Читать книгу Mord aus kühlem Grund - Achim Kaul - Страница 8
6. Kapitel
Оглавление»Mein Büro kennen Sie ja bereits«, sagte Fischli. Zweifel hatte soeben sein Telefonat mit Klopfer beendet, wovon der Bademeister einiges mitbekommen hatte.
»Ihr Chef kann ganz schön laut werden, wie?«
»Er gibt sich Mühe, verstanden zu werden.« Zweifel unterdrückte einen weiteren Kommentar und warf einen Blick auf den Tisch mit den herausgefischten Schätzen. »Wie viele Mitarbeiter gibt es hier eigentlich?«, fragte er. Fischli kratzte sich am Kopf. Bevor er antworten konnte, mischte sich der junge Bademeister ein, der gerade zur Tür hereinkam und die Frage mitbekommen hatte.
»In der Therme selbst sind es ungefähr neunzig. Dazu kommen aber noch die Leute, die sich um die Pflanzen kümmern, das Reinigungsteam, das Sicherheitsteam, die beiden Restaurants samt Poolbar mit ihren Mitarbeitern und natürlich die Angestellten in der Ladenstraße. Das werden insgesamt nochmal um die einhundertzwanzig sein. Aber davon arbeiten die meisten in Teilzeit.« Zweifel lächelte ihn an.
»Sagen Sie mir doch Ihren Namen.«
»Ich heiße Adnan.«
»Und weiter?« Der junge Mann schüttelte den Kopf.
»Seinen Nachnamen kennen nur wenige. Nur die, die ihn wissen müssen«, erklärte Fischli. »Er kommt aus Afghanistan und …«
»Das stimmt nicht«, unterbrach ihn Adnan ruhig aber bestimmt. »Meine Eltern sind von dort. Ich bin hier geboren. Ich bin Deutscher.« Zweifel räusperte sich.
»Fürs erste genügt mir Ihr Vorname, Adnan. Sie haben die Leiche zuerst entdeckt, stimmt das?« Adnan nickte. »Wie kam es dazu?« Adnan tauschte mit Fischli einen Blick.
»Ich war bei der Felsendusche. Da gibt es ein kleines Tauchbecken, in das eine Treppe hineinführt. Ein alter Mann war dort ausgerutscht und hatte sich eine Rippe geprellt oder vielleicht sogar gebrochen. Ich habe geholfen, ihn zu versorgen und zu unserem Notfallraum zu bringen und wollte gerade eine kleine Pause machen, als dieser Schrei zu hören war.« Er machte eine Pause. Zweifel wechselte einen Blick mit Fischli.
»Solche Schreie gibt es immer wieder mal. Wenn wir da jedes Mal springen würden …« Adnan hob entschuldigend die Schultern. »Aber dann gab es einen zweiten Schrei. Und er hörte sich — diese Schreie waren —«, er schaute zu Fischli hinüber, »einfach schrecklich.«
»Von wo kamen sie?«
»Aus dem hinteren Saunabereich, von da wo die Kelosauna und die Stollensauna sind.«
»Können Sie sich erinnern, ob zu dem Zeitpunkt Musik lief?«
»Na ja, das übliche Gedudel eben«, mischte sich Fischli ein.
»Kam das aus allen Lautsprechern?«, fragte Zweifel. Fischli schaute Adnan fragend an.
»Beschwören kann ich’s nicht«, sagte er dann. »Die Technik hat heute verrückt gespielt, das haben Sie ja mitgekriegt.«
»Darauf komm ich später noch zurück. Können Sie sich an den blinden Badegast erinnern?«
»Sie meinen Elvis?«, sagte Fischli, »natürlich, den kennen viele hier.«
»Denken Sie, er hat ein gutes Gehör?«
»Logisch«, sagte Fischli und grinste. »Der kann Ihnen sagen, ob das Bier alkoholfrei ist oder nicht. Ohne einen Schluck zu trinken. Das erkennt der am Geräusch beim Einschenken.« Zweifel nickte langsam.
»Was würden Sie sagen, wenn er behauptet, dass die Schreie nicht echt waren, sondern vom Band kamen?« Adnan stutzte.
