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Tría – 3

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Als Antwort auf eine selten gestellte Frage: Schafe lassen sich mit zehnminütigem Hupen von der Landstraße vertreiben.

Sofia hatte es nun experimentell erprobt. Möglicherweise hatte es zusätzlich auch am Schäfer gelegen, der nach neunminütigem Dauerhupen über das Brachland gehumpelt kam und aus seiner Pfeife einen leisen Ton abgab. Die Schafe bewegten sich daraufhin recht zügig in Richtung Bergkette, während der Hirte ihr in ihrem asiatischen Kleinwagen einige wüste Beschimpfungen hinterherrief. Vielleicht wünschte er aber auch nur einen schönen Tag. Sofia konnte das nicht mit Gewissheit sagen, weil ihre Kenntnis des nikosianischen Bergdialekts nicht so ausgeprägt war.

Sie fuhr weitere zwanzig Minuten durch die Steppe; die Beschilderung hatte längst aufgehört, die Sonne stand im Zenit. Die Straßenmarkierungen waren so gut wie vollständig abgeschabt, aber das machte nichts: Ein anderes Auto war ihr seit einer Dreiviertelstunde nicht mehr entgegengekommen. Links und rechts der Straße standen ein paar karge Bäume, dazu die dornigen Gräser und Sträucher, die für die Gegend so typisch waren. Schließlich kam doch noch ein Schild. Ein Ortsschild. Kato Koutrafas. Das Schild war allem Anschein nach älter als Sofia. Vielleicht sogar älter als ihr Vater. Es benannte Sofia Perikles’ neue Heimat.

Der Charme des Dorfes erschloss sich nicht sofort. Sie war in England in einem Sommer durchs Land gereist und hatte so beschauliche Orte besucht wie Hull und Liverpool. In Deutschland hatte ihr ein verliebter Freund einmal Bitterfeld gezeigt. Alles keine Offenbarungen, alles Städte unterhalb der natürlichen Attraktivitätsgrenze. Aber in Kato Koutrafas zeigte sich, dass sie in Hull vielleicht doch ein schönes Eigenheim hätte beziehen sollen.

Die ersten Häuser des Dorfes waren gänzlich verfallen. Es waren alte Steinbauten, bei zweien von ihnen war das Dach eingestürzt, Fenster gab es ohnehin keine mehr. Im Zentrum, das nach zwanzig Sekunden Autofahrt erreicht war, sah es nicht wesentlich besser aus. Hier waren zwar die Dächer auf den Häusern intakt, aber alle Behausungen sahen erbärmlich aus, so arm und runtergekommen, dass ein Kosmopolit wie ihr Vater den Ort wahrscheinlich zum Komplettabriss freigegeben hätte.

Die Straße führte in einer geraden Linie durch das staubige Dorf. In der Ortsmitte gab es das klassische zypriotische Dreieck: rechts die Kirche, ein kleiner Bau mit spitzem Portal und rotem Dach, eigentlich war es eher eine Kapelle. Ein Schild verriet, dass sie der »Jungfrau Maria« geweiht war. Der Kirche gegenüber, auf der anderen Straßenseite, lag das Kafenion. Es trug keinen Namen mehr, die Aufschrift über der Tür war längst abgeplatzt. Vor dem Haus standen drei kleine Plastiktische mit den dazugehörigen weißen Stühlen. Keiner war besetzt. Und genau daneben befand sich die … Nun ja, es fiel ihr schwer, das Wort auch nur laut zu denken. Aber genau neben dem Café war Sofias neuer Arbeitsplatz. Die Polizeiwache.

Sie wusste nicht, ob sie schallend lachen oder weinen sollte. Und das schon zum zweiten Mal heute. Mit der E-Mail am Flughafen gar zum dritten Mal.

