Читать книгу Mein langer Weg zur fleischlosen Ernährung - Adam Fischer - Страница 7
ОглавлениеDie Mensch-Tier-Beziehung
So, wie die Masttiere auf den Höfen in der damaligen Zeit gehalten wurden, waren sie von uns Menschen abgeschirmt. Sie lebten überwiegend in Ställen und wurden dreimal täglich gefüttert – mit der alleinigen Zweckbestimmung der Nahrungsmittelerzeugung. Tiere wurden zu reinen Produkten degradiert, und überdies entstand keinerlei Beziehung zwischen Menschen und Tieren.
Ganz anders empfand ich es dagegen, ein Tier als Gefährten zu haben, wie unseren Hofhund Bello. Er lebte ganz selbstverständlich mit uns zusammen im Haus, ich wuchs sozusagen zusammen mit ihm auf. Wie meine Mutter mir später erzählte, ließ er sich von mir alles gefallen. Am Schwanz durfte ich ihn sogar durch die ganze Stube ziehen. Leider wurde er eines Tages auf der Straße von einem Auto erfasst und tödlich verletzt. Noch heute weiß ich, wie sehr ich um ihn geweint und getrauert habe. Dieser Hund war mir ein treuer, lieber Gefährte gewesen, und ich vermisste ihn, nicht etwa wie ein Spielzeug, dass ja nur ein toter Gegenstand ist, sondern wie einen lebendigen Freund. Bello war ein Haustier gewesen, zu dem über viele Jahre hinweg eine enge Beziehung entstanden war – ein Lebewesen.
Betrachte ich nun noch einmal das getötete Schwein – als Lebewesen: Es war sicher nicht weniger intelligent als mein Hund und wahrscheinlich nicht weniger fühlend als dieser. Auch ein Schwein hat Empfindungen, denn es weiß zu unterscheiden, ob es sich wohlfühlt oder unbehaglich, ob es Angst hat und so weiter. Außerdem haben wissenschaftliche Experimente gezeigt, dass Schweine sogar sehr lernfähig sind. Dennoch bestand in mir als Kind keinerlei Konflikt, wenn ich um das eine Tier trauerte und den Tod des anderen Tiers ohne Anteilnahme billigte.
Heute ist mir klar: Erst dann, wenn wir zu einem Tier eine nähere Beziehung aufbauen, nehmen wir es überhaupt als lebendiges Wesen wahr, mit dem wir mitfühlen. Ein Mann aus unserem Dorf – er war stolzer Besitzer eines außergewöhnlich schönen und folgsamen Jagdhundes – sagte mir einmal, er könnte eher einen Menschen erschießen als diesen Hund. Das zeugte von den tiefen Gefühlen, die er für seinen vierbeinigen Begleiter hegte. Doch auch für ihn bestand keinerlei Grundkonflikt, wenn andere Tiere zu Nahrungszwecken getötet wurden – denn der Mann war Fleischesser.
Hierzu noch ein weiteres Bild aus meiner Erinnerung: Auf den größeren Höfen wurden schwere Arbeiten von Pferden erledigt, doch um ein Pferd zu ernähren, waren einige Morgen zusätzliches Land notwendig. Da die kleineren Betriebe nicht genug Land hatten, übernahmen Kühe diese Aufgaben. Sie wurden besonders angelernt, den Wagen oder den Pflug zu ziehen, und gaben darüber hinaus noch Milch. Auch unser kleiner Hof wurde mit zwei solchen Fahrkühen bewirtschaftet.
Meine Mutter hatte im Umgang mit den Fahrkühen eine glückliche Hand, sie sprach mit ruhiger Stimme mit ihnen, und sie folgten ihr aufs Wort. Nie habe ich erlebt, dass die Tiere von ihr geschlagen wurden. Wenn sie einmal zu langsam gingen, gab meine Mutter ihnen einen leichten Klaps mit der Peitsche, der jedoch den Tieren nicht wehtat. Es bedeutete lediglich so viel wie: „Nun schlaft nicht ein!“ Meist genügten auch einige aufmunternde Worte. Die Tiere vertrauten ihr und waren ihr treu ergeben.
In meiner Erinnerung war es ganz selbstverständlich, mit den Tieren sorgsam umzugehen und sie nicht zu überfordern. Oft habe ich diese Kühe selbst angeschirrt und vor den Wagen gespannt, um hinaus aufs Feld zu fahren: Geduldig blieb die erste Kuh neben der Deichsel stehen und rührte sich nicht, bis auch die zweite aus dem Stall hinzukam. In aller Ruhe befestigte ich die Ketten, die vorderen zum Lenken der Deichsel und die hinteren Zugketten. Von allein gingen sie keinen Schritt, erst wenn das entsprechende Kommando kam, setzten sie sich in Bewegung.
