Читать книгу Lass dich nicht mit dem Mongolen ein! Berlin 1968 Kriminalroman Band 43 - A. F. Morland - Страница 6

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Alles hatte sich vortrefflich entwickelt.

Es war eine wunderbare Nacht, wenn auch kalte Nacht. Aber sie hatten sich warm getanzt.

Doch dabei war es viel zu spät geworden.

Als sie jetzt behutsam den Schlüssel in das Schloss schob und ihn geräuschlos umdrehte, atmete sie erleichtert auf. In der Wohnung brannte kein Licht, und sie sah ihre Chancen steigen, unbemerkt in das Zimmer zu gelangen.

Rasch war sie durch die dunkle Wohnung gehuscht und legte gerade die Hand auf die Türklinke, als das Deckenlicht aufflammte.

„Hatten wir nicht zehn Uhr ausgemacht?“, erkundigte sich eine besorgte Stimme.

„Ach Dad, hast du mich jetzt erschreckt!“

„Lucy, du weißt schon, dass es bereits Mitternacht ist, oder?“

„Ja, Daddy, aber ... es war so schön, da habe ich die Zeit vergessen. Und die anderen...“

„Welche anderen, Lucy? Ich denke, du bist mit Tony allein gewesen?“

Jetzt lachte seine Tochter fröhlich auf.

„Mit Tony? Das ist nicht nur vorüber, sondern bereits vergessen. Wir waren in der Disco, Dad, und zwar mit der halben Klasse. Keine Sorge – der Schuppen ist sauber, niemand handelt mit Drogen oder schnappt sich junge Mädchen, um sie in den Orient zu verkaufen.“

„So, das beruhigt mich aber!“, antwortete Bernd Schuster seiner Tochter. „Dann frage ich mich nur, wie es mit der Ausweiskontrolle steht?“

„Ausweiskontrolle?“, echote Lucy.

„Uhrzeit vergessen? Jugendliche müssen um 22 Uhr die Disco verlassen!“

„Ach, Dad, nun sei doch nicht so schrecklich altmodisch!“, schmollte Lucy.

„Ich bin froh, dass du zu Hause bist. Gute Nacht, Lucy!“

„Nacht, Dad!“, antwortete sie erleichtert und schlüpfte in ihr Zimmer.

Bernd Schuster schüttelte den Kopf und kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo er mit Franziska gesessen und auf die Rückkehr seiner Tochter gewartet hatte.

„Dann können wir ja ein zweites Gläschen riskieren!“, sagte Franziska lächelnd. „Wenn Lucy nun glücklich zurück ist und ihr besorgter Daddy nicht noch durch die Straßen West-Berlins irren muss...“

„Du hast gut reden!“, sagte Bernd, lächelte aber dabei. Dann nahm er die Rotweinflasche und schenkte nach.

In dieser Nacht war noch jemand spät unterwegs. Aber im Gegensatz zu der 17jährigen Lucy Schuster wartete niemand auf ihn.

Es war Roland Berkhans Nacht.

Er wollte das größte Ding in seiner noch jungen Verbrecherlaufbahn drehen.

Allein.

Er hatte sich gut darauf vorbereitet, hatte alles gründlich ausgekundschaftet. Er hatte die Firma - die Heizungen und sanitäre Anlagen herstellte und die er bestehlen wollte - wochenlang beobachtet. Er hatte Pläne gezeichnet, sie studiert, jedes Detail auswendig gelernt. Er kannte die Betriebsgepflogenheiten und wusste über die Fabrik so gut Bescheid, wie vielleicht nicht einmal ihr Besitzer. Und nun war die Nacht gekommen, in der Roland Berkhan das große Ding im Alleingang drehen wollte. Er war von der Überlegung ausgegangen, dass man keinen Ärger bekam, wenn man allein arbeitete, und dass man hinterher mit niemandem zu teilen brauchte. Außerdem wollte sich der junge Ganove - er war Mitte zwanzig - beweisen, was für ein toller Kerl er war.

In der Berliner Unterwelt würde er mit diesem Verbrechen eine Menge Anerkennung erringen. Er war sehr ehrgeizig. Es lag ihm nicht, einer von vielen zu sein. Er wollte aus der Masse hervorstechen. Bei allem, was er tat.