Was für ein absurder Ort. Denn es war kein richtiges gemauertes Gebäude, sondern ein Container. Die Aufschrift Police war an einem kleinen Schild neben der Tür angebracht, das stolze zypriotische Wappen über dem Schriftzug wirkte an dieser Baracke wie trotziger Hohn. Der Container maß vielleicht fünf mal vier Meter. Ein Loch. Sie würde einen Weg finden müssen, diesen Irrsinn zu beenden. Sie würde ihren Vater anrufen. Oder das Ministerium. Sie würden sie schon nach Nikosia kriegen. Irgendwie.

In diesem Moment klingelte es in ihrer Hosentasche. Sie hatte Netz. Hier. In Kato Kout… Wie auch immer das Kaff genau hieß. Hinter dem Namen des Netzbetreibers stand ein Balken. Wahnsinn! Aber irgendwie funktionierte die Rufnummernübermittlung nicht.

»Sofia hier, Papa, bist du es?«

»Wieso denn Papa? Babe, ich bin’s, Carl.«

»Carl …«

Sie schmolz dahin. Ihr schmucker blonder gutriechender Carl. Nicht zu vergessen: ihr reicher Carl. Ihr schlauer Carl. Ihr Carl aus verdammt gutem britischem Hause. Mit zwei Worten: ihr Carl.

»Wie geht es dir? Bist du gut angekommen? Dachte schon, irgendwas wäre mit deinem Flugzeug, weil du ewig keinen Empfang hattest …«

»Ach Carl, wenn du wüsstest. Es ist so richtig furchtbar hier.« Sie musste ein Schluchzen unterdrücken. Carl hatte sie noch nie weinen sehen. Na gut, das eine Mal, als ihr die Joints in Verbindung mit zwei Pale Ale nicht bekommen waren. Da hatte sie einen solchen Lachflash gehabt, dass sie hatte weinen müssen. Diesmal aber war es ernst.

»Was ist denn los, Sofia? Du klingst ja völlig verzweifelt.«

Sie schilderte in drei Sätzen, was ihr zugestoßen war. Allerdings war das Netz genauso stark, wie der eine Balken es vermuten ließ.

»Sofia, ich krieg nur die Hälfte mit. Die Kommunisten haben die Polizei übernommen? Und du musst Urlaub in einem Dorf machen? Was?«

Es war hoffnungslos.

»Ich rufe dich heute Abend an, o.k.?«

»Ja, ich glaube, das ist besser.«

»Du kommst mich in zehn Tagen besuchen, ja? Wie wir es besprochen haben? Es ist ganz furchtbar, ich brauch dich hier.«

Sofia hatte keine Ahnung, wo sie in zehn Tagen sein würde. In welchem Dreckloch sie wohnen würde. Aber sie wollte Carl hier haben. Es gäbe ja auch Hotels, im Zweifel.

»Ich hab dir doch gesagt, es ist leider viel los in der Firma. Aber du weißt, ich versuche es.«

Die verdammte Firma. Als müsste Carl überhaupt arbeiten. Sein Vater Abgeordneter im Unterhaus, seine Mutter Anwältin – aber Carl wollte ja unbedingt selbst Unternehmer sein. Jetzt machte er Werbung für irgendwelche amerikanischen Start-ups, verdiente schlecht und arbeitete achtzig Stunden die Woche. Nie hatte er Zeit für sie.

»Wir sprechen später, ja?«

»O.k., babe, bye.«

Er hatte aufgelegt. Und sie stand immer noch auf dieser staubigen Straße am Ende der Welt. Na gut, dann würde sie mal ihren Schreibtisch einnehmen, dachte sie und stapfte los.

Sofia klopfte dreimal an. Keine Reaktion. Die metallene Tür knarzte in den Angeln, als Sofia daran zog.

»Kalimera«, rief sie zaghaft.

Drinnen war es dunkel, weil die Jalousien vor den Fenstern runtergelassen waren. Dachte sie. Doch dann roch sie, was vor allem zur Dunkelheit beitrug: der dichte Rauch. Sofia musste husten. Die Luft war zum Zerschneiden. Als würde man in Manchester in eine Kneipe kommen. Also vor dem Rauchverbot. Vor fünfundzwanzig Jahren.

