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Kapitel 2
ОглавлениеElla – Berlin, 2014
Ich bin nun seit zwei Monaten, vier Tagen und ein paar Stunden in Berlin und seit zwei Monaten, sechs Tagen und ein paar Stunden mehr habe ich das letzte Mal mit Jan gesprochen.
Wenn ich an ihn denke, schmerzt es die meiste Zeit über. Er hat mir vor meiner Abreise gesagt, ich müsse Vertrauen haben, er würde um mich kämpfen, um uns. Seit diesem letzten Telefonat und diesen Worten, die so ernst und aufrichtig geklungen haben, habe ich nichts mehr von ihm gehört, nicht ein Wort. Keine Nachricht. Gar nichts.
Und es tut weh, verdammt weh. Also arbeite ich. So viel und so lange ich kann. Der rege Hotelbetrieb in Berlin hilft mir dabei, er lenkt mich ab. Und dafür bin ich dankbar.
„Willkommen im Hotel No.2 Berlin.“
Einladend lächle ich mein Gegenüber an, einen VIP-Kunden aus Frankfurt, der hier ist für eine große IT-Convention. Als Managerin des Hotels gehört der spezielle Service für die VIPs zu meinen Hauptaufgaben. Der Mann im grauen Businessanzug ist in den Vierzigern und sieht auf eine sehr erwachsene Art gut aus. Sein Benehmen ist tadellos, genau wie sein Händedruck.
„Wie schön, wenn man so herzlich begrüßt wird.“ Wenig zurückhaltend erwidert er mein Lächeln und folgt meiner Einladung, mir zum Empfangstresen nachzukommen.
Es könnte alles so schön sein, so einfach. Die Arbeit im Hotel läuft richtig gut, die neue Wohnung liegt nicht weit weg von der Arbeit, und meine Mitbewohnerin ist nett und wir verstehen uns, viel besser als erwartet sogar, zumindest wenn ich mal in der Wohnung bin. Aber nachts könnte ich die Wände hochgehen oder die ganze Nacht lang flennen, was ich am Anfang zugegebenermaßen einige Male auch getan habe. Man sieht es mir jetzt nicht an in meinem professionellen Hotelaufzug – beiger Taillenrock und rote Bluse – und mit dem stets positiven Ausdruck im Gesicht. Aber in meinem Innersten tobt das Chaos und die Angst, weil ein Teil von mir die Hoffnung verloren hat, dass Jan es ernst gemeint hat, als er sagte: „Es ist noch nicht vorbei.“
Ich darf nicht an ihn denken. Nicht hier. Nicht bei der Arbeit. Wie oft am Tag muss ich mich denn noch daran erinnern? Dennoch gelingt es mir nicht, ihn aus meinen Gedanken zu verbannen. Der bittere Schmerz der Enttäuschung erinnert mich ebenso an ihn und an alles, was zwischen uns passiert ist, wie die brennende Sehnsucht. Nachts ist es am schlimmsten, wenn ich wach werde und schwören könnte, ich fühle seine Arme um mich oder noch schlimmer, wenn ich für einen ganz kurzen wirren Moment glaube, ihn in mir zu spüren. Jedes Mal, wenn mir klar wird, dass es nur Einbildung ist oder einfach ein sehr realistischer Traum, könnte ich vor Wut und Enttäuschung zerspringen.
Ist Berlin ein gewaltiger Fehler? Oder war der wirkliche Fehler, je wieder etwas mit ihm anzufangen? Ich versuche, mich wieder auf den Gast vor mir zu konzentrieren.
Der Geschäftsmann liest sich in Ruhe das Spezialangebot des Hotels durch und blickt dabei ab und zu lächelnd zu mir auf. Zaghaft erwidere ich sein Lächeln, obwohl es ganz anders in mir aussieht und ich nicht will, dass er oder irgendjemand sonst es bemerkt.
