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Karin Reddemann - Weh Mutterherz

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Bengt-Jörn Schwenke war nach durchaus reiflicher Überlegung zu dem Entschluss gekommen, seine Mutter umzubringen. Eine andere Möglichkeit, sie loszuwerden, fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Freiwillig schien sie das Feld nicht räumen zu wollen, dafür war sie trotz ihres hohen Alters schlichtweg zu gesund. Ein Seniorenheim kam nicht infrage. So was kostete ein Vermögen, Bengt-Jörn brauchte ihr Geld für eigene Zwecke. Für seine Mutter stand eh fest, dass sie „irgendwann einmal in einem hübschen Sarg“ aus ihrem eigenen Haus getragen würde. Irgendwann einmal! Tatsächlich schien sie mindestens hundert werden zu wollen. Das ging gar nicht. Also musste er sie ermorden.

Behaglich war ihm der Gedanke nur bedingt, schließlich handelte es sich um seine Mutter. Andererseits mochte er sie nicht mehr so sehr, seitdem er nach der Trennung von Anna wieder bei ihr eingezogen war. Zehn Jahre war das nun her, eine irritierend lange Zeitspanne, wie Bengt-Jörn befand, der nur sehr kurzfristig wieder sein altes Jugendzimmer beziehen wollte. Anna hatte ihn kompromisslos aus ihrer Wohnung geworfen und als für sie „endgültig erledigt“ bezeichnet, absolut grundlos, wie er fand. Er hatte freilich auch nie das geringste Interesse verspürt, mögliche Gründe wissen zu wollen. Jetzt hatte er Corinna kennengelernt, und die benötigte einen Mann, der ihr etwas bieten konnte. Dieser Mann war er. Zumindest würde er es sein, wenn die Mutter weg wäre.

Bengt-Jörn stieß eher zufällig auf Todesfälle, die sich für eine kleine Recherche bezüglich seiner Gesamtsituation anboten. In der Zeitung berichteten sie über einen Studenten aus dem Ruhrgebiet, der seiner Mutter mit einer Hantel den Kopf eingeschlagen hatte. Dieser Akt unschöner Gewalt, für den Bengt-Jörn trotz eigener Mordintention kein rechtes Verständnis aufbringen konnte, war auf eine gewisse Habgier zurückzuführen, - die Mutter hatte jede Menge Geld - , als auch auf ein bedenkliches Schamgefühl des Täters. Der hatte aufgrund depressiver Tendenzen und wohl auch aus diskret verschwiegener Faulheit sein Studium geschmissen und sich nicht getraut, das Zuhause zu erzählen. Also ...

Nichts also! Solch ein kaltschnäuziger Mord als Konsequenz in solch einem banalen Kontext missfiel Bengt-Jörn. Das mit dem abgebrochenen Studium als Motiv fand er lächerlich. Deshalb würde er nie, da hätte er ja schon vor dreißig Jahren … Geld passte eher. So was ergab Sinn und konnte als Rechtfertigung dienen.

Er würde seiner Mutter dafür aber auf gar keinen Fall den Schädel zertrümmern. Nicht sein Ding. Auch kein Abschlachten. Da hatte einer aus Bayern sage und schreibe achtundachtzig mal auf seine Mutter eingestochen, - sechszehn von den Stichen wären für sich allein schon tödlich gewesen - , und hinterher erklärt, sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt zu haben bei dem ganzen Gemetzel. Unter Kontrolle. Bengt-Jörn stellte sich vor, wo der Kerl überall mit seinem Messer herum gestochert und gewetzt haben musste. Und beim wievielten Stich er selbst aufgehört hätte, um auf Nummer sicher zu gehen. Abstechen kam aber eh nicht infrage. So einer, der, wenn schon, denn auch gehörig Blut spritzen sehen will, war Bengt-Jörn Schwenke nicht. Er bezeichnete sich selbst als sehr wohl sensibel.