Durch diesen engen Kontakt entstand begreiflicherweise eine ganz andere Nähe als zu den reinen Masttieren. War aber eine Fahrkuh letztlich für die Arbeit zu alt und zu schwach geworden oder wurde sie nicht mehr trächtig, dann musste sie gehen. Sie hatte ihrer Herrschaft lange treu gedient. Da sie nun nicht mehr nützlich war, wurde sie vom Viehhändler abgeholt. Ich weiß noch genau, dass meine Mutter diese Stunde immer nur schwer ertragen konnte. Meist ging sie vorher aus dem Haus, um nicht dabei zu sein, wenn das Tier den Hof verließ. Einmal hatte sie sogar Tränen in den Augen. Andererseits geriet auch sie offensichtlich in keinen Konflikt, einerseits eine Kuh zu beweinen und andererseits die Schweine zu mästen und schlachten zu lassen. Allerdings weiß ich das nicht mit Sicherheit und kann sie dazu nicht mehr befragen. In meiner Erinnerung fällt mir jedoch auf, dass meine Mutter beim Töten der Tiere selbst nie zugegen war, sondern erst dabei war, wenn das Fleisch verarbeitet wurde. Was sie wohl wirklich dabei empfunden hat?
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An diesen drei Beispielen soll nur gezeigt werden, dass wir Menschen immer erst dann, wenn eine nähere Beziehung zu einem Tier entsteht, dieses als lebendes Wesen und als fühlendes Mitgeschöpf erkennen. Ging bereits früher, auf den Bauernhöfen, dieser mitfühlende Bezug zu den Tieren verloren, die zu Nahrungszwecken gemästet wurden, dann besteht dieser wichtige Bezug in der heutigen Zeit erst recht nicht mehr. In der Anonymität der Massentierhaltung und den im Verborgenen stattfindenden Massentötungen am Fließband verschwindet jede Ahnung des Lebendigen. Aber welch ein Aufschrei, wenn im Fernsehen gezeigt wird, wie etwa eine mutige, ehrliche Köchin einer Schulklasse das Schlachten eines Kaninchens vorführt, um den Kindern drastisch zu verdeutlichen, dass es anders keinen Braten gäbe. Schließlich wird ja das fertige Kotelett an einer sauberen, sterilen Fleischtheke angeboten, während alles dazu Notwendige – wie Mästen und Schlachten – dem Verbraucher verborgen bleibt. Das Unangenehme soll sozusagen im Geheimen geschehen, als würde es gar nicht geschehen. In früheren Zeiten, als es noch keine Schlachthöfe gab, wurden die Tiere überall in der Stadt, auf den Hinterhöfen oder sogar auf offener Straße geschlachtet. Der notwendige Vorgang war für jedermann einsehbar, auch für die Kinder. Schließlich wollten doch alle den Braten!
Manch einer würde vermutlich auf diesen Braten verzichten, sollte er vorher alle dazu erforderliche Drecksarbeit selbst verrichten. Aber diejenigen, die sich dafür für zu fein halten und deshalb diese Arbeit andere tun lassen, sollen sich nicht täuschen: Ihr Verlangen nach Fleisch verursacht ja erst den Tiermord.
Von Leo Tolstoi ist folgende Anekdote überliefert: Eine Tante weilte zu Besuch und hatte sich einen Truthahnbraten zum Mahl gewünscht. Doch auf dem Tisch lag nur das Messer und Tolstoi bemerkte dazu, der Hahn liefe noch draußen herum, sie müsste ihn schon selber schlachten.
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So, wie ich als Kind aufwuchs, hatte ich keinen Grund, an den übernommenen Traditionen zu zweifeln, an den Essensgewohnheiten schon gar nicht, denn Fleisch und Wurst schmeckten mir vorzüglich. In meinem Wesen war offenbar auch kein Widerstand gegen das Töten der Tiere angelegt – so glaubte ich jedenfalls. Als mein Großvater älter wurde, unterließ er immer mehr die Hausschlachtungen auf anderen Höfen und sorgte lediglich noch für den Bedarf der Familien seiner Söhne. Die Schlachtschweine früherer Zeiten hatten ein anderes Gewicht als heute, sie wogen mehrere Zentner. Da war das Schlachten, mit allen zugehörigen Verarbeitungsschritten, für einen Metzger harte Knochenarbeit. Als die Kräfte meines Großvaters soweit nachgelassen hatten – immerhin war er 70 Jahre alt – , dass er eines Tages meinte, diese Arbeit werde ihm zu schwer, fragte er mich, ob er mir die nötigen Kenntnisse zum Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten vermitteln sollte, solange er dazu noch in der Lage sei. Anderenfalls müssten wir uns bald nach einem neuen Metzger umschauen.
