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EINLEITENDES

1. Die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Rationalität des religiösen Glaubens und der Religion überhaupt ist genau so alt wie das methodisch-systematische Denken. Die Schriften unterschiedlicher Religionen spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie geben dem religiösen Gefühl die Möglichkeit, sich konkret zum Ausdruck zu bringen und verschaffen so dem Glaubenden die lebendige Verbindung mit dem Göttlichen. Diese Schriften ermöglichen auch die Bildung einer klaren religiösen Weltanschauung.

Eine Frage, die im Laufe der Geschichte immer deutlicher und ausdrücklicher formuliert wurde, ist die Frage nach der Gültigkeit der religiösen Inhalte der Religion - im Allgemeinen und jeweils einer bestimmten Religion im Besonderen. Die Radikalität dieser Frage ist keiner theoretischen Art, sondern sie hat ihre Wurzeln in der Tatsache, dass die Religion, sprich das Göttliche, eine bestimmte Lebensführung anweist, die alle Lebensbereiche umfasst.

Diese Tatsache schafft eine Abhängigkeit des Glaubenden von den religiösen Institutionen und von den Gelehrten, die diese Schriften auslegen und so die Realisierung der religiösen Inhalte ermöglichen. Erst mit der Aufklärung kam die ausdrückliche Forderung, die eigene Fähigkeit des Menschen, sich selbst, das eigene Leben wie auch alles, was in diesem Leben wichtig ist, der verstandesmäßigen Prüfung zu unterziehen.

Die Entwicklung der modernen Wissenschaft hat die Möglichkeit der objektiven Erkenntnis der Natur mit sich gebracht, was den Eindruck weckte, dass die religiösen Inhalte bloß Glaubensinhalte und so subjektiv in ihrer Gültigkeit seien, also ohne jeglichen tatsächlichen Wirklichkeitsbezug sind. Der Anspruch der Religion, dass ihre Inhalte die Wahrheit der Wirklichkeit widerspiegeln, stand so einer andere Sichtweise gegenüber, die das Individuum und seine Erkenntnisfähigkeit, wie die allgemeine Gültigkeit der von ihm erlangten Erkenntnisse betonte.

In diesem Zusammenhang spielt es gar keine Rolle, wie sich eine konkrete Religion versteht: Ob als eine mythisch bestimmte Religion, als Naturreligion oder als eine monotheistische Religion. Die zwei oben genannten Wahrheitsansprüche verankern die Gültigkeit dieser Ansprüche in zwei vollkommen andersartigen letzten Instanzen: Zum einen im Göttlichen und in seinem Wort, und zum zweiten im Denken des Menschen, der so ins Zentrum der Welt gerückt wird.

Die Betonung der Bedeutung des Individuums und seiner verstandesmäßig bestimmten Weltanschauung führt dazu, dass die Religion als etwas gesehen wird, was in der Gültigkeit seines Inhalts nicht direkt nachvollziehbar und daher fragwürdig ist.

Das bedeutet, dass sich die Gültigkeit religiöser Inhalte eventuell als fiktiv erweisen kann. Das zeigt uns schon eine der ersten registrierten Stellungnahmen diesbezüglich: Der Pre-Sokratiker Xenophanes von Kolophon hat sich vehement gegen das anthropomorphe Verständnis der Götter gestellt, die nicht nur zweifelhafte menschliche Eigenschaften trugen, sondern darüberhinaus in ihrem Leben auch von eigentümlichen menschlichen Bedürfnissen und Empfindungen getrieben wurden. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass es dem Menschen nicht möglich ist, zu wissen, wie die Götter wirklich aussehen und welche Gestalt sie tragen. Daraus folgert er, dass die Götter bloß Produkte persönlicher menschlicher Einbildungskraft sind.

Die Überzeugung, dass Gott selbst bzw. die Götter nur ein Produkt menschlicher Einbildungskraft sind, führte zu einem rational motivierten Zweifel an der Gültigkeit der Inhalte des religiösen Glaubens. Hier geht es nicht um Ausdruck von willkürlich persönlichem Zweifeln. Das Bedürfnis sich Gott einzubilden, scheint eine fundamentale Veranlagung der menschlichen Natur zu sein, was auf die immanente Motivation hinweist, Gottes Bestehen anzuzweifeln.

Als Vertreter einer solchen Auffassung können wir den Philosophen Ludwig Feuerbach nehmen. Als Vertreter einer philosophischen materialistischen Haltung müsste er sich mit dem Phänomen der Religion und des religiösen Glaubens auseinandersetzen. Wenn alles Wirkliche entweder Materie oder Verhältnisse zwischen materiellen Sachen ist, dann ist es notwendig, einen ausdrücklich nicht materiellen Faktor wie Gott, besonderer kritischer Betrachtung zu unterziehen. Seine Überlegungen galten zwar dem Christentum, sind aber von allgemeiner Bedeutung. Er gelang zu der Überzeugung, dass Gott nur als Projektion des menschlichen Wesens verstanden werden kann. Das zu verstehen, würde als die größte Wende der Menschheitsgeschichte gelten. Dabei macht er klar, was das konkret bedeutet: Der Mensch selbst, der seiner Meinung nach das Erste und das Echte ist, gilt als Grundlage eines ursprünglichen Humanismus.