Dementsprechend verspürte er ein sondersam tiefes Mitgefühl, als er die Geschichte von dem 56jährigen Verwaltungsangestellten las, - exakt sein Jahrgang -, der seine Mutter nach einer wüsten Grundsatzdiskussion strangulierte. Zu viel Wodka und noch viel mehr Wut. Typisches Muster für grau und sauer gewordene Nesthocker.

Das Fatale an der ganzen Sache war: Der Mann DACHTE, sie erwürgt zu haben, wie sie da so starr und steif vor ihm auf dem guten Teppich lag. TATSÄCHLICH war sie nur komplett weg getreten, quasi scheintot. Den vermeintlichen Mörder packte das Entsetzen, dann die unvermeidliche Trauer, - an diesem Punkt schluckte Bengt-Jörn schwer - , schließlich die nackte Panik. Wohin mit der Mutter? Fieberhaft sinnierte er, schleppte sie letztendlich in die Garage und legte sie in den Kofferraum. Fuhr in finsterer Nacht zum abseits gelegenen Ufer des Flusses, in den er als Kind Steine geschmissen hatte, und warf nunmehr die Mutter hinein. Als man sie zwei Tage darauf aus dem Wasser fischte, wurde Tod durch Ertrinken festgestellt. Nach vorangegangener Strangulation. Eins und eins ergab auch hier immer noch zwei: Der Sohn wurde verhaftet, gestand gesenkten Hauptes und schluchzte reuevoll. Wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge unter Berücksichtigung seiner Gemütslage und Trunkenheit verurteilte man ihn zu einer läppischen Gefängnisstrafe, beinahe empörend läppisch, wie Bengt-Jörn es sah, aber trotzdem irgendwie gerecht. Der Mann hatte frei sein wollen. Wie auch er. Befreit von der allgegenwärtigen Mutter, die ständig bei der dringend erforderlichen Selbstverwirklichung störte. Wie seine.

Bengt-Jörn sah sich den Film „Mutter muss weg“ an, - natürlich ohne seine Mutter, die bei der Chorprobe im Gemeindehaus weilte -, und schaltete unzufrieden ab. Eine Posse. Die Mutter war am Ende immer noch da. Quengelnd und zankend und höchst lebendig.

Bengt-Jörn brauchte etwas mit Happy End. Orest fiel ihm ein. Kein gutes Beispiel. Trotzdem an den von leidigen Gewissensbissen Geplagten zu denken war, intellektuell gewertet, nicht ganz so ungewöhnlich für ihn, er hatte immerhin Germanistik studiert. Sehr lange. Eindeutig zu viele Semester, als dass er das Chaos noch hätte sortieren können. Also machte er kein Examen. Punkt. Aber tragisch von der Mutter gebeutelte Männer wie Nero, Norman Bates oder eben Orest, nach denen er ja nun mental fahndete, waren halt auch nach all den Jahren immer noch präsent. Orest, Sohn des Troja-Veteranen Agamemnon, brachte seine Mutter Klytaimnestra um. Die hatte zwar ihren Gatten ermordet und den Tod durchaus verdient, - Bengt-Jörn überlegte, ob seine Mutter vielleicht auch ... nein, gut, das nun nicht, sein Vater war völlig normal verstorben -, aber Orest wurde fortan von Racheengeln gehetzt. Muttermord eben.

Mutterblut an den Händen bleibt ewig kleben. Das wird nicht mal eben so heimlich abgewaschen wie das Blut aus der aufgeschlitzten Kehle des lästigen Nachbarn, das war Bengt-Jörn schon klar.

Norman Bates kam ihm wieder in den Sinn. Deibel auch. Bengt-Jörn schüttelte sich. Ausgestopft könnte er seine Mutter erst recht nicht ertragen.

