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Kapitel 7
ОглавлениеTailor – Sonntagnacht
Das ist völlig unmöglich und doch ist es Wirklichkeit. Ich renne hier auf einem riesigen U-Boot herum und suche nach meiner Schwester. Oder muss ich sagen: ein Teil von mir? Immerhin soll sich mein Körper noch in der realen Welt befinden, wie es dieses Wesen genannt hat. Doch wieso fühlt sich das kneifen dann so echt an? Ich irre jetzt schon seit über zwei Stunden auf diesem Partydampfer herum und suche nach Melisse, doch bisher keine Spur von ihr. Was ist, wenn dieses Wesen mich hereingelegt hat? Womöglich ist meine Schwester gar nicht hier. Vielleicht war es eine Falle. Ich kratze mich kurz am Hinterkopf und schüttle dann meinen Kopf. Egal ob List oder nicht, nun bin ich hier und muss um jeden Preis meine Schwester finden. Dieses Unterwasserschiff ist groß, bestimmt hat sie sich schon etliche Male verlaufen. Ein leichtes Schmunzeln umspielt meine spröden Lippen und ich lasse noch einmal einen prüfenden Blick auf mein Handy gleiten. Wie gut, dass in einigen Gängen eine Art Lageplan hängt. Diesen habe ich mir sofort abfotografiert. Ich sehe mich kurz um und ignoriere die fragenden und verklärten Blicke der anderen Passagiere. Natürlich muss ich ihnen seltsam vorkommen, aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich seufze leicht auf. Es gibt in diesem Stockwerk vier Schlaftrakte und ich bin alle davon abgelaufen. Wieso stehen an den verfluchten Türen keine Namen? So finde ich sie nie …
Als ich nun auch den letzten Flur durchlaufe, bleibe ich am Ende stehen und lehne mich gegen die Wand. Meine Füße schmerzen und langsam zerrt die Müdigkeit an meinen Knochen. Da ich von dem mysteriösen Wesen verspätet auf das Schiff geschleust worden bin, habe ich keine eigene Schlafkabine. Das wird eine lange Nacht. Ich hole tief Luft und stoße mich schwungvoll von der Wand ab, um meine Suche fortzusetzen. Das Getuschel vereinzelter Passagiere und die misstrauischen Blicke, als würden sie einen Besoffenen beobachten, entgehen mir nicht. Meine Schritte werden schneller und ich entscheide mich dafür, nicht weiter die Flure der Schlafkabinen zu durchwandern. Selbst wenn Melisse hinter einer der Türen sein sollte, so schläft sie bestimmt schon und wird heute nicht mehr herauskommen. Es sind zu viele, um an jede einzelne anzuklopfen und zu schauen, in welcher sie untergebracht ist. Vom Ärger der anderen Passagiere, die ich damit stören würde, mal abgesehen. Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen, jedoch macht es mir mein Gehirn momentan nicht leicht, mich auf einen weiteren Einfall zu konzentrieren. Während ich angestrengt versuche, mein Gehirn zum Laufen zu bringen wie einen eingerosteten Motor, eile ich geradeaus. Solange, bis ich mich plötzlich in einem großen Saal wiederfinde. Unzählige, gedeckte Tische befinden sich im Raum, der allerdings für seine gewaltige Größe recht wenig Besucher aufweist. Vielleicht liegt das an den roten Wänden, die mich persönlich sehr abschrecken. Selbst die vereinzelt dunkel gehaltenen Gemälde an den Wänden vermögen nicht, das Rot zu mindern.
„Grundgütiger …“, entfleucht es meinen Lippen, als ich den Fehler mache, zur Decke hinaufzusehen. Zu viel ist zu viel. Das milchige Weiß, das die Decke misshandelt, soll wohl eine mickrige und doch für den Raum viel zu überladene Darstellung des Himmelreiches sein. Denn unter zahlreichen Himmelstoren und seltsamen Kunstwerken tummeln sich etliche weiße Engelsskulpturen an der Decke. Vermutlich Keramik. Ich hole abermals mein Handy aus der Tasche und werfe einen Blick auf den Lageplan. Tatsächlich, ich befinde mich im Speisesaal. Wie soll man hier essen, wenn die Augen derartig gefoltert werden? Ich lasse mich an einem der vielen freien Tische nieder und lehne mich erschöpft zurück. Meine Lider schließe ich bewusst, als ich den Kopf nach hinten in den Nacken werfe und mit meinen Händen die Schläfen massiere. Zum Essen bin ich viel zu spät, aber vielleicht könnte ich noch etwas zu trinken organisieren, denn meine Kehl ist in der Zwischenzeit staubtrocken. Ich habe keine Ahnung, wie ich Melisse finden soll, doch mir bleibt nichts anderes übrig, als alles solange abzulaufen, bis ich sie finde. Doch ein weiteres Problem gibt es: Wo soll ich heute Nacht schlafen? Ich kann mich nicht einfach in den Flur legen, oder?
