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Kapitel 3 Die Suche nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend
ОглавлениеDie Griechen der Antike waren von der Idee ewiger Jugend und unvergänglichen Lebens geradezu besessen. In ihren Mythen, ihrer Dichtung und Philosophie verwandten sie viele Gedanken auf den Wunsch, jung zu bleiben und für immer zu leben. Wie die Götter alterslose Unsterblichkeit zu besitzen, wäre für sie bei ihrer Suche nach künstlichem Leben die höchste Errungenschaft gewesen. Doch die Griechen waren sich sehr wohl der ernüchternden Konsequenzen bewusst, sollte ein solcher Segen je gewährt werden.
Für sie war das Leben der Männer und Frauen von Chronos bemessen, der in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geteilten Zeit. Wenn aber die Menschen eine unendlich lange Zeit leben würden, Aion, was würde dann mit dem Gedächtnis oder der Liebe passieren? Wie würde das menschliche Gehirn, das sich so entwickelt hat, dass es in der Erinnerung 70 oder 80 Jahre fassen kann, damit zurechtkommen, Jahrhunderte oder Jahrtausende speichern zu müssen? Die Wechselbeziehung zwischen menschlicher Erinnerung, Liebe und dem Bewusstsein einer endlichen Lebensspanne ist auch in dem modernen Science-Fiction-Film Blade Runner (1982) zentral. Die androiden Arbeiter in dieser Dystopie wurden genetisch verändert, sodass sie eine Lebenszeit von nur vier Jahren haben – zu kurz, um eine wirkliche Identität zu entwickeln, die auf Erinnerungen beruht, oder um Empathie zu empfinden. Im Film versuchen abtrünnige Replikanten verzweifelt, die ihnen zugewiesene Zeit zu verlängern.1
Die Verbindungen zwischen Erinnerung, Liebe und Sterblichkeit tauchen auch in Homers Odyssee auf. Sie spielen eine zentrale Rolle in Odysseus’ zehn Jahre währendem Versuch, nach dem Trojanischen Krieg seine Heimat Ithaka wieder zu erreichen. Besonders deutlich wird dies, als er von der Nymphe Kalypso sieben Jahre lang gegen seinen Willen als ihr Liebhaber festgehalten wird (Odyssee 5.115 – 140). Sie bietet ihm ewige Jugend und Unsterblichkeit dafür, dass er für immer auf ihrer Insel bleibt. Sie kann es nicht glauben, als Odysseus dieses großzügige Geschenk ablehnt. Die anderen Götter bestehen darauf, dass Kalypso seinen Wunsch anerkennt, mit einem selbstgebauten Floß zu seiner Frau, seiner Familie und seinen Freunden zurückzukehren und den Rest seines Lebens in seinem Geburtsland zu verbringen. Odysseus erklärt ihr: „Es gibt viele Gründe, warum neben dir die kluge Penelopeia schwächlich erschiene an Größe und Aussehen, stündet ihr beide vor mir: sie ist sterblich, du bist unsterblich und wirst nie altern. Aber auch so wünsche und hoffe ich alle Tage, heimzukommen, die Stunde der Rückkehr noch zu erleben“ (5.216–220).
Da sie keinerlei Empathie verspürt, kann die unsterbliche Kalypso Odysseus’ Sehnsucht nach seiner Frau und sein Heimweh nicht verstehen. Wie die Altphilologin Mary Lefkowitz erklärt, fasst diese alte Geschichte „einen der wichtigsten Unterschiede zwischen Göttern und Sterblichen in Worte. Menschen haben Bindungen untereinander“ und zu ihrer Heimat, und „die Intensität dieser Bindungen ist umso stärker, weil die Bande nicht ewig bleiben können“. Der Philosoph C. D. C. Reeves weist darauf hin, dass Odysseus weiß, er würde seine Identität verlieren, die nicht nur ihm, sondern auch seiner Familie und seinen Freunden kostbar ist, wenn er sich entschlösse, sich der Unsterblichkeit auszusetzen.2
Das Streben nach Unsterblichkeit lässt weitere grundlegende Bedenken aufkommen. Anders als Menschen verändern sich die Götter nicht und lernen auch nicht. „Für die Unsterblichen ist alles leicht“, merkt die Altphilologin Deborah Steiner an. Mit wenigen Ausnahmen handeln die Götter „ohne sichtbare Anstrengung oder Strapazen“.3 Was würde aus dem Selbstopfer, der Tapferkeit, dem heroischen Streben und dem Ruhm der Menschen ohne jegliche Bedrohung durch Gefahr oder Tod? Wie Empathie sind diese Verhaltensweisen unverwechselbar menschliche Ideale und waren besonders wichtig in kriegerischen Kulturen wie dem antiken Griechenland. Die unsterblichen Götter der griechischen Mythologie sind mächtig, aber niemand bezeichnete sie als mutig. Sie konnten aufgrund ihrer Natur niemals um hohe Einsätze spielen, sich dem Risiko aussetzen, vernichtet zu werden, oder sich entscheiden, heroisch gegen unüberwindliche Hindernisse anzugehen.4