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Nackt

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Aschenbecher voll, darüber der Dampf. Immer wenn sie malte, ließ sie ihre Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers liegen. Zigarette zwischen den Lippen eingeklemmt? Das war was für Nutten und die, die es einmal werden wollen, sagte sie gerne. Nur, wenn sie ihre Zigarette nicht richtig ausmachte im Aschenbecher, dann konnte sie sich was anhören. Der kokelnde Filter war eben nicht so zauberhaft wie das Rauchen vorher. Niemand hat je behauptet, dass das Abziehen vom Kondom genauso aufregend ist wie das Überstülpen zu Beginn. Über dieses Bild hatten sie sich unterhalten, als sie zum ersten Mal zusammen in einer Ausstellung gewesen waren. Deichtorhallen. Denkwürdiger Ort, leicht verstörende und zugleich betörende Fotografien, leicht verstörende und zugleich betörende Frau an seiner Seite. Und dann das Gespräch über Kondome. Er hätte es schon damals wissen können.

Sie: Stehst du auf?

Er: Nein.

Sie: Ach schade. Ich dachte, du könntest mir was mitbringen.

Er: Ich stehe aber nicht auf.

Sie: Okay, schade.

Lieber schaute er sie weiter auf dem Rücken liegend von der Seite an. Sie saß wie immer im Schneidersitz neben ihm, die einzige Position, in der sie mittelfristig auf dem Bett das Gleichgewicht nicht verlor. In ihrer Hand der Zeichenblock und ein Bleistift. Und ansonsten: nichts. Er hatte es immer schon für einen grell exzentrischen Zug von ihr gehalten, dass sie morgens ihr schneeweißes Nachthemd nicht mit einem Pullover oder einem Morgenmantel bedeckte, sondern es stattdessen auszog und fortan nackt in ihrem gut beheizten Atelier herumlief. Er hätte es schon in den Deichtorhallen wissen können.

Er: Hab ich dir schon mal gesagt, dass ich diese neuen Farben richtig gut finde? Die auf dem Bild rechts neben dem Topf.

Sie: Ja, die sind teuer gewesen.

Endlich mal wieder ein Zigarettenzug, sonst wäre es bald wieder Zeit für selbst-kokelnde Filter gewesen. Es wäre eigentlich Zeit für Kaffee, Kaffee und Zigarette mittags im Bett beim Malen und Betrachten der Bilder. Nuttenfrühstück nannte man das doch früher. Nuttenfrühstück, egal ob mit Zigarette im Mundwinkel oder ohne. Er erhob sich mühsam aus dem Bett – die Matratze war zu alt und durchgelegen – kletterte über die zum Nachttisch umfunktionierte Weinkiste Richtung Kleiderschrank und suchte nach einer Unterhose.

Der Kaffeeduft musste seine Rückkehr angekündigt haben, denn sie wartete bereits mit leuchtenden Augen auf ihn. Er drückte ihr die Haarspange aus dem Bad in die Hand.

Sie: Genau darum wollte ich dich bitten.

Er: Ich weiß.

Kaffee. Zigarette. Dadurch gelegentlich Husten und leicht flaues Magengefühl. Der Rest war Haut. Er liebte es, ihre Brüste anzuschauen. Schräg von der Seite, leicht von unten, das war die beste Aussicht. Sie neckte ihn damit, dass sie leicht den Arm davorschob, wenn sie ihn beim Studium ihrer Kurven erwischte. Manchmal lachte sie auch einfach nur und stand auf, um ans Fenster zu gehen und der Welt nackt zuzuwinken. Sollten doch alle was davon haben.

Er: Ich finde, du malst zu viele männliche Akte.

Sie: Sie gefallen dir nur nicht, weil du eifersüchtig bist.

Er: Jep, stimmt genau.

Sie: Wenn jemand hier ist, ziehe ich mir immerhin das Nachthemd über.

Er: Das ist sehr beruhigend.

Sex mit anderen war erst vor einigen Tagen ein Thema gewesen. Heikles Thema, er war so verdammt altmodisch. Sie war aber auch nicht gerade das, was die originale Kunstavantgarde in Sachen freier Liebe von ihren Jüngern erwartet hätte. In der Theorie, ja schön, aber an der Umsetzung haperte es noch. Natürlich sah er gelegentlich auch andere Frauen, mit denen er sich romantische Augenblicke vorstellen konnte. Sie sprach sogar offen darüber, wann sie welchen ihrer Akte ganz gerne angefasst hätte. Zum Glück waren die Akte auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Sie: Hast du schon einmal nackt Cajon gespielt?

Er: Nein, wieso?

Sie: Da müssen dir doch dein Penis und deine beiden Cojones ordentlich im Weg sein.

Er: Ja, deshalb habe ich es wahrscheinlich auch noch nicht gemacht.

Der Akt auf der Leinwand ließ ihn nicht los. Die feinen Striche, die filigranen Formen, die kräftigen Farben, die Liebe zum Detail. Alles an diesem Bild schrie förmlich danach, dass sie sich sehr wohlgefühlt hatte mit ihm. Wächst man eigentlich jemals aus der Eifersucht raus?

Er: Wie heißt der Akt auf dem Bild da?

Sie: Er heißt Manuel.

Er: Gutaussehender Typ. Astralkörper.

Sie: Ja, aber ein ganz schlechter Liebhaber, das kann ich dir sagen.

Er: Das ist nicht witzig.

Sie: Wieso nicht?

Er: Einfach, weil es das nicht ist.

Sie: Du bist albern.

Er: Nein, ich habe einen neuralgischen Punkt und bin eifersüchtig. Das ist vielleicht nicht schön, aber ganz sicher alles andere als albern.

Sie: Meinst du, „neuralgisch“ hat irgendwas mit Algen zu tun?

Er: Warum werde ich hier eigentlich nie ernst genommen?

Er stand auf und verließ das Zimmer. Sie konnte ihn in der Küche herumwerkeln hören. Immer, wenn er ärgerlich war, klangen alle seine Küchengeräusche ein paar Dezibel lauter als sonst. Die Tasse, der Stuhl, die Schranktür. Alles mit ein wenig mehr Wucht.

Aber sie hatte keine Lust auf Streit. Manchmal schon, da liebte sie es, ihn einfach nur um der folgenden Versöhnung willen aus der Fassung zu bringen; das war immer ein schöner Moment. Und wenn man nicht genug zum Streiten hat, muss man eben ein wenig nachhelfen. Aber nicht heute. Heute würde hoffentlich ein schöner Tag werden. Es war immerhin ihr 70. Geburtstag.

Auf sie mit Gedöns!

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