„Unser Verhältnis zur Religion ist […] kein nur verneinendes, sondern kritisches. Wir scheiden nur das Wahre vom Falschen – obgleich allerdings die von der Falschheit ausgeschiedenen Wahrheit immer eine neue, von der alten wesentlich unterschiedliche Wahrheit ist“.3

Eine ganz andere Art der Betrachtung der Religion findet man in Aussagen und Stellungnahmen einiger Pioniere der klassischen und der modernen Physik, von Galileo Galilei, Isaak Newton, James Clerk Maxwell bis hin zu Max Plank, Albert Einstein oder Werner Heisenberg, stellvertretend für viele Physiker bis zum heutigen Tag. Diejenigen, die die Naturbetrachtung revolutioniert haben, aber auch diejenigen Physiker, die diese weiter entwickelten, sahen und sehen es nicht als notwendige Folge ihrer revolutionären Erkenntnisse, die Religion und den religiösen Glauben als etwas „ungültiges“ abzulehnen. Im Gegenteil: Sie alle wussten und wissen genau, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, mögen sie so umfangreich und so tief sein, wie es nur möglich ist, nur einen engen Bereich der Wirklichkeit erfassen können. Bedenke man nur den Menschen und seine Welt!4

Dem Gegenüber gibt es die Stellungnahmen „philosophierender“ Wissenschaftler, die davon überzeugt sind, dass aus „wissenschaftlichen Gründen“ oder als Folge „nüchterner Betrachtung“ die Religion und der Gott, der in ihren Zentrum steht, fiktive Gebilde seien. Stellvertretend möchte ich zwei Stimmen kurz zu Wort kommen lassen.

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins macht große Anstrengungen, um die Frage zu klären, „warum es mit ziemlicher Sicherheit keinen Gott gibt“.5 In einem Stern-Interview kann er sogar feststellen, dass "Gott [..] mit großer Wahrscheinlichkeit nicht existiert ".6 Hier zeigt sich eine besonders interessante „sachliche“ Anwendung der Wahrschein-lichkeits-„Rechnung“ seitens eines modernen Naturwissenschaftlers mit unzähligen Anhängern, besonders einigen mit berufswissenschaftlichem Hintergrund.

Stephen Hawking und Leonard Moldinow gehen sogar einen Schritt weiter, bis hin zur Verabsolutierung der naturwissenschaftlichen Denkweise. Sie schreiben:

„Wir existieren nur kurze Zeit und erforschen in dieser Zeit nur einen kleinen Teil des Universums. Doch der Mensch ist eine neugierige Spezies. Wir staunen und suchen nach Antworten. Da die Menschen nun einmal in dieser riesigen, mal gütigen, mal grausamen Welt leben und in den unermesslichen Himmel über ihnen blicken, stellen sie sich von jeher eine Fülle von Fragen. Wie können wir die Welt verstehen, in der wir leben? Wie verhält sich das Universum? Was ist das Wesen der Wirklichkeit? Woher kommt das alles? Braucht das Universum einen Schöpfer? Die meisten von uns verbringen nicht übermäßig viel Zeit mit diesen Fragen, doch fast alle machen wir uns hin und wieder darüber Gedanken. Traditionell sind das Fragen für die Philosophie, doch die Philosophie ist tot. Sie hat mit den neueren Entwicklungen in der Naturwissenschaft, vor allem in der Physik, nicht Schritt gehalten. Jetzt sind es die Naturwissenschaftler, die mit ihren Entdeckungen die Suche nach Erkenntnis voranbringen“.7

„Obwohl wir nach kosmischen Maßstäben nur winzig und unbedeutend sind, werden wir dadurch in gewissem Sinne zu den Herren der Schöpfung:

Um das Universum auf fundamentalster Ebene zu verstehen, müssen wir nicht nur wissen, wie sich das Universum verhält, sondern auch warum.

* Warum gibt es etwas und nicht einfach nichts?

* Warum existieren wir?

* Warum dieses besondere System von Gesetzen und nicht irgendein anderes?“

„Das ist“, so behaupten Hawking und Moldinow, „die letztgültige Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Wir werden versuchen, sie in diesem Buch zu beantworten“

2. Angesichts der oben kurz erwähnten Haltungen ist es geboten, die Frage zu klären, was man eigentlich klären muss, wenn vom Verhältnis zwischen Religion und rationalem Denken, besonders aber wenn von dem Verhältnis zwischen Religion und Wissenschaft die Rede ist. Bei einer näheren Betrachtung wird klar, dass der Zusammenhang zur Klärung der oben erwähnten Frage sehr breit ist, ja es ist der breiteste Erkenntniszusammenhang überhaupt: des Ganzen der Wirklichkeit.