„Probleme über Probleme“, murmle ich müde vor mich hin, als eine helle Stimme mich plötzlich aufschrecken lässt.
„Guten Abend, was darf ich Ihnen bringen?“
Eine junge Kellnerin lächelt sanft auf mich herab und ich bewundere sie für ihre Freundlichkeit und ihr aufrichtiges Lächeln zu dieser vorangeschrittenen Uhrzeit. Da kenne ich von meiner Ausbildung teilweise anderes. Ihre Freundlichkeit entlockt mir ein Lächeln. Es ist, als würde ein Teil ihrer Ruhe auf mich überspringen und ich nehme diesen dankbar an.
„Haben Sie Kakao oder eine heiße Schokolade?“, frage ich vorsichtig nach, da ich noch keinen Blick auf die Getränkekarte erhascht habe. Hoffentlich unterscheiden sich die Speisen und Getränke nicht von unserer Welt. Zu meiner Erleichterung nickt die höfliche Bedienung und schenkt mir ein weiteres warmes Lächeln.
„Ja, heiße Schokolade haben wir. Darf es noch etwas sein?“
„Ein Wasser dazu, bitte.“
Sie nickt mir herzlich zu und wendet sich dann von mir ab, um zur Theke zu eilen. Kurze, aber schwergewichtige Zweifel befallen mich. Forschend durchforsten meine Augen den Raum. Auf dem Nachbartisch werde ich fündig und klaue mir kurz die Getränkekarte vom Tisch. Beruhigt atme ich auf: Sie benutzen dieselbe Währung wie bei uns zu Hause. Vorsorglich hole ich meinen Geldbeutel hervor. 200 Euro sollten vorerst reichen. Doch was ist danach? Wie lange müssen Melisse und ich hierbleiben? Wieder ein Problem. Ich fahre mit einer Hand über mein Gesicht, das sich vor Müdigkeit völlig geschwollen anfühlt. Irgendwie wird es nicht leichter.
„Ihre heiße Schokolade und das Wasser, bitteschön.“
Sorgfältig stellt sie die Getränke vor mir ab und ich nicke ihr dankbar zu. Als sie sich allerdings abwenden möchte, melde ich mich nochmals zu Wort.
„Ähm, entschuldigen Sie. Ich fahre das erste Mal mit und bin mir über die Abläufe nicht ganz im Klaren. Können Sie mir sagen, wie lange der Speisesaal geöffnet ist?“
„Ja, natürlich. Wir haben bis um zwei Uhr morgens geöffnet. Sie können aber gern auch noch kurz vor zwei Uhr etwas bestellen und in Ruhe austrinken, denn der Saal wird nicht abgeschlossen.“
Erstaunt ziehe ich eine Augenbraue nach oben. Der Saal wird nicht abgeschlossen? Die haben aber viel Vertrauen in die Menschheit. Respekt. Bei uns wäre das undenkbar. Allerdings kommt mir das zugute, denn so ist die Frage nach meinem Schlafplatz vorerst geklärt. Eine andere Lösung fällt mir momentan nicht ein und meine Konzentration scheint mittlerweile vollständig verloren gegangen zu sein.
„Vielen Dank. Kann ich auch gleich zahlen?“
„Oh ja, natürlich. Aber Sie müssen nicht bar bezahlen. Sie können es auch gerne auf Ihre Zimmernummer anschreiben lassen. Dies machen die meisten unserer Passagiere. Das ist bequemer.“
Sie zwinkert mir verschwörerisch zu, doch leider muss ich sie enttäuschen. Da ich kein Zimmer habe, kann ich es nicht anschreiben lassen.
„Dieses Mal würde ich gerne gleich bezahlen.“
„Aber sicher. Kein Problem.“
Ich bezahle meine Getränke und gebe ihr ein großzügiges Trinkgeld. Immerhin macht sie ihre Arbeit sehr gut. Genüsslich nehme ich einen Schluck von der heißen Schokolade. Ich habe fast vergessen, wie gut Kakao schmecken kann.
