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VORWORT

Liebe interessierte Leserin, lieber interessierter Leser, die vorliegende Schrift will, bezogen auf eine philosophische systematische Grundlage, zeigen, mit welcher Verantwortung Mensch und Welt gegenüber die Erkenntnis der Wirklichkeit in ihrem Wesen bestimmt ist. Es ist die Offenlegung dessen, was der Aufklärungsgedanke in sich birgt, der in Kants Worten am treffendsten zum Ausdruck kommt:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung“".1

Seit 1784, dem Jahr der Veröffentlichung dieses Gedankens, haben Menschen inmitten des europäischen Abendlands – aber nicht nur dort – viel Mut entwickelt, um die Kraft zu entfalten, ihren eigenen Verstand „ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ – mit den uns bekannten gesellschaftlichen und geschichtlichen Erscheinungen bis zum heutigen Tag. Man denke an das 20. Wahnsinns-Jahrhundert und an die leise, schleichende Fortsetzung des Bedienens des eigenen Verstands „ohne Leitung eines anderen“, dafür aber mit hemmungsloser Ausnutzung der Grundregel der freiheitlichen Gesellschaftsordnung in unserem 21. Jahrhundert!

Diese fortwährende Situation ist nichts anderes als eine tiefreichende Not-Situation. Die Klärung dessen, was der Aufklärungsaufruf in seinem Wesen bedeutet, ist meiner Ansicht nach eng mit der Klärung des Verhältnisses zwischen der Erkenntnis der Wirklichkeit, der Religion und der Wissenschaft verbunden.

Da die Klärung dieses komplizierten Verhältnisses nicht bloß in Meinungsäußerung erstarren darf, verlangt sie eine breite systematische Grundlage, die die Bestandteile dieses Verhältnisses in ihrem Wesen bestimmt und damit zeigt, dass sie einander nicht nur nicht fremdartig sind, sondern sie alle Ausdruck einer einzigen fundamentalen Bestimmung sind.

Die systematische Grundlage der Philosophie, die selbst ein System darstellt, strebt danach, die Kluft zwischen Mensch und Wirklichkeit (=“Welt“) nicht bloß zu überbrücken, sondern zu schließen. Die Tatsache, dass der Mensch in die Welt gewissermaßen hineingeworfen ist, erzeugt die fundamentale Fremdheit, die jedoch in Wahrheit unbegründet ist.

Es ist der Unterschied zwischen der Situation des „In-der-Welt-sein“ und zwischen der des „Eine-Welt-haben“, was der Wahrheit des menschlichen Bestehens in der Welt eigentümlich ist.

Das philosophische systematische Mittel diese Kluft zu schließen ist die Erkenntnis der Wirklichkeit, die den Menschen zur Integration in die Wirklichkeit führt. Fixiert aber die Erkenntnis der Wirklichkeit diese Kluft zwischen dem Menschen und der Wirklichkeit, zwischen Subjekt und Objekt, nicht endgültig zu einer nicht relativierbare Tatsache?

Die Entsprechung zwischen der Wirklichkeit und deren Erkenntnis zu zeigen, aber auch darauf hinzuweisen, was diese Entsprechung für das konkret geführte individuelle Leben bedeutet, das ist die Aufgabe und die Leistung des Systems der Philosophie.

Das philosophische System als Ganzes ist im allgemeinen in vier Teile gegliedert, die die vier Gruppen der Grunderscheinungen darstellen, die in der Welt auftreten (1. Naturerscheinungen, 2. der Mensch und sein Handeln, 3. Erscheinungen der Kunst und 4. Erscheinungen der Religion) und die die vier Grunddisziplinen der Philosophie bestimmen (1. Naturerkenntnis, 2. philosophische Anthropologie, Ethik, politische Philosophie, Geschichtsphilosophie, 3. Philosophie der Kunst und 4. Philosophie der Religion).

Das Problem des Systems der Philosophie besteht nicht einfach darin, die Eigentümlichkeit dieser Gruppen von Erscheinungen zu begründen, sondern hauptsächlich in der Vereinigung derselben. Das System muss also den Zusammenhang aller Erscheinungen der Welt in ihrer gesetzlichen Grundlage aufdecken. Die Einteilung der Philosophie in Disziplinen (Glieder des Systems) wird durch die Gesetzmäßigkeit des Zusammenhanges bestimmt, die wir im real Gegebenen aufdecken. Die Einordnung dieser Disziplinen in das System der Philosophie soll ihre Eigenart begründen und gleichzeitig zeigen, dass die Einteilung der Philosophie in die verschiedenen Disziplinen nicht subjektiv, sondern objektiv ist.

Das hier besprochene System vertritt zwei Thesen: Die eine betrifft die Natur der Wirklichkeit und die andere die Natur der Philosophie. Die These, die die Natur der Wirklichkeit betrifft, lautet: Die Welt ist rational (intelligibel) und daher erkennbar. Diese Erkennbarkeit der Welt als die ausgezeichnete Eigentümlichkeit des Wirklichen bedeutet, dass die Wirklichkeit dem Denken zugänglich und fasslich ist: ist das, was begrifflich erfasst werden kann oder erfassbar ist. Das Logische oder das Rationale als das Erkennbare in der Wirklichkeit ist das Geordnete. Die Erkenntnis der Wirklichkeit kann nur deshalb als „allgemeingültig“ und „notwendig“ bezeichnet werden, weil die Wirklichkeit selbst logisch ist, d.h. sie stellt eine notwendige Ordnung als Ganzes (Kosmos) dar.