Da die Verstandes- bzw. die Denkmäßigkeit der Betrachtung der Religion und des religiösen Glaubens der letzte Maßstab zur Bestimmung der Gültigkeit des Wahrheitsgehalts einer solchen Betrachtung ist, ist es geboten, den Verstand bzw. das Denken als Ansatzpunkt einer derartigen Betrachtung näher zu prüfen. Da hallt Kants Aufruf: "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!", was nichts anderes als „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" bedeutet.9

Diese Bestimmung und der ihr entsprechende Aufruf zeigen klar in Richtung der Kantischen Frage hin: „Was ist der Mensch?“, eine Frage, die er als „Schmelzpunkt“ dreier Grundfragen sah: „Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?“10

Der Ausgang des Menschen aus seiner Unmündigkeit bedeutet also die Entfernung eines Schleiers, der uns vor uns selbst verbirgt und so die Selbsterkenntnis wie auch die Erkenntnis der Wirklichkeit verzerrt.

Der Hinweis darauf, dass man für einen solchen Schritt des Ausganges aus der eigenen selbstverschuldeten Unmündigkeit Mut benötigt, bedeutet zweierlei: Mut, sich einzugestehen, dass man selbst nicht mündig ist, aber auch den Mut, den Schritt des Ausganges aus diesem Zustand zu wagen.

Worin besteht nun diese Mündigkeit, für deren Erreichen man offenbar Mut benötigt, aber warum soll das Bedienen des eigenen Verstandes so gehemmt sein, dass dafür Mut verlangt wird?

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen“.11

Mit Mündigkeit ist also die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung und der mit ihr wesentlich verbundenen Verantwortung gemeint. Es geht um die fundamentale Unabhängigkeit des einzelnen, sein Leben selbst zu betrachten und demensprechend zu lenken und zu führen; dabei besitzt er auch die Fähigkeit und die Möglichkeit für die verantwortungsvolle Art der Verwirklichung seines individuellen Lebens, ein Leben, das zwar individuell geführt wird, jedoch dabei nicht in der Isolation geführt wird und bleibt: Es ist ein Leben, das immer und zwangsläufig in einem kulturell bedingten gemeinschaftlichen Rahmen verläuft. Die Tatsache, dass das Individuum nur im Rahmen der Gemeinschaft das sein kann, was es ist, verleiht ihm die fundamentale Möglichkeit, im Rahmen der Gemeinschaft, in deren Mitte er lebt, zu wirken, was ihn folglich in die Lage versetzt, gesellschaftlich und so auch geschichtlich zu wirken.

„In vielen Kulturen gibt es Epochen der Aufklärung. Es sind Epochen, in denen sich der Mensch selbst neu entdeckt. So entsteht ein neues Verhältnis, nicht nur des Menschen zu sich selbst, sondern auch zu Gott und der Welt. Der Mensch entdeckt, dass er eine Verantwortung trägt. Er ist nun selbst verantwortlich für Erkennen, Handeln und Politik“.12

„Religion“, „Wissenschaft“, „Erkenntnis der Wirklichkeit“: Hier handelt es sich also nicht bloß um „lokale“, „punktuelle“ Verhältnisse, sondern buchstäblich um das Ganze: Nur vor dem Hintergrund der Wirklichkeit als Ganzes lässt sich auf eine sinnvolle Weise nach dem Zusammenhang der obengenannten „Faktoren“ fragen. Das kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass alle drei den gleichen Anspruch haben: Dass die Gültigkeit ihrer Aussagen in der Wahrheit begründet sein muss, was nichts anderes als ihren Wirklichkeitsbezug bedeutet.

Genau darin besteht der Zusammenhang mit der Art des Mensch-Seins namens „Aufgeklärt-Sein“ und mit der zum Ausdruck kommenden Mündigkeit des Einzelmenschen. Es gibt vermutlich keinen anderen Bereich als die Religion, wo dieser Aufruf zur Aufklärung und zur Mündigkeit immerwährend aktuell ist. Aber dazu später.

3. Wenn von Erkenntnis die Rede ist, so ist zu bemerken, dass die einzige Erkenntnisart, die von jeglichem Wirklichkeitsbezug frei ist, die mathematische ist. Die Tatsache, dass gerade die Mathematik als das geeignete Ausdrucksmittel zur Formulierung der Erkenntnisse der Natur – musterhaft in der Physik – gilt, will zunächst nur sagen, dass das mathematische Mittel einzig und allein dazu geeignet ist, physikalische Erkenntnis-Bestimmungen wie auch die Folgerungen aus solchen Bestimmungen quantitativ darzulegen: Dadurch werden nur und ausschließlich physikalische Bestimmungen der Natur zum Ausdruck gebracht, nicht aber eigentümliche mathematische Betrachtungen und Erwägungen. In der Mathematik werden abstrakte mathematische Objekte definiert, wobei ihr Verhalten in bestimmten Zusammenhängen wie auch die Folgen daraus betrachtet werden. Die Entsprechung solcher Bestimmungen zur realen, materiellen physikalischen Welt ist gar nicht angestrebt und ist vollkommen irrelevant.