Und dann geriet er bei der Suche nach schönen Muttermord-Legenden im Internet, - solche musste es ja auch geben bei der ganzen Palette an blutigen Brutalo-Märchen -, an diese eine Geschichte, die ihn an den darauffolgenden Tagen schwer beschäftigte. Wahrhaftig konnte er sie sich, während er sie las, höchst lebendig ins Gedächtnis rufen, sie war keineswegs neu für ihn, aber er hatte sie schlichtweg genauso vergessen wie seinen ursprünglichen Plan, aus seinem Leben später einmal etwas ganz besonders Gescheites zu machen.

Das denkwürdige Ende der kleinen Schauermär brachte Bengt-Jörn gleichsam die Erinnerung an seine alte Klassenlehrerin Gertrud Zimmer, Katharinen-Grundschule im Schloberg 1973, wieder, die trotz Haardutt und Hornbrille partout Fräulein genannt werden wollte.

Gertrud Zimmer las sie damals der Klasse vor. Passend zum Muttertag. Sie tat das recht unerschüttert, wohl in dem Glauben, sie würde die Kinder fortan gut sein lassen. Und den Müttern, die wir von ihr erfuhren, Tränen in die Augen treiben. Tatsächlich fand Bengt-Jörn sie im Alter von knapp zehn Jahren als harmlosen Angstmacher recht gelungen. Mehr nun nicht. Seine Mutter nannte sie irgendwie verkehrt, sah ihn aber, wie er sich so viele Jahre später zu erinnern glaubte, sehr befremdlich, gar misstrauisch an. Insgeheim hatte sie wohl gedacht, dass Fräulein Zimmer sich eh keine Sorgen darüber machen müsste, dass ihr Sohn sie umbringen könnte, die hatte ja keinen und würde auch keinen mehr kriegen.

Bengt-Jörn fand die Geschichte jetzt so im Nachhinein schon recht schaurig:

Da ist also ein junger Mann abgöttisch in eine wunderschöne junge fremde Frau verliebt. Diese verspricht ihm, ihn zu erhören, wenn er ihr das Herz seiner Mutter als Beweis seiner Liebe bringt. Nun eilt er nicht hastig und völlig entsetzt von dannen, wie man es denken sollte, von Abscheu erfüllt über diesen abartigen Wunsch der Begehrten, sondern hadert tatsächlich ernsthaft mit sich. Dabei verzweifelt er schier, weil er nun doch recht arg an der Mutter hängt, die Geliebte aber partout nicht verlieren will. So bringt er letztendlich die arme Mutter um, obwohl es ihm wahrlich in der Seele schmerzt. Er schneidet ihrer Leiche das Herz aus der Brust und macht sich damit auf den Weg zu seiner Angebeteten. Wie von Sinnen will er eiligst zu ihr, stolpert aber, stürzt lang hin, und das Herz fällt in den Dreck. Und während er noch dort flach auf dem Boden liegt, spricht das Herz mit der sanften Stimme seiner toten Mutter zu ihm und fragt ihn besorgt: „Mein Junge, hast du dir wehgetan?“

So steht es geschrieben, so ließ Bengt-Jörn es stehen. Mutterliebe in Höchstform. Bedingungslos, alles verzeihend, einmalig in ihrer Selbstlosigkeit. Der Sohn tötet die Mutter und schneidet ihr das Herz heraus, um sein Glück zu finden. Alles symbolisch natürlich. Kein Mutterherz mehr, keine störende Allmacht mehr. Und die Mutter tobt nicht, heult nicht, klagt nicht, sie sorgt sich einzig um sein Wohlergehen. Als würde sie ihn mit all ihrem Blut an seinen zehn Fingern noch tröstend in die Arme nehmen und ihm liebevoll ihren mütterlichen Segen dafür geben, frohen Mutes weiter leben zu können.