*
Lustlos schweifen meine Blicke im Raum umher und mustern die Gäste. Eine kleine Gruppe betuchter Damen sitzt am anderen Ende und unterhält sich angeregt im Flüsterton. Ein paar Tische weiter hat sich ein altes Ehepaar niedergelassen, das sich nicht mehr viel zu sagen hat. Ein einzelner Mann sitzt an der Bar und liest in einer Zeitschrift, während er einen Whisky nach dem anderen trinkt. Seine Ausdauer ist bewundernswert, denn er sitzt noch genauso aufrecht wie zuvor. Es ist mittlerweile halb zwei. Noch eine halbe Stunde und dann werden keine Getränke mehr ausgeschenkt. Falls alle pünktlich gehen würden, könnte ich gleich versuchen zu schlafen. Allerdings habe ich eine schlechte Vorahnung. Ich schiele zum nächstgelegenen Tisch, an dem zwei eineiige Zwillingsbrüder vor einer halbvollen Flasche Rotwein sitzen und nicht im Geringsten erschöpft zu sein scheinen. Sie scherzen ausgelassen und bei jedem Lachen wippen ihre schwarzen Lockenschöpfe witzig hin und her. Ich schätze sie etwas älter als mich selbst, jedoch nicht viel. Ich nippe nachdenklich an meinem Wasser, das inzwischen fast leer ist und behalte die beiden Brüder im Auge. Irgendetwas stimmt nicht mit ihnen. Ich kann nicht sagen, was es ist. Noch nicht. Je länger ich sie jedoch beobachte, desto sicherer bin ich mir, dass sie trotz ihrer offensichtlichen Vergnügtheit ihre Umgebung genau beobachten. Auch ihre Flasche Wein wird einfach nicht leerer.
„Oh Mann, das nervt!“, murmle ich vor mich hin und raufe mir die Haare. Die beiden werden mich wohl nicht so schnell schlafen lassen. Mir bleibt im Moment aber auch gar nichts erspart. Als ich meine Augen wieder öffne, starren mich beide Zwillinge mit einem breiten Grinsen an, doch ihr Blick ist stechend scharfsinnig. Ich halte ihnen stand, aber ich bin ausgelaugt und gereizt. Mir fehlt ein Bett und Hinweise, wo sich meine Schwester aufhält. Es ist nicht mein Problem, wenn sie sich von mir beobachtet fühlen. Okay, vielleicht hätte ich sie nicht derart offensichtlich anstarren sollen, allerdings konnte ich mich nicht von ihnen abwenden. Zu verdächtig schienen mir die beiden und sie tun es noch immer.
Gleichzeitig stehen sie auf und schlendern gemütlich auf mich zu. Das hat mir jetzt noch gefehlt. Stress kann ich nicht gebrauchen. Nun ja, lässt sich jetzt wohl nicht mehr vermeiden. Ich blicke mich noch einmal kurz um, doch die anderen scheinen nichts von meiner Situation mitzubekommen. Na gut, lassen wir es auf uns zukommen. Dicht vor meinem Tisch bleiben die Zwillinge stehen und sehen breit grinsend auf mich herab. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, ob das aufgesetzte Grinsen eingefroren ist.
„Hey Bro. Du hast doch bestimmt nix dagegen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, setzen sie sich zu mir an den Tisch. Verwundert mustere ich die beiden nochmals. Ihre lässige Aussprache passt so ganz und gar nicht zu ihren ordentlichen Anzügen und Hemden. Überhaupt finde ich das Bild von ihnen sehr widersprüchlich. Die zwei sind keine Anzugstypen.
„Was gibt’s?“, frage ich etwas zu harsch und sehe von einem zum anderen. Dabei fällt mir die unterschiedliche Augenfarbe auf. Während der eine hellgrüne Augen und dünne, feine Locken hat, was mir in der Entfernung zuvor nicht aufgefallen ist, hat der andere unnatürlich bunte Augen und dicke Locken. Doch ihre Gesichtszüge sind völlig identisch.
„Hey, hey. Immer locker mit den Zügeln“, entgegnet der mit den bunt schimmernden Augen.
„Sind wir heute mit dem falschen Fuß aufgestanden, oder was?“, fügt sein Bruder bei, zwinkert mir gleichzeitig aufheiternd zu und entwaffnet mich geschickt. Ich seufze genervt auf und fahre mir kurz durch das zerzauste Haar.
