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Kapitel 8

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Jan – Wien, 2014

„Jan Herzog … Ganz ehrlich, als du vor all diesen Monaten durch meine Tür verschwunden bist, hätte ich nicht gedacht, dass ich dich je wiedersehen werde.“

Chi ist noch immer dieser riesige schwarze Mann mit den kurz geschorenen Haaren und der unerschütterlich guten Laune. Nur die Kleidung ist anders: weiß. Viel besser als das mintgrüne Zeug. Sein selbstgefälliges Grinsen zeigt er mir ganz offen.

„Ich auch nicht“, gebe ich unumwunden zu.

„Was führt dich zu mir?“

„Du hast mir mal gesagt, dass jeder Patient ein Ziel braucht, jemanden, für den er sich all das antut …“

„… jemand, der am Ende der Stange wartet und das alles wert ist … Ich erinnere mich.“ Mit einem hintergründigen, breiten Lächeln starrt er mich an. Irgendwie habe ich das Gefühl, ihm gefällt es, dass wir wieder hier gelandet sind, in diesem Trainingsraum, auf den zwei nicht zusammenpassenden billigen Stühlen sitzen und uns endlich richtig unterhalten.

„Damals hatte ich nichts. Jedenfalls nichts, wofür es sich gelohnt hätte, durchzuhalten“, gebe ich zu und hasse es, dass ich Chi meine Seele vor die Füße kotze. Ein Teil von mir schämt sich dafür, wie ich mich damals ihm gegenüber benommen habe und wie schwach ich war, als ich einfach so alles hingeschmissen habe und abgehauen bin.

„Und jetzt?“, fragt er mit einem feinen Schmunzeln. Sichtlich zufrieden verschränkt er die Arme vor der Brust.

„Habe ich jemanden.“ Das hoffe ich zumindest.

„Dann willst du also wieder mit der Physio anfangen?“, bringt er es auf den Punkt. Jetzt hat er mich da, wo er mich immer haben wollte. Er genießt das richtig.

„Ja, deshalb bin ich hier.“ Langsam lasse ich mich in meinem Stuhl zurück und verschränke ebenfalls die Arme.

„Ich sollte dich vor allem über meine kurzfristigen Ziele aufklären.“

„Die da wären?“, fragt er lachend. Der große Nigerianer sieht aus, als hätte ich ihm mit meinem Auftauchen hier die endgültige Bestätigung über seine wahre Genialität als Physiotherapeut erbracht.

„Mein Humpeln muss in zwei Monaten deutlich besser sein“, spreche ich es aus. Das ist mein Ziel. Mein Zeitplan. Für Ella. Sie ist es, die ich die nächsten Wochen am Ende der Trainingsstange sehen werde, für die sich all die Mühe, die vor mir liegt, lohnt. Sie ist ja ohnehin immer da, wenn ich die Augen schließe. Und sie fehlt mir so.

„Zwei Monate?“ Fassungslos starrt er mich an. „Das ist unmöglich … nicht in der Zeit. Dein Bein ist zwar ausgeheilt, nicht so wie damals bei der ersten Physio. Aber du hast dir keinen Gefallen damit getan, alle therapeutischen Behandlungen abzubrechen. Ich konnte schon, als du durch die Tür bist, erkennen, dass die monatelange Schonhaltung, die du dir angewöhnt hast, dein Humpeln nur verstärkt hat. Das zu korrigieren, wird sehr viel Zeit und Arbeit benötigen. Die Erfolge, die du dir vorstellst, sind in so kurzer Zeit nicht machbar.“ Abgespannt fährt er sich kurz über den Nacken.

„Wieso zwei Monate? … Gib mir drei oder vier?“ Unruhig rutscht er auf dem Sitz hin und her. Er will verhandeln. Ich nicht.

„Zwei Monate. Keinen Tag länger … Sieh es als besondere Herausforderung.“

Humorlos starrt er mich mit einer hochgezogenen Braue an. Chi kann das nicht verstehen, aber zwei Monate sind das Äußerste, was ich aushalte. Länger kann ich mich nicht von Ella fernhalten. Ich werde alles geben, alles ertragen und schuften, wie noch kein Patient vor mir, aber länger geht einfach nicht. Auf keinen Fall drei ganze Monate.

„Ich sage ja nicht, dass ich danach nicht weitermachen möchte. Doch ich muss in acht Wochen zumindest deutliche Erfolge vorweisen können. Verbesserungen, die man auch tatsächlich sieht“, versuche ich Chi zu erklären. Meine Stimme verbirgt meine Aufregung kaum. Aber ich habe einen Plan, einen Plan, von dem unglaublich viel für mich abhängt.

„Sie muss eine umwerfende Frau sein.“ Mit einem schiefen Lächeln nickt er mir zu.

Hätte ich mir denken können, dass Chi den Grund für meine Motivation erahnt. Den Spitznamen haben sie ihm bestimmt nicht ohne Grund verpasst.

„Du hast ja keine Ahnung.“

Bittersüß - davor & danach 2

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