In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, zwischen „logisch“ und „rational“, „logischem Denken“ und „rationalem Denken“ zu unterscheiden. Logisches Denken ist ein inhaltleeres, formales Denken. Dadurch zeichnet es sich aus: sein formaler, inhaltleerer Charakter kommt in der Eindeutigkeit und Endgültigkeit seiner Bestimmungen zum Ausdruck. Im Unterschied dazu ist ein rationales Denken ein durch konkreten Inhalt bestimmtes Denken. Formal-logische Aspekte sind zwar vorausgesetzt - es ist eben Denken; aber die Rationalität der inhaltlichen Bestimmungen besteht in der Sachlichkeit, der Stimmigkeit und der Begründbarkeit des Inhalt-Zusammenhangs dieser Bestimmungen.

Die Tatsache, dass die Mathematik das geeignete, ja das einzig richtige Ausdrucksmittel der physikalisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse darstellt, bedarf einer gründlichen Betrachtung; diese Tatsache ist aber ihrem Wesen nach weder eine mathematische noch eine physikalisch-naturwissenschaftliche Angelegenheit, sondern eine eigentümlich philosophische. Damit werden wir uns später ausführlich befassen.

4. Wenn von den Ausdrücken „Religion“, „Wissenschaft“ und „Erkenntnis der Wirklichkeit“ die Rede ist, so müssen wir uns darüber im Klaren sein, worauf sie sich sinnvoll beziehen können. Die Motivation zur erkenntnismäßigen Betrachtung der Wirklichkeit beginnt mit der Tatsache, dass eine Person der Welt gegenüber steht, wobei ihr Bewusstsein von einer Kluft zwischen ihr und der Welt stark geprägt ist. Auch Erfahrungen von unterschiedlichen Sinnestäuschungen wie auch fehlerhafte Beurteilungen angesichts angeblich klarer Sinneswahrnehmungen erzeugen das Bedürfnis, die wirkliche Welt auf eine gültige Weise zu erkennen. Hier ist also von dem erkennenden Subjekt und von der Wirklichkeit die Rede, die alles umfasst, was Bestand und Bedeutung hat. Das heißt, alles, was da ist, kann nur im Rahmen der Wirklichkeit und vor ihrem Hintergrund als das, was es ist, verstanden werden.

Die Religion erhebt den Anspruch, sich auf die gesamte Wirklichkeit zu beziehen, nicht jedoch als Wirklichkeitslehre oder als eine Art Erkenntnistheorie. Ihr geht es in erster Linie und vor allen darum, den Menschen zu einer aktiven Orientierung in der Welt als Schöpfung Gottes zu bewegen und ihn dabei konkret zu leiten und zu führen. Dafür gibt ihm die Religion die ihr angemessenen Maßstäbe und Normen, die ihm die konkrete Lebensführung auf eine umfassende Weise ermöglichen.

Das Erlangen von Wissen bezüglich des konkreten Wirklichkeitsgehalts ist Aufgabe der unterschiedlichen Wissenschaften, die in „Sachbereiche“ differenziert sind. Auch die Sachbereiche selbst differenzieren sich immer weiter. Wissen im eigentlichen Sinne des Wortes kann nur im begrenzten Maß erlangt werden, was jedoch auf gar keinen Fall die Abwertung der Bedeutung der Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit ist, die sachlich nicht immer gleich als Wissen im eigentlichen Sinne dargestellt werden können. Oft ist von „Erkenntnisstand“ die Rede, der zwar Wissenselemente enthält, aber in seinem Zusammenhang noch kein Wissen darstellt.

Als einfaches, anschauliches Beispiel können wir die geometrische Form der Erde betrachten. Diese Form ist endgültig bestimmt, sie ist eine Tatsache der Wirklichkeit. Das ist Wissen, das wir besitzen. Und das heißt, es spielt überhaupt keine Rolle, welches kosmologische Modell aktuell vertreten wird, also um welchen Erkenntnisstand es sich handelt. Diese Form wird in jedem Fall dieselbe bleiben. Ob das geozentrische oder das heliozentrische nun das richtige ist, ist für die geometrische Form der Erde gleichgültig. Das gilt natürlich auch für die Tatsächlichkeit des heliozentrischen Weltbildes.

In diesem Zusammenhang können wir auch den Unterschied zwischen „Wissen“ und „Erkenntnis“ feststellen. Erkenntnis bedeutet einerseits den Ergebnisstand wissenschaftlicher Untersuchungen, andererseits den Prozess der Erkenntnisgewinnung. Die Vorläufigkeit eines Erkenntnisstandes ist hier klar feststellbar. Der Prozess der Erkenntnis strebt zum Wissensgewinn. Das schon gewonnene Wissen dient als Grundlage der Weiterführung des Erkenntnisprozesses. Das Wissen ermöglicht uns, weil es nun endgültig ist, die Ableitung weiterer möglicher Erkenntnisschritte.