»Wie jetzt? Aus den Lautsprechern?«, fragte Fischli ungläubig.
»Lassen Sie sich das in Ruhe durch den Kopf gehen«, sagte Zweifel.
»Was meinst du, Adnan?«, fragte Fischli. Der wiegte seinen Kopf hin und her.
»Möglich wär’ das schon. Aber warum sollte jemand das machen? Und wie?«
»Ausschließen kann man gar nix«, sagte Fischli.
»Wer könnte Näheres dazu wissen?«
»Da müssen Sie die Kollegin fragen, die die Durchsagen macht. Die ist auch für die Musik zuständig.«
»Und wer ist das?«
»Keine Ahnung. Die wechseln sich immer ab. Die von heute war jedenfalls nicht die hellste Kerze am Baum. Machte unmögliche Durchsagen, die nur für Verwirrung sorgten. Die hat die Leute erst richtig verrückt gemacht.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Natürlich, ich hab sie angerufen. ›Lass Musik laufen!‹, sag ich zu ihr. Das hätte die Leute vielleicht etwas beruhigt. Aber nix! Die hat das nicht hingekriegt.«
»Sie sagten vorhin die Stimme kam Ihnen unbekannt vor. Was ist mit Ihnen, Adnan?«
»Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Ich hab nur eine Durchsage mitbekommen. Aber jetzt wo Sie es sagen – die hab ich hier noch nie gehört«, sagte er und kratzte sich verwundert am Kopf.
»Sie hörten also den zweiten Schrei, und dann taten Sie was?«
»Na ja, ich ging so schnell wie möglich in den hinteren Saunabereich. Um die Uhrzeit ist da normalerweise wenig los.«
»Vielleicht gehen wir da jetzt mal hin«, sagte Zweifel. Sie verließen Fischlis Büro.
»Kamen Ihnen Badegäste entgegen?«, fragte Zweifel während sie das Restaurant durchquerten.
»Nur ein paar. Die hatten die Schreie natürlich auch gehört.«
»Ist Ihnen jemand aufgefallen?«
»Nein, nur etwas später kam so ein dicker Berliner vorbei, der nach seinem Neffen gesucht hat.«
»Stimmt«, bestätigte Fischli.
»Und?«
»Da war kein Neffe.« Sie waren vor der Stollensauna angelangt. »Ich hab den Berliner dann weggelotst. Der war mir zu neugierig«, sagte Fischli. »Ich bin mit ihm nach vorn gegangen und hab Adnan gebeten, alle Gäste aus dem hinteren Bereich zu verscheuchen und aufzupassen, dass sich niemand hierher verirrt. Zu dem Zeitpunkt konnte ich ja nicht sicher sein, ob dieser unangenehme Geruch nicht doch ein Anzeichen für eine Gesundheitsgefährdung war.«
»In der Kräutersauna, dahinten um die Ecke, waren zwei ältere Frauen in ihr Gespräch vertieft«, sagte Adnan. »Die hab ich dann gebeten, nach vorne zum Vitalbecken zu gehen. Der unangenehme Geruch hatte sich schon überall verbreitet.«
»Deswegen hatten wahrscheinlich alle anderen Badegäste bereits die Flucht ergriffen«, ergänzte Fischli. Zweifel betrat die Stollensauna und schaute sich um.
»Ich bin dann kurz hiergeblieben und hab mich vergewissert, dass sich wirklich kein Mensch mehr in diesem Bereich aufhält. Die Nebelduschen, die Kelosauna, die Stollensauna hier – es war niemand mehr zu sehen. Also bin ich wieder nach vorn, wo der Teufel los war. Ich wollte sehen, wo ich helfen konnte«, fuhr Adnan fort. »Ich hab so etwas noch nie erlebt. So eine Situation mit den vielen Menschen, so total außer Kontrolle. Irgendwann kam dann dieser Bagger und hat die Scheibe zertrümmert.«
»Wann haben Sie den Toten entdeckt?«, fragte Zweifel. Adnan fuhr mit der Hand über die Stirn.