Als sie sich an den Nebel gewöhnt hatte, sah sie drinnen eine einsame Gestalt sitzen. Einen Mann, der aussah wie die Bäume vorhin in der Steppe. Hager und windschief, quasi ein Strich in der Landschaft. Er sah nicht auf, sie konnte nicht genau erkennen, was er überhaupt tat. Na gut, er rauchte. Eine erstaunlich dicke Zigarette steckte in seinem Mundwinkel, sie sah im Dunst wie selbstgedreht aus. Und vor ihm auf dem winzigen Schreibtisch stand eine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Viel war nicht mehr drin. Auch das Glas, das vor ihm stand, war nahezu leer. Die Lache auf dem Schreibtisch war dabei anzutrocknen.

Sie kam näher, er rührte sich immer noch nicht. Dabei glimmte seine Zigarette stetig und unablässig, die Glut wurde rot, schwarz, wieder rot, wieder schwarz. Es sah aus, als würde E.T. seinen Finger zum Leuchten bringen. Der Mann lebte also. Sie las die Aufschrift auf der Flasche: Zivania. Das zypriotische Äquivalent zum Grappa. Das Getränk für die, denen Ouzo zu schwach war.

Sofia versuchte es erneut, sie sagte ganz sanft: »Kalimera.«

Sie stand nun ziemlich nah vor ihm und sah, dass der Mann schlief. Und zwar tief und fest. Dabei saß er aufrecht – und: ja, sie konnte es ganz deutlich sehen –, seine Zigarette glimmte bei jedem Atemzug, den er tat. Ein Wunder, dass der Kerl nicht schon die Hütte abgefackelt hatte. Es wäre nicht schade drum gewesen.

Sofia trat noch einen Schritt auf ihn zu. Diesmal versuchte sie es mit einer Symbiose aus Akustik und Physis: Sie sagte ziemlich laut: »Yiassou« und klopfte mit ihrer Hand sachte gegen seine Schulter. Nun gut, nicht sachte im wörtlichen Sinne. Offensichtlich hatte sie die Schwere der Berührung unterschätzt, denn im nächsten Moment schreckte der Mann hoch, riss die Augen auf, verlor das Gleichgewicht und fiel mitsamt dem Stuhl schwerfällig auf den Boden, sodass es ein lautes Krachen und zugleich einen dumpfen Aufprall gab.

»Putana«, rief er, und seine Augen funkelten entschlossen, sodass Sofia nicht sagen konnte, ob er wütend oder irre war, »was ist denn los? Wer bist du? Bist du verrückt?«

»Es tut mir leid«, stammelte Sofia, aber sie sah nun an seinem Blick, dass er voller Wut ergründete, warum genau er auf dem Fußboden lag, und dass er die ihm langsam dämmernde Erkenntnis, dass eine Frau ihn soeben geschubst und samt seinem Stuhl auf den Fußboden befördert hatte, nun wahrlich nicht sonderlich anregend fand. Er sah sie an, prüfend, fuhr mit dem Blick ihr Sommerkleid entlang, suchte sie quasi von unten nach oben ab. Nach und nach berappelte er sich und versuchte aufzustehen. Aber er musste sich mit beiden Armen auf dem Boden abstützen, damit es gelang. Mühsam richtete er den Stuhl auf und ließ sich schwer hineinfallen. Er war, um es schlicht zu sagen, vollkommen besoffen. Wahnsinn, dachte Sofia. Es war noch nicht mal Mittagszeit. Eine hagere Gestalt mit hängendem Kopf und Trauermiene, zu der die rauchige Stimme nur zu gut passte: »Was wollen Sie hier? Es ist geschlossen.«

»Sie sind doch die Polizei?«

Er blickte sie an, als hätte Sofia ihn angeschossen. »Bitte?«

»Das ist doch die Polizeiwache. Und Sie sind Polizist. Wie kann da geschlossen sein?«

Er schüttelte sich kurz, als liefe es ihm kalt den Rücken herunter.