Die Geschichte gefiel Bengt-Jörn mit den üblichen Bagatell-Abstrichen. Selbstverständlich war ihm die Freundin des Sohnes in der Geschichte nicht wirklich sympathisch. So was verlangt man ja nun grundsätzlich nicht, bevor man sich bindet. Da war seine Corinna anders. Die zog ihren entzückenden Schmollmund und sagte: „Die Alte geht mir wahnsinnig auf die Nerven.“

Manchmal sagte sie auch „hässliche Schachtel“ oder „Zombie“, aber das war entschuldbar, sie war jung, - erquickliche achtundzwanzig Jahre jünger als er - , und kam aus der Ludwig-Siedlung. Da waren sie alle mental etwas überschaubarer konstruiert. Corinna war seine Prinzessin. Barbie. Muse für ein Sein, das an die Tür klopfte. Für seine Mutter war sie einfach nur eine ganz furchtbare Person. Was sollte er machen? Er atmete tief durch und seufzte. Mein Junge, hast du dir wehgetan? Warum eigentlich nicht?

Bengt-Jörn las über den Berliner Schöngeist Kalistros Thilecke, der 1930 seine Übermutter mit siebzehn Messerstichen tötete, dafür zehn Jahre im Gefängnis saß und sich nach seiner Haftentlassung dem berüchtigten SS-Sonderkommando Dirlewanger anschloss. Kalistros wurde zu einem der Gnadenlosen. Ein unbarmherziger Killer. Auch eine mögliche Konsequenz bei solchen familiären Angelegenheiten. Menschenschlächter werden. So weit konnte eine Mutter ihren Sohn also bringen. Na bitte. Bengt-Jörn war nicht allein mit seinen Sorgen.

Zur Beruhigung kramte er noch einmal in seinen zerfledderten Reclams, - er hatte alle in einem Karton auf dem Kleiderschrank verwahrt für den rein hypothetischen Fall - , auf der Suche nach Schnitzlers früher kleiner Erzählung „Der Sohn“. Er erinnerte sich vage. Die Mutter liebt den Sohn abgöttisch, der fühlt sich komplett erdrückt und versucht, sie mit einem Beil zu erschlagen. Schwer verletzt sagt sie dem Arzt, bevor sie stirbt, man möge ihrem Sohn verzeihen und ihn frei sprechen, sie sei an allem schuld. Punkt.

Bengt-Jörn fand die Geschichte nicht mehr, er ahnte auch dunkel, dass sie im Original komplizierter gestrickt war, aber die Grundaussage war nicht die schlechteste. Tödliche Affenliebe. So ungefähr. Genau genommen war seine Mutter ebenfalls an allem schuld. Sie hatte ihn schließlich erzogen. Und stets bedingungslos umsorgt. Gehätschelt. Geliebt. Wieder aufgenommen ins traute Heim vor zehn Jahren nach Annas Rausschmiss, natürlich mit mitleidsvollem Blick, feuchtem Stirnkuss, honigsüßem Spott: „Ich hab's doch geahnt, Junge.“

Sie hätte wissen sollen, wie es ihn quälen würde, in seinem Alter in Mutters Schoß zurück krabbeln zu müssen. Sie gab ihm Taschengeld. Wusch seine Unterhosen, kochte ihm Pudding, zählte seine Drinks. Sie würde sich für ihn in die Schusslinie werfen. Sie würde es entschuldigen, wenn er sie ...

zumindest verstehen würde sie es. Sie wollte doch immer nur, dass es ihm richtig gut ginge. Dass er vielleicht mal Minister, Chirurg oder immerhin Pfarrer würde. Wenigstens kein Krimineller.

Bengt-Jörn fiel Nero ein. Wenn man erst einmal anfing, sich mit so einer Sache zu beschäftigen, konnte man doch recht staunen, was alles so aus der Schul- und Studienzeit hängen geblieben war. Nero also. Noch so ein außerordentlicher Muttermörder. Es gab erstaunlich viele, wie Bengt Jörn in wenig erleichtert feststellte, das machte die Sache irgendwie salonfähig.

