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EINEN TAG SPÄTER...

Jean ließ sich mit dem Aufzug in den 32. Stock des John Davis Towers tragen. Viele Diplomaten der Vereinten Nationen lebten hier in exquisiten Apartments. Außerdem Börsenprofis aus Wall Street. Die Nähe zu den Vereinten Nationen und Wall Street machten diese Wohnlage zu einer der teuersten in ganz New York.

Jean trug eine Sporttasche über der Schulter.

Im gesamten John Davis Tower wurden die Flure durch Video-Kameras überwacht. Und auch das Innere der Aufzugskabinen wurde auf diese Weise kontrolliert. Und im Gegensatz zu vielen anderen Skyscrapers im Big Apple, verfügte der John Davis Tower auch über genügend Security Personal, das die Bildschirme überwachte und nötigenfalls innerhalb weniger Augenblicke einen Einsatz einleitete.

Jean trat aus der Liftkabine.

Ein Mann in dunklem Anzug und Aktenkoffer kam ihm entgegen, Jean wich ihm aus. Der Mann murmelte ein hastiges: "Sorry!"

Jean ging den langen Korridor entlang.

Seine Schritte wurden durch den Teppichboden gedämpft.

Schließlich erreichte Jean Apartment Nr. 2234 C.

Er holte eine Chipkarte aus der Jackentasche heraus, steckte sie in den dafür vorgesehenen Schlitz. Das elektronische Schloss reagierte sofort. Auf einem kleinen Display erschien die Aufforderung, die Fingerkuppe des rechten Zeigefingers auf ein bestimmtes Sensorfeld zu legen.

Kein Problem.

Jean trug hauteng anliegende Handschuhe aus Latex, in deren Fingerkuppen die Printlinien des wahren Apartmentbesitzers eingraviert waren. Die Strukturen waren fein genug, um vom internen Rechner des Erkennungssystems als die Printlinien eines gewissen Sam S. McGraw erkannt zu werden. McGraw war bei der UNO als Übersetzer tätig. Da alle Bewerber für den öffentlichen Dienst in den USA Fingerprints abgeben mussten, und diese nicht aus den zentralen Dateien gelöscht wurden, war es ein Kinderspiel, an die entsprechenden Linienmuster heranzukommen. Vorausgesetzt man kannte sich mit Computern aus und schaffte es, sich in die entsprechenden Systeme hineinzuhacken. Aber da etwa die Datenbanken des AUTOMATED IDENTIFACTION SYSTEM (AIDS)zur Fingerprinterkennung nicht nur vom FBI, sondern auch von unzähligen lokalen Polizeibehörden benutzt wurden, deren Sicherheitsstandards höchst unterschiedlich waren, war das kein Kunststück.

Es reichte völlig, wenn irgendeiner der County Sherrifs in der weiten Provinz den Zugang zu seinem Rechner mit einem Code sicherte, der aus seinem eigenen Vornamen bestand.

Oder gleich darauf verzichtete und alles auf Werkseinstellung beließ, weil sich ja ohnehin niemand für die die Daten der an einer Hand abzuzählenden Kriminellen von beispielsweise Madison Bow, Wyoming, interessierte.

Aber so ein Rechner war das Eingangstor zu ganz anderen Bereichen.

Jean hatte das oft genug ausgenutzt.

ZUGRIFF BESTÄTIGT!, leuchtete es im Display auf.

Die Schiebetür glitt zur Seite.

Jean trat ein.

Augenblicklich schloss sich die Tür wieder.

Jean setzte die Sporttasche auf den Boden, riss eine Automatik mit Schalldämpfer unter der Jacke hervor. Dann durchschritt er den kleinen Gardorbenraum, trat die Tür zum Wohnzimmer auf.

Unglücklicherweise schien McGraw seinen freien Tag zu haben.

Oder Jean war einfach zu früh.

Aber eigentlich hatte er gedacht, dass jemand wie McGraw um diese Zeit längst aus der Wohnung verschwunden war.

McGraw saß im Morgenmantel auf der klobigen Ledercouch.

