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Ein Feldpostbrief aus dem Lazarettzug

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Preßburg, 9. Mai 1915.

in leicht verwundet, Granatsplitter im linken Unterschenkel. Seit zwei Tagen auf dem Transport von Galizien in ein deutsches Lazarett, hoffe jedoch, in ein bis zwei Monaten wieder zu meinem Regiment stoßen zu können, das eben den Russen in stürmischer Verfolgung aus Przemysl nachdrängt.

Du hast inzwischen im Heeresbericht von der gewaltigen Durchbruchsschlacht bei Tarnow— Gorlice gelesen. Wir waren dabei an erster Stelle beteiligt. Mitte April in Douai, wo wir in Ruhe lagen, besichtigte gerade der Divisionskommandeur mehrere Kompagnien im Sturm- und Grabenkampf, als ein Auto angebraust kam, ein Generalstabsoffizier ausstieg und Sr. Exzellenz ein Telegramm überreichte; und mit einem Aufleuchten in seinen Mienen rief dieser den um ihn versammelten Offizieren zu: „Meine Herren, aus dem Manöver wird Ernst. Übung wird abgebrochen, Befehl zu sofortigem Abtransport folgt.“

Unter eifrigen Debatten, wohin es wohl ginge, ob nach Flandern, den Vogesen oder vielleicht gar nach Russland — letzteres wagten wir kaum zu hoffen —, zogen wir heim in die Quartiere. Nie hatte die „Wacht am Rhein“ so gewaltig aus Hunderten von Soldatenkehlen durch die Straßen des Franzosenstädtchens geklungen, wie aus diesem letzten Marsch durch Douai. Abends 9 Uhr stand die Kompagnie fix und fertig da. Ein frohes „Guten Abend“ schallte mir als Antwort auf meinen Gruß entgegen. Nach einigen kurzen Worten, einem dreifachen Hurra auf Kaiser und Reich und einem Griff, wie er kaum im Frieden einer aktiven Kompagnie zuzutrauen war, ging es mit frohem Gesang zur Verladerampe.

Ein Wort über das Verhältnis meiner Leute zu ihren Franzosenwirten. Es war nie eine Klage gekommen. Wenn ich die Quartiere nachsah, so fand ich unsere Mannschaften oft mit den kleinen Franzosenbengeln spielen. Ein kleines Kind schrie jedes Mal, wenn es den Schnuller aus dem Munde verlor, „Urra!“ Das war, außer „Mama“ das einzige Wort, das der Schlingel schreien konnte. Und beim Abschied floss sogar von Seiten der mehr oder weniger holden Weiblichkeit, die sich beim Abmarsch vollzählig ein-gefunden hatte, manche Träne.

Der Zug pustete los. Es ging durch Brüssel über die deutsche Grenze nach Köln. Die Möglichkeit, nach Flandern oder der Champagne zu kommen, war schon vorüber. Wir wandten uns dem Rhein zu, unter donnerndem Hurra fuhren wir hinüber. Die Würfel sind gefallen, es geht nach Osten. Du glaubst nicht, wie wir uns freuten. Über Magdeburg nach Berlin. Hier begannen die Meinungsverschiedenheiten von neuem. Während die einen Sehnsucht nach Riga hatten, zogen die andern das milde Klima Serbiens vor. An Galizien dachte niemand. Erst als wir bei Oderberg die österreichische Grenze überschritten und in wundervoller Gebirgsfahrt durch die Hohe Tatra den Karpathen zustrebten, dämmerte es in uns.

Kurz vor Gorlice wurden wir ausgeladen. In einer Gluthitze marschierten wir durch das Hügelland gen Osten der Front zu. Es war ein buntes Leben und Treiben auf den staubigen Straßen. Autokolonnen, deutsche Artillerie, entgegenkommende ungarische Husaren in ihren bunten Uniformen, Kaiserjäger und andere k. u. k. Infanterie, die durch deutsche Truppen abgelöst waren und mit frohem Zuruf an uns vorbeigingen: all das war uns noch neu. Wir ritten voraus, um die Stellungen der Tschechenregimenter, die wir übernehmen sollten, zu erkunden und das Einrücken in ihre Gräben bei Nacht vorzubereiten.