„Okay, okay. Also …“
„Vielleicht sollten wir uns erstmal vorstellen, um den schlechten Start zu überspielen. Ich bin Laurent und der gutaussehende Kerl neben mir ist mein Zwillingsbruder Paul. Wir sind auf Geschäftsreise“, stellt sich der mit den grünen Augen vor. Als ich nicht gleich reagiere, räuspert sich der andere und meint:
„Das ist jetzt eigentlich die Stelle, wo du dich vorstellst.“
Ich nicke kurz, warte jedoch noch einen Moment und betrachte mir abermals beide. Ich kann mir nicht helfen, wenngleich sie keine bösen Absichten zu verfolgen scheinen, sie sind mir einfach unsympathisch.
„Ich heiße Tailor.“
Sie sehen mich wartend an und ich habe keine Ahnung, was sie noch von mir hören möchten.
„Was?“
Paul zieht überrascht die Augenbraue nach oben und pfeift auf.
„Und er wird einfach nicht freundlicher.“
„Und, Tailor? Was treibt dich auf die Teirish Dominion?“, ergreift Laurent das Wort und sieht mich mit dem gleichen Grinsen an wie zuvor.
Warum ich hier bin? Weil ich meine Schwester suche, die wiederum einen Saboteur beziehungsweise Attentäter sucht. Doch das kann ich den beiden wohl unmöglich sagen. Nur was soll ich darauf antworten, ohne mich noch verdächtiger zu machen, als ich ohnehin schon zu sein scheine? Mein Kopf macht das viele Grübeln einfach nicht mit …
„Ich mache Urlaub. Sonst nichts“, lüge ich und hoffe, dass meine Antwort nicht zu offensichtlich falsch ist.
„Ja, dafür ist die Teirish Dominion natürlich gut geeignet.“
Beide nicken bejahend. Sie scheinen meinen Worten wirklich zu glauben. Glück gehabt. Jedoch ist das Gespräch noch nicht beendet.
„Reist du allein?“
„Ich … nein, doch, momentan ja“, gebe ich dumm stammelnd zurück und könnte mich im gleichen Moment ohrfeigen. Natürlich sehen sie mich neugierig an und warten auf eine weitere Erklärung. Ich sitze in der Bredouille.
„Ähm, wie jetzt? Ja oder nein?“
„Das bedeutet Jain?“
Die Brüder grinsen mich wölfisch an und ich fühle mich fast wie Rotkäppchen im doppelten Albtraum. Ich brauche eine Antwort und zwar schnell. Da mein Kopf nicht für weitere brillante Ausreden heute Nacht zu gebrauchen ist, beschließe ich die Wahrheit zu sagen. Zumindest halbwegs.
„Ich wollte mich mit einer Bekannten treffen, aber ich konnte sie bisher nicht finden …“
Ich stocke. Wenn die beiden schon da sitzen und mich um meinen Schlaf bringen, kann ich sie nach Melisse fragen. Immerhin sind die beiden seit Beginn dabei. Vielleicht haben sie meine Schwester gesehen. Sie scheinen ihre Umgebung genauestens im Blick zu haben, ganz gleich, ob sie es zugeben oder nicht. Entschlossen sehe ich auf und blicke den beiden in die Augen. Für einen Moment entgleist das lausbubenhafte Grinsen aus den Gesichtern und Ernst macht sich breit.
„Habt ihr ein 16-jähriges Mädchen mit braunen Haaren und braunen Augen gesehen?“
Die Zwillinge überlegen nicht lange und die Antwort ertönt einstimmig.
„Ja.“
Mein Herz macht einen erfreuten Sprung und Hoffnung vertreibt für einen flüchtigen Moment die schwer lastende Müdigkeit. Kann das wahr sein? Habe ich jetzt schon Glück?
„Wo? Wo habt ihr sie gesehen?“
Meine Stimme überschlägt sich. Ich kann sie nicht kontrollieren. Zu groß ist meine Euphorie und aufflammende Hoffnung. Zu meiner Verwunderung fangen beide an zu lachen und stehen gleichzeitig auf, als hätte ich einen Witz gemacht.
„Na überall auf der Teirish Dominion – mindestens 50 Mädchen, die auf deine Beschreibung passen!“
Mit lautem Lachen verlassen die beiden Zwillinge den Saal und lassen mich verbittert und zermalmt zurück. Meine Hoffnung erstickt im Keim und ich fühle mich noch hilfloser und ausgelaugter als zuvor.