Читать книгу Erzähl mir von Ladakh - Adi Traar - Страница 6
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ОглавлениеDer Kaschmir sei unbestritten die schönste Gegend der Welt, und warum ich nicht dorthin wolle, fragte mich Samir. Samir reimt sich nicht zufällig auf Kaschmir. Es sei das am dichtesten von Muslimen besiedelte Indien, überhaupt nicht mehr gefährlich, die Kämpfe in den Grenzregionen zwischen Pakistan und Indien seien längst zum Erliegen gekommen. Die Anwesenheit von Zehntausenden indischen Soldaten mache das Gebiet zu einem der sichersten der Welt. – Das hatte Logik, indes, hochgerechnet auf die Straßenkilometer ergab das alle paar Meter einen bis an den Turban bewaffneten Soldaten, das war mir der Sicherheit denn doch zu viel und nahm mir womöglich auch noch die Aussicht. Außerdem war vor einiger Zeit von sporadisch aufflackernden Kämpfen zwischen muslimischen Rebellen und der indischen Armee zu hören.
Indien und Pakistan lieferten sich seit 1947, dem Jahr der Unabhängigkeit Indiens, immer wieder ein kriegerisches Zereißspiel um Ladakh, bis schließlich 2002, als sich eine Million Soldaten an der pakistanisch-indischen Grenze gegenüberstanden, beinahe ein Atomkrieg daraus wurde. Gekämpft wurde in den Bergen bis über 5 000 Meter Höhe; niemand wusste, ob Gewehrkugeln in diesen Höhen noch so wollten, wie es ihre Schützen angedacht hatten, und vielleicht fand der Konflikt ja deswegen kein Ende.
Samir könne einen Flug dorthin reservieren, mein bereits gekauftes Rückflugticket von Leh, dem Endziel meiner geplanten Radreise, nach Delhi sei problemlos umzubuchen. Ob ich das wolle? Nein, das wolle ich nicht. Leh sei aber gar nicht so schön, alles voller Touristen und Buddhisten. – Diese beiden Gruppierungen gemeinsam in einen Nebensatz gepfropft erschien mir kurz bemerkenswert. Anschließend an meine Rückkehr in Delhi könne er mir eine Reise zum Taj Mahal organisieren, dem selbstredend prachtvollsten Bauwerk Indiens, jenem islamischen Mausoleum, welches ein Mogul für seine Frau erbauen ließ – die mit Abstand schönste Tour von hier aus. Ich war verunsichert, ob ich Samir noch alles glauben konnte. Samir war Muslim. Wenigstens das konnte ich ihm glauben, er trug eine mit Stickereien verzierte, islamische Gebetsmütze als Ausweis. Und er war eine Ausgeburt an Freundlichkeit. Aber der erste vertrauenswürdige Eindruck, den er auf mich gemacht hatte, verwelkte schön langsam wie ein Blatt in einem Kranz aus Vorschusslorbeeren.
Darüber hinaus wollte er mir alles ab dem Zeitpunkt meiner Rückankunft in Delhi organisieren. Ich überlegte. Telefonnummer und E-Mail-Adresse seiner Reiseagentur standen in einem großen deutschsprachigen Indien-Reiseführer, das sollte doch Vertrauen spenden. Eine weitere Sicherheit: In Srinagar, von wo er herstammte, schwamm angeblich ein Hausboot auf seinen Namen. Das imponierte mir für einen Augenblick, der Reiseführer Made In Germany jedoch gab den Ausschlag, und ich sagte zu. Diese Zusage beinhaltete nach meiner Rückankunft den Taxitransfer vom Flughafen Delhi zu einem Hotel seiner Wahl, die Buchung zweier Nächte, die Tour zum Tadj Mahal und den Transfer vom Hotel zum Flughafen zwecks Antritts der Heimreise. Das bisschen Reisekomfort stellte ich einfach meinem Alter in Rechnung, dem Nimbus des Wilden Burschen sollte ich ohnedies längst abgesprochen haben.
Der Taj Mahal. Dort war ich nach meiner Rückkehr in Delhi tatsächlich. In einem monumentalen Bekenntnis zur Sitzfleischlichkeit ließ ich mich von einem Fahrer am krachledernern Beifahrersitz seines Mercedes in acht Stunden dorthin und wieder zurück führen. Jede Minute der Fahrt war anregend und aufregend zugleich. Beinahe alles, was ich sah, hatte ich niemals zuvor gesehen. De facto eine neue Kategorie des Wahrnehmens. Und die goethesche Hypothese, wonach man nur sieht, was man weiß oder kennt, pulverisiert wie von einem indischen Arbeitselefanten.
Auf der Ladepritsche eines vor uns herfahrenden Kleinlasters ein abgestelltes Motorrad, besetzt von einem Mann und einer Frau; als seien sie einsatzbereite Agenten, die jeden Moment in spektakulärer James-Bond-Manier die Ladefläche verlassen und die Fortbewegungsart wechseln. Familienlimousinen allerorten, beladen mit zwei, drei Menschengenerationen, vom Gepäckträger bis zum Tank, dazwischen unzählige Lärm und Gestank verbreitende Mopeds. In den Straßen der Dörfer immer wieder körperlich unvollständige Menschen, in ihrer Behinderung in Zwischenwelten abgeschoben, dem Tod näher als dem Leben. Überhaupt schien sich alles Leben in den Straßen abzuspielen, hier wurde geteilt mit den Autos, es gewann, wer unter mehreren oder stärker war. Ich war zwar nur ein Einzelner, dafür war der Mercedes umso massiver und mein Fahrer umso rücksichtsloser im Anvisieren von Menschen- und Autogruppen. Zusätzlich wurde ich exklusiv bequatscht, konnte teilhaben an so mancher Schelte für seine Frau, die im Moment so fürchterlich nervös sei – wie alle Frauen, sobald sie ein Kind erwarteten. Dabei sei das doch die natürlichste Sache der Welt. Oben auf im Fragenkatalog wieder einmal das Umkreisen meines Berufes (reines Täuschungsmanöver), dann: meines Gehalts. Vermutlich rechnete er sich die restliche Fahrt in Relation dazu sein Trinkgeld aus. Er verrechnete sich. Die abschließenden Diskussionen würden das belegt haben.