Die k. u. k. Offiziere empfingen und bewirteten uns überaus gast-freundlich. Nur selten fiel ein Schuss, und das Ganze machte auf uns, die wir den Grabenkampf im Westen gewohnt waren, zunächst einen überaus gemütlichen Eindruck. Aber drüben am gegenüberliegenden Hang, wohl 2 Kilometer von unseren Stellungen entfernt, zogen sich vier Systeme von Schützengräben hintereinander um einen Berg herum — es war der Zamezysko; sein Gipfel war mit Wald bestanden. Und davor ganz eklige Drahthindernisse und vor diesen viele Leichen, die von einem österreichischen Angriff herstammten und, von den Russen ausgezogen, sich weiß vom dunklen Grund abhoben. Ein wenig schöner Anblick für jemand, der in einigen Tagen diese Stellungen nehmen soll. Drunten im Grunde zwischen den Stellungen wand sich ein munteres Flüsschen. Dicht daran, aus der anderen Seite, die vordersten russischen Postierungen.

Es wurde Abend. Die Ablösung durch meine todmüden Leute vollzog sich trotz der schlechten gegenseitigen Verständigung lautlos und ohne Schwierigkeit. Unterstände gab‘s fast gar keine, aber auch anscheinend nur eine russische Batterie, und diese schoss immer nach der Uhr und immer auf den gleichen Fleck. Meine Leute gewöhnten sich rasch ein. Sie mussten, um bei den Russen kein Misstrauen aufkommen zu lassen, in allem die Gewohnheiten der früher hier hausenden k. u. k. Bundesbrüder nachahmen.

In den nächsten Tagen wurden durch rege Patrouillen- und Erkundungstätigkeit die Einzelheiten der feindlichen Stellung genau festgestellt. Am letzten Aprilnachmittag wurde für 1 Uhr nachts ein gewaltsamer Vorstoß über das Flüsschen zur Besetzung einer dem Feinde näher gelegenen Sturmstellung befohlen. Kurz vor 1 Uhr zog ich mit meiner Kompagnie los. Es gelang uns, unbemerkt den Bach zu überschreiten und die Russen, die in den Häusern ahnungslos um ein gemütliches Lagerfeuer saßen, ohne einen Schuss zu überrumpeln. Die Kerle hatten ihre Gewehre zu Pyramiden zusammengesetzt und dachten gar nicht daran, sich zu wehren, sondern ergriffen spornstreichs das Hasenpanier. Ähnlich war es den Nebenkompagnien gegangen. Nur weiter rechts war es zu kurzen, schmerzlosen Handgranatenkämpfen gekommen. Rasch war die Kompagnie verteilt, und sofort buddelte sich jeder ein, denn in den nächsten Sekunden musste ja das Infanteriefeuer von der Höhe herunter einsetzen. Auf einmal flammten überall Brände aus: um Licht zum Sehen zu haben, hatten die Russen einige Hütten angezündet. Gleichzeitig brach ein rasendes, aber miserabel gezieltes Schnellfeuer aus Hunderten von russischen Gewehren los; wir waren aber schon zu tief in der Erde, um noch getroffen werden zu können. Sie regten sich da droben anscheinend mächtig über unsere Frechheit auf, sie so mitten in der Nacht zu stören, konnten sich aber zu keinem energischen Gegenstoß mit der blanken Waffe aufraffen. Als der Morgen anbrach, hatten wir uns schon ganz gemütlich eingerichtet, und vergnügt meldete ich telefonisch meinem Bataillonskommandeur mehrere Dutzend gefangene Russen und keinen einzigen Verwundeten meiner Kompagnie. Den ganzen 1. Mai hindurch versuchten sich die Russen in Gegenstößen den Hang herunter; alle brachen, von Artillerie-, Infanterie- und Maschinengewehrfeuer gefasst, blutig zusammen. Unsere Artillerie hatte sich inzwischen vorsichtig und unauffällig mit einzelnen Schüssen aus die einzelnen feindlichen Stellungen eingeschossen. Leitender Gedanke blieb immer noch, die Herren da drüben nicht zu früh misstrauisch zu machen.