Das bedeutet, dass das Denken allein imstande ist, die Wahrheit über die Wirklichkeit herauszufinden: Alles, was über die Wirklichkeit, und zwar über alle Bereiche der Wirklichkeit gesagt werden kann, wird durch das Denken gänzlich erfasst. Der Umstand, dass die verschiedenen Bereiche der Wirklichkeit a priori bestimmt werden können, folgt aus der Tatsache, dass alles, was als „wirklich“ bestimmt wird beziehungsweise bestimmt werden kann, durch Maßstäbe bestimmt werden muss, die von außerhalb des Bereiches der Erfahrung stammen. Die Tatsache, dass die Erfahrung in ihrer Gesamtheit so konstruiert ist, dass sie begrifflich erfasst werden kann, benötigt keine metaphysische oder sonstige besondere Annahme, die die Übereinstimmung zwischen Denken und Wirklichkeit betrifft: Es kann, so möchte ich behaupten, gar nicht anders sein.

Die zweite These betrifft die Natur der Philosophie und lautet: Die Philosophie ist ein System der Erkenntnis der Wirklichkeit. Philosophie ist die Untersuchung der gesetzlichen Grundlage der Wirklichkeit. Sie will die Gesetzlichkeit aufdecken, die die Ordnung in der Welt bestimmt. Die Philosophie untersucht also denjenigen Faktor, der die Ordnung der gesamten Welt bestimmt und ausdrückt. Wie die Welt selbst nicht ein Aggregat, sondern ein einheitliches Ganzes ist, so bildet auch die Erkenntnis der Welt ein einheitliches System. Der Begriff der systematischen Einheit der Erkenntnis ist nicht eine willkürliche Erfindung, sondern er stellt einen notwendigen Gedanken dar: Der Einheit der Welt entspricht die Einheit eines allumfassenden Erkenntnissystems.2

Die Gedankengänge in diesem Buch basieren auf einer systematischen Grundlage, die ich bereits in dem umfassenden Werk „Das System der Philosophie“ dargelegt habe. Die drei Teile dieses Werkes, aus denen ich einige Abschnitte in dieser Arbeit zitiert habe, sind die folgenden:

– DAS SYSTEM DER PHILOSOPHIE: DIE SYSTEMATISCHE GRUNDLAGE ZUR ERKENNTNIS DER WIRKLICHKEIT UND ZUR BESTIMMUNG DER STELLUNG DES MENSCHEN IN IHR, FRANKFURT AM MAIN 2012 (ZITIERT: SYSTEM I)

– DER MENSCH UND SEINE WELT: ZUR ERKENNTNISTHEORETISCHEN KLÄRUNG DER STELLUNG DES MENSCHEN IN DER WELT UND DER BEDINGUNGEN DER VERWIRKLICHUNG SEINER FREIHEIT – DAS SYSTEM DER PHILOSOPHIE II, FRANKFURT AM MAIN 2013 (ZITIERT: SYSTEM II)

– DIE GRENZEN DER ERKENNTNIS UND DAHINTER: ZUR KLÄRUNG DER ERKENNTNISTHEORETISCHEN GRUNDLAGE DES RELIGIÖSEN GLAUBENS – DAS SYSTEM DER PHILOSOPHIE III, FRANKFURT AM MAIN 2014 (ZITIERT: SYSTEM III).

Die Philosophie als System, das die Grundlagen der Erkenntnis der Wirklichkeit thematisiert, hat ihre Wurzeln schon in der frühen griechischen Philosophie und wurde zum Philosophie-Verständnis des christlichen Abendlandes und der europäischen Kultur. Die Philosophie wie das monotheistische Religions-Verständnis, konkurrieren seit ihren Anfängen mit einander um die Bestimmung der gültigen Orientierung des Menschen in der Welt.

Die kulturelle Entwicklung, die zur Entstehung des Aufklärungsgedanke wie auch der modernen Naturwissenschaft führte, verlangte – und verlangt weiterhin – die Klärung des Beziehungsgeflächt zwischen Religion, Wissenschaft, Aufklärung und der Erkenntnis der Wirklichkeit, um eben die Möglichkeit zu erlangen, eine gültige Orientierung in unserer Welt zu bestimmen.

Da diese Entwicklung die europäische Geschichte umfassend prägte, werde ich in meinen Überlegungen die Begrifflichkeit der Kultur, der Philosophie und der Religion, wie sie im Rahmen der abendländischen Geschichte vorkommen, verwenden, was die Allgemeingültigkeit dieser Überlegungen nicht beeinträchtigt. So verstehe ich unter „Philosophie“ ein geschlossenes System der Philosophie, gleich in welcher Prägung. Unter „Religion“ verstehe ich eine monotheistische Religion, gleich in welcher Prägung, wobei ich mich in dieser Arbeit ausdrücklich auf das Judentum und das Christentum beschränke, da mir diese beiden Religionen besser vertraut sind.

Zu besonderem Dank bin ich meinem Sohn Jonathan verpflichtet, der mir bei der sprachlichen Gestaltung des Manuskripts eng zur Seite stand. Für die Betreuung der Publikation meines Buches möchte ich mich bei Herrn Mirko Esquivel und beim Produktionsteam des „tredition“-Verlags herzlich bedanken.

1 Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Was ist Aufklärung? Hrsg. Von Ehrhard Bahr, Stuttgart 1974, S. 9

2 Vgl. dazu System I S. 16f.

Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit

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