Читать книгу Das Leuchten am Horizont - AKBAR EBRAHIMI - Страница 11

5. Die Hölle auf Erden

Оглавление

Unser Weg führte uns weiter in ein Gebiet, in dem sich nicht viele Menschen aufhielten. Wir fuhren eine ruhige Straße entlang, auf der kaum Autos unterwegs waren. Dann hielt unser Auto an und wir befanden uns vor einer großen Wohnungstür. Wir gingen hinein und erkannten sogleich, dass es ein weiteres Flüchtlingslager war, speziell für geflüchtete Erstankömmlinge, welches etwas besser war als die, die wir bisher erlebt hatten, und doch sollte es auch darin zu Unannehmlichkeiten kommen. Dennoch konnten wir hier etwas ruhiger schlafen und es gab auch stets etwas Gutes zu essen und zu trinken für uns. Wir waren insofern gut versorgt, auch wenn wir hier, wie in anderen Lagern auch, nicht hinausgehen durften und uns wie Gefangene fühlten. Hinzu kam, dass mit der Zeit immer mehr Menschen aufgenommen wurden, sodass die Wohnung bald überfüllt gewesen ist. Zwei der Jungs, die mit uns von Afghanistan aus über Pakistan bis nach Isfahan gekommen waren, verabschiedeten sich deshalb von uns, indem sie meinten, hier ihr Ziel erreicht zu haben. Nach Teheran, der Hauptstadt des Irans würden sie gehen und im Iran bleiben wollen. Nach ihnen hatten sich auch viele andere von uns dazu entschlossen. Und auch ich wollte von Isfahan nach Teheran gelangen, da ich dort einen Cousin hatte. Er war der Sohn meines Onkels, der schon eine lange Zeit im Iran lebte und arbeitete.

Ich freute mich sehr darauf und auch darüber, dass mich Amirs Familie weiterhin begleiten würde. Amir ist vor einigen Jahren schon einmal hier im Iran gewesen und kannte sich dementsprechend sehr gut aus. Er war sozusagen der Erfahrenere von uns, dem ich mich anvertrauen konnte. Schließlich kannten wir uns nun schon einige Zeit und hatten die Tage in Pakistan und an der Grenze des Irans miteinander verbracht. Wir hatten gemeinsam gefrühstückt und zu Mittag gegessen und waren uns demnach vertraut.

Um herauszufinden, wann genau wir nach Teheran gehen würden, unterhielt sich Amir mit einem der Schlepper. Dieser gab ihm zur Antwort, dass es bald geschehe, jedoch unter der Bedingung, dass das Geld, das er von uns verlangt habe, überwiesen worden sei. Erst wenn die vereinbarte Summe der jeweiligen Personen wirklich angekommen ist, könne er weitersehen und uns für frei erklären. Wir könnten uns dann von Freunden oder Verwandten abholen lassen. Die Schlepper hätten ab diesem Zeitpunkt keine Macht mehr über uns, würden aber auch keine Verantwortung mehr übernehmen.

Ich rief also meinen Cousin an und teilte ihm mit, was der Schlepper gesagt hatte und dass ich mich auf dem Weg von Isfahan nach Teheran befand. Ich bat ihn, er möge mir bitte das vom Schlepper verlangte Geld zur Verfügung stellen, um seiner Forderung nachzukommen. Dann wartete ich ab was passieren würde.

Als alles soweit geregelt war, durfte ich in ein kleines Auto einsteigen. Es war bereits spät am Abend und wir sind die ganze Nacht über hindurchgefahren. Wann genau wir in Teheran angekommen sind, weiß ich nicht mehr genau, aber es war auf jeden Fall schon etwas hell.

Wieder bin ich in eine Art Flüchtlingsunterkunft gekommen, worin ich mich aufzuhalten hatte und etwas ausruhen konnte. Ich war noch immer irgendwie sehr erschöpft von alledem und legte mich einfach auf den Boden.

Gegen 11:00 Uhr am Vormittag bin ich erwacht. Mein Blick schweifte aus dem Fenster hinaus. Ich sah einen Garten und eine nahegelegene Garage auf einem großen Grundstück, in welchem Ziegen, Schafe und zwei Pferde waren, die friedlich nebeneinander grasten.

Ich erkannte, dass ein Teil der Garage aus einem Raum bestand, welcher für die Neuankömmlinge gedacht war, während der andere Teil des Grundstücks den Tieren gehörte.