Wie leicht wäre es, wenn ich mich in jemand anderes verlieben könnte? Wie leicht wäre es, wenn nicht jede Faser meiner Seele und meines Körpers nach Jan verlangen würde? Wütend darüber presse ich die Ledermappe an meiner Brust fester an mich und lächle noch breiter. Es hilft nur nicht.
„Das sieht alles sehr gut aus. Aber ich nehme mir lieber alle Angebote aufs Zimmer mit und sage Ihnen später Bescheid.“
„Natürlich. Sie können sich jederzeit an mich oder an die Rezeption wenden.“ Unauffällig gebe ich einem der Pagen ein Zeichen, damit er sich um sein Gepäck kümmert. Das Personal ist schnell und unaufdringlich, perfekter Service wie immer. Zufrieden sehe ich dabei zu, wie beide in den Aufzug nach oben verschwinden. Wenigstens hier im Hotel habe ich alles im Griff, wenn schon sonst in meinem Leben nur Ungewissheit und Chaos herrschen.
Heute ist einer dieser ruhigen Tage, die ich hasse. Sie lassen mir viel zu viel Zeit zum Nachdenken. An den wenigen Tagen, die ich bisher nicht arbeiten musste, konnte ich mich gut ablenken. Die erste Zeit nach meiner Ankunft habe ich hier im Hotel gewohnt, was freie Stunden zu einem nicht existierenden Zustand machte. Doch irgendwann musste ich mir eine Bleibe suchen. Leider verhält es sich mit den Mietpreisen in Berlin ähnlich wie mit den Mietpreisen in Wien. Sie sind völlig übertrieben. Vor allem dann, wenn man in einem Hotel arbeitet, das in der Schönhauser Allee liegt, und nach einer Wohnung sucht, die nicht zu weit weg und öffentlich gut erreichbar ist. Für mich bedeutete das, ich brauchte eine Wohnung in Prenzlauer Berg, einem heiß umkämpften Wohnungsmarkt. Gar nicht so einfach, wenn man sein Geld beisammenhalten will. Ich hatte Glück. Über eine spezielle Internetseite fand ich eine junge Wienerin, die ebenfalls für ein paar Monate in Berlin lebt und nach einer Frau suchte, die sich die Mietkosten für eine kleine Wohnung in der Kastanienallee mit ihr teilen wollte. Wir haben uns getroffen und gleich danach hat sie mir die Wohnung gezeigt. Ich fand Mitbewohnerin und Wohnung überzeugend und wir wurden uns schnell einig. Also lebe ich seit sechs Wochen mit Cami, einer fünfundzwanzigjährigen Grafikdesignerin, zusammen. Aus derselben Stadt zu kommen, hat gleich eine Brücke geschlagen, und wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass wir auch Freundinnen werden könnten. Irgendwie sind wir das auch schon, auch wenn ich nicht sehr viel Zeit für unsere neue Freundschaft aufbringen kann. Cami nimmt sich hier in Berlin eine Auszeit. Sie hatte im letzten Jahr Jobprobleme und hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich um ein Kultur-Ferialpraktikum auf der Museumsinsel beworben. Mit ein paar Gelegenheitsjobs als Grafikerin hält sie sich in der Zwischenzeit über Wasser und bringt so ihren Teil der Miete auf. Ich bin froh, dass ich sie habe. Denn als mich Heimweh und Herzschmerz erst richtig gepackt haben, und Sascha, mein bester Freund, zu weit weg gewesen ist, war es Cami, die mich immer wieder daran erinnert hat, dass ich aus einem guten Grund in Berlin bin. Ich will eine Chance haben, zu Hause im Hotel No.1 Wien, meinem Hotel, Managerin zu werden. Und dafür brauche ich die Zeit in Berlin. Dafür habe ich einiges geopfert und mein Herz aufs Spiel gesetzt. Und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, könnte ich es bereits verloren haben. Zumindest sieht es so aus.