Читать книгу Tardelli und die Rache der Sizilianer: Ein Roberto Tardelli Thriller #72 - A. F. Morland - Страница 7

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Mario Craccante war fünfundzwanzig und hinter jedem Weiberrock her. Er hatte sich mit Angela Messari nur verlobt, weil sie sich vorher strikt geweigert hatte, mit ihm intim zu werden.

Ganz wohl war ihm dabei nicht gewesen, denn für diese Sizilianer war ein Verlöbnis schon eine fast neunundneunzigprozentige Ehe. Da er das Mädchen aber nicht anders herumkriegen konnte, hatte er dieses Wagnis auf sich genommen, ohne die Sache so ernst wie Angela zu nehmen.

Wie jeden Donnerstag war er auch heute wieder bei seinen Freunden in einer kleinen Kneipe am Ufer des Tibers, nahe Castel San Angelo, gewesen, und nun befand er sich auf dem Heimweg.

Er wohnte nicht in Rom, sondern etwa dreißig Kilometer außerhalb, in Vaccina, mit Blick auf das Tyrrhenische Meer. Eigentlich konnte er stolz auf sich sein. Er hatte es zu etwas gebracht.

Das Haus in Vaccina hatte er von einem Onkel geerbt. Als Autoverkäufer hatte er ein paar krumme Geschäfte mit gestohlenen Wagen getätigt und sich ein wenig Geld auf die hohe Kante gelegt.

Er fuhr ab und zu nach Mailand, mit heißer Ware im Kofferraum, und mit diesen Nebenjobs kam er ganz gut über die Runden. Eigentlich hatte er nur einen einzigen Fehler, und das waren die Frauen.

Dass sie ihm eines Tages zum Verhängnis werden sollten, glaubte er aber nicht. Er hielt sich für einen Glückspilz. Dass Luigi Messari ihn von Anfang an nicht gemocht hatte, hatte er gespürt, aber es war ihm egal gewesen. Er hatte bei Angela sein Ziel erreicht, und nur das zählte für ihn.

Luigi konnte ihm den Buckel hinunterrutschen.

Craccante dachte, sich elegant aus der Affäre gezogen zu haben. Ein schöner Brief zum Abschied. Keine hässlichen Szenen. Keine Tränen. Keine Flüche. Keine Verwünschungen.

So war es ihm am liebsten. Aus den Augen, aus dem Sinn. Natürlich würde Angela eine Weile toben, doch das würde sich legen, und sollten sie einander in einigen Wochen wiedersehen, würde ihre Wut verraucht sein, und sie würden wie zwei gute alte Freunde miteinander reden.

Das glaubte Mario Craccante jedenfalls. Aber er irrte sich in Angela Messari gewaltig. Das Mädchen sann auf Rache für die erlittene Schmach, und es war bereits alles für einen Mordanschlag vorbereitet.

Angela und ihr Bruder hatten für Craccante eine Falle aufgebaut. In gewisser Weise wurden ihm seine liebgewordenen Gewohnheiten jetzt, zum Verhängnis, denn wäre er an diesem Donnerstag nicht nach Rom gefahren, dann hätte er sich jetzt kurz vor Mitternacht, auch nicht auf dem Heimweg befunden, und Angela und ihr Bruder hätten umsonst auf ihn gewartet.

Craccante saß in seinem knallroten amerikanischen Schlitten, in dem er auf die Mädchen so großen Eindruck machte. Angela hatte bereits eine Nachfolgerin. Sie hieß Nanette, war eine reizende Französin aus Marseille, und er würde sie morgen wiedersehen.

Morgen. Er dachte an Nanette. Sie war zart und anschmiegsam. Nicht so wild und leidenschaftlich wie Angela, deren Feuer ihm manchmal beinahe Angst gemacht hatte.

Morgen würde er Nanette wiedersehen ...

Das Radio war eingeschaltet. Domenico Modugno sang sein altes Lied „Ciao, ciao, bambina“. Craccante lächelte. Das passte bestens. Er hatte sich heute von Angela Messari verabschiedet.