»Als ich den Bagger gesehen hab, bin ich nochmal zurück und hab alle Räume durchsucht, auch die Toiletten.« Er machte eine Pause. »Zuletzt hab ich einen Blick hier reingeworfen. Da lag plötzlich ein Mann auf der obersten Etage auf dem Rücken, das Gesicht zur Wand gedreht. Ich war total überrascht, weil ich ihn ja vorher nicht bemerkt hatte. Ich hab ihn angesprochen, aber er reagierte nicht.« Erneut machte Adnan eine Pause. »Ich dachte erst, er sei eingeschlafen und hab es nochmal lauter probiert. Dann stand ich da und hab ihn einfach nur angesehen. Und dann wusste ich, was los war. Sein Brustkorb bewegte sich nicht. Er hat sich einfach nicht bewegt.«
»Haben Sie ihn angerührt?«, wollte Zweifel wissen. Adnan schaute ihn aus seinen tiefschwarzen Augen an und nickte.
»Ich musste ja sichergehen. Deswegen hab ich seinen Kopf zu mir herumgedreht. Sein Gesicht war so weiß wie …«, er suchte nach einem treffenden Vergleich, »… wie ein Eisberg. Ich hab dann sofort die Sauna verlassen und die Tür geschlossen und Herrn Fischli gerufen.«
»Und Sie haben zu diesem Zeitpunkt niemanden in der Nähe bemerkt?« Er schüttelte den Kopf.
»Kurz darauf kam Herr Fischli.«
»Ich konnte das gar nicht glauben, Herr Kommissar. Das ist mein erster Toter und ich mach die Arbeit schon verdammt lange.«
»Warum haben Sie dann nicht die Polizei gerufen?«, fragte Zweifel. Der alte Bademeister warf beide Hände in die Luft.
»Das fragen Sie am besten Herrn Schilling. Ich habs seiner Sekretärin oder Assistentin oder was auch immer die Dame tut, mehrfach laut und deutlich gesagt. Mit dem Ding hier komm ich ja nicht weit.« Er zeigte sein schnurloses Telefon.
»Sie haben vorhin die Durchsagen erwähnt …«
»Genau! Schon die erste war ’ne Meisterleistung. Anstatt klar und deutlich zu sagen, welchen Weg die Leute nehmen sollen, faselt sie irgendwas von Sicherheitsgründen und bricht einfach mitten im Satz ab.« Zweifel drehte sich zu Adnan um.
»Haben Sie die Durchsagen hier hinten auch gehört?«
»Nein, ich sagte ja, ich hab nur eine mitbekommen, als ich vorn war, aus den Lautsprechern hier kam nichts mehr.« Er überlegte einen Augenblick und versuchte dann ein Lächeln. »Vielleicht haben ihnen die Schreie den Rest gegeben.«
»Auf jeden Fall hat die zweite Durchsage mir den Rest gegeben«, sagte Fischli. Zweifel warf einen kurzen Blick in die Duschen und inspizierte dann die anderen Saunaräume. Fischli folgte ihm auf Schritt und Tritt. »›Die Glastüren sind verriegelt. Bitte nutzen Sie …‹, und dann bricht sie einfach wieder ab. Als dann auch noch die Menschenmenge von vorne, also vom Eingangsbereich her, sich wie eine Lawine in den Raum wälzte, war das Chaos perfekt.« Zweifel war vor einem Schild stehengeblieben, das neben dem Eingang eines der Saunaräume hing.
»Kelosauna. Was bedeutet eigentlich der Begriff Kelo?«
»Das ist das extrem harte und seltene Holz hier drin«, sagte Adnan. »Kommt von Polarkiefern und ist ein paar hundert Jahre alt.« Der Kommissar verarbeitete diese Information. Dann wandte er sich an Fischli.
»Sie waren also vorher zum Vitalbecken zurückgegangen. Mit dem dicken Badegast im Schlepptau?«
»Genau. Der stellte viele Fragen. Ich versuchte, ihn kurz abzufertigen. Er hatte irgendwie mitbekommen, dass die Haustechnik komplett ausgefallen war, dass die Türen sich nicht entriegeln ließen, die Belüftung streikte und dann kam auch noch das Gas. Ich hab mit einer Kassiererin telefoniert. Ich wusste ja nicht, was da draußen los war. Wollte, dass sie die Leute aufhält. ›Hier gab’s einen Anschlag mit Giftgas‹, keuchte sie ins Telefon. Das war der Moment, wo ich nicht mehr wusste, wie …« Er stockte und wischte sich über das Gesicht.