Es stimmt natürlich, dass im Laufe der Entwicklung der Wissenschaft ein bestimmter, momentaner Erkenntnisstand für endgültiges Wissen gehalten wurde und wird. Das ändert jedoch nichts an der grundsätzlich unterschiedlichen Bedeutung von Wissen und Erkenntnis, es betont sie eher.

Die Möglichkeit der Erlangung von Wissen hängt von der Art des Erkenntnisprozesses der Wissenschaft ab. Gemeint sind die Art des methodischen Vorgangs der Wissenschaft zur Erlangung ihrer Erkenntnisse wie auch die Möglichkeit, diese als Wissen, also als Tatsache zu bestimmen. Dabei muss betont werden, dass es keine einheitliche wissenschaftliche Methode gibt. Jeder Wissensbereich muss in der Lage sein, seine Eigentümlichkeit so zu bestimmen, dass klar ist, was überhaupt als eine eigentümliche, eigenständige Tatsache in ihm verstanden werden kann. Was kann zum Beispiel als eine geschichtswissenschaftliche, eine literaturwissenschaftliche, eine kunstwissenschaftliche Tatsache gelten? Welche besondere, eigentümliche Methode kann uns zur Möglichkeit der Erlangung von gültigen Erkenntnissen in diesen Wissenschaften führen? Bedenken wir die Zeit- und Ort-Unabhängigkeit von Wissen, welchen Grad der Gültigkeit kann die Erkenntnisse jeder dieser Wissenschaften besitzen, so dass man sinnvoll von der konkreten Möglichkeit dieser Wissenschaften reden kann, Wissen zu erlangen?

Die Arbeitsweise der Physik als Muster einer Naturwissenschaft kann helfen, diesen Sachverhalt besser zu verstehen. Einer der wichtigsten konkreten Ausdrücke dieser Eigentümlichkeit der Physik, aber auch der Naturwissenschaft im Allgemeinen, ist die Vorhersagbarkeit: Die Möglichkeit, Naturereignisse vorherzusagen ist nicht bloß Ausdruck der Richtigkeit der Naturerkenntnis, sondern gar der Beweis dieser Richtigkeit. Einen klareren Beweis für den Wirklichkeitsbezug der naturwissenschaftlichen Erkenntnis gibt es nicht! Das berechtigt uns, von Wissen im Rahmen der Naturerkenntnis zu sprechen. In keinem anderen Wissenschaftsbereich lässt sich sinnvoll von Vorhersagbarkeit sprechen.

Die Physik kann deshalb als Vorbild der Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse gelten, weil uns die Gewissheit bezüglich des Wissens, das mittels der spezifischen Vorgehensweise gewonnen wird, aufgezwungen ist; darüberhinaus ist dieses Wissen auch allgemeingültig und objektiv.

Dafür bezieht sich die physikalisch-naturwissenschaftliche Methode auf einen sehr schmalen Bereich der Wirklichkeit. Werte, Normen und Sinnorientierung haben in der Physik keinen Platz. Also gerade Orientierung in dem, was dem menschlichen Leben Sinn und Bedeutung verleiht, können wir in der physikalischen Naturwissenschaft nicht finden. Die gewaltige Wichtigkeit dieser Wissenschaft im Rahmen des menschlichen Lebens bezieht sich auf eine andere Ebene dieses Lebens, wo diese Wissenschaft als Mittel zum Zweck im Rahmen dieses Lebens dient, wie es zum Beispiel in der Anwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in den unterschiedlichen technischen Bereichen zum Ausdruck kommt.

5. Die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft und die Verifizierung ihrer Erkenntnisse, wie ihrer vielfältigen Anwendungen in der Technik, hat die Aufmerksamkeit stark auf sie gelenkt. Das ist nicht zufällig geschehen: Die Naturwissenschaft beansprucht für ihre Erkenntnisse allgemeine Gültigkeit wie auch Objektivität und Vorhersagbarkeit und ihre Gewissheit ist uns aufgezwungen.

Diese obenerwähnten Anwendungen zeigen, dass es sich hier nicht bloß um „Anspruch“ der Allgemeingültigkeit, der Objektivität, der zwingenden Gewissheit und der Vorhersagbarkeit handelt, sondern dass es um Wirklichkeit geht, also um Tatsachen, die als solche nicht in Frage gestellt werden können.

