass Deinen Gedanken freien Lauf, notiere das, was Du erinnerst, was Du für wichtig hältst. Das ist schon sehr viel, es möge reichen. Und, mein Lieber, nimmt Dir Zeit, Du hast noch ein langes Leben vor Dir.“

Kann ein Mensch sich vor dem Tode wirklich glücklich schätzen? Ich bin jetzt 50 Jahre alt, daher ist es kein Wunder, dass ich über Glück, über Leben und Tod nachdenke. Gedanken, die ich früher verdrängte. In einem Gefecht haben diese Gedanken keinen Platz, da geht es um das Überleben und Gewinnen. Ich spüre, wie mein Bewusstsein wächst im Laufe meiner Lebensjahre, wie die Kraft der von mir ab und an gesuchten Stille und die Phasen der Ruhe mich heute zufriedener machen. Das Kriegsgeschrei und Kampfgetümmel erfreute mich in jungen Jahren. Das war meine Musik. Ich schlug viele Schlachten, watete im Blut meiner Feinde, tötete so manchen jungen Helden. Es war ein Rausch, der meine Sinne betörte. Ich war ein gefürchteter Seefahrer. Doch heute – ich werde älter und ruhiger. Nicht, dass ich ein lahmer Esel geworden bin, nein, im Gegenteil. Nur die Werte haben sich verschoben. Ich denke mehr über den Tod nach, über mein Leben nach dem Tod, das ich sicher – so Gott will – im Himmel verbringen werde. Ganz sicher im Himmel!

Ich schreibe dies alles nieder - meine geheimen Gedanken, meine Träume, meine Erlebnisse - weil ich das Gefühl entwickelt habe, es niederschreiben zu müssen und ein merkwürdiger Ehrgeiz mich antreibt. Ich verzichte bewusst auf eine Art Chronologie! Ich springe durch die Zeiten wie meine Gedanken mich führen werden. Ein kunterbuntes Durcheinander. Ist es die überhebliche Laune eines älteren Mannes, der alles, fast alles erreicht hat? Ist es ein Vorzeichen des nahenden Todes? Für wen schreibe ich das alles auf? Ich weiß es nicht. Für meine Kinder, die ich noch nicht habe? Vielleicht schauen sie später einmal in die Memoiren ihres Vaters. Wer schreibt, wer sein Leben aufschreibt, ist ein Mensch, der zumindest gesund ist und vieles überlebt hat! Ich schreibe, also bin ich! Vielleicht auch, weil ich stolz auf mein Land, mein Volk und auf die Vergangenheit bin: Ein Land, das seine Vergangenheit, seine Geschichte und die Wurzeln seiner Väter und Mütter vergisst, hat keine Zukunft.

Viele große Herrscher schmücken sich mit Gold und Diamanten, mit schönen Frauen und Prunk, mit großen Pferdeställen, mit Palästen und Waffensammlungen. Das alles besitze auch ich ausreichend, weil ich nach einem alten englischen Prinzip an mein Lebenswerk ging: Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammengehen. Doch was mir bisher fehlte, war die Ruhe, um meine Gedanken zu sortieren und niederschreiben zu können. Ich gestehe: Ich bin glücklich und zufrieden mit meinem bisherigen Leben! Glück ist – wie das Gold - ein höchst flüchtiges Gut, es kann sich täglich ändern. Wie der Reichtum auch: Durch Krankheiten, die plötzlich auftreten, durch Niederlagen, durch gemeinen Verrat, durch Untreue, durch Eifersucht, Mord und Neid. Unsere Zeit ist brutal geworden, doch es gibt immer noch große Gefühle, große Männer und Frauen, die zeitlos scheinen und ihr Glück mit beiden Händen packen. Doch auch das habe ich begriffen: Große Männer waren einmal klein. Es kann sein, dass die Größe, die man sucht, dich erdrückt – ein Spruch meiner Mutter. Sie sagte aber auch: „Groß sein tut es nicht allein, sonst holt die Kuh den Hasen ein!“

Glück hat meist doch wohl nur der Tüchtige – so wurde ich erzogen! Als ich ein Kind war, sagte meine Mutter aber auch zu mir: „Wirst Du Soldat, mein Sohn, so wirst Du ein General werden. Wirst Du Pater, wirst Du ein Bischof werden“. Ich wollte Seefahrer werden und ich bin Sir Francis Drake geworden, den die Spanier am liebsten sofort ausgeliefert bekommen wollen – so jedenfalls lauten die Anträge gegenüber der Königin, die dieses Ansinnen bisher stets mit einem Lächeln ablehnte.