Dann aber der Taj Mahal. Er war ein willkommenes Ausgleichsprogramm zur Körpersäfte entladenden Hitze, so kühl seine marmornen Baustoffe, so streng seine Architektur. Ein Bauwerk, welches nicht einer Liebe im Sinne von Weichheit und Durchlässigkeit entsprang, sondern einer Liebe aus Reglement, Weisung, beinahe – so empfand ich es im harten Mittagslicht – aus Zurückweisung. Für mich demnach: in Liebesdingen ein Wolf im Schafspelz. Und dennoch diese Bekanntheit als ewiges Liebesglück verheißendes Symbol! Aber es gibt ohnehin Theorien, die eher auf den Größenwahn des Erbauers Shah Jahan schließen lassen denn auf seine Liebesfähigkeit. In dieses trübe Bild fügt sich, dass er sämtliche um den Thron konkurrierende Verwandten töten ließ, um seine Position als Großmogul abzusichern. Ein gigantisches Kunstwerk ist der Taj Mahal gewiss, endlos bestaunenswert in seinen ziersteinernen und kalligrafischen Details und als symmetrisches Gesamtes.
Schon das Schlangestehen zum Ticketkauf ließ eine gewisse Schroffheit erkennen, zumindest für die Inder. Für Amis und Euros wie mich gab’s einen kaum frequentierten Schalter. Der Guide, dem ich vom nun pausierenden Taxifahrer jäh überantwortet worden war, hatte eben noch in pennälerhafter Manier einen Taj-Mahal-Schnellkursus abgehalten, faktenintensiv, geschichtenarm, versteht sich. Nun blieb er außen vor, man duldete keine Fremdenführer in der Anlage. Er gab mir 30 Minuten für die Besichtigung; wenigstens ebenso lange ärgerte ich mich über seine Zeitvorgabe. Und mindestens um ein Dreifaches überschritt ich dann das Limit.
Nach der Besichtigung ging ich mit dem Führer und dem Taxifahrer in ein Touristenrestaurant essen; mehr oder weniger freiwillig auf meine Kosten. Der Fahrer hatte ordentlich Hunger, er bestellte aus der Speisekarte von oben nach unten, mit gelegentlichen Richtungsänderungen. Dankenswerterweise wurde ich über das kommende Programm informiert. Wir würden eine Teppichweberei besuchen. Nett. Dass wir anschließend aber noch einen Steinmetz, eine Stickerei, ein Ledergeschäft und eine Gewürzstube aufsuchen würden, in denen mir Verkäufer, die auf Kundenfang gecoacht waren (jedoch kontinuierlich an mir verzweifelten), ihre edelsteinernen Tischplatten, Tischdecken, Lederjacken und Gewürze anzudrehen versuchten, wurde verschwiegen beziehungsweise unter den Teppich gekehrt. Wenn ich zu Hause in Österreich etwas benötigte, würde ich ein entsprechendes Geschäft aufsuchen, war mein gerauntes Resümee, als ich verärgert wieder im Auto saß und wir die Heimreise antraten; anstatt Teppichen, edelsteinernen Tischplatten, Tischdecken, Lederjacken und Gewürzen dann doch ein klein wenig schlechtes Gewissen im Gepäck. Irgendetwas zu kaufen, hätte mir nicht weh- und ihnen nur gutgetan.
Das Trinkgeld könne ich mir gleich an den Hut stecken, meinte der Fahrer bei der Ankunft in Delhi. Als braver, durch heimatliche Gastronomie- und Gewerbebetriebe konditionierter 10-Prozent-Gabengeber hatte ich mich offensichtlich vertan, als ich, vom 100-Euro-Tourpreis ausgehend, 10 Euro in seine hohle Hand vergrub, die er unversehens wieder ausgrub, sie sofort auf meinen Oberschenkel klatschte, worauf ich den Schein wiederum auf seinen jetzt zurückweichenden Handrücken balancierte, bis er von dort auf die Gummibodenmatte flatterte, wo er besudelt und entehrt vielleicht heute noch liegt. Andererseits schließen sich Geld- und Ehrensachen ohnehin aus; kein Geld fungiert im Dienste wirklicher Ehre, folglich kann es auch nicht entehrt werden – es sei denn, man kommt mit einem von beiden nicht zurecht. Wie eben der Taxifahrer. Ich kam mit allen dreien nicht zurecht, und wir querelten den Innenraum des Taxis voll. Ich hasste den Taxifahrer mitsamt seiner europaanbiedernden Automarke, hatte genug von Delhi, verabscheute Indien. Aus Vergeltung ging ich Pizza essen.
Zu spät bemerkte ich, dass sich der Subkontinent auch damit an mir verging. Die Vergeltung schnellte zurück, als wäre Indien eine einzige, zu dicht gebuchte Squashkabine: Die Pizza schmeckte grauenhaft. Ich erhob mein Bierglas auf die zivilisierte westliche Welt, Ideale wie Gleichheit und Umverteilung gerieten zu Schaumbläschen; in einem einzigen Schluck spülte ich diese mit einem Schwall Heineken-Export hinunter.