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b) Besondere Auslegungsfragen aa) Bestimmung der verkauften Sache(n)/Stück- und Gattungsschuld

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Bei Vereinbarung eines Sachkaufes i.S.d. § 433 muss sich die verkaufte und damit vom Verkäufer geschuldete Sache als eines der „essentialia negotii“ des Kaufvertrages anhand der Vereinbarung eindeutig bestimmen lassen.[4]

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Die Parteien können als „verkaufte Sache“ ein ganz bestimmtes, individuelles Stück als Kaufobjekt festlegen. Man spricht dann von einer „Stückschuld“ oder einem „Stückkauf“.

Beispiel

V verkauft dem K ein bestimmtes, mit der grundbuchmäßigen Flurbezeichnung bezeichnetes Grundstück.

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Die Kaufvertragspartner können aber alternativ auch abstraktere Merkmale festlegen, die als solche noch keine Individualisierung einer ganz bestimmten Sache erlauben. Dann soll dem Verkäufer die Auswahl überlassen bleiben, mit welchen Exemplaren er seine Pflicht aus dem Kaufvertrag erfüllen möchte. Entscheidend ist dann nur, dass die ausgewählte Sache den vereinbarten Merkmalen gerecht wird und auch im Übrigen mangelfrei (vgl. § 243 Abs. 1) ist. Wegen der Festlegung der Auswahlmerkmale liegt eine hinreichende Bestimmbarkeit des Kaufobjekts vor. Es handelt sich dann um eine „Gattungsschuld“ bzw. um einen „Gattungskauf“. Wenn die Parteien in die Gattungsbeschreibung das Merkmal aufnehmen, die Sache solle aus dem Vorrat des Verkäufers stammen, vereinbaren sie eine sog. „beschränkte Gattungsschuld“ in Form einer „Vorratsschuld“.

Beispiel für Vorratsschuld

K kauft beim Versandhändler V eine DVD über dessen Online-Shop durch Angabe der von V festgelegten Artikelnummer und Artikelbezeichnung.

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Die Vereinbarung der Parteien ist nicht immer eindeutig. Häufig lassen sich die Äußerungen sowohl als Vereinbarung einer Stück- wie einer Gattungsschuld auffassen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Auswahl eines konkreten Stücks bei Vertragsschluss auch als exemplarische Beschreibung einer Gattung verstanden werden könnte und dem konkreten Stück lediglich die Funktion eines Musters zur Beschreibung der geschuldeten Gattung zukommen soll.

Entscheidend ist – wie immer – das redliche Verständnis der Äußerungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen, §§ 133, 157. Fraglich ist alleine, welche Auslegung im Zweifel den Vorzug verdient und mit welchen Kriterien sich eine Vermutung für eine Stück- bzw. Gattungsschuld begründen lässt.

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Geht es dem Verkäufer ersichtlich nur um die Abgabe des konkret ausgewählten Stücks, etwa weil er erkennbar kein sonstiges Stück besitzt oder die restlichen Stücke ausdrücklich zurückbehalten möchte, liegt eine Stückschuld vor.[5] Der Verkäufer macht hier deutlich, nur das bei Vertragsschluss ausgewählte und kein anderes Stück beschaffen zu wollen.

Beispiel 1

Der Verbraucher V verkauft dem K seinen einzigen, gebrauchten PKW.

Beispiel 2

Weinhändler V verkauft dem K wegen Räumung seines Ladenlokals seine gesamten Lagerbestände der Weinsorte X.

Beispiel 3

Verbraucher V bietet dem K eine neue DVD mit einem bestimmten Filmtitel zum Kauf an, die er selber versehentlich doppelt erworben hatte.

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Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Käufer deutlich macht, sich aus bestimmten Gründen bewusst für das konkrete Exemplar entschieden zu haben. Dann sind die „Zweifel“, welchem Auslegungsergebnis der Vorzug zu geben ist, zugunsten der Stückschuld ausgeräumt.

Beispiel

Computerhändler V präsentiert von jedem seiner vorrätigen Laptops jeweils ein Modell im Laden. Kunde K möchte ein präsentes Exemplar kaufen und sofort mitnehmen. Er teilt mit, er habe keine Zeit und wolle nicht warten, bis V ein anderes Exemplar desselben Typs aus dem Lager beschafft habe.

