Читать книгу Lass dich nicht mit dem Mongolen ein! Berlin 1968 Kriminalroman Band 43 - A. F. Morland - Страница 9
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„Sie waren uns eine große Hilfe, Herr Walther“, meinte Inspektor Horst Südermann, der gewichtige Leiter der Mordkommission – genauer: Des Dezernats 1, Gewalt gegen Menschen, in der Keithstraße. „Ohne Sie wäre es uns nicht so schnell gelungen, den Burschen zu kassieren. Ihre Beschreibung des Täters war so perfekt, dass wir ihn im Handumdrehen aus der Kartei fischen konnten.“
„Was ist das für ein Mann?“, wollte Walther wissen.
„Sein Vorstrafenregister ist so lang wie mein Arm. Er kennt eine Menge Leute in der Unterwelt, hat überall schon ein bisschen mitgemischt, ohne jedoch einer bestimmten Bande anzugehören. In der vergangenen Nacht wollte er wohl ein Meisterstück liefern, aber die Sache ging schief.“
„Und kostete Ernst Grieger das Leben.“
„Es war Roland Berkhans erster Mord“, sagte der Inspektor. „In wenigen Minuten werden Sie ihn bei der Gegenüberstellung festnageln. Dann sorge ich dafür, dass er lebenslang ins Zuchthaus kommt.“
Die Bürotür öffnete sich. Der schlaksige Stellvertreter des Inspektors, Polizeihauptmeister Wilhelm Krone, trat ein. Sommersprossen zierten sein Gesicht.
„Wir sind soweit, Horst.“
Südermann nickte. Er blickte Walther an.
„Sind Sie auch soweit?“
Der Nachtwächter erhob sich seufzend.
„Ich hoffe, ich kann Ihre Erwartungen erfüllen, Inspektor.“
Horst lachte.
„Ganz bestimmt. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Sie haben ein gutes Auge. Sie werden den Burschen wiedererkennen, davon bin ich überzeugt.“
Sie verließen das Büro des Inspektors zu dritt und betraten wenig später einen fensterlosen Raum, an dessen Stirnseite sich eine schmale Bühne befand, die mit starken Scheinwerfern angestrahlt wurde.
„Lass sie aufmarschieren!“, sagte Horst zu Wilhelm.
Kurz darauf reihten sich sechs Männer auf der Bühne auf. Horst neigte sich Walther zu.
„Sie haben so viel Zeit, wie Sie wollen. Sehen Sie sich die Knaben in aller Ruhe an, und sagen Sie mir, ob der Mann, der Ernst Grieger erschossen hat, dabei ist!“
Der Nachtwächter sah sich die sechs Männer gründlich an. Er versuchte zu rekapitulieren, was sich in der vergangenen Nacht abgespielt hatte. Er rief sich die Szene noch einmal ins Gedächtnis, als der LKW auf das Tor zugerast kam. Das Licht war aus der Pförtnerkabine auf das Gesicht des Verbrechers gefallen. Für kurze Zeit war es erhellt gewesen. Die Züge des Mannes hatten sich in Walthers Gedächtnis eingeprägt, er hatte geglaubt, dieses Gesicht nie mehr zu vergessen.
Doch heute - zehn Stunden später - stellte sich die erste Unsicherheit ein. Die sechs Männer unterschieden sich nicht viel voneinander.
Walther ging die Reihe noch einmal durch. Er legte die Finger auf seine Lippen und war unschlüssig, ob er auf die Nummer drei oder auf die Nummer fünf zeigen sollte.
Er seufzte.
„Ich will Sie nicht drängen“, sagte der Inspektor. „Ist der Mann dabei?“
„Es ist sehr schwierig, Inspektor. Ich sehe zwei Männer, die es gewesen sein könnten.“
„Sie müssen sich für einen entscheiden“, sagte Horst.
„Nummer fünf“, sagte Fritz Walther leise. „Aber ich bin nur zu neunzig Prozent sicher.“
„Wollen Sie sich die Männer noch einmal ansehen?“
„Das nützt nichts.“
„Ist gut“, sagte Horst zu Wilhelm, „dann kannst du die Figuren abmarschieren lassen.“
Der Inspektor verließ mit dem Nachtwächter den fensterlosen Gegenüberstellungsraum. Er bot Walther eine Zigarette an. Sie rauchten, während sie den Gang entlanggingen.
„Es passierte alles so schnell gestern Nacht“, sagte Walther.
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, sagte Horst. „Neunzig Prozent müssten reichen, um den Mann festzuleimen.“
„Als ich die Schüsse hörte, war ich wie vom Donner gerührt. Ich weiß nicht, wieso, aber ich wusste sofort, dass es Ernst erwischt hatte, dass er tot war. Und dann raste der LKW auf das Tor zu ...“
„Darf ich Ihnen etwas verraten, Herr Walther? Fünf der sechs Männer, die Sie vorhin gesehen haben, waren Polizeibeamte. Nur einer war ein Ganove: Roland Berkhan. Die Nummer fünf, und auf die haben Sie gezeigt. Wir werden den Burschen so lange durch die Mangel drehen, bis er ein Geständnis ablegt. Unsere Verhörspezialisten sind ausgesucht gute Leute. Die bringen sogar Steine zum Reden. Das dauert nur etwas länger. Er wird gestehen, dass er Ernst Grieger erschossen hat, und er wird uns sagen, wo der LKW mit der gestohlenen Ware versteckt ist. Das ist alles nur noch eine Frage der Zeit.“
„Dann brauchen Sie mich nicht mehr?“
„Nein. Sie können nach Hause gehen und den Schlaf nachholen, auf den Sie unseretwegen verzichtet haben. Gute Nacht. Oder guten Tag. Wie sagt man eigentlich zu einem Nachtwächter, wenn er zu Bett geht?“
Walther zuckte mit den Schultern.