Er blätterte nach. Als Aggrippina erfuhr, dass ihr Sohn sie umzubringen gedachte, orakelte sie nur verklärt: „Wenn er herrscht, mag er töten.“ Sie bezog das wohl auf ihren innigsten Seufzer, Nero als Kaiser zu sehen, sollte da kommen, was wollte, Feuer, Löwen, Kreuze, der eigene Tod durch undankbare Sohneshand. Hauptsache, Kaiser. Wenn er herrscht, mag er töten. Damit konnte Bengt-Jörn sich nicht wirklich identifizieren, aber es bewies zweifellos, dass die Mutter als Mitglied einer besonderen Spezies manchmal einfach so sein muss, wie sie ist.

Mein Junge, hast du dir weh getan? Er war jetzt sechsundfünfzig. Seine Mutter beschwor ihn jeden Tag, „dieses dumme kleine Ding“ zu verlassen. Im Leben nicht, so ein Prachtweib würde er nie wieder kriegen. Und nie wieder würde er sich so als ganzer Kerl fühlen wie mir ihr. „Big Daddy“ sagte sie zu ihm. Und stöhnte. „Oh, Big Daddy!“ Gab es Herrlicheres auf Erden?

Kurzum: Er würde mit Corinna im Haus seiner Mutter mit dem Ersparten seiner Mutter sehr, sehr glücklich werden. Ohne seine Mutter.

Bengt-Jörn überlegte. Prinzipiell ästhetisch wäre es, sie würde sauber in der Badewanne sterben. Schlaftabletten. Strom. Den Kopf unter Wasser drücken, bis … Nein, das würde er auf gar keinen Fall tun. Solch eine plumpe Art Mörder war er nicht. Aber Strom? Er hatte gehört, das könnte schnell gehen. Freilich auch langsam. Mit scheußlichen, qualvollen Krämpfen. Die wollte er seiner Mutter natürlich ersparen, wenn sie denn nicht unabänderlich sein würden.

Strom. Der Kerl, den Sean Connery mit einem Ventilator erledigt hatte, - ins Badewasser geworfen und bingo - , war, soweit Bengt-Jörn sich erinnern konnte, sofort tot. Aber das war James Bond der 1960er. So funktionierte das vielleicht auch gar nicht. Zudem befand sich im Badezimmer seiner Mutter kein Ventilator. Auch kein Heizstrahler. Eigentlich richtig so, das hätte er alles auch nicht erklären können. Es sollte schon sehr nachvollziehbar nach einem tragischen Unfall aussehen. Oder Selbstmord. Warum auch nicht? Es gab bekanntlich unglaublich viele ausgesprochen unterschiedliche Leute, die sich umbrachten.

Bengt-Jörn vertiefte sich noch ein wenig in gängige Fachlektüre. In den 1990ern gab es einen regelrechten Trend besonders unter älteren einsamen Damen, deren Stromleichen man gemeinsam mit Haartrocknern, Lampen, Bügeleisen, sogar Toastern in Badewannen fand.

Nun war seine Mutter nicht wirklich einsam. Sie hatte die Katze, den Chor, Marga Deverdin von nebenan. Ihn. Aber furchtbar unangebracht alt war sie. Irgendwie lebensmüde auch. Wie oft sagte sie: „Hach Gott, am liebsten wäre ich tot.“

Hach Gott, am liebsten wäre ich tot. Bengt-Jörn überlegte. Wie oft sagte sie das denn? Selten. Eigentlich nie. Egal. Ihm gefiel es, daran zu glauben. Ihm gefiel auch die Idee von der Wasserleiche. Nur, wie jetzt anstellen? Konnte er einem banalen Föhn trauen? Oder sollte er es mit einem an Strom angeschlossenen Handy versuchen? In der Zeitung stand, das würde funktionieren. Im Regelfall unfreiwillig. Gut, das wäre es in ihrer Situation auch. Aber sie würde für das Wohlergehen ihres einzigen Sohnes sterben. Ein paar Schmerzen wären dabei. Mein Junge, hast du

dir weh getan? Bengt-Jörn grinste verschämt in sich hinein. Nein. Aber du.