Sie besann sich. »Na, wie auch immer. Mein Name ist Sofia Perikles. Ich bin die Tochter des Botschafters in Paris und habe eigentlich eine Stelle im Innenministerium. Aber nun bin ich hierherversetzt worden.«

Er sah sie mit vollkommen leerem Blick an.

»Sind Sie denn nicht Chief Inspector Karamanlis?«

»Keine Ahnung, wovon Sie reden.«

»Man hat mich hergeschickt. Zum Arbeiten. Es muss ein Versehen sein.«

»Glauben Sie mir«, sagte er, und es war der erste Satz, den er deutlich sagte und der nüchtern klang, als wäre er sein Mantra, »hier in Kato Koutrafas ist jeder nur aus Versehen.«

Er lachte ein heiseres lautes Lachen, das die Luft durchschnitt. Er konnte gar nicht mehr richtig aufhören, schließlich sagte er, zwischen zwei neuen Lachsalven: »Sie sind hierherversetzt worden? Sie …?« Er musterte sie wiederum, diesmal von oben bis unten, und musste erneut lachen, diesmal noch lauter.

»Ihre Schuhe sind staubig, ganz staubig«, rief er und wies auf ihre schwarzen Schuhe mit dem Keilabsatz, die sie in London in einem kleinen Designerladen extra für ihre Landpartie gekauft hatte, und sein Lachen blökte wie die Schafe, die vorhin ihr Auto umstellt hatten. Doch er konnte nicht aufhören: »Sie sind die Tochter von, was, von einem Botschafter?«

Sie nickte, und er fing wiederum an. Hatte sie so ein Lachen schon mal gehört? Jemals in ihrem Leben? Der Typ war verrückt. Hatte draußen wirklich »Police« an der Tür gestanden? Allmählich glaubte Sofia, dass sie sich doch getäuscht hatte.

»Na, mal schauen«, sagte er und beruhigte sich langsam.

Er stand von seinem Stuhl auf und ging nach hinten zu einem altmodischen Faxgerät, wobei er gar nicht mehr so wackelig aussah wie zuvor. Im Eingangskorb lagen Dutzende Blätter.

Entweder die zypriotische Polizei hatte heute entschieden, alle wichtigen Anfragen aus sämtlichen Teilen des Landes ab sofort wieder per Fax zu versenden – und zwar an alle Reviere –, oder dieser Typ hatte den Korb seit Wochen nicht mehr geleert. Tatsächlich blätterte er seltsam orientierungslos in den Faxen, ließ die Seiten, die er nicht gebrauchen konnte, einfach zu Boden fallen und hatte erst nach einer Minute etwas Brauchbares gefunden. Er las das Papier ganz langsam, pfiff durch die Zähne, als hätte er eine enorme Zahnlücke, und blickte sie an: »Hier steht es. War viel los, habe das Fax nicht gelesen. Ist erst heute Morgen gekommen.«

Sofia hätte zu gern das Datum gesehen, aber er hatte den Zettel schon zerknüllt und warf ihn in den Eimer direkt neben seinem Schreibtisch.

»Sind Sie denn nun Kostas Karamanlis? Der Chief Inspector?«

Er setzte sich wieder auf den durchgesessenen Drehstuhl, und es war, als ließe der Klang seines Namens ihn zusammensinken.

