Читать книгу Teirish Dominion - A. Kaiden - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеMelisse – Sonntag spätabends
Fasziniert blicke ich mich in den vielen Gängen um, die mich an einen kleinen Irrgarten erinnern. Wäre nicht der Bordservice gewesen, der mich nach Betreten des Unterwasserbootes sofort in Beschlag genommen und auf mein Zimmer geführt hat, hätte ich es bestimmt nicht gefunden. Den Weg in den Speisesaal habe ich auch nur entdeckt, weil ich der Menschenmasse gefolgt bin. Glücklicherweise ist er ganz in der Nähe von meinem Quartier und kinderleicht zu finden, sodass ich mich wenigstens dorthin nicht verlaufen kann. Ein Gang sieht aus wie der andere. Zumindest die Korridore, die zu den einzelnen Zimmern der Passagiere führen. Trotz dass ich momentan nur durch Flure irre, bin ich begeistert von dem Schiff. Vielleicht liegt es daran, dass ich zuvor noch nie auf einem Schiff gefahren bin, womöglich ist es aber auch die schulterhohe Holzverkleidung an den Wänden. Meine Fingerspitzen fahren vorsichtig über die einfachen Platten und ich schätze, es handelt sich um Eichenholz. Der Rest der Bootswände inklusive Decke ist mit einer olivgrünen Tapete mit runden, voluminösen Mustern bedeckt. Dazwischen thronen vereinzelt die runden Holztüren der Kabinen.
„Ungewöhnlich“, murmle ich gedankenverloren vor mich hin und betrachte mir die vielen Muster. Ich fühle mich eher wie in einem Schloss, anstatt auf einem Unterwasserboot. Auch spüre ich keinerlei Schwanken. Nur die ovalen Lampen, die aussehen wie kleine Luken und so ganz und gar nicht zu dem üblichen Ambiente passen, erinnern entfernt an ein U-Boot.
„Aufpassen, aufpassen!“
In letzter Sekunde springe ich auf die Seite und weiche drei Jungen aus, die stürmisch und lachend durch die Gänge jagen. Ausgelassen springen sie um die nächste Ecke und stoßen fast mit zwei älteren Damen zusammen, die aufgebracht zu schimpfen beginnen. Doch das stört die Jungen nicht. Ohne zuzuhören, stürmen sie weiter und lassen die aufgebrachten Frauen zurück. Ich seufzte gedankenverloren auf. Manche Dinge sind überall gleich. Irgendwie erinnert mich die Situation an früher. Mein Bruder war oftmals mit seinen Kumpels genauso ungestüm herumgesprungen, zum Ärgernis anderer Leute. Ich dagegen war mehr der ruhigere Typ gewesen. Dennoch hatte ich es immer genossen, ihm zuzusehen. Es war, als ob ein Teil seiner Fröhlichkeit und Unbekümmertheit auf mich übergesprungen wäre und meine Sorgen Stück für Stück vertrieben hatte. Er bedeutet mir sehr viel. Ich weiß nicht, wie ich die Zeit ohne ihn hätte durchstehen sollte. Ein Stich durchfährt meinen Körper, als mir bewusst wird, dass ich einfach gegangen bin, ohne ihm Bescheid zu geben. Was hatte Kiandra noch gesagt? Für die anderen falle ich in eine Art Koma? Ich streiche mir kurz durch das Haar und lehne mich gegen die Wand. Wie muss das nur auf meinen Bruder wirken? Bestimmt macht er sich Sorgen. Das tut er immer. Er hat es mit mir nicht leicht. Und obwohl ich weiß, dass es falsch ist und er sich mehr um sich kümmern sollte, bin ich froh und erleichtert darüber. Ich glaube, ich bin ein schlechter Mensch.
„Es tut mir leid“, flüstere ich leise vor mich hin, als mein schlechtes Gewissen überhandnimmt. Vielleicht war es falsch gewesen, einfach zu gehen. Doch hatte ich eine Wahl? Habe ich mich nicht sofort entscheiden müssen? Immerhin geht es um viele Menschenleben. Wäre es nicht egoistischer gewesen, die Hilfe zu untersagen? Ich schüttle meinen Kopf, um die gegeneinander kämpfenden Gedanken zu vertreiben. Er würde es verstehen. Bestimmt. Ich muss mich nun auf Wichtigeres konzentrieren. Immerhin muss ich einen Saboteur ausfindig machen. Allerdings habe ich nicht den leisesten Hauch von einer Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll. Es sind so viele Passagiere an Bord der Teirish Dominion und keiner davon ist mir bisher unangenehm aufgefallen. Ich brauche einen Plan. Irgendwo und irgendwie muss ich doch anfangen zu suchen. Doch momentan mag mir einfach nichts einfallen und im Gang herumzulungern und nachzudenken, bringt mich auch nicht weiter. Entschlossen setze ich mich in Bewegung. Zuerst sollte ich mein Zimmer wiederfinden.
Obwohl der Schlafraum nicht mehr als eine kleine Kammer ist, weckt es in mir ein Gefühl der Geborgenheit. Ebenso wie die Flure erinnert es nicht an ein Unterwasserboot. Ein leichtes Lächeln huscht mir über das Gesicht, als meine Augen die in weichen Beigetönen übergehende Tapete mit dem Efeu ähnelndem Muster streifen. Behutsam schließe ich hinter mir die Tür und laufe vorsichtig an dem winzigen Holztisch mit Stuhl vorbei und auf das Bett zu. Nach nur fünf Schritten habe ich es erreicht. Besonders gut gefällt mir die Aufmachung als Himmelbett, das sich durch seine Vorhänge, die sich völlig mit der Tapete gleichen, vom restlichen Zimmer abtrennen lässt. Es handelt sich dabei um ein Dreiviertelbett, das auf einer hölzernen Vorrichtung angebracht ist, in dem normalerweise die Kleider untergebracht werden sollen.