Angela – ein abgeschlossenes Kapitel in seinem Leben. Die Kleine war recht amüsant, aber auch anstrengend gewesen. Er war froh, dass es mit ihr vorbei war. Lässig, nur mit einer Hand, steuerte er seinen Wagen, und er wusste nicht, dass er seinem sicheren Ende entgegenfuhr.

Alles war für den Mordanschlag vorbereitet. Die Falle war gestellt. Mario Craccante brauchte nur noch hineinzutappen. Luigi saß neben seiner Schwester im Wagen. Ihr hübsches Gesicht erinnerte an eine Maske. Kein Funke Mitleid glomm in ihren großen Augen. Sie war entschlossen, den Mann, der ihre Ehre mit Füßen getreten hatte, zu töten. Erst wenn Mario Craccante tot war, war Angela Messari wieder reingewaschen.

Luigi trug eine braune Schirmmütze auf dem Kopf. Über dem weißen Hemd, das bis zum Nabel offenstand, trug er eine lange braune Jacke. Ein dickgliedriges Goldkettchen hing um seinen Hals. Sein Gewehr lag auf den Rücksitzen im Fond des Wagens. Er glaubte nicht, dass er es brauchen würde, denn Angela konnte mit ihrer Pistole sehr gut umgehen.

Er war überhaupt nur als Aufpasser mitgekommen. Als Angelas Schutzengel. Damit ihr nichts Unvorhersehbares zustieß. Mario Craccante trug hin und wieder auch eine Waffe bei sich. Angela sollte diese Begegnung heil überstehen.

Sie trug über der weißen Bluse eine rote Wollweste, die sie selbst gestrickt hatte. Ungeduldig blickte sie auf die Armaturenbrettuhr. „Gleich Mitternacht. Lange kann es nicht mehr dauern. Mario ist ein Typ, nach dem man die Uhr stellen kann. Er achtet immer darauf, kurz nach Mitternacht zu Hause zu sein.“

„Angenommen, ein Mädchen ist ihm dazwischengekommen“, meinte Luigi.

„Nicht am Donnerstag. Mario hat so seine Prinzipien. Am Donnerstag sind seine Freunde dran.“

„Ich bin neugierig, was er für ein Gesicht macht, wenn er dich sieht.“

„Er wird aus allen Wolken fallen.“

„Und er wird um sein Leben winseln.“

„Vergeblich!“, sagte Angela hart.

In der Ferne tauchten zwei Lichtkegel auf. Sie schnitten waagrecht durch die Nacht, als der Wagen durch die Kurve fuhr.

„Kann er das sein?“, fragte Luigi Messari seine Schwester.

Sie nickte. „Ja. Das ist sein Wagen.“ Sie öffnete das Handschuhfach und entnahm ihm die Pistole, die sie darin befand. Äußerlich gelassen zog sie den Schlitten durch und ließ eine Patrone in den Lauf schnappen.

Mario Craccantes Uhr würde gleich abgelaufen sein. Angela ließ das kalt. Er hätte es anders haben können ...

Craccante streifte die beleuchtete Uhr mit einem kurzen Blick und war zufrieden. Er würde zur gewohnten Zeit zu Hause eintreffen. Gleich würde die Baustelle kommen, die man wegen der vielen Schlaglöcher nur im Schritttempo passieren konnte. Die letzten Kilometer konnte Craccante dann wieder mehr aufdrehen.

Er gähnte und freute sich schon auf sein Bett. Das Licht der Scheinwerfer erfasste den Beginn der Baustelle. Man schien sich im Laufe des Tages für eine Umleitung entschieden zu haben.

Eine Querlatte versperrte die Durchfahrt. Ein Umleitungspfeil wies nach links. Craccante bremste und kurbelte am Lenkrad. Der rote Wagen schaukelte von der Straße auf einen Schotterweg.

Diesen fuhr Craccante mit mäßigem Tempo entlang. Aber er kam nicht weit. Plötzlich tat sich vor ihm eine tiefe Baugrube auf, die kein Fahrzeug überwinden konnte.

„Witzbolde!“, knurrte Craccante, nichts Böses ahnend. „Da schaffen sie eine Umleitung, und dann geht's nicht weiter!“

Hatten dumme Jungen den Autofahrern damit einen Streich spielen wollen?