»Freunde sagen Kostas. Für Sie Karamanlis. Und was soll das heißen, Sie arbeiten jetzt hier?«

»Das, was in meinem Berufungsschreiben steht. Dass ich, bevor ich zum Bürohengst in einer Behörde der Republik werde, erst mal für eine Weile die Praxis kennenlernen soll. Eine Entscheidung der neuen Regierung.« Sofia wusste gar nicht, warum sie hier so auf die Kacke hauen musste. Aber es lag in diesem Fall nicht mal an ihrer Eitelkeit. Sie wollte dem komischen Vogel vielmehr deutlich machen, dass sie eine große Nummer war und er mit ihr nicht so umspringen durfte.

»Eine gute Regierung«, murmelte er. »Der neue Präsident …«, er hielt sich den Kopf.

»Sind Sie Kommunist?«

In England hätte sie diese Frage nicht stellen dürfen, genauso wenig in Deutschland. In London kamen Gespräche über Politik zwar vor, aber niemand war dort ernsthaft Kommunist. In Berlin dagegen wurde nie wirklich über Politik gesprochen, das ganze Volk war in großer Sorge davor, entweder als Nazi oder als Linker abgestempelt zu werden, deshalb sprach man lieber übers Wetter. Damit hatte man ja auch genug zu tun. Doch hier in Zypern war das eine durchaus logische Frage: Entweder man war Kommunist – dann sah man aus wie Kostas Karamanlis, die Klamotten zerschlissen, die Haut eine Mondlandschaft, auf dem Tisch eine Flasche Ouzo oder Zivania –, oder man war Konservativer, dann sah man aus wie Sofia – oder wie ihr Vater. Der trug eine teure Schweizer Uhr am Handgelenk, hatte Schuhe aus Budapest und Anzüge aus Italien, ging einmal im Monat zur Pediküre und zur Hautpflege, er trank nur in Maßen und überhaupt keinen Schnaps.

»Ich war nicht wählen«, antwortete Karamanlis, sehr zu Sofias Erstaunen.

»Aber war das Wahllokal nicht hier in der Station?«

»Doch.«

»Und wo waren Sie?«

»War Sonntag.«

»Das heißt?«

»Ich war drüben.«

»Drüben wo?«

Er zeigte mit dem Finger aus dem Fenster und versank wieder in sich selbst.

Sie erinnerte sich. Ihr Vater hatte auch oft gesagt, er sei drüben gewesen. Und drüben musste von hier aus sehr nah sein. Sie nahm sich vor, die Lage von Kato Koutrafas noch mal auf der Karte zu überprüfen, nachher, wenn sie endlich Google Maps befragen konnte, sollte sie denn Netz haben.

»Kann ich einen Schreibtisch haben?«, fragte Sofia mit Blick auf den zweiten Tisch im Raum. Das gleiche billige Modell, dafür aber gänzlich leer und ohne Spirituosen und Aschenbecher.

Er antwortete nicht, goss sich stattdessen aus der Flasche nach und wischte mit dem Ärmel seines karierten Hemdes über die Lache auf dem Tisch, die mittlerweile zu einer klebrigen Schicht geworden war, weshalb die Säuberungsaktion ohne Wirkung blieb. Immerhin hatte er es versucht.

Als er weiter schwieg, ging Sofia ein Stück in den Raum hinein und stellte ihre Handtasche auf dem anderen Tisch ab. Sie betrachtete ihr erstes Werk in diesem Container: Pariser Luxusmodeschick traf griechische Spanplatte. Eine feine Kombination.

Urplötzlich war er hinter ihr und bimmelte mit etwas in seiner Hand – einem Schlüssel.

»Die Karre ist mir ohnehin zu schwul. Ich fahr Jeep. Und da du ja was Feines gewohnt bist, kriegst du einen Dienstwagen. Steht hinterm Haus.«

Wie er Haus sagte, klang irgendwie, als wüsste er selbst, wie lächerlich das klang, bezogen auf diesen Hühnerstall. Aber wenigstens konnte Sofia den winzigen Mietwagen zurückgeben und würde ein echtes Polizeiauto fahren. Was das hier in den Bergen wohl war? Ein Land Rover? Sie würde gleich nachschauen.