Die Fabrik befand sich in Tempelhof, nahe dem Flughafen. Berkhan stoppte den gestohlenen Wagen etwa fünfhundert Meter vom Zaun entfernt, der das Firmengelände umgab. Er trug einen grauen Overall, schwarze Handschuhe, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, und auf dem Beifahrersitz lagen eine Drahtschere mit langen isolierten Schenkeln und eine Bernadelli-Maschinenpistole.

Bevor der Verbrecher ausstieg, orientierte er sich sorgfältig. Alles war ruhig. Kein Mensch weit und breit. Nicht einmal ein herrenloser Hund verirrte sich in diese Gegend. Berkhan öffnete den Wagenschlag. Er schulterte die MPi und griff nach der Drahtschere. Nachdem er ausgestiegen war, versetzte er der Tür einen sanften Stoß. Sie fiel mit einem schmatzenden Geräusch ins Schloss. Der Mann trabte los.

Es war eine klare, kühle Februarnacht. Es roch nach Schnee, obwohl es vor ein paar Tagen noch danach ausgesehen hatte, als würde sich der Frühling verfrüht einstellen. Roland Berkhan hatte den Wetterbericht aufmerksam verfolgt und erfahren, dass eine Wolkenfront von Norden her über Berlin ziehen würde. Mit dem sternenklaren Himmel würde es wohl bald vorbei sein, aber das störte den Verbrecher nicht.

Er erreichte den Zaun, blickte sich prüfend um. Alles war zufriedenstellend. Genau, wie er es vorhergesehen hatte. Eigentlich wäre die MPi nicht nötig gewesen. Berkhan hatte sich nur deshalb für sie entschieden, weil sie mehr Radau machte als ein Revolver. Die Fabrik wurde von zwei Nachtwächtern bewacht. Sollten sie wider Erwarten spitzkriegen, was er hier trieb, dann würde er die MPi rattern lassen, eine Garbe in die Luft jagen und die Wächter damit garantiert verscheuchen. Das Hämmern einer Maschinenpistole jagt fast jedem Menschen einen Mordsschrecken ein. Deshalb hatte Berkhan diese Waffe mitgenommen. Er setzte die Drahtschere an und schnitt den Zaun so weit auf, dass er mühelos durch die Öffnung kriechen konnte. Sobald er sich innerhalb der Umzäunung befand, lief er mit langen Sätzen auf die langgezogene Lagerhalle zu. Mit einem Spezialschlüssel schloss er eine Tür auf. Er gelangte in einen finsteren Gang, eilte ihn entlang und erreichte das Büro des Fuhrparkleiters. Er knackte den Schrank, in dem die Schlüssel der Lastwagen hingen, brach den Schreibtisch auf und nahm auch die Fahrzeugpapiere an sich. Danach verließ er das Büro und begab sich hinter die Lagerhalle, wo auf gelb markierten und nummerierten Feldern die schweren Brummer abgestellt waren. Militärisch ausgerichtet. Eine schnurgerade Linie.

Berkhan schwang sich in „seinen“ LKW. Er startete die Maschine, fuhr bis zur nächsten Laderampe, dort stoppte er das Fahrzeug. Er wusste, dass die Nachtwächter das Motorengeräusch nicht gehört hatten, denn sie befanden sich in einer Hütte am Haupttor und hatten die ganze Nacht das Radio laufen. Ihre nächste Runde würden sie in einer Stunde drehen. Bis dahin wollte Berkhan den LKW vollgeladen haben.

Er schuftete wie ein Akkordarbeiter. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Alles musste schnell gehen, und jeder Handgriff musste sitzen. Nachdem er das Rolltor geöffnet hatte, bestieg er einen Gabelstapler und flitzte damit durch die große Lagerhalle. Er wusste genau, was er sich holen wollte: Kupfer und Heizkessel. Alles noch in Holzkisten verpackt. Der Gabelstapler hob die Kisten hoch und transportierte sie in den LKW. Bis zur Decke hinauf belud Roland Berkhan den Brummer. Nach jeder Fahrt mit dem Gabelstapler warf er einen Blick auf seine Digitaluhr.

Bis jetzt hielt er sich hundertprozentig an den Zeitplan. Er war stolz auf sich. Das sollte ihm erst mal einer nachmachen. Ganz allein drehte er das Ding. Fünfundvierzig Minuten arbeitete er pausenlos. Der LKW war schon zum Bersten voll.

Berkhan hievte noch eine letzte Kiste in das Fahrzeug. Dann sprang er vom Gabelstapler und schloss den LKW. Das Ladetor ließ er offen. Er wollte keine Minute unnütz verschwenden.

