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1800 m

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Im Deluxe-Bus nach Manali. Alles Inder; schöne, reiche. Unsere Blicke wuselten durch die Buskabine, trafen dann und wann aufeinander, enttarnt versuchten sie ihre Absichten zu verhüllen, stoben auseinander, um sich im nächsten Augenblick wieder zu suchen, wurden zunehmend mutiger, enthemmter, schließlich stierten wir uns unverhohlen an, die Neugierde losgelassen wie ein indisches Dschungelraubtier. Es waren offenbar hochkastige Menschen; privilegiert, dem Feucht-Heiß entfliehen zu können, rückten sie der kühlen, faltigen Himalajahaut zu Leibe. Stirnmittig wie ein drittes Auge hatten sich die Frauen Schönheitspunkte aufgepflanzt, auch diese suchten meine Aufmerksamkeit, fanden sie umgehend, bald war ich ihnen ungebremst verfallen. Dann verfielen alle in ein Dösen. In den Rumpelpausen stiegen wir aus dem Bus, durch das In-Bewegung-Geraten gewann wiederum das Schauen an Regsamkeit, das Aufeinanderprallen der Blicke setzte sich fort, arbeitete der Aufmerksamkeit zu, diese eröffnete neue Perspektiven und Anhaltspunkte am jeweils anderen. Vorurteile wichen Gewöhnung und Vertrauen, wurden entlarvt als aufgeplusterte Seifenblase, zerplatzten vollends.

Die klebrige Schwüle ließ sich keinesfalls wie Firnis vom Gemälde der Nacht lösen. Man lechzte nach der dunkeln Kühle, aber die Nacht war nur Fassade, ein Außenanstrich, der zwar alles und jeden einnahm, hingegen nichts zu bewirken vermochte; sie gab lediglich vor, den Staub zu verschlucken, weil man ihn nicht mehr wahrnehmen konnte. Heiße Buden, die Verbranntes anboten. Die Parkplätze von darbenden Lkw eingenommen, die qualmenden Dhabas von deren Fahrern. Mit Haut und Haaren der Hitze ausgesetzt: Hunde. Hauptbewegungsart: liegend. Hin und wieder schraken sie hoch, schüttelten sich – vergebens, die drückenden Temperaturen ließen sich genauso wenig abbeuteln wie eine Fellladung Flöhe.

Besonders heftige Schläge, hervorgerufen durch Straßenlöcher, gingen an die Grenzen des Dämpf-Möglichen, in dichter Abfolge mit Kurven rüttelten sie mich wach und bescherten mir ein umfassendes Proportionsproblem: Unweit der Straße gingen die Linien von Silhouetten wie Scherenschnitte ab, noch dunkler als der Nachthimmel, noch bedrohlicher, rundweg schwarz, zogen sich empor zu massigen Hügelklötzen immensurabler Höhe, es konnten Gebirgsvorboten gewesen sein oder bloß von der Straße bedrängte, ihr im Wege stehende Ausweichhügel von der Höhe eines Autobusses. Dann kamen wieder Lichter ins Verwirrspiel, flunkerten mich an, stellten Größenverhältnisse infrage, machten sodann klar: Sie markierten Dörfer in stockdunkler Nacht … oder waren es Sterne, den Himalajakolossen aufgesessen? Dazu noch die Scheinwerferlichter verschleierter Herkunft, wie in einem Spiegelkabinett wurden sie von den schmutzigen Fensterflächen reflektiert und hin und her geschleudert. In ihrer Lichterbahn entlarvte sich eine grimmige Eiswand als Hausdach, ein Fixstern als einsame Straßenlaterne, ein Schattenriese als gewöhnlicher Passant. Ich ließ immer mehr von diesem Ergründen-Wollen ab, fühlte mich erleichtert. Sich den Geschehnissen aussetzen, sich ihnen hingeben – verführten sie einen noch so unbegreiflich und bezugsfern an einen anderen Ort. Mich hievte das zurück in schummrige Traumwelten, ohnehin war ich ihnen kaum entflohen.

Als ich erwachte, befanden wir uns in einem Gebirgstal, dem Kullu-Tal. Ich fror! Endlich! Die Nacht war der Schwüle entkommen und der Morgen der Nacht. Saftiges Wiesengrün verdankte seine Opulenz dem reißenden Gewässer, hier noch jugendlicher Bach. Frauen in bunten Gewändern wuschen darin die Wäsche, auf Felsen und Wiesen zum Trocknen ausgelegt, grelle Spitzlichter erzeugend. Es waren Flüchtlinge aus dem nahen Tibet, das Tal voll davon. Menschen, geflohen von heimatlichem Herd, Haus und Berg, bis zur Selbstverflüchtigung. Florierende Felder von Bauern beackert. Hin und wieder sollten Cannabiskulturen darunter sein.

