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Drittes Kapitel

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I

Das Savoy Hotel empfing Miss Anna Scheele mit der vornehmen Herzlichkeit, die einem hochgeschätzten Stammgast gebührte – man erkundigte sich nach Mr Morganthals wertem Befinden und versicherte ihr, dass, sollte ihre Suite ihr nicht zusagen, ein einziges Wort von ihr genügte –, denn Anna Scheele bedeutete DOLLAR.

Miss Scheele nahm ein Bad, kleidete sich an, führte ein Telefonat mit einer Kensingtoner Nummer und fuhr dann mit dem Lift nach unten. Sie schritt durch die Drehtür und verlangte nach einem Taxi. Eines fuhr vor, sie stieg ein und gab als Ziel Cartier in der Bond Street an.

Als das Taxi den Vorplatz des Savoy verließ und in den Strand einbog, warf ein brünettes Männlein, das vor einem Schaufenster gestanden hatte, plötzlich einen Blick auf seine Uhr und winkte einem Taxi zu, das praktischerweise gerade des Weges kam und sich erst wenige Augenblicke zuvor seltsam blind für die hektischen Winksignale einer mit Einkäufen beladenen Frau gezeigt hatte.

Das Taxi fuhr gleichfalls den Strand entlang, immer in Sichtweite des ersten. Als eine Ampel beide vor dem Kreisverkehr um den Trafalgar Square zum Stehen brachte, sah der Mann im zweiten Taxi aus dem linken Seitenfenster und machte mit der Hand eine unauffällige Geste. Ein Privatauto, das in der Seitengasse neben dem Admiralty Arch gestanden hatte, fuhr los und fädelte sich in den Verkehr hinter dem zweiten Taxi ein.

Die Ampel hatte wieder auf Grün geschaltet. Als Anna Scheeles Taxi dem Verkehr folgte, der links in die Pall Mall einbog, scherte die Droschke, die das brünette Männlein beförderte, nach rechts aus und fuhr weiter um den Trafalgar Square herum. Der Privatwagen, ein grauer Standard, war jetzt dicht hinter Anna Scheele. In ihm saßen zwei Personen, ein blonder, ziemlich ausdruckslos dreinschauender junger Mann am Steuer und eine elegant gekleidete junge Frau auf dem Beifahrersitz. Der Standard folgte Anna Scheeles Taxi die Piccadilly entlang und schließlich in die Bond Street. Hier hielt er kurz am Straßenrand, und die junge Frau stieg aus.

Zugleich munter und förmlich rief sie:

»Vielen herzlichen Dank.«

Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Die junge Frau stöckelte an der Häuserfront entlang und warf gelegentlich einen Blick in das eine oder andere Schaufenster. Der Verkehr geriet vorübergehend ins Stocken. Die junge Frau überholte den Standard und Anna Scheeles Taxi. Sie erreichte Cartier und betrat das Geschäft.

Anna Scheele bezahlte ihren Fahrpreis und betrat ebenfalls den Juwelier. Ohne jede Eile sah sie sich mehrere Schmuckstücke an. Schließlich entschied sie sich für einen Saphir-und-Diamant-Ring. Sie bezahlte ihn mit einem Scheck, der auf eine Londoner Bank ausgestellt war. Beim Anblick des Namens wurde der Verkäufer noch eine Spur verbindlicher.

»Es ist ein Vergnügen, Sie wieder in London begrüßen zu dürfen, Miss Scheele. Ist Mr Morganthal ebenfalls in der Stadt?«

»Nein.«

»Ich frage nicht ohne Grund – wir haben einen sehr schönen Sternsaphir hereinbekommen. Ich weiß, dass er sich für Sternsaphire interessiert. Wenn Sie vielleicht einen Blick darauf werfen möchten?«

Miss Scheele bekundete ihre Bereitschaft, sich den Stein anzusehen, bewunderte ihn gebührend und versprach, Mr Morganthal davon zu erzählen.

Sie trat wieder hinaus auf die Bond Street, und die junge Frau, die sich derweil Clips angesehen hatte, erklärte, sich noch nicht entscheiden zu können, und verließ ebenfalls das Geschäft.

Der graue Standard war links in die Grafton Street eingebogen und bis Piccadilly weitergefahren und kam jetzt gerade wieder die Bond Street herauf. Die junge Frau würdigte ihn keines Blickes.

Anna Scheele war in die Arcade eingebogen. Sie betrat ein Blumengeschäft. Sie bestellte drei Dutzend langstielige Rosen, eine Schale voll großer süß duftender Veilchen, ein Dutzend Zweige weißen Flieders und eine Vase voll Mimosen. Sie nannte eine Adresse, an die alles geliefert werden sollte.