»Stell ich mir äußerst gefährlich vor«, sagte Zweifel. »So eine Art Panik mit hunderten von Menschen.«
»Es war eine richtige, ausgewachsene Panik, Herr Kommissar, die Leute spielten komplett verrückt.« Zweifel schaute ihn nachdenklich an.
»Aber Sie behielten die Nerven. Und Sie kamen auf die Idee mit dem Bagger. Sehr ungewöhnlich.« Fischli schaute in eine andere Richtung.
»Auf die Idee wär’ ich vermutlich nicht gekommen«, sagte Adnan.
»Das kannst du nicht wissen«, erwiderte Fischli leise, »niemand kann wissen, was er in einer solchen Situation tut.«
»Da haben Sie Recht«, sagte Zweifel. »Was mich zu meiner nächsten Frage bringt. Gibt es denn in Ihrem Haus so etwas wie einen Notfallplan?«
»Wir haben ein Sicherheitskonzept. Das ist aber hauptsächlich vorbeugend ausgerichtet«, sagte Adnan. »Was ist zu tun, damit keine Katastrophen passieren. Wie verhält man sich, damit niemand zu Schaden kommt. Vor allem die Therme nicht«, fügte er leise hinzu.
»Da steht aber nicht drin, wie man reagieren soll, wenn eine Menschenmenge außer Rand und Band geraten ist. Sowas kann man nicht üben«, ergänzte Fischli. Sie standen nun schon eine ganze Weile im hinteren Saunabereich. Die Temperatur war hier auch außerhalb der Saunaräume schweißtreibend hoch. Dennoch spürte Zweifel plötzlich einen kühlen Luftzug.
»Gibt es hier irgendwo eine Tür, die nach draußen führt?«
»Äh ja, hier um die Ecke, kurz vor der Kräutersauna, gibt es eine Glastür«, sagte Fischli, »die ist aber immer abgeschlossen.«
»Die wird auch nie benutzt«, bestätigte Adnan.
»Ist ja auch ziemlich versteckt«, sagte Fischli. »Wollen Sie mal sehen?« Er ging ein paar Schritte voraus, bog um zwei Ecken und blieb nach wenigen Metern verblüfft stehen.
»Steht offen, nicht wahr?«, sagte Zweifel schon bevor er ihn erreicht hatte. Fischli wollte bereits durch die leicht angelehnte Tür nach draußen.
»Warten Sie«, sagte Zweifel, »ich möchte da erst mal die Spurensicherung ranlassen.« Sie standen zu dritt nebeneinander vor der schmalen Glastür und blickten über den kleinen, künstlichen See hinüber zu den Saunablockhäusern, die menschenleer dalagen.
»Denken Sie, das hat was zu bedeuten?«, fragte Fischli. Zweifel drehte sich wortlos um und ging ein paar Schritte zurück, während er sein Handy herausholte und den Auftrag gab, das Außengelände abzusuchen.
»Schauen Sie sich auch die künstliche Insel im See an und vor allem den Zaun auf der westlichen Seite.« Dann drehte er sich zu den beiden Männern um. »Der Mann, den Sie gefunden haben, ist ertrunken.« Sie starrten ihn an. »Er hat das nicht freiwillig getan. Die Frage ist: Wie kam er in die Sauna, und zwar unbemerkt? Wir haben nämlich bisher noch niemanden gefunden, dem etwas aufgefallen wäre.«
»Dann muss er ja getragen worden sein«, murmelte Adnan leise und schlug die Hand vor den Mund.
»Das muss doch jemand beobachtet haben«, sagte Fischli.