Nicht zu fassen. So viele Menschen und interessant war nur einer: selbstredend ich am Busbahnhof Manali, soeben abgesetzt auf einem von Rikschas, Bussen, Autos, Staub und Menschen übersäten Parkplatz, mit ausladendem Gepäck in Form von acht Fahrradtaschen und flugzeugladeraumgerecht demontiertem Fahrrad. Die Inder waren immer schon fahrradtechnikinteressiert. Die ewige Fragerei in diese Fachrichtung und nach dem Preis des Fahrrads ging mir schon auf den Geist, und der war ohnehin von der Hitze komplett aufgeweicht.

Richtiggehend angewurzelt, als ginge sie zur Baumschule, stand mir ein Mädchen beinahe ins Gesicht. Nachdem ich sie die ganze Zeit ignoriert hatte, gab sie ihren Gewächsstatus auf und bettelte mich unverhohlen an, trotzte mir Kleingeld ab. Dann winkte sie einem jüngeren Buben, das sah ganz nach einer zweiten Runde aus. Die Betteltechnik des Kleinen erzeugte einen noch stärkeren Sog, der, ausgehend von einem Punkt ungefähr zwischen Empathie und schlechtem Umverteilungsgewissen, einen Windbruch bis zu meiner Geldbörse herausfräste. Der Bub öffnete einen kleinen braunen Koffer mit metallenen Randverstärkungen, die quasi als Kofferärmelschoner fungierten, und offerierte mir im ausgegorenen Vertreterstil eine Reihe von Heiligenbildchen mit eindeutiger Christenschlagseite; im Handumdrehen hatte er mich also taxiert, schubladisiert, eigentlich verkoffert. Meine Sammlerleidenschaft für dieses Metier war noch am Schlummern, da hatte er jetzt ausgesprochenes Pech mit mir. Infolge eines Auflaufs an Nachwuchsbettlern verstärkte sich meine räumliche Präsenz ungemein, ich erweiterte mich kontinuierlich, zuletzt um noch einen Nachwuchshändler, einen Klebestreifen-und-Aufkleber-Kleber-und-Anstreicher. Er war mir mit seinem Umhang aus gut sortierten Kleberollen zuvor schon aufgefallen, als er begierig sämtliche Fahrzeuge, die sich ihm in den Weg stellten (oder er sich ihnen), mit reflektierenden Klebestreifen und Plaketten im Dienste der Verkehrssicherheit zuklebte; dergestalt platzierte er seine kleistrigen Duftmarken. Der vordere Teil des Fahrradgabelschafts drängte sich förmlich auf für eine Anhaftung, ich für das dazugehörige Business. 200 Rupien für fünf Zentimeter Gewebeband in hässlichem Leuchtgrün und weitere 200 Rupien für drei Zentimeter in Schock-Rot. 400 Rupien also und ich hatte meine eigene Verkehrsampel dabei. Es macht einen Unterschied, sich bei vollem Preisbewusstsein bescheißen zu lassen. Und es macht durchaus Spaß.

Die Hotelterrasse des Snow View hielt, was der Name versprach; auf den umliegenden steil aufragenden Bergen hatte die Juniwärme dem Schnee zugesetzt, sich durch ihn hindurch gefressen, und die Gletscher traten ihre Höhenfluchten an. Das verwirrte den alpengewohnten Betrachter, berücksichtigte er, mit welchen Höhenmarken er es hier zu tun hatte, immerhin bäumte es sich auf bis 5000 Meter Meereshöhe.

Ich bestellte ein amerikanisches Frühstück. Im Stillen bat ich um Verzeihung. Aber so eines würde wohl am allerwenigsten jene heikle Esstechnik mit den Händen einfordern wie neulich, und ich müsste nicht wieder konsterniert zwischen rechts und links hin- und herdenken. Letztlich ging auch dieses Frühstück nicht ohne Konventionsbruch ab, ich ließ den Speck weg, dafür kam ein herrlich duftender und schmeckender Masali-Tee hinzu.