Ich bin jetzt in einem Alter, das viele überhaupt nicht erreichen. Sie sterben schon früher eines natürlichen Todes oder durch irgendeine Pestilenz im Bett, werden im Kampf getötet oder sind so alt, dass sie verkalkt und kaum ansprechbar sind. Ich habe meine Lektion begriffen: Alt werden nicht die Alten, alt werden nur die Jungen. Was also ist erstrebenswert? Bringt das Alter tatsächlich die Erleuchtung, wie behauptet wird? Ich hoffe es, bin mir aber nicht mehr so sicher wie vor ein paar Jahren noch. Alter schützt eben nicht vor den vielen Krankheiten, die uns heimsuchen, was die Ärzte freut, aber auch nicht vor Neugierde, Torheit, Lächerlichkeit, Verfehlungen, Verlangen, vor Träumen, Enttäuschungen und Hoffnungen. Das hört wohl nie auf. Mein Leben ist reichlich voll von Verfehlungen, obwohl . . . ich zufrieden und dankbar sein sollte. Ich war ein erfolgreicher Pirat . . . bin es vielleicht in meinem Herzen immer noch. Ich bin noch zu jung, um keine Wünsche, keine Gefühle mehr zu haben, aber schon so alt, um meine verpassten Gelegenheiten zu bedauern! So genieße ich mein Leben in aufrichtiger Dankbarkeit zwei Frauen gegenüber: Königin Elisabeth I. und Elisabeth, meiner schönen, zärtlichen, jungen Ehefrau.

Mit welchen Augen soll ich meine Welt betrachten? Mit den Augen des Patrioten, des Piraten oder Entdeckers? Oder mit den Augen eines verliebten Ehemanns, des Ex-Liebhabers und Günstlings der Königin? Den Augen eines wohlhabenden Bürgers, eines Seehelden und Sir? Ich bin ja nicht der wilde, junge Mann gewesen, eher ein träumerischer Junge aus einem sehr streng calvinistisch geprägten Elternhaus, der aber sehr früh wusste, was er wollte. Ich war keiner dieser geilen, jungen Böcke, der Mädchen um jeden Preis erobern wollte, weil er seine Wollust nicht zügeln konnte. Es war bei mir eher Neugierde als Gier nach dem anderen Geschlecht. Ich hatte in diesen Jahren den Spruch meines strengen Vaters im Ohr, der das Weib als ein Gefäß der Sünde bezeichnete. Meine Mutter bestrafte ihn jedes Mal dafür, wenn er diesen Satz sprach, indem sie ihm nachts die Pflichten einer Ehefrau verweigerte. Ich verstand erst später, was das bedeutete. Also: Mit welchen Augen? Ich habe mich entschieden: Mit den Augen eines Patrioten! Ja, die Vaterlandsliebe ist mir immer sehr wertvoll gewesen ohne blind zu sein vor den Meinungen Andersdenkender. Ich bin also daher kein Nationalist, obwohl ich den Erfolg Englands jetzt genieße – als Seeheld, als Sir und Admiral, als eine Art Legende schon zu Lebzeiten. Vielleicht bin ich ein Idealist. Aber: Kann man Idealist sein, wenn man ein Pirat und Freibeuter ist, den der spanische König am liebsten an den erstbesten Mast hängen würde? Hätte er ihn denn!