»Etwas beobachten und etwas merkwürdig finden, das gibt es nicht oft bei Erwachsenen, weil die meisten das meiste schon mal irgendwo gesehen haben«, sagte Zweifel. Er wog sein Handy in der Hand. »Nur bei Kindern ist das etwas anderes.«
Als er aufwachte, hatte er einen scheußlichen Geschmack im Mund. Sonst hatte er nichts im Mund. Der Knebel war verschwunden. Er befühlte erleichtert mit der Zunge seine Zähne und seinen Gaumen. Er musste husten. Er wälzte sich aus der Seitenlage auf den Bauch und versuchte, irgendwie auf die Knie zu kommen, was ihm mit einiger Mühe trotz seiner gefesselten Arme und Beine schließlich gelang. Er hatte keine Ahnung, wie lange er bewusstlos gewesen war. In den fensterlosen Keller drang kein Licht von außen. Nur unter der Tür war ein schmaler Lichtstreifen zu sehen. Künstliches Licht. Es roch nach Essig und nach Äpfeln. Er hörte Männerstimmen ruhig miteinander reden. Und er hörte Wasser tropfen. Schemenhaft konnte er am Kopfende der Matratze einen großen Behälter erkennen. Eine Wanne oder ein Bottich vielleicht, dachte er mit leichtem Unbehagen. Dann wurde ihm bewusst, dass die Männerstimmen verstummt waren. Er kniete auf der alten, feuchten Matratze und starrte auf den schmalen Lichtstreifen unter der Tür, der sich verdunkelte. Die Tür wurde geöffnet. Das künstliche Licht blendete ihn.
»Florian Kronberger«, sagte eine unnatürlich hohe Stimme, »wie geht es Ihnen?« Moritz Kronberger lief ein Frösteln über den Rücken. Die Person, die ihn mit dem falschen Namen angeredet hatte, war als dunkle Silhouette im Türrahmen stehengeblieben. Er räusperte sich und bekam einen Hustenanfall. Ein zweiter Schatten machte sich bemerkbar.
»Ich bin nicht …«, begann Moritz und rang nach Atem. Er kniete gefesselt auf der Matratze und versuchte, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Der zweite Schatten löste sich von der Silhouette und kam wortlos mit schweren Schritten näher. Er blieb neben dem Holzbottich stehen, den Moritz nun gut erkennen konnte. Das Wasser stand schwarz bis kurz unter dem Rand. Moritz versuchte vergeblich, die Gesichter der beiden zu erkennen.
»Florian Kronberger«, wiederholte die hohe Stimme, »wie geht es Ihnen?« Er schüttelte vorsichtig seinen Kopf. Ein heftiger Schmerz durchfuhr seinen Nacken.
»Ich bin nicht …«, begann er erneut und holte tief Atem. Auf einen solchen Irrtum war er nicht vorbereitet. »Moritz Kronberger, verdammt!«, stieß er hervor.
»Das wissen wir«, sagte die hohe Stimme.
»Nein, nein, Sie wissen gar nichts!« Er zwang sich gewaltsam zur Ruhe, was für einen vierzehnjährigen Jungen nicht einfach war. »Ich bin nicht Florian, ich bin Moritz Kronberger. Sie haben den Falschen«, brachte er, mühsam beherrscht, hervor. Der Wasserbottich mit seinem schwarz schimmernden Inhalt nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Eine unausgesprochene Drohung ging von ihm aus. »Moritz Kronberger bin ich«, wiederholte er störrisch und mit rauer Stimme. Seine Kehle war ausgedörrt, er spürte brennenden Durst. Die beiden Schatten schwiegen. »Kann ich etwas zu trinken haben?«, fragte er stockend. »Sie haben gefragt, wie es mir geht. Ich habe Durst. Ich will was trinken!«
»Wir haben gefragt, wie es Florian Kronberger geht«, antwortete stoisch die hohe Stimme.
»Ich bin nicht Florian!«, schrie er in plötzlicher Wut. »Florian ist mein Bruder, ich bin Moritz, verdammt!«
»Ihr Bruder ist bereits tot«, sagte die hohe Stimme unbeteiligt.« Moritz traute seinen Ohren nicht. Sein Herz machte einen Satz. Fassungslos schüttelte er seinen Kopf. Seine Lippen formten lautlos die Worte. Er starrte die Schatten an, die unbeweglich warteten. Das Kratzen in seinem wunden Hals ließ ihn nur flüstern.
»Was? Was haben Sie da gesagt? Sie haben meinen Bruder …?«
»Er ist ertrunken«, sagte die hohe Stimme, »wie es geplant war.«