Die Aufklärung beabsichtigte, den Menschen von seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit (Kant) zu befreien. Damit ist jedoch nicht die Relativierung der Wahrheit als persönliche Aufgabe gemeint, sondern umkehrt: Die Befreiung von institutionellen Zwängen zugunsten der eben nicht relativierbaren Wahrheit; Wahrheit, die nicht bloß die wissenschaftliche ist, sondern die Wahrheit der Wirklichkeit in ihrer Ganzheit, in der die einzelne Person ihre eigentümliche Stellung finden soll.13

Die Wirklichkeit als ein umfassendes Ganzes kann auch religiös bestimmt betrachtet werden. Dies jedoch nicht bloß als eine gedachte Option, sondern als eine feststellbare Wirklichkeit. Im Unterschied zur wissenschaftlich erkannten Wahrheit, die sich nur auf ein Fragment der Gesamtwirklichkeit bezieht, umfasst die durch die religiös verstandene und erkannte Wahrheit die gesamte Wirklichkeit, das Wirklichkeitsganze. Zum Ausdruck kommt diese Tatsache dadurch, dass die Wissenschaft nach Wissen strebt, wobei es in der Religion um den Glauben und seine Festigung geht.

Wie stehen diese zwei „Arten“ der Wahrheit zu einander? Mit anderen Worten: Worin besteht – wenn überhaupt – der Unterschied zwischen „religiöser Wahrheit“ und „wissenschaftlicher Wahrheit“? Handelt es sich hier um zwei Arten der Erkenntnis, die in der Bestimmung von zwei Arten der Wahrheit zum Ausdruck kommen? Kann das Ganze der Wahrheit in unterschiedliche Arten geteilt werden? Gibt es eine Möglichkeit, solche „Wahrheiten“ bzw. „Erkenntnisse“ zu vergleichen? Unterscheidet sich die religiös verstandene Wirklichkeit von der wissenschaftlich verstandenen?

6. Der Gang der Wirklichkeit wird von zwei gesetzlich konstituierten Ordnungen bestimmt: die Naturgesetzlichkeit und alles, was durch sie bestimmt ist, und die Gesetzlichkeit, die der Mensch bestimmt, entwickelt oder sich aneignet und nach der er handelt und lebt. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, seinen Willen so zu bestimmen (Freiheit), dass die Führung und die Tätigkeiten seines Lebens so bestimmt sind, dass sein persönliches Leben im Ganzen der Wirklichkeit spannungslos integriert ist. Darin besteht doch sein Wachstum. Und der Sinn des Lebens des Einzelnen besteht in dieser fundamentalen Entsprechung, zu der das Wachstum führt.

Betrachten wir die Wirklichkeit von diesem Standpunkt aus, so schimmert in uns die Ahnung, dass der Gang der Wirklichkeit nicht neutral ist, sondern eine bestimmte Richtung aufweist. Die Naturgesetzlichkeit und die durch sie bestimmten Gesetzmäßigkeiten bilden den festen Rahmen, in dem das menschliche Leben geführt wird. Die Gesetzlichkeit, die diesen Rahmen konstituiert, ist dem Menschen nicht nur unzugänglich, sondern absolut in ihrer Gültigkeit: Der Mensch kann vieles tun, aber das, was er tut, wird immer in Einklang mit dieser Gesetzlichkeit stehen und ihr entsprechend geschehen. Sie ist ihm von der Tatsache seiner Geburt bis hin zur Tatsache seines Tods aufgezwungen. Bedenken wir „nur“ die Bedeutung der Tatsache der Endlichkeit des menschlichen Lebens für das konkrete persönliche Leben eines Menschen!

Das deutet nicht nur darauf hin, dass der Gang der Welt eine bestimmte Richtung aufweist, sondern dass diese Richtung aktiv gesteuert wird. Wir haben die objektive Tatsache der Freiheit und der Verantwortung des Menschen für sein eigenes Leben in gleichzeitiger Verantwortung für die Welt hervorgehoben. Es ist die dringliche Aufgabe des Menschen, die seinem Wesen entspricht, das Ganze der Welt zum ruhigen Ausgleich zu bringen. Immerhin ist der Mensch die einzige Entität im Rahmen der Wirklichkeit, die diese Wirklichkeit in die Un-Ordnung führen kann.

Diese Tatsache kommt dadurch zum herausragenden Ausdruck, dass diese Freiheit als die Fähigkeit der Bestimmung des Willens nicht einfach darin bestehen kann, zwischen „gut“ und „böse“ zu unterscheiden und danach zu handeln, sondern sich für das vollkommene menschliche persönliche Leben zu entscheiden. Darin muss das Wesen einer jeden ernstzunehmenden Ethik bestehen.

Insofern besteht die Hauptfrage des Menschen darin, wie er sein Wachstum so optimal wie möglich fördern kann, so dass er – ideal gesprochen – jeden Moment seines Lebens, gleich wie dieses Leben beschaffen ist, als Lebens-Gewinn verstehen kann: Jeder Moment des richtigen Lebens bedeutet, ständig in der wirklichen Gegenwart zu leben. Gibt es eine treffendere tätige Bestimmung der eigenen persönlichen Identität?

Diese persönliche Gestaltung des eigenen Lebens hat selbstverständlich eine starke bestimmende Wirkung auf die Beziehung des Einzelnen zu anderen Menschen und zu Gruppen, zu Tieren und Pflanzen und zur leblosen Welt, lokal und global. Insofern nimmt der Mensch die Wirklichkeit mit sich in sein Wachstum – oder auch in seine Weigerung, diesen Weg des Wachstums auf sich zu nehmen.