Was also tun? Wir berieten zusammen in der Familie: Einen fremden Metzger ins Haus zu holen, waren wir nicht gewohnt, und mir persönlich – ich war inzwischen 26 Jahre alt – widerstrebte diese Vorstellung. Auch sagte ich mir, wer Fleisch essen will, dürfe sich nicht zu fein vorkommen, alle Drecksarbeit selbst auszuführen. Mein Großvater wäre jetzt noch in der Lage, mich einzuweisen. Mein Vater gab zu bedenken: „Überlege dir, ob du Tiere umbringen willst.“ Doch für den in seiner Frage aufschimmernden Vorbehalt hatte ich kein Verständnis, da er ja selbst Fleisch und Wurst aß. Ich war der Meinung: Der Esser ist nicht „besser“ als der Metzger. Ob sich mein Großvater jemals darüber Gedanken gemacht hatte oder in einen inneren Konflikt geraten war, entzieht sich leider bis heute meiner Kenntnis. Genau erinnere ich mich jedoch an eine seiner Äußerungen, nach der nichts Unreines (Böses) in den Mund eingehe, sondern nur herauskäme. Er berief sich dabei wohl auf die fast gleichlautende Aussage von Jesus in Matthäus 15, Vers 11.
Als Familie fassten wir den Entschluss: Bei der nächsten Schlachtung sollte ich von meinem Großvater angelernt werden. Inzwischen gab es ein Bolzenschussgerät zum Betäuben, und in meiner Vorstellung stellte ich mir alles reibungslos und unproblematisch vor. Schließlich war ich oft genug dabei gewesen. Doch bereits der Vorbereitungstag fühlte sich für mich völlig anders an, als ich es bisher gewohnt war. Ich befand mich innerlich in einem angespannten Zustand, hatte ständig den kommenden Morgen vor Augen und fühlte mich unwohl dabei. Bisher hatte mir das Tieretöten nichts oder so wenig ausgemacht, dass ich es nicht wahrgenommen hatte. Doch jetzt wurde mir überdeutlich, welchen Unterschied es machen würde, einem Tier mit meiner eigenen Hand das Leben zu nehmen. Die ganze Nacht über schlief ich unruhig.
Der nächste Morgen kam. Als ich auf den Hof trat, kochte das Wasser zum Abbrühen bereits im Kessel. Das Schwein nahm den kurzen Weg vom Stall bis zum überdachten Teil des Hofes – ein paar wenige Schritte in eine für das Tier fremde Umgebung, denn es war noch nie draußen gewesen. Wir achteten darauf, dass es sich nicht aufregte, indem wir es durch geeignete seitliche Absperrungen nach draußen zu lotsen. Ohne jeden Widerstand folgte uns das ahnungslose Tier – ganz im Gegensatz zu mir, der ich plötzlich den allergrößten inneren Widerstand empfand. Nach dem Motto „Augen zu und durch!“ musste ich diesen Widerstand nun überwinden, und es ist bis heute kaum möglich, näher zu beschreiben, wie ich das innerlich bewältigte. Ich tat etwas, gegen das sich in mir alles sträubte: Betäuben, Abstechen, Ausbluten lassen, alles machte ich wie automatisch, wie ein Roboter unter der Anleitung meines Großvaters. Damit war für mich der schwerste Teil getan: dem Tier seinen Atem zu nehmen.
Alles Weitere verlief dann entspannter, allerdings war das Ausnehmen eines so großen Tieres für mich als Anfänger nicht so einfach, denn bisher hatte ich immer nur zugeschaut. Am Abend war alles verarbeitet, und ich fertigte über alles Aufzeichnungen an, für meinen nächsten Einsatz auf dem Hof meines Onkels Hans.
Für unseren Eigenbedarf schlachtete ich auch Hühner, Kaninchen und Schafe. Mit den Jahren stellte sich eine gewisse Routine bei den Verarbeitungsprozessen ein, an eines konnte ich mich allerdings nie gewöhnen – der Leser weiß es schon: das Geschöpf vom Leben zum Tod zu befördern. Dieser Moment blieb für mich die größte Schwierigkeit. Der innere Widerstand schwächte sich niemals ab, eher das Gegenteil war der Fall. Viele Jahre habe ich damit gelebt und gegen diese „innere Stimme“ gehandelt. Als mein Großvater im 74. Lebensjahr – am 15. Juli 1969 – starb, hatte ich auch diese Stütze nicht mehr zur Seite.