Er würde es am Freitag machen. Freitags war Badetag. Immer schon. An anderen Tagen wurde geduscht, wenn's denn pressierte, aber nicht gebadet. Dafür freitags ausgiebig und mit viel Schaum. Der Gedanke daran beruhigte Bengt-Jörn. Bei all dem Schaum würde er gar nicht richtig hingucken können, immerhin war sie auch noch nackt, da sah er nun wirklich nie genau hin. Er würde sich ins Badezimmer schleichen, den Föhn oder das Handy sozusagen blind hinein schmeißen in die Wanne, - er hatte sich noch nicht entschieden, aber der Föhn war ein altes klobiges Ding mit geklebtem Kabel, der müsste den Zweck erfüllen, besser vielleicht - , und dann erst mal raus laufen und einen trinken. Soweit.

Was dann freilich geschah, war sondersam, aber irgendwie auch unvermeidlich: Bengt-Jörn hatte einen wahrlich scheußlichen Albtraum. Er führte ihn auf seine intensive Beschäftigung mit der SACHE zurück, - Muttermord war ja kein unbelastender Lehrstoff -, freilich auch auf die offensichtlich leere Flasche Ramazzotti neben dem Fernsehsessel. Normalerweise gehörte der Platz kompromisslos seiner Mutter, aber die war bei ihrer Chorprobe, also hatte er ihn in Beschlag genommen, eine banale Familientragödie eingeschaltet und war eingenickt.

In seinem Traum stand seine Mutter vor ihm, hielt ihm einen bluttriefenden Klumpen Fleisch vor die Nase und sagte mit dieser betont sanften Stimme, die er nicht leiden konnte: „Ihr Herz für meins, mein Sohn.“ Hinter ihr lag Corinna lang ausgestreckt auf dem Boden mit weit aufgerissenen Augen, definitiv tot und nicht freiwillig dahin geschieden. In ihrer Brust klaffte ein hässliches Loch. Seine Mutter schien ihr das Herz nicht getreu ihrer ordentlichen Art sauber heraus geschnitten zu haben, eher gerissen. Gerupft. Den Brustkorb durchwühlt mit ihren knochigen Fingern. Bengt-Jörn mochte über die Details nicht nachdenken. „Warum, Mutter? Warum?“ Er hörte sich schreien, gleich darauf klatschte es. Seine Mutter hatte ihm eine geknallt. „Darum.“ Sie baute sich zornig vor ihm auf, stemmte die Hände in die Hüften, schüttelte den Kopf. „Immer deine dummen Fragen. Weil du mich mehr liebst als sie. Darum.“

Benommen rappelte Bengt-Jörn sich aus dem Sessel hoch. Sein Nacken war nass geschwitzt, seine Mundhöhle wie ausgetrocknet. Da war noch eine Pfütze in der Flasche. Er setzte sie sich an die Lippen, schluckte den spärlichen Rest und schüttelte sich. Er würde sich jetzt ein kühles Bier aus der Küche holen, sich dabei ein wenig sortieren und Corinna anrufen. Er könnte ja noch mit ihr … natürlich, er wollte noch mit ihr. Nach allem, was er über sich hatte ergehen lassen müssen. Wenn auch nur im Traum. Trotzdem. So verdammt echt. Und überhaupt. Corinna!

Er blickte auf sein Handy, das neben dem noch Aschenbecher auf dem Glashocker neben dem Sessel lag. Bengt-Jörn rauchte nicht. Er hasste das. Seine Mutter rauchte. Zigarillos am Abend bei einem Gläschen Gin. Wenn er sich das so überlegte … fast scheintot war seine Mutter noch nicht. Oder sterbenskrank. Als Barmherzigkeit konnte er seinen Plan nun nicht gerade durchgehen lassen.

Er verscheuchte den Gedanken. Es war beschlossen. Corinna rauchte allerdings auch. Was nahm er nicht hin für die Liebe! Wenn sie schwanger von ihm würde, wäre das Thema hoffentlich erledigt.