»Das macht dann zwölf Pfund, achtzehn Shilling, Madam.«

Anna Scheele bezahlte und ging. Die junge Frau, die gerade hereingekommen war, erkundigte sich nach dem Preis eines Sträußchens Primeln, kaufte dann aber keines.

Anna Scheele überquerte die Bond Street, ging die Burlington Street entlang und bog in die Savile Row ein. Hier betrat sie das Etablissement eines jener Schneider, die zwar prinzipiell nur für den Herrn arbeiten, sich aber doch gelegentlich dazu herablassen, für gewisse privilegierte Angehörige des weiblichen Geschlechts ein Kostüm zuzuschneiden.

Mr Bolford empfing Miss Scheele mit der Begrüßung, die einer geschätzten Kundin vorbehalten ist, und man besprach den Stoff für das Kostüm.

»Glücklicherweise kann ich Ihnen unsere Exportqualität offerieren. Wann reisen Sie nach New York zurück, Miss Scheele?«

»Am 23.«

»Das schaffen wir bequem. Sie nehmen den Clipper, wie ich vermute?«

»Ja.«

»Und wie ist die Lage in Amerika? Hier sieht es äußerst düster aus – wirklich äußerst düster.« Mr Bolford schüttelte den Kopf wie ein Arzt, der von einem renitenten Patienten spricht. »Nichts scheint mehr Herzblut wert zu sein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und es rückt einfach niemand nach, der wirklich wüsste, was Werkstolz bedeutet. Wissen Sie, wer Ihr Kostüm zuschneiden wird, Miss Scheele? Mr Lantwick – zweiundsiebzig Jahre ist er alt, und er ist mein einziger Mitarbeiter, dem ich guten Gewissens den Zuschnitt für unsere besten Kunden anvertrauen kann. Die übrigen …«

Mr Bolfords mollige Hände vollführten eine wegwerfende Geste.

»Qualität«, sagte er. »Dafür war dieses Land einmal berühmt. Qualität! Nichts Billiges, nichts Protziges. Wenn wir uns an Massenfertigung versuchen, kommt nichts Vernünftiges dabei heraus, so wahr ich hier stehe. Darauf ist Ihr Land spezialisiert, Miss Scheele. Wofür wir stehen müssten, und ich wiederhole mich ganz bewusst, ist Qualität. Sich für die Dinge Zeit nehmen – und Mühe geben – und ein Produkt fertigstellen, das auf der Welt seinesgleichen sucht. So, und wann würde es Ihnen für die erste Anprobe passen? Heute in einer Woche? Elf Uhr dreißig? Verbindlichen Dank.«

Nach einer kurzen Wanderung durch ein archaisch düsteres Labyrinth von Stoffballen trat Anna Scheele wieder ans Tageslicht. Sie winkte einem Taxi und ließ sich zum Savoy zurückfahren. Ein Taxi, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand und in dem ein brünettes Männlein saß, schlug dieselbe Route ein, bog aber nicht in den Hotelvorplatz ein. Es fuhr weiter zum Embankment und sammelte dort eine kleine, untersetzte Frau ein, die kurz zuvor aus dem Personaleingang des Savoy herausgekommen war.

»Wie sieht’s aus, Louisa? Hast du ihr Zimmer gefilzt?«

»Ja. Nichts.«

Anna Scheele lunchte im Restaurant. Man hatte für sie einen Tisch am Fester reserviert. Der Oberkellner erkundigte sich mit respektvoller Anteilnahme nach Otto Morganthals wertem Befinden.

Nach dem Lunch holte Anna Scheele ihren Schlüssel und begab sich hinauf in ihre Suite. Das Bett war gemacht, im Bad lagen saubere Handtücher, und alles war picobello. Anna ging zu den zwei leichten Luftkoffern, die ihr ganzes Gepäck ausmachten – der eine war offen, der andere abgeschlossen. Sie warf einen Blick auf den Inhalt des offenen, dann holte sie aus ihrer Handtasche die Schlüssel heraus und öffnete den anderen. Alles war an seinem Platz, so ordentlich gefaltet, wie sie es gefaltet hatte; wie es aussah, war nichts bewegt oder herausgenommen worden. Zuoberst lag eine lederne Aktentasche. In einer Ecke waren eine kleine Leica und zwei Rollfilme verstaut. Die Filme steckten noch in ihrer versiegelten Verpackung. Anna fuhr mit dem Fingernagel unter die Lasche und zog sie auf. Dann lächelte sie, sehr verhalten. Das einzelne, fast unsichtbare hellblonde Haar, das darunter geklebt hatte, war nicht mehr da. Geschickt stäubte sie ein bisschen Puder auf das blanke Leder der Aktentasche und blies anschließend darauf. Die Oberfläche war so sauber und blank wie zuvor. Keinerlei Fingerabdrücke. Aber an dem Morgen hatte sie die Tasche in die Hand genommen, nachdem sie sich zuvor etwas Brillantine auf den glatten blonden Haarhelm aufgetragen hatte. Es hätten Fingerabdrücke darauf sein müssen – ihre eigenen!