Da kam nachmittags der Angriffsbefehl: „Am 2. Mai, 10 Uhr vormittags, nach vierstündiger Artillerievorbereitung, Sturm.“ Am frühen Morgen wurden die letzten Vorbereitungen getroffen; Munition und Verpflegung wurden verteilt, alle Unterführer noch einmal eingehend unterwiesen, die Uhren verglichen. Nun war alles fertig.

Fünf Minuten vor 6 Uhr lag alles noch in tiefstem Frieden. Kein Schuss fiel, nichts regte sich drüben am Russenberg.

Die Uhr zeigt 6.

Da, ein Grollen und Rollen und Sausen in der Luft, als wenn ein Orkan losbräche, und aus einer 40 Kilometer breiten Front donnern unzählige Geschütze von der leichten Feldkanone bis zum 30,5-Zentimeter-Mörser los. Und nun schlagen die ersten Lagen drüben ein; sie sitzen gut. Staub, Rauch und Qualm und einige hochgeschleuderte Russenleiber. Und nun hämmern unsere Batterien planmäßig einen Russengraben nach dem anderen ab. Einige Gruppen stürzen verzweifelt von einem Graben in einen anderen. Unerbittlich erfolgt Einschlag auf Einschlag. Wie ein Panorama spielt sich das alles vor uns ab. Die russische Batterie, die es gewagt, einige Lagen auf uns abzugeben, war sofort gefasst und vernichtet worden. Wir können daher ungestört, mit dem Oberkörper über die Brustwehr lehnend, dem gewaltigen Vernichtungswerk zuschauen. Von den russischen Schützen dachte keiner in seiner Todesangst daran, zu schießen.

In kurzen Feuerpausen, die auf der ganzen Front eingelegt wurden und in denen dann tiefe Stille eintrat, wurden der Artillerie telefonisch die Beobachtungen über Lage und Wirkung des Feuers mitgeteilt und die Feuerräume neu verteilt. Nach 20 Minuten Pause begann von neuem das gewaltige Drama. Wir dachten, da drüben könne gar nichts mehr am Leben sein. Meine Leute waren frohen Mutes und konnten den Augenblick des Sturmes kaum erwarten.

Nun noch 5 Minuten. Das Wirkungsschießen der Artillerie wird zum Trommelfeuer aus die vordersten Stellungen. Und plötzlich lösen sich überall Gestalten aus den Gräben, stürzen vorwärts, vorwärts auf den Berg zu. Im Wettlauf keucht alles den Berg hinauf. Jeder weiß, was beim Sturm die verlorene Sekunde ausmacht — tausend versäumte Möglichkeiten, tausend wachsende Gefahren, wenn der Gegner Zeit gewinnt, sich von der Betäubung zu erholen, zu schießen. Noch sind wir 500, 400, 300 Meter weg von den vordersten Gräben. Das russische Infanteriefeuer prasselt die Höhe herunter, schlecht und hastig gezielt, nur wenige Leute stürzen. Plötzlich links rückwärts von mir ein furchtbarer Krach, anscheinend eine zu kurz gegangene Mörsergranate. Der Luftdruck wirft mich zu Boden. Ich springe auf, sehe rückwärts von mir einen Knäuel zerfetzter Menschen. Nur jetzt nicht denken. Vorwärts. Beim Auftreten fühle ich einen stechenden Schmerz im linken Fuß. Aber alle Gedanken sind beim Sturme. Schon haben wir die Drahthindernisse erreicht. Einige Russen heben die Hände hoch, andere, die sich wehren wollen, werden mit Kolben und Seitengewehr niedergemacht. Es muss sein. Das ist der Kampf ums eigene Leben.