»Wissen Sie, wo ich hier eine Wohnung finden kann? Erst mal für einige Wochen? Ich muss mit dem Ministerium sprechen. Vielleicht reicht es ja auch, wenn ich hier bei Ihnen«, und ohne rot zu werden, fügte sie hinzu, »bei einem so hochdekorierten Beamten wie Ihnen, ein kurzes Praktikum absolviere.«

Wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt – vielleicht würde sie den Innenminister ja doch noch erweichen. Was konnte sie schließlich für ihren Vater und seinen Hass auf die neue Elite des Landes? Sofia wusste nicht, warum Karamanlis leise vor sich hin lachte, ein grunzender Ton, der eher nach Bauernhof klang als nach wahrer Fröhlichkeit. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie gerade nach einer Wohnung gefragt hatte.

»Ja, Tausendschön«, sagte er, und es war das erste Mal, dass er sie so nannte. »Sagen wir mal so: Der Leerstand in Kato Koutrafas ist genauso hoch, wie die Türken drüben blöde Wichser sind. Ich würde sagen: Besetz ein Haus. Kost’ nix. Und wenn du das nicht willst, überm Kafenion gibt es Fremdenzimmer. Zwölf Euro die Nacht. Bin mir aber nicht sicher, ob Kakerlaken was für dich sind.«

Er grunzte wieder und nahm noch einen Schluck aus dem Glas. Sofia fragte sich, wie er den Suff durchhielt, ohne umzukippen. Die Sonne brannte mittlerweile auf den Container, dass sie auf dem Dach Spiegeleier hätte braten können. Der Ventilator neben seinem Schreibtisch wirkte ähnlich effizient wie ein Bunsenbrenner bei der Eiswürfelherstellung.

»Alles klar. Ich guck mich mal um. Wie sind denn meine Arbeitszeiten?«

Für einen Moment herrschte Stille. Dann stützte er beide Hände auf den Tisch und richtete sich auf. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden, er schaute sie aus kleinen listigen Augen wach an, als wäre er auf einmal ganz nüchtern.

»Pass auf, Tausendschön. Ich sage es nur einmal: Ich bin, sagen wir mal, eher nicht so sehr der Menschenfreund. Und heute Morgen hab ich gedacht, das Schlimmste, was mir an diesem Tag passieren könnte, wäre ein verendetes Schaf auf der Hauptstraße oder ein türkischer Tourist, der durch mein Dorf läuft, oder ein Anstieg der Ouzo-Preise um drei Prozent. Und dann kommst du hier rein. Ich habe wirklich nicht um irgendeinen Menschen gebeten, der sich in meinem Büro breitmacht. Und erst recht nicht um eine tussige Schnalle von irgendeiner wahnsinnig wichtigen Kack-Universität, die pro Jahr teurer ist als mein Einkommen im gesamten letzten Jahrzehnt. Ich empfehle dir also für unser beider Wohlergehen, dass du es schön ruhig angehen lässt. Such dir eine Bleibe, damit das Ministerium glaubt, du arbeitest hier. Und dann verpiss dich nach Nikosia oder Limassol oder Ayia Napa, trink Champagner aus Eimern und mach, was feine Damen so machen. Aber sei nicht hier. Und vor allem: Weck mich nie wieder auf.«

Er beendete seinen Monolog, indem er die Hände auf den Tisch knallte und sich wieder in seinen Stuhl fallen ließ. Das war’s. Mehr war wohl wirklich nicht zu sagen. Sie war zu verdattert, um zu antworten. Sie hätte gerne geweint, aber es war hier drinnen zu heiß für irgendeinen Flüssigkeitsverlust. Sie betrachtete die Autoschlüssel in ihrer Hand und verstand: Er hatte ihr den Wagen gegeben, damit sie schnell von hier verschwand. Und Sofia entschied, dass er sie kein zweites Mal würde bitten müssen.

Tod am Aphroditefelsen

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