Für so etwas hatte Craccante kein Verständnis. Er schimpfte und fluchte, denn nun musste er im Rückwärtsgang zur Straße zurückfahren. Er schaltete und drehte sich um.

Da sah er einen Wagen, der sich zwischen zwei Büschen herausschob, in den Schotterweg einbog und hinter seinen amerikanischen Schlitten anhielt. Ein unbeleuchtetes Fahrzeug!

Craccante wurde warm. Was hatte das zu bedeuten? War das ein Überfall? Wer hatte es auf ihn abgesehen? Straßenräuber?

Craccante stieß wieder einen wüsten Fluch aus, denn ausgerechnet heute trug er seinen Revolver nicht bei sich. Er schaltete in den Leerlauf. Im Rückspiegel beobachtete er, wie sich beim anderen Fahrzeug die Türen öffneten.

Er sah einen Mann und ein Mädchen.

Angela!

Seine Kopfhaut zog sich zusammen. Angela und ihr Bruder hatten hier auf ihn gewartet. Sie hatten die falsche Umleitung gebaut. Wenn das Mädchen allein gewesen wäre, hätte sich Craccante keine Sorgen gemacht. Mit ihr wäre er schon irgendwie fertig geworden.

Aber vor Luigi Messari hatte er großen Respekt. Das war ein Kerl, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Luigi war ein knochenharter Typ mit verdammt harten Fäusten. Hatte Angela ihn mitgebracht, damit er ihn, Mario, zusammenschlug?

Ich muss mit ihr reden!, dachte Craccante und stieg aus.

Luigi Messari blieb im Hintergrund. Er hielt ein Gewehr in der Hand und grinste. Craccante überlief es kalt. Was hatte Luigi vor? Wollte er ihn erschießen?

Craccante vermutete, dass Luigi nur für alle Fälle mitgekommen war. Als Schutz für Angela, damit ihr nichts passierte. Nun, Craccante hatte nicht die Absicht, dem Mädchen etwas zuleide zu tun.

Sie kam auf ihn zu. Unbeweglich war ihr hübsches Gesicht. Sie schien hinter ihrem Rücken etwas zu verbergen. Mario Craccante konnte nicht sehen, was es war. Vielleicht sein Brief?

„Angela“, sagte er freundlich und war um ein Lächeln bemüht.

„Ich habe deinen Brief bekommen, Mario“, sagte das Mädchen heiser.

„Trotzdem verstehe ich diese Reaktion nicht.“

„Ich wollte mit dir allein sein.“ „Und dann bringst du deinen Bruder mit?“

„Er wird sich nicht einmischen.“ „Warum hast du mich nicht angerufen oder mich in meinem Haus aufgesucht? Wieso musste es zu solch einem Treffen kommen?“

Angela ging nicht auf diese Frage ein. Ihre Brauen zogen sich über der Nasenwurzel wie drohende Gewitterwolken zusammen. „Soll ich dir sagen, was ich von dir halte, Mario?“ „Ich kann es mir denken.“

„Du bist ein feiger Kretin. Hattest nicht den Mut, mir ins Gesicht zu sagen, dass es zwischen uns aus ist. Mit einem Brief hast du es getan.“

„Ich wollte uns beiden eine unschöne Szene ersparen.“

„Dir wolltest du sie ersparen, du Schwächling. Weil du Angst vor mir hast!“, schrie Angela.

„Angst ist nicht das richtige Wort. Sieh mal, bei einem Brief kann man lange überlegen, was man schreiben will. Das gesprochene Wort ist schnell gesagt und nicht mehr rückgängig zu machen. Ich wollte dir nicht wehtun.“

„Du hast mir die schlimmste Enttäuschung meines Lebens bereitet, Mario. Du hast meine Liebe mit Füßen getreten. Du hast mich erniedrigt, meine Ehre beschmutzt! Du weißt, was das für uns Sizilianer bedeutet!“

„Angela, wir leben in einer aufgeschlossenen Zeit ...“

„Nicht, wenn es um diese Dinge geht“, fiel das Mädchen ihm ins Wort.