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Eine bewusste Auswahlentscheidung des Käufers wird man redlicherweise auch bei unvertretbaren Sachen annehmen müssen. Das sind neben Grundstücken solche beweglichen Sachen, die vom Verkehr im Gegensatz zu den vertretbaren Sachen i.S.d. § 91 auch durch individuelle Merkmale unterschieden werden. Hier liegt wegen der Individualität des Stücks die Annahme fern, das Stück diene bloß als Muster für die Beschreibung einer Gattung.

Beispiel 1

K entscheidet sich beim Gebrauchtwagenhändler V nach Beratung und Probefahrt für einen von mehreren gebrauchten Jahreswagen desselben Modells mit vergleichbarer Laufleistung und Ausstattung. Hier unterscheidet sich jeder Wagen durch seinen individuellen Abnutzungsgrad, der von der Nutzungs- und Pflegeintensität der früheren Nutzer abhängt.[6]

Beispiel 2

K entscheidet sich beim Galeristen V nach eingehender Besichtigung für das Gemälde mit dem Titel „ICH“ aus der Trilogie „ICH – DU – WIR“ des Malers M. K will hier erkennbar das Bild „ICH“ und nicht „eines der drei Bilder“ aus dieser Trilogie erwerben.

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Beim Kauf einer „vertretbaren Sache“ wird schließlich vertreten, es sei im Zweifel eine (ggf. auf den Vorrat des Verkäufers beschränkte) Gattungsschuld vereinbart.[7] „Vertretbar“ ist eine bewegliche[8] Sache nach § 91, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht und nicht durch individuelle Merkmale bestimmt wird.

Beispiel

K geht zum Lebensmitteldiscounter V und entnimmt einem Karton mit 40 Mehlpackungen eine Packung. Diese Mehlpackung legt er an der Kasse vor. Die Kassiererin zieht die Packung über den Scanner und verlangt den Kaufpreis. Haben die Parteien jetzt einen Kaufvertrag nur über diese, an der Kasse vorgelegte Mehlpackung geschlossen (Stückschuld) oder sollte die vorgelegte Packung lediglich exemplarisch die geschuldete Gattung beschreiben (Gattungskauf)?


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Der Schluss auf die Vereinbarung eines Gattungskaufes – meist in der Form einer Vorratsschuld – rechtfertigt sich daraus, dass vertretbare Sachen ohne weiteres untereinander austauschbar sind und der Verkäufer deshalb redlicherweise nicht davon ausgehen kann, es komme dem Käufer ausgerechnet auf das zufällig ausgesonderte Stück an. Im Beispiel ist aufgrund Vertretbarkeit der vorgelegten Mehlpackung und der Gesamtumstände davon auszugehen, dass die Auswahlentscheidung des K letztlich vom Zufall geprägt war und er dem Vorrat des Verkäufers ebenso gut eine andere Verpackung hätte entnehmen können. Allerdings musste K davon ausgehen, dass dem V nur an einer Leistung aus seinem Vorrat gelegen ist, um keine zusätzlichen Beschaffungskosten zu haben. Damit haben die Parteien eine auf den Vorrat des V beschränkte Gattungsschuld vereinbart.

Diese Ansicht bedeutet keineswegs, dass es keine Stückschuld über vertretbare Sachen geben kann. Kann etwa der Käufer erkennen, dass der Verkäufer nur dieses eine (vertretbare) Stück vorrätig hat und ihm deshalb bei Vertragsschluss nur dieses Stück verschaffen kann und will, liegt – nach allen Ansichten – eine Stückschuld vor (s.o. Rn. 13, Beispiele 2 und 3.). Eine Stückschuld liegt außerdem trotz Vertretbarkeit der Sache vor, wenn der Käufer – wie im Laptopfall oben – seine Auswahl erkennbar bewusst aus besonderen Gründen getroffen hat.

Fazit:

Die hier vorgestellte Ansicht unternimmt methodisch nichts anderes, als den Parteiwillen vom Standpunkt eines redlichen Empfängers unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und Treu und Glauben nach §§ 133, 157 zu ermitteln. Verborgen gebliebene Auswahlkriterien einer Partei können – wie immer – bei der Auslegung vom jeweiligen normativen Empfängerhorizont mangels Erkennbarkeit keine Berücksichtigung finden.

Schuldrecht Besonderer Teil I

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