Die Bestimmung des eigenen Lebens zum Leben in Wachstum führt die Wirklichkeit in eine Richtung, die über die erkenntnismäßig bestimmte Transzendenz hinausreicht.

Wenn diese Wirklichkeit einen Schöpfer hat, dann bedeutet diese persönliche Verwirklichung der eigenen Stellung in der Wirklichkeit, dass das eigene Leben nicht bloß mit dem Plan dieses Schöpfers in Einklang gebracht wird, sondern darüber hinaus, dass es die aktive Teilnahme an der Verwirklichung des Plans dieses Schöpfers bedeutet.

7. Im Grunde genommen stellt der religiöse Glaube die Erweiterung der systematischen Wirklichkeitsauffassung dar. Das Eigentümliche dieser Erweiterung besteht in der Begründung des Ganzen der Wirklichkeit in etwas, das als letzter, endgültiger objektiver Ursprung der Wirklichkeit gilt.

Das weltliche und das religiöse Weltbild stehen also auf gar keinen Fall in Widerspruch zueinander. Es handelt sich um zwei Zusammenhänge, die Wirklichkeit als Ganzes einerseits und die Wirklichkeit in ihrem Ursprung („Grund“) begründet andererseits, die trotz der grundsätzlichen Unterschiede zwischen beiden Weltverständnissen – „Welt“ versus „Schöpfung“ – einander wirklichkeitsmäßig decken. Mit anderen Worten: Die Wahrheit der „Schöpfung“ erweitert die Wahrheit der „Welt“, lässt sie jedoch in ihrer eigenständigen Gültigkeit bestehen.

Wir können diese Beziehung anhand eines Beispiels vom physikalischen Weltverständnis verdeutlichen. Gemeint ist die Erweiterung des durch Newton, Kepler und Galilei geprägten physikalischen Weltverständnisses durch die moderne Physik.

Als Einheit ist die Welt, von der die alten und modernen Physiker sprechen, genau dieselbe – und doch nicht. Der Blick in das Innere der physikalischen Beschaffenheit der Welt zeigt ein völlig neues Verständnis der Natur und ihrer Zusammenhänge. Diese Schau zeigt eine ganz andere Welt als die der Physik Newtons. Diese wurde gewissermaßen transzendiert und vom Standpunkt „dieser Transzendenz“ betrachtet und neu bestimmt.

Jede dieser physikalisch bestimmten „Welten“ stellt nicht einfach einen eigenständigen Deutungszusammenhang dar, sondern sie stellen ganz unterschiedliche Wirklichkeiten dar. Die physikalische Welt nach Newton ist eine völlig andere als die physikalische Welt nach den Relativitätstheorien und nach der Quantenmechanik. Trotzdem ist die so genannte „nackte Realität“ dieselbe.

Ähnlich verhält es sich mit dem Wirklichkeits- und Schöpfungsverständnis. Die „nackte“ Realität ist dieselbe, jedoch das, wodurch ihre Wirklichkeit bestimmt ist, ist wesentlich anders. Der Begriff der Schöpfung enthält die Erweiterung des Wirklichkeitsgebildes auf eine Weise, die für die systematische Erkenntnismöglichkeit nicht zugänglich ist. Die Transzendenz, von der wir gesprochen haben14, stellt eine systematische, erkenntnistheoretische Bestimmung dar, die als solche keine religiös verbindliche Bedeutung hat.

Damit die Transzendenz eine religiöse Bedeutung aufweisen kann, muss ihr Begriff stark verändert werden, und zwar so, dass sie nur als ein notwendiger Aspekt einer größeren, umfassenderen Wesenheit verstanden wird, die mit dem Namen „Gott“ versehen ist. Und statt von systematischer Erkenntnis zu sprechen, reden wir von Glauben bzw. von Gottesglauben.

Was das konkret bedeutet, können wir anhand zweier Kategorien der Geschichtsauffassung verdeutlichen: die Kategorie der Geschichte im gewöhnlichen Sinne des Wortes und die Kategorie der Universalgeschichte.15

In der Geschichte im gewöhnlichen Sinne des Wortes, die die weltliche Kategorie der Geschichte ausmacht, geht es um das Miteinander, Füreinander und Gegeneinander bestimmten menschlichen Handelns, wobei dieses Handeln kausal ausschließlich auf menschlich bewusste Entscheidungen (und Reaktionen auf Entscheidungen) zurückgeführt wird. Die geschichtlichen Vorgänge werden so insgesamt als rational bestimmte Vorgänge dargestellt, also ohne nennenswerte „Zufälle“ einerseits, andererseits aber, ohne, um diese geschichtlichen Vorgänge zu verstehen, von der „Hypothese“ einer göttlichen Einmischung in diese geschichtlichen Vorgänge Gebrauch zu machen.