„Kleider … gutes Stichwort“, murmle ich gedankenverloren vor mich hin und gehe vor dem Bett in die Knie. Ich habe gar nichts mitnehmen können. Wie soll ich meine Klamotten wechseln? Ich kann doch nicht wochenlang in denselben Sachen herumlaufen. Vorsichtig ziehe ich eine der vielen Schubladen heraus und meine Augen weiten sich vor Erstaunen. In dem geöffneten Behälter befindet sich etliche Unterwäsche und mein prüfender Blick verrät mir sofort, dass es sich dabei um meine Größe handelt. Neugierig öffne ich die nächste Schublade und hole zwei der fünf flauschig weißen Handtücher heraus. Das fängt gut an. Erleichtert seufze ich auf und ziehe erwartungsvoll die nächsten Schubladen auf. Meine unausgesprochenen Bitten werden erhört. Tatsächlich befindet sich ein Teil meiner alltäglichen Kleidung darin. Ich besehe jedes einzelne Stück und entscheide mich dann für meinen türkisfarbenen Hausanzug, da ich nur noch duschen und in das Bett möchte. Als ich alles beisammenhabe, stehe ich auf. Ich habe keine Ahnung, wie meine Sachen hierher gelangt sind. Vermutlich hat Kiandra das bewerkstelligt. Das ist unglaublich. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich schließe kurz meine Augen und lausche den verschiedenen Stimmen und Schritten auf dem Gang. Dann suche ich die Duschen auf.
*
Das warme Wasser prasselt wie ein Regenschauer auf mich nieder und lässt mich für einen flüchtigen, jedoch erholsamen Moment meine Sorgen vergessen und entspannen. Doch im nächsten Augenblick frage ich mich, ob ich mir überhaupt eine Entspannung gönnen darf. Immerhin bin ich hier, um zu helfen. Noch habe ich nichts erreicht. Ich habe nicht einmal den kleinsten Verdacht. Wo soll ich ansetzen? Allerdings bin ich ja auch erst angekommen. Ist es da nicht zu viel verlangt, gleich Erfolge zu erwarten? Wie viel Zeit bleibt mir eigentlich? Das habe ich nicht nachgefragt …
„Diese Sammelduschen sind wirklich eine Zumutung!“
Eine empörte Frauenstimme reißt mich aus meinen Gedanken. Langsam schiele ich nach links, wo drei Frauen in eine der durch dünne Wände getrennten Duschen stehen. Ich schätze sie auf Mitte 40 und ihr Auftreten erscheint mir sehr vornehm, wobei ich nicht sagen kann, ob es sich dabei um ihre Gestik oder die Art der Aussprache handelt oder vielleicht um die äußere Erscheinung.
„Wir sind hier auf einem Luxusschiff und dann diese schäbigen Gemeinschaftsduschen! Das geht doch nicht! Wieso müssen wir uns eine Dusche teilen, obwohl wir beträchtlich mehr bezahlen?“
Meine Augen treffen die der sich beschwerenden Frau und ich wende mich schnell ab.
„Aber Britta, bedenke doch, selbst ein Luxusschiff hat eben nur einen beschränkt verfügbaren Platz. Wahrscheinlich war es anders nicht machbar.“
„Dann hätten sie ihre Planung nochmals überdenken sollen! Immerhin ist es die gehobene Gesellschaft, die das meiste Geld in die Fahrten investiert“, beharrt die aufgebrachte Frau während ich ihren Blick immer noch auf mir lasten fühle. Anklagend, als wäre ich die Ursache für ihr Problem. Mein Körper beginnt, sich zu verspannen, und die ganze Erholung ist mit einem Mal wie weggewischt. Schnell drehe ich das Wasser ab und schlüpfe unabgetrocknet in meine Sachen. Der Unterhaltung der beiden Frauen folge ich nicht mehr; mein Fluchtinstinkt, der die Kontrolle über meinen Körper übernommen hat, ist zu groß. Erst als ich wieder in meinem Zimmer bin, lasse ich mich müde auf mein Bett fallen und wünsche mir zum ersten Mal, wieder daheim zu sein. Wenn doch wenigstens Tailor da wäre, um mir zu helfen, doch ich bin allein. Die verzierten Wände, die mich vorhin noch so entzückt haben, erscheinen mir nun trostlos, fremd und kalt. Zu viele Probleme. Zu viele neue Eindrücke auf einmal. Nichts Vertrautes … nur die Angst und das Gefühl, dass die Zeit gegen mich arbeitet. So viel steht auf dem Spiel. Ich bin noch ganz am Anfang. Mir fehlen Hinweise. Ich brauche einen Plan. Eine gut durchdachte Vorgehensweise. Es ist keine Zeit für Selbstmitleid, trotzdem kann ich meine Tränen nicht länger zurückhalten. Ich drücke mein Gesicht in das Kissen, doch ich kann mein Schluchzen nicht verstummen. Mutlos erfüllt es den kleinen Raum, dessen Wände immer näherkommen, um mich zu erdrücken. Ich kämpfe nicht mehr gegen die Verzweiflung an, sondern gebe mich dieses Mal geschlagen und meiner Hoffnungslosigkeit hin. In Gedanken rufe ich immer wieder nach meinem Bruder, obwohl ich weiß, wie sinnlos und peinlich das ist. Doch ich kann einfach nicht anders. Er ist mein Halt. Tailor gibt mir Mut und hält mich aufrecht, wenn die ganze Welt gegen mich zu sein scheint. Jedoch ist er nicht da, um mir zu helfen. Ich bin verlassen, hilflos und völlig auf mich allein gestellt.