Bis jetzt war alles gutgegangen.

Doch nun begann Roland Berkhans Pechsträhne ...

Sechs Nächte hindurch hatte er die Nachtwächter aufmerksam beobachtet. Sie hatten ihre Runde niemals vorzeitig angetreten. Der Zufall wollte es, dass sie es ausgerechnet in dieser Nacht taten.

Der Grund dafür war, dass einer der beiden Nachtwächter, in der zwischen dreiundzwanzig und vierundzwanzig Uhr ausgestrahlten Radio-Wunschsendung seine Verwandten in Berlin grüßen ließ, und das wollte er sich anhören.

Sie traten aus ihrem warmen Glaskasten. Fritz Walther schüttelte sich: „Mistkälte! Was ist nur daran schuld, dass ich immer so leicht friere?“

Ernst Grieger, sein Kollege, grinste.

„Du solltest eben lange Unterhosen tragen, wie es deinem Alter zukommt.“

„Alter. Man ist immer nur so alt, wie man sich fühlt.“

„Dann bin ich heute hundert geworden“, sagte Ernst Grieger. „Mich plagt das Rheuma, die gebackenen Champignons, die ich heute Abend gegessen habe, liegen mir wie ein Stein im Magen, und meine Füße sind schwer wie Blei.“

„Kriegst nachher ein Schnäpschen von mir“, sagte Walther.

Grieger schüttelte entschieden den Kopf.

„Du weißt, dass ich im Dienst keinen Tropfen Alkohol trinke.“

„Ist doch Medizin.“

„Nicht während der Arbeit“, sagte Ernst Grieger bestimmt.

Die beiden grauhaarigen, alten Herren schritten das Areal routinemäßig ab. Sie erwarteten keine Sensation, rechneten damit, dass dieser Rundgang genauso ereignislos verlaufen würde wie alle anderen. Als sie um die Ecke der Lagerhalle bogen, stutzte Ernst Grieger plötzlich.

„Sieh mal da, Fritz!“

Walther nickte.

„Verdammt, wie kommt der LKW denn an die Laderampe?“

„Jemand hat ihn hingefahren.“

„So schlau bin ich auch. Aber wer? Und wieso?“

„Da stimmt was nicht, Fritz. Ruf die Polizei an! Da will uns jemand das Lager ausräumen.“

„Mensch, ich werd’ verrückt!“, stieß Walther aufgeregt hervor.

„Nun mach schon!“, drängte Grieger. „Ruf die Polizei zu Hilfe!“ Er zog seine Dienstwaffe aus dem Gürtelholster.

Walther riss die Augen auf.

„Ernst, was hast du vor?“

„Ich halte die Kerle einstweilen in Schach. Die kommen hier nicht ungeschoren weg.“

„Riskier’ nicht zu viel, hörst du? Die Sache ist es trotz allem nicht wert, dass du dein Leben aufs Spiel setzt.“

Grieger dachte darüber jedoch anders. Er war Nachtwächter. Man hatte ihm die Fabrik anvertraut, und er hatte versichert, dass er gut auf das Unternehmen aufpassen würde. Wenn hier etwas geklaut wurde, dann bestahl man ihn. So sah Ernst Grieger das. Er war zwar nicht mehr der Jüngste, aber er war der Ansicht, dass er sich noch recht gut zur Wehr setzen konnte, wenn man ihn beklauen wollte.

„Die kommen hier nicht weg“, knurrte er.

Walther zögerte. Er ließ Grieger nicht gern allein. Der Kollege konnte sich durch seinen Ehrgeiz zu einer Unbesonnenheit hinreißen lassen. Vielleicht würde er versuchen, den Helden zu spielen, und Gangster sind in den wenigsten Fällen zart besaitet. Wenn man sie in die Enge treibt, nehmen sie auf ein Menschenleben keine Rücksicht.

„Verschwinde endlich!“, zischte Grieger. „Worauf wartest du? Dass die Kerle mit dem LKW abhauen?“

Walther wandte sich um.

„Sei vorsichtig!“, raunte er dem Kollegen noch zu, dann lief er zum Glaskäfig zurück, um die Polizei zu alarmieren.

Grieger pirschte sich indessen näher an den LKW heran. Sein faltiges Gesicht wirkte so hart, als wäre es aus Granit gemeißelt. Er hatte etwas gegen dieses lichtscheue Gesindel, das sich nachts heimlich am Eigentum anderer vergriff. Von ehrlicher Arbeit hielten diese Kerle nichts. Für die waren alle anderen, die einem geregelten Job nachgingen, Idioten. Bei einem Einbruch war ja viel mehr Geld zu verdienen. Aber durch diese Rechnung wollte Ernst Grieger den Ganoven einen dicken Strich machen.