Auf dem Handy fand er tatsächlich eine Nachricht von ihr. Geistesverwandt, wie nett. Er überlegte, ob er sich zuerst das Bier … nein. Aber besser wäre es gewesen. Bier beruhigte ihn. Bengt-Jörn las

„Will nur sagen, dass es aus ist, habe einen kennengelernt, der wohnt nicht bei Mutti und hat eigenes Geld. Du bist echt ein Loser, Alter, also denn.“

Bengt-Jörn glaubte es nicht. Fasste es nicht. Wollte heulen, ließ es bleiben. Loser. Er lief rot an vor Wut, schwankte. Er hatte das Gefühl, nicht mehr ganz sicher auf seinen Beinen zu stehen. Alter. Er stöhnte laut auf. Innerlich tobte er. Da war Enttäuschung, da war Verzweiflung. Und diese grenzenlose Wut. Und dort im Türrahmen stand seine Mutter in ihrem blauen Sonntagskostüm und sah ihn recht besorgt an.

„Bin schon zurück. Ist was, Junge?“

Ihr Sohn war augenscheinlich völlig aufgelöst, griff sich die leere Ramazzotti-Flasche und warf sie gegen den Wohnzimmerschrank. Dann brüllte er los. „Ob was ist? Gar nichts ist. Nur, dass Corinna mich nicht mehr sehen will. Feierabend ist. Verfluchte Scheiße, sonst ist gar nichts!“ Für das dreckige Miststück wollte ich dich umbringen, so sieht's aus. „Und was mach ich jetzt?“ Ich liebe die Schlampe. Sie sollte dein Herz kriegen.

Seine Mutter seufzte, deponierte gemächlich ihre Handtasche in der Sofaecke und atmete kräftig durch. „Ach, Junge, das wird schon. Gibt Schlimmeres. Ich bin tatsächlich erleichtert. Die taugt doch nichts. So eine Person in meinem Haus. Dass sie weg ist … dem Himmel sei Dank.“

In MEINEM Haus! „Zur Hölle mit dir!“ Bengt-Jörn hechtete mit einem einzigen großen Satz auf seine Mutter zu, - erstaunlich zielsicher, immer hatte er reichlich Alkohol in sich - , griff ihr an die Kehle, stieß sie mit dem Rücken an die Wand und drückte mit beiden Händen zu. Zeit, sich ernsthaft Sorgen um ihr Leben zu machen, hatte die Mutter nicht mehr. Bengt-Jörn erwürgte sie. Und damit nicht genug. Als ihr Körper auf den Boden sackte, raste Bengt-Jörn wie ein Besessener in die Küche, holte das Brotmesser, kniete sich neben die Leiche und stach wieder und wieder zu. In die Brust, den Bauch, die Beine. In die Augen, in den Mund. Es war ein Schauerbild. Alles, alles voller Blut. Darüber hatte er gelesen. Hier bei ihm war mehr.

Nach Dutzenden von Stichen legte er erschöpft das Messer zur Seite, starrte auf die entsetzlich malträtierte Tote und murmelte: „Geschafft. Wenn auch anders, als gedacht.“

Bengt-Jörn erhob sich schwerfällig, warf noch einen tatsächlich undefinierbaren Blick auf seine Mutter und beschloss, sich erst einmal komplett zu betrinken, um einfach umfallen zu können. Danach würde er über den Sinn nachdenken.

Freilich kam es dazu nicht. Bengt-Jörn verlor auf der Kellertreppe, - der Schnaps war unten im Vorratsraum -, das Gleichgewicht, taumelte und stürzte so unglücklich, dass er sich das Genick brach. Wahrhaftig hörte er es noch böse knacken. Und im gleichen Moment vernahm er die bekümmerte Stimme der Mutter. „Mein Junge, hast du dir weh getan?“

Vermutlich hätte Bengt-Jörn sich darüber sogar gefreut. Oh, Mutterherz!

Wenn es denn so gewesen ist. Vielleicht auch nicht.

Zwielicht 14

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