In diesem Land drehte sich so manche Konvention um, lief in meinen Augen verkehrt, wobei sich bei näherem Hinsehen das Bild als ein Negativabzug erwies, das erst in der nochmaligen Umwandlung – positiv getrimmt – stimmig wurde. Auf den Speisetafeln vor den Restaurants las man mit spitzer Kreide gezirkelt:

100 % vegetarian! In den Speisekarten war zuunterst eine bescheidene Rubrik »non vegetarian« zu entdecken, als schäme man sich dafür. Zu europäischen Speisekartenkonstellationen ist das genau entgegengesetzt, für einen 100 %-Vegetarian wie mich aber völlig richtig. Als ich in einem solchen Restaurant von außen auch noch Essbesteck aufblitzen sah, hatte es umgehend mein Vertrauen. War ja nicht wirklich viel verlangt. In einem indischen Restaurant in Graz hatte ich zuletzt ein fantastisches Malai-Kofta gegessen, jetzt entdeckte ich es zuoberst auf der Karte, bestellte es und war neugierig auf den Unterschied. Der Unterschied war elf Euro. Geschmacklich? Hier war’s uriger, fettäugiger, auch gut, trotzdem 1 : 0 für die Grazer im Match der Küchen. Rechnete man hingegen das Preis-Leistungs-Verhältnis hinzu, hätten die Grazer sicherheitshalber einen Elfmeter auf dem Kochfeld benötigt, um die Führung verteidigen zu können. Die Inder würden aber noch genügend Gelegenheiten haben für den Ausgleich.

In der Mall Road, dem Flaniersteg Manalis, entsprach die nicht zu differenzierende Geruchsmischung aus scharf bis süßlich, aus anregend bis ekelerregend, welche im Schleichgang die Nasenhöhlen einnahm (die ekelerregenden Gerüche auch die Bauchhöhlen), durchaus dem Aufzug des bunten Personals an Stadtflaneuren. Im Rating ganz oben auf: die paarweise aufstolzierenden Flitterwöchner, als wären sie frisch dem Hochzeitszeremoniell entrissen (die Frauen in prachtvollen Saris, die Herren westlich elegant); Kurgäste aus dem Süden, die 32 Grad im Schatten als lebensqualitative Bereicherung ansahen; Straßenhändler, die mit allem Möglichem und Unmöglichem den Läden an beiden Seiten der Mall Road die Aussicht auf Geschäft und Gewinn verstellten (die Aussicht auf Aussicht sowieso); Hippies westlicher Provenienz, die, einander geflissentlich ignorierend, aneinander vorbeischwebten – jedem Einzelnen schaute der behäbige Nimbus des letzten Mohikaners einer kaputtgelebten Rasse aus den runzelig gekifften Augenzügen heraus –, und zuunterst, meist in Bodennähe, mit dem besudelten Visitenkärtchen »Ramsstatus« versehen, die Bettler, welche verunstaltete oder fehlende Körperteile hoffnungsfroh in die Schlacht um den begehrten Obolus warfen; und mittendrin ein mit lumpiger Berghose samt verstaubten Bergschuhen unschicklich und statusmissachtend ausgestatteter Alpin-Sahib, der ordentlich am krämerladenartigen Kastensystem der Inder rüttelte, indem er die Schubladen gehörig durcheinanderbrachte. Ich zog die Aufmerksamkeit auf mich, wurde zum Umworbenen vieler eifriger Blicke aus allen Begegnungsrichtungen. Ich konnte gar nicht genug bekommen, stromerte durch das Geschehen, ging dabei die Mall Road auf und ab. Nach ein paar Runden bemerkte ich, dass ich nicht der Einzige war, der das tat.

Dann und wann lugten faltige Berggesichter mit putzigen Schneehäubchen interessiert oberhalb der steil ansteigenden Waldhänge an beiden Seiten des Tales auf das bunte Treiben in den Straßen herab, ehe sie sich wieder in nobler Blässe hinter dem feinen Gespinst aus Wolken zurückzogen. Sie hatten hier keinesfalls die Hauptrolle zu spielen. Am unteren, dem Busbahnhof zugewandten Ende der Mall Road nahm der Menschenstrudel ab, ich entwand mich der Strömung und besuchte die Tempel im tibetischen Viertel.

Eine ehrwürdig betagte Frau, die dieses Prädikat wohl schon seit etlichen Jahren vor sich hertrug, bewachte den Eingang der Gadhan Thekchhokling Gompa. Um den Gebetsbereich im Freien drehte ich ein paar Runden und betätigte dabei die kreiselartigen Gebetsmühlen, sodass sie das auch taten; dergestalt verlor ich mich abermals in einem Wirbel, wie ihn die Runden drehenden Menschenmassen auf der Mall Road erzeugt hatten. Hin und wieder sah man einen Mann mit Topi, eine traditionelle, ursprünglich nepalesische Mütze aus dem Kullu-Tal, die sich, obwohl sie so aussieht, nicht von Toupet herleitet. Erhobenen Hauptes wurde sie getragen und derartig bedeutsam, als trenne den Kopf überhaupt nichts vom Himmel. Dabei gerieten die Topis zum reinsten Topos. Imponierend irgendwie.

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