Er entdeckte einen Mann im Overall auf der Laderampe.

„Stopp!“, rief er mit harter Stimme. „Hände hoch!“

Roland Berkhan zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Er hatte sich in den LKW setzen und losfahren wollen. Das unverhoffte Auftauchen des Nachtwächters brachte ihn aus der Fassung. Er riss die Bernadelli von der Schulter, richtete den Lauf zum Himmel und ließ die automatische Waffe rattern. Aber er täuschte sich in dem sturen Ernst Grieger gewaltig. Der Mann ließ sich nicht erschrecken. Mit einer in den Nachthimmel geballerten Salve konnte man ihn nicht verscheuchen.

Hinzu kam, dass Grieger der Ansicht war, der Gangster habe gezielt auf ihn geschossen. Dieses Missverständnis bewirkte, dass Ernst Grieger gezielt zurückschoss.

Er war früher mal ein ganz passabler Schütze gewesen. Heute jedoch fehlte ihm die Übung, deshalb verfehlten seine beiden Kugeln den Verbrecher um Haaresbreite. Die Geschosse pfiffen Roland Berkhan aber so knapp um die Ohren, dass er in Panik geriet und die Bernadelli auf den alten Mann richtete. Wenn schon einer auf der Strecke bleiben sollte, dann wollte das nicht Berkhan sein. Er drückte ab. Die MPi hämmerte los und stieß den Verbrecher mit jedem Rückschlag.

Berkhan wurde kräftig geschüttelt. Er presste die Kiefer zusammen und umklammerte die Waffe fest mit beiden Händen.

Die Schussserie raste auf Grieger zu. Der Nachtwächter sah es und wollte zur Seite springen, doch ehe er diese Absicht ausführen konnte, erwischten ihn die Kugeln des Gangsters. Er wurde mit ungeheurer Kraft herumgerissen. Seine Arme flogen hoch, der Revolver entglitt seinen Fingern. Der Nachtwächter vollführte für wenige Augenblicke einen verrückten, grotesken Tanz. Dann brach er blutüberströmt zusammen.

„Verdammter Idiot!“, knirschte Roland Berkhan.

Er hatte noch nie einen Menschen getötet, und er hätte es auch diesmal nicht getan, wenn der Nachtwächter ihn nicht dazu gezwungen hätte.

‚Du bist zum Mörder geworden!‘, hämmerte es in seinem Kopf, und er konnte damit nicht so schnell fertigwerden. Wie hatte ihm nur so etwas passieren können?

Hastig kletterte er in den LKW. Er startete den Motor und ließ das schwere Fahrzeug anrollen. Ein Zurück gab es für ihn jetzt nicht mehr. Es gab nur noch die Flucht nach vorn. Er musste so schnell wie möglich von hier weg, musste das Diebesgut in Sicherheit bringen. Ohne dieses wäre er nicht abgehauen. Was er getan hatte, musste sich schließlich auch lohnen.

Berkhan trat das Gaspedal kräftig durch. Der LKW nahm Direktkurs auf das geschlossene Haupttor. Der schwere Brummer wurde immer schneller.

Roland Berkhan sah den zweiten Nachtwächter. Der Mann stand starr in seinem Glaskäfig. Walther unternahm nicht den geringsten Versuch, den Gangster an der Flucht zu hindern. Er kam nicht aus dem Gebäude, ließ seinen Dienstrevolver stecken, starrte nur den Mann an, der hinter dem LKW-Lenkrad saß und auf das Tor zuraste. Die Distanz verringerte sich innerhalb weniger Sekunden auf null.

Es gab einen ohrenbetäubenden Krach. Der schwere Laster durchstieß das Tor, rammte die beiden Flügel zur Seite. Eine ungeheure Kraft riss sie aus den Angeln, sie fielen auf den Asphalt und schlitterten mehrere Meter weit über den Boden.

Der LKW war einen Herzschlag später nicht mehr auf dem Gelände. Das Dröhnen des Motors wurde rasch schwächer, und jetzt erst eilte Fritz Walther hinaus, um nach seinem Kollegen zu sehen.

Lass dich nicht mit dem Mongolen ein! Berlin 1968 Kriminalroman Band 43

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