„Das weiß ich selbst nicht.“
Er verließ das Dezernat in der Keithstraße und fuhr mit dem Bus nach Hause. Vor seiner Wohnungstür stand ein großer dunkelhaariger Mann. Schlank, breitschultrig, durchtrainiert. Schmales Gesicht, helle, durchdringende Augen. Er hätte ein eleganter, gepflegter Top-Manager sein können, aber er war Privatdetektiv und hieß Bernd Schuster, das erfuhr der Nachtwächter, als er die Visitenkarte des Fremden sah.
„Seit gestern Nacht geht es in meinem Leben drunter und drüber“, seufzte der Nachtwächter. „Entschuldigen Sie die Unordnung in meiner Wohnung. Normalerweise sieht es bei mir nicht so aus.“
„Ich bin nicht hier, um Ihre Lebensgewohnheiten zu kritisieren, Herr Walther“, sagte Bernd Schuster lächelnd.
Walther fegte ein paar Kleidungsstücke von einem Sessel und bot dem Detektiv Platz an.
„Was führt Sie zu mir, Herr Schuster?“
„Der Mord an Ernst Grieger. Sein Sohn hat mich engagiert. Ich soll den Mörder seines Vaters finden.“
„Der sitzt bereits hinter Schloss und Riegel.“
Bernd sah den Nachtwächter erstaunt an. „Tatsächlich?“
Walther nickte. „Ich komme soeben vom Dezernat 1. Inspektor Südermann hat mich zu einer Gegenüberstellung gebeten. Ich habe gestern Nacht den Gangster beschrieben, und die Polizei hat ihn heute Morgen festgenommen.“
„Wie heißt er?“
„Roland Berkhan.“
„Und Sie haben ihn einwandfrei wiedererkannt?“
„Ich war nur zu neunzig Prozent sicher, aber der Inspektor sagte, das würde reichen.“
Bernd nickte.
„Der Ansicht bin ich auch.“ Er schlug sich auf die Schenkel und erhob sich. „Tja, dann will ich Ihnen nicht länger auf die Nerven fallen. Ich sehe Ihnen an, dass Sie müde sind. Sie werden sicherlich schlafen wollen. Also dann. Gute Nacht. Oder guten Tag ...“
„Seltsam“, sagte Fritz Walther. „dasselbe hat auch Inspektor Südermann zu mir gesagt.“
„Das wundert mich nicht. Wir sind Freunde, und wir hatten schon öfter mal dieselben Ideen.“
Bernd kehrte zu seinem 450 SEL zurück, und fuhr in die Keithstraße. Als Horst Südermann von ihm hörte, dass er heute Morgen in den Fall eingestiegen war, lächelte er schadenfroh.
„Diesmal gibt’s nicht viel Geld für dich bei der Sache zu verdienen, was? Der Täter sitzt, und du kannst deinem Klienten lediglich hundert Mark verrechnen. Mit schlechtem Gewissen, denn beigetragen hast du nichts dazu, dass Roland Berkhan geschnappt wurde.“
Bernd zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Man hat auch mal schwächere Tage. Hauptsache Berkhan kriegt seine Strafe. Wie ich dabei aussteige ist nicht so wichtig. Diesmal habt ihr mir meinen Fall gelöst. Normalerweise ist es umgekehrt.“
„Nimm nicht schon wieder den Mund so voll, bloß, weil du uns ab und zu mal um eine Nasenlänge voraus bist“, brummte Horst. „Was wirst du jetzt tun? In dein Büro zurückkehren und Däumchen drehen? Falls du Langeweile haben solltest, könntest du dich kostenlos an der Suche nach dem LKW und dem Diebesgut beteiligen.“
Bernd tippte sich an die Stirn.
„Für was hältst du mich eigentlich? Ich erledige doch nicht deine Arbeit. Drehen deine Leute Berkhan schon durch die Mangel?“
„Sie haben vor einer halben Stunde damit angefangen.“
„Und?“
„Scheint ein zäher Bursche zu sein. Wird wohl eine Weile dauern, bis er sich bequemt, die Zähne auseinanderzunehmen.“
„Wünsche viel Erfolg“, sagte Bernd. „Falls du mal Zeit hast, darfst du mich zu einem saftigen Steak einladen.“
„Tu mir den Gefallen und mach die Tür von außen zu!“, knurrte der Inspektor.
„Gern“, sagte Bernd und verließ lachend Horsts Büro.
Fünfzehn Minuten später steuerte Bernd Schuster seinen Mercedes in die Tiefgarage des Hochhauses, in dem sich auch seine Detektei in einer ehemaligen Ladenzeile befand. Schwungvoll riss er die alte Ladentüre auf und überlegte in diesem Moment, ob er die wohl einmal gegen etwas Modernes austauschen müsste.
Franziska saß an ihrem Schreibtisch und lächelte ihm entgegen.
„Schon wieder zurück?“, fragte sie.
„Wie du siehst.“
„Machst du Fortschritte? Kommst du in deinem neuen Fall gut voran, oder muss ich dir unter die Arme greifen?“
„Das ist diesmal bestimmt nicht nötig, denn der Fall Grieger ist bereits abgeschlossen“, erwiderte Bernd Schuster. „Da hat die Polizei einmal schnell gearbeitet. Bist du so lieb und machst mir einen Kaffee, Franzi?“
Doch dieser Fall war noch lange nicht abgeschlossen...