Ich finde, viele meiner Zeitgenossen haben verlernt, dankbar, vielleicht sogar etwas demütiger zu sein. Wir wollen als Bürger immer mehr, wollen immer höher hinaus, immer mehr im Wohlstand und im Luxus leben. Dabei verdirbt Luxus den Ehrgeiz, denn wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, geben wir anderen, meist „denen da oben“, die Schuld. Das geht quer durch alle Schichten. So entstehen Revolutionen, wenn die richtigen Volksverführer zu Werke gehen. Sie haben heute Hochkonjunktur! Wir träumen von einer Neuen Welt, die wir uns Untertan machen wollen. Amerika heißt das Zauberwort. Amerika, der Süden spanisch, der Norden immer noch unbekannt, unberührt. Was wird uns dort erwarten? Wir kennen nur die Küsten des riesigen Landes, mehr nicht. Wer lebt dort, wie viele Menschen leben dort und wo?

Wie ein Goldenes Kalb umtanzen wir den neuen, riesigen Kontinent, der uns noch sehr fremd ist. Mein Gott: Erst vor einhundert Jahren entdeckt und nun schon zur Hälfte ruiniert! Die Spanier und Portugiesen haben der alten Welt gezeigt, wie wir Engländer es im Rahmen einer Besiedelung des nördlichen Teils des Kontinents nicht machen sollten. Die Frage ist aber: Sind wir besser, vorsichtiger, weniger brutal, also humaner als diese Katholiken? Ich bezweifle das . . . Es ist immer die Frage, wer gerade an der Macht ist. Wer das Zeug dazu hat, die Zukunft für sein Königreich zu gestalten und das Volk, die Bedürfnisse des Volkes, nicht aus den Augen verliert. Sind das die Gedanken eines Träumers, eines Illusionisten? Vielleicht. Vielleicht bin ich der Ansicht, die Zukunft ist so wie die Gegenwart. Dabei weiß ich aus der Geschichte, dass das nicht stimmt. Es ist immer noch der Hochmut der Weißen und der Missionseifer Roms, die sich in der Neuen Welt auf einer höheren Stufe der Zivilisation fühlen, unter dem Mantel, den Fremden Gutes zu tun. Dabei ist es die brutale Form der Ausbeutung und des Rassismus, der nur deshalb entstand, um die Plünderung außereuropäischer Länder zu rechtfertigen. Schwarze Sklaven werden wie Tiere zur Schau gestellt und auf Jahrmärkten gegen Eintritt präsentiert. Wir fühlen uns als die Norm gegenüber den afrikanischen und asiatischen Kulis und lassen bei jeder Gelegenheit unsere angebliche Dominanz walten. Doch schon in der Antike gab es Aufstände von Sklaven, das kann sich wiederholen.

Ich sollte wirklich das Grübeln lassen. Zu viele Gedanken behindern den Schreibfluss. Wer ein schlechtes Gedächtnis hat, wird nicht vermeiden können, seine Fehler zu wiederholen. Auch beim Schreiben. Wenig Mut macht mir daher der Spruch meiner Mutter: „Große Männer verdanken ein Viertel ihres Ruhms ihrer Kühnheit, zwei Viertel dem Glück und das letzte Viertel ihrer Brutalität!“ Ich schreibe, bin ich schon in der Lage, die Welt, mein Leben und das meines Landes zu beschreiben? Ja, ich bin! Ich habe mich auf dieses Abenteuer eingelassen, wie es ausgehen wird, weiß ich nicht. Dabei ist mir inzwischen klar geworden: Mein Leben ist es wert, erzählt zu werden. Vielleicht als ein Beispiel für alle, die nicht wohlgeboren wurden. Männer wie ich haben eine Chance im Leben. Das zeigt mein Beispiel deutlich. Dabei habe ich inzwischen begriffen: „Das Lesen heißt Antworten suchen, das Schreiben stiftet eher Verwirrung!“ Ich gebe zu, dass ich die Zukunft Englands deutlich vor mir sehe: Eine blühende Insel, die in der Welt große Bedeutung erlangt. Wir werden viele fremde Länder erobern, werden Völker beherrschen, werden Menschen, die sich uns in den Weg stellen, vernichten. Ich frage mich aber auch, was werden wir antworten, wenn wir vor unserem Richter stehen? Was kann ein Sieger antworten, wenn er gesiegt hat? Dass ihm die vielen Toten leidtun? Auch die britische Welt wird brutal sein, das habe ich inzwischen begriffen, obwohl ich immer noch an Menschen glaube, die human miteinander umgehen werden. Sicher bin ich mir aber nicht mehr.

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake

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