Sie lächelte noch einmal.

»Gute Arbeit«, sagte sie zu sich selbst. »Aber leider nicht gut genug …«

Flink packte sie eine kleine Reisetasche mit ein paar Sachen für eine Nacht und begab sich wieder nach unten. Ein Taxi fuhr vor, und sie nannte dem Fahrer die Adresse 17 Elmsleigh Gardens.

Elmsleigh Gardens war ein stiller, ziemlich heruntergekommener Platz in Kensington. Anna bezahlte den Fahrer und trippelte die Stufen zu einer Haustür hinauf, von der die Farbe schon abblätterte. Sie drückte auf die Klingel. Kurz darauf wurde die Tür von einer älteren Frau geöffnet, deren argwöhnische Miene sich sofort in ein freudiges Strahlen verwandelte.

»Was wird sich Miss Elsie freuen, Sie zu sehen! Sie ist im Arbeitszimmer, nach hinten durch. In letzter Zeit war der Gedanke an Ihr Kommen das Einzige, was sie noch aufrechterhalten hat.«

Anna eilte den dunklen Gang entlang und öffnete die Tür an dessen Ende. Es war ein kleines, verwohntes, aber gemütliches Zimmer mit wuchtigen, abgewetzten Ledersesseln. Die Frau, die in einem davon saß, sprang auf.

»Anna, Liebste!«

»Elsie.«

Die zwei Frauen küssten sich liebevoll.

»Es ist alles organisiert«, sagte Elsie. »Heute Abend quartiere ich mich ein. Ich hoffe wirklich …«

»Kopf hoch!«, sagte Anna. »Es wird schon alles gut werden.«

II

Der kleine brünette Mann im Regenmantel trat in eine Telefonzelle in der U-Bahn-Station High Street Kensington und wählte eine Nummer.

»Valhalla Gramophone Company?«

»Ja.«

»Sanders hier.«

»Sanders vom Fluss? Welchem Fluss?«

»Dem Tigris. Es folgt Bericht über A.S. Trifft heute Morgen aus New York ein. Geht zu Cartier. Kauft Saphir-und-Diamant-Ring für einhundertzwanzig Pfund. Geht in Blumengeschäft, Jane Kent, kauft für zwölf Pfund, achtzehn Shilling Blumen und lässt sie an die Adresse einer Privatklinik am Portland Place liefern. Gibt bei Bolford & Avory’s Kostüm in Auftrag. Keine der genannten Firmen unterhält, soweit bekannt, irgendwelche verdächtigen Kontakte, aber künftig wird man ihnen besondere Aufmerksamkeit schenken müssen. A.S.’ Zimmer durchsucht. Nichts Verdächtiges gefunden. Aktentasche in Koffer enthält Dokumente zu Paper-Wolfensteins-Fusion. Alles unbedenklich. Kamera und zwei anscheinend unbelichtete Rollfilme. Wegen Möglichkeit, dass Filme Fotokopien von Dokumenten enthalten, gegen andere Filme ausgetauscht, aber laut Laborbericht sind Originale gewöhnliches unbelichtetes Material. A.S. packt kleine Reisetasche und fährt zu Schwester in 17 Elmsleigh Gardens. Schwester geht wegen chirurgischen Eingriffs heute Abend in Privatklinik am Portland Place. Dies von Klinikleitung und durch Eintrag in Terminkalender des Chirurgen bestätigt. Besuch von A.S. offenbar vollkommen unbedenklich. A.S. schien durchweg weder nervös zu sein noch von Beschattung zu ahnen. Soweit bekannt, verbringt sie Nacht in Privatklinik. Behält allerdings Zimmer im Savoy. Rückflug nach New York für den 23. im Clipper gebucht.«

Der Mann, der sich Sanders vom Fluss nannte, verstummte und fügte dann gleichsam als inoffiziellen Nachtrag hinzu:

»Und wenn Sie meine Meinung hören wollen, ist das Ganze ein Windei! Mit Geld um sich schmeißen – mehr tut sie nicht. Zwölf Pfund achtzehn für Blumen! Ich bitte Sie!«

Sie kamen nach Bagdad

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