Rechts von uns, beim zweiten Bataillon, ist es nicht so gut gegangen. Da waren plötzlich Maschinengewehre aufgetaucht und hatten ganze Reihen der tapferen Stürmer niedergerissen. Als die Russen sich durch uns in ihrer rechten Flanke bedroht sahen, gaben sie auch dort ihren Widerstand auf. Mit erhobenen Händen liefen sie ohne Waffen durch unsere Stürmerreihe und den Hang hinunter zu unseren Reserven, die die Gefangenen liebevoll in Empfang nahmen. Vorwärts ging‘s. Wir krochen mit zerrissener Uniform und blutig geschundenen Händen durch Draht- und Astverhau, brachen kurzen Widerstand in der zweiten, dritten und vierten Stellung, und nun waren wir durch.

Vor uns überall zurücklaufende Russen, die wir, aus nächste Entfernung stehend, freihändig abschossen. Unten im Tale das brennende Gorlice mit seinen schwarz qualmenden Petroleumtanks. So weit das Auge reicht, gierig weitertastendes Artilleriefeuer, zurückflutende Russen und hinterher feld- und hechtgraue Verfolger.

Rasch die Kompagnie geordnet. Etwa 300 Leute verschiedener Kompagnien, darunter Preußen vom Anschlussbataillon links, ganz gleichgültig. Und nun mit starken Patrouillen nach und den Anschluss an die übrigen Kompagnien des Bataillons wiedergewinnen.

Doch, was ist das? Ich kann plötzlich kaum mehr auftreten. In meinem Stiefel vorn am Schienbein sehe ich ein kleines Loch. Eine Gefechtsordonnanz zieht mir den Stiefel herunter, ein Sanitätsunteroffizier bringt mir, ich weiß nicht woher, einen Pantoffel. Aber nun ist keine Zeit, an sich zu denken. Auf einen Stock gestützt, humple ich rechts in den Wald hinein und treffe auf meinen Bataillonskommandeur, Major F. Ihm leuchtet genau wie uns die Siegesfreude aus den Augen. Wie im Manöver wird der Wald durchstreift. Schon beginnt eine rasch nachgezogene österreichische Gebirgsbatterie auf die Höhe 554, den letzten Punkt des russischen Widerstandes, zu feuern. Näher und näher schieben wir uns, das faltige Gelände ausnützend, heran, und bei Einbruch der Dunkelheit erfolgt mit Hurra und Hörnerruf der Sturm auf die Höhe. Als wir bis aus 400 Meter herangekommen sind, zieht der Russe es vor, sich durch schleunige Flucht einem zweiten Nahkampf zu entziehen. Ein rasendes Verfolgungsfeuer in den Wald hinein bringt ihn noch schneller ins Laufen.

Den letzten Sturm hatte ich, gestützt von meinen braven Gefechtsordonnanzen, am Stock mitgemacht. Nun konnte ich nicht mehr. Meine Leutnants und stellvertretenden Zugführer waren alle tot oder verwundet. Ich übergab die Kompagnie einem Unteroffizier und ließ mich verbinden. Mein Fuß war inzwischen durch die Überanstrengung stark angeschwollen und schmerzte abscheulich.

Am nächsten Morgen wurde ich auf einer Tragbahre ins Tal und 4 Kilometer weit in ein Feldlazarett gebracht, wo ich in ärztliche Behandlung kam. Ich lag zwei Tage lang mit 60 Schwerverwundeten zusammen in einem engen Raum, unter mir nur etwas Stroh, das von Ungeziefer derart wimmelte, dass es von selbst zur Türe herein- und hinauslief. Wie ich mich dort fühlte, das erzähle ich Dir lieber mündlich.


Stürme und Luftsiege

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