Er hielt eine Kaffeetasse in der Rechten, die Linke schlug eine Illustriertenseite um.

McGraw blickte auf, fixierte Jean mit einem völlig überraschten Blick.

Offenbar hatte er den Killer nicht kommen hören.

Kein Wunder. McGraw trug einen drahtlosen Kopfhörer, der ihm die Dolby Suround-Klänge seiner Stereoanlage in die Ohren dröhnte.

Jean hob die Pistole, drückte ab.

Der Schuss traf McGraw in der Brust, nagelte ihn förmlich in die Ledercouch hinein. Die Kaffeetasse schepperte zu Boden. Braune Kaffeebrühe kleckerte herunter, dann ein Schwall von Blut. Jean schickte noch ein Projektil hinterher, als er merkte, dass der Treffer nicht so exakt war, wie er es eigentlich beabsichtigt hatte.

Ein Zucken ging durch den Körper des Übersetzers, als ihn der zweite Treffer erwischte.

Jean atmete tief durch.

McGraw war gestorben, ohne noch einen Laut von sich geben zu können.

Gut so.

Jean ging zur Fensterfront, blickte hinaus.

Freie Sicht!, dachte er. Zumindest mit einem geeigneteren Zielerfassungsgerät, das in der Lage war, das Opfer nahe genug heranzuzoomen. Kein Dunst, kein Nebel, nichts, was sein Blickfeld auf den Eingang zu den Büros der Staatsanwaltschaft verdecken konnte.

"Très bien", murmelte der Mann mit der Baskenmütze.

Ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Ein Lächeln, das sofort wieder verschwand, als er das Geräusch aus dem Bad hörte.

Jemand hatte eine Dusche angestellt.

Offenbar war McGraw nicht allein gewesen.

Jean ging zur Badtür, öffnete sie vorsichtig.

Die Silhouette einer Frau wurde durch den Duschvorhang hindurch sichtbar. Sie summte vor sich hin, verstummte dann.

Jean wartete nicht, bis sie zu schreien begann.

Er feuerte sofort.

Blut spritzte von innen gegen den Vorhang. Schwer fiel die Leiche zu Boden. Die Dusche lief weiter.

Jean zog den Vorhang ein Stück zur Seite, stellte das Wasser ab. Einen kurzen Blick nur gönnte er der Toten.

Hübsch sieht sie aus, wenn man von dem Loch zwischen ihren Brüsten mal absieht!, ging es ihm zynisch durch den Kopf.

Der Killer hoffte nur, dass die Tote von niemandem vermisst wurde.

Jean drehte sich um, verließ das Bad. Er holte die Sporttasche, die er im Vorraum zurückgelassen hatte, kehrte in das Wohnzimmer zurück und stellte sie auf den niedrigen Wohnzimmertisch.

Dann öffnete er die Tasche, holte die Einzelteile des Stativs hervor. Mit geübten Handgriffen hatte er es zusammengesetzt.

Als nächstes steckte er ein Spezialgewehr zusammen, mit Zielerfassung oben drauf.

Die Fenster im 32. Stock des John Davis Towers ließen sich nicht öffnen. Für frische Luft sorgte die Klimaanlage.

Aber Jean hatte vorgesorgt.

Mit einem Glasschneider begann er ein, ein Loch in die Dreifachverglasung zu schneiden. Ein ziemlich mühsames Geschäft. Aber schließlich hatte er es geschafft. Das Spezialgewehr wurde mit einer besonderen Verschraubung am Stativ befestigt und der Lauf durch das in das Glas geschnittene Loch gesteckt. Der Eingang zum Büro des District Attorney befand sich wenige Augenblicke später in seinem Fadenkreuz.

Sehr gut!, dachte er. So kriege ich dich doch noch, Atkinson! Er kicherte in sich hinein. Hättest du eigentlich wissen müssen, bevor du dich zum Verrat entschlossen hast, Brent Atkinson: Vor AUTONOMY gibt es kein Entkommen!

Nirgends!

Jetzt hieß es nur noch warten.

Warten auf den Kronzeugen.

Killer & Cosa Nostra: Sammelband 4 Krimis

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