„Ein Verlöbnis hat heute nicht mehr das Gewicht von früher.“

„Für mich schon. Für uns Sizilianer gibt es nichts Höheres als eine reine Ehre, Mario. Du hast sie befleckt. Du weißt, was ich nun tun muss!“

Craccante schluckte. Er blickte an Angela vorbei. Luigi stand nach wie vor wie ein Wachtposten da, mit dem Gewehr in der Linken. Wenn Luigi nicht gewesen wäre, wäre Craccante über seine Ex-Verlobte hergefallen und hätte sie mit einer Tracht Prügel zur Räson gebracht. Aber das hätte Luigi Messari nicht geschehen lassen. Er hätte geschossen. Diese Sizilianer waren verrückt.

„Angela, wenn ich dich verletzt habe, dann bitte ich dich um Verzeihung“, versuchte Craccante zu retten, was nicht mehr zu retten war.

„Du hättest mir diese Schmach nicht antun dürfen, Mario!“

„Es tut mir leid.“

„Das ist mir zu wenig.“

„Was erwartest du denn noch von mir?“

„Dass du stirbst!“, zischte das Mädchen, und nun verbarg sie ihre Hand nicht mehr länger hinter dem Rücken.

Als Craccante die Pistole sah, riss er erschrocken die Augen auf. „Madonna mia, hast du den Verstand verloren. Angela? Du kannst mich doch nicht ...“

„Ich muss. Damit meine Ehre reingewaschen wird.“

„Ich flehe dich an, nimm Vernunft an, Angela.“

„Ich bin vernünftig, Mario.“

„Ich habe dir etwas bedeutet. Wie kannst du mich plötzlich eiskalt ermorden wollen? Hast du denn kein Herz im Leibe?“

„Doch. Aber es schlägt nicht mehr für dich, Mario Craccante.“

„Angela, um alles in der Welt, gib mir eine Chance.“

„Gut, du sollst deine Chance haben. Lauf!“

„Aber wohin denn?“

„Egal. Du läufst. Ich werde dir nachschießen. Solltest du meinen Kugeln entgehen, kannst du dein Leben behalten.“

„Das ist grausam. Das ist bestialisch!“

„Lauf!“, sagte das Mädchen ungerührt. „Ich zähle bis drei. Wenn du dann noch nicht gestartet bist, drücke ich ab.“

„Du verdammte hartherzige Kanaille!“, brüllte Mario Craccante. Er wusste, dass Angela ihn nicht verfehlen würde. Er hatte mit ihr schon um die Wette geschossen und verloren. Sie konnte mit ihrer Pistole verflucht gut umgehen „Eins“, sagte Angela emotionslos. Er hielt es nicht mehr länger aus, schrie auf, versetzte Angela einen Stoß, schnellte herum und hetzte am Rand der Baugrube entlang. Gleich würde der erste Schuss krachen.

Craccante zog den Kopf ein. Er lief im Zickzack. Der Schuss peitschte auf. Mario Craccante spürte einen harten Schlag an der Hüfte, und sofort gehorchte ihm sein linkes Bein nicht mehr. Es war schlagartig taub und gefühllos geworden.

Er fiel. Schwer atmend kämpfte er sich wieder hoch. Weiter!, drängte ihn eine innere Stimme. Weiter! Du darfst nicht aufgeben, sonst bist du verloren!

Angela stützte ihre Pistolenhand mit der Linken, um besser zielen zu können. Ihre Miene zeigte Entschlossenheit, Konzentration und Gefühlskalte. Genau visierte sie ihr Opfer an, und als sie sicher war, dass es ein tödlicher Treffer sein würde, drückte sie ab.

Ihre Kugel stieß Mario Craccante nach vorn. Er rollte über einen Erdhügel seitlich ab und stürzte in die Baugrube. Er war mit Sicherheit tot. Angela wandte sich um.

„Fühlst du dich nun besser?“, fragte Luigi.

„Viel besser“, gab sie zurück.

Die beiden gingen an Craccantes Auto vorbei und setzten sich in ihren Wagen.

„Erledigt“, sagte Luigi und warf sein Gewehr auf die Sitzbank. „Und nun ab nach Amerika. Wir beide werden dort drüben eine große Zukunft haben.“

Tardelli und die Rache der Sizilianer: Ein Roberto Tardelli Thriller #72

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