Die universalgeschichtliche Kategorie ist im Unterschied zur weltlichen Kategorie der Geschichte eine, die auf die Weltgeschichte als Gesamtgeschichte angewandt wird, um durch diese gesamtgeschichtliche Betrachtung eine Identitätsbestimmung von Völkern, Kulturen oder Religionen zu vollziehen und so auch ein umfassendes Verständnis über die eigene gegebene Gegenwart zu ermöglichen.

Dies wird vollzogen, indem man die Weltgeschichte unter dem Gesichtspunkt dessen untersucht, was sie so eindeutig objektiv bestimmt. Es ist dieses Übergeschichtliche und die durch es bestimmte Tätigkeitsorientierung, die es uns ermöglicht, diese gesamtgeschichtliche Betrachtung zu vollziehen, um letztlich uns selbst in unserer Identität als das, was wir sein sollen, in der Weltgeschichte eindeutig zu bestimmen.

Diese Kategorie der Geschichte ist also von Anfang an a-historisch. Sie strebt von Anfang an eine eindeutige Bestimmung von einzelnen geschichtlichen Erscheinungen an, und zwar so, dass in ihnen immer ein und dieselbe wirkende Macht sichtbar wird, nämlich die göttliche, und zwar in der Verwirklichung des Wesens des einzigen freien Tätigen in der Weltgeschichte, nämlich des Menschen. Auch das Eingreifen der göttlichen Macht in die unterschiedlichsten Ereignisse der Welt findet im Zusammenhang mit dem Menschen und mit seiner Lebensweise statt.

Das heißt, nicht nur die Welt ist dieselbe und gleichzeitig nicht dieselbe („Wirklichkeit“ als systematische, erkenntnistheoretisch bestimmte Welt versus „Schöpfung“ als von Gott geschaffene Welt), sondern auch das Dasein des Menschen drückt sich demensprechend jeweils in einer anderen Seinsdimension aus.

Das kommt in der Instanz der Maßstäbe und der Normen zum Ausdruck, die den Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen in ihren unterschiedlichen Prägungen bestimmen. Während im Rahmen der systematischen erkenntnistheoretisch bestimmten Wirklichkeit das Denken (im systematischen Sinne) die Instanz ist, die solche Maßstäbe und Normen bestimmt, ist im Rahmen der Schöpfung ausschließlich Gott derjenige, der die Maßstäbe und die Normen bestimmt.

Das Bewusstsein des Menschen wie auch seine Absichten und Motivationen sind auf zwei voneinander ganz unterschiedliche Weisen bestimmt. Auf die eine Weise ist es der Mensch, der nach dem Maß seiner Wirklichkeits- und Selbsterkenntnis seinen Willen zur Handlung bestimmt, auf die andere Weise ist die von Gott gebotene Bestimmung des Willens zur Liebe zu Gott und zum Menschen die Norm und der Maßstab des legitimen menschlichen Handelns. Gott ist der einzige Eine, der die Mitte der Welt ist, und er verlangt von uns eindeutig und unmissverständlich, ihn zur Mitte unseres Lebens zu machen. Die wahre Religion ist eben absolut theo-zentrisch.

Falls Gott existiert, müssen nach unseren systematischen Überlegungen beide Realitätsweisen einander decken: Die systematische, erkenntnistheoretisch bestimmte Wirklichkeit steht in einem solchen Fall notwendigerweise in vollem Einklang mit der Realität der Schöpfung Gottes. Die nackte Wirklichkeit als solche ist identisch, die Seinsweise ist eine andere. Das bedeutet aber nicht, dass es einen unmittelbaren Weg von der systematischen erkenntnistheoretisch bestimmten Wirklichkeit zur Schöpfung Gottes gibt, in deren Mitte Gott steht. Das Verbindungsglied zwischen beiden „Realitäten“ ist daher der religiöse Glaube.

In den folgenden drei Teilen wird es um die Klärung des Problems der Beziehung zwischen Religion und rationalem Denken einerseits und andererseits um die Klärung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion im Allgemeinen und der biblisch bestimmten monotheistischen Religion gehen, wie auch um die Beziehung zwischen Religion, Bibel und der Wissenschaft im allgemeinen und der Naturwissenschaft im besonderen.

3 Das Wesen der Religion, herausgegeben von Albert Esser, Köln 1967, S.213

4 Vgl. dazu System I

5 Der Gotteswahn, Berlin 2007, S. 155

6Stern 40/2007

7 Der grosse Entwurf, Eine neue Erklärung des Universums, Reinbek bei Hamburg 2011, S. 11; von mir betont

8 Ebd. S. 15; Betonung im Original

9 Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Was ist Aufklärung? Hrsg. Von Ehrhard Bahr, Stuttgart 1974, S. 9

10Kritik der reinen Vernunft, A 804/B 832-A 805/B 833

11 Was ist Aufklärung? S. 9, im Original betont

12 Isabelle Schleich, Immanuel Kant und die Aufklärung, München 2008, S.3, von mir betont

13Vgl. dazu System I

14 Vgl. dazu System III

15Vgl. dazu System III

Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit

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