Ich hätte nicht gedacht, dass sich ein so großes Lager hinter diesen Mauern verbirgt und wahrscheinlich hatte auch die Anwesenheit der Tiere einen bestimmten Grund, so meinte ich.

Unser Raum der Garage gegenüberliegend hatte sehr kleine Fenster, von welchen aus man in den Garten blicken konnte. Doch wir durften nicht nach draußen gehen und den Raum verlassen. Da ich lange nichts mehr gegessen hatte, suchte ich nach irgendwas zu essen. Mein Bauch zog sich schon vor Hunger zusammen. Amir kam zu mir und ich fragte ihn, was wir hier noch zu suchen hatten. „Wir sind doch jetzt in Teheran, also an unserem Ziel angelangt,“ meinte ich, aber Amir lächelte und gab mir zu verstehen, dass wir noch zu warten hatten. Wir gingen zusammen zur Rezeption, um mit dem hierfür zuständigen Mann zu sprechen. Amir fragte ihn höflich: „Wissen Sie, ob von unserer Seite und auch der des jungen Mannes hier das Geld überwiesen worden ist?” Der Mann entgegnete uns schroff: „Wie sind eure Namen?” Wir sagten sie ihm und bekamen zur Antwort: „Nein, leider noch nicht. Ihr müsst wohl mit euren Verwandten und Familien telefonieren. Wenn das Geld nicht überwiesen ist, dann kommt ihr hier auch nicht raus. Ihr müsst hier bleiben, bis das Geld angekommen ist.“

Also gingen wir zurück und kommunizierten nochmals mit unseren Verwandten und ich mit meinem Cousin, den ich erneut um das Geld bat. Er meinte, dass er mit einem der Schlepper sprechen wolle. Ich reichte dem Schlepper mein Handy, damit sich mein Cousin mit ihm unterhalten konnte.

Ich weiß nicht, wie sich alles geklärt hat, doch nach etwa einer halben Stunde kam der Mann und rief meinen Namen: „Akbar Ebrahimi, du bist frei. Nimm deinen Rucksack und mach dich bereit. In zehn Minuten kommt dein Taxi.“

Ich konnte es kaum fassen und war überglücklich, dass ich nach dieser langen Zeit, in der ich Tage und Nächte lang wie ein Häftling lebte, nun tatsächlich frei war. „Ich bin frei,“ sagte ich mir immer und immer wieder. „Ich bin frei,“ sagte ich nochmals und zog mein besseres T-Shirt und meine gute Hose an, wusch meine Hände und machte meine Haare ordentlich.

Dann verabschiedete ich mich von meinen Freunden. Mit Amir und seiner Familie habe ich mich immer sehr gut verstanden. Wir haben uns auf diesem harten Weg gegenseitig viel geholfen. Amir gab mir seine Nummer, damit wir auch später in Kontakt bleiben konnten. Er bot mir zudem an, ihn und seine Familie eines Tages in seinem neuen zu Hause besuchen zu kommen. Während wir uns noch unterhielten, kam einer der Schlepper zu uns und hielt mir die Tür auf. „Komm´ dein Taxi wartet schon auf dich.“

Der Taxifahrer, ein glatzköpfiger Mann, stand neben seinem Auto, trug eine Brille und ein dunkelblaues Shirt, in welchem er sehr sportlich wirkte. Ich näherte mich dem Taxi und begrüßte den Fahrer. „Hallo, ich bin Akbar.“ Er lächelte und stellte sich mir ebenfalls vor: „Hallo, ich heiße Majid.“ Während ich mich ins Taxi setzte und er meinen Rucksack im Kofferraum verstaute, sah ich zum Fenster hinaus und betrachtete das Gebäude, aus dem ich gerade gekommen war. Dann fuhren wir los. Auf unserer Fahrt sah ich viel zum Fenster hinaus und beobachtete die Menschen auf der Straße. Mir fiel auf, dass die Leute in Afghanistan nie so frei wie hier herumgelaufen sind. Auch die Frauen trugen zum Teil ein nur sehr leichtes Kopftuch, das ihr Haar kaum bedeckte, so dass man es sehen konnte. Der Taxifahrer fragte mich, ob ich das erste Mal im Iran sei. Ich antworte ihm ehrlich: „Ja, ich bin bisher noch nicht hier gewesen.” Er meinte, dass sich hier im Iran schon etliche Afghanen aufhalten würden und wollte weiter wissen, ob ich mit meinen Eltern oder ganz allein auf dem Weg sei.

Wieder antwortete ich ihm ohne Bedenken: „Sie sind in Afghanistan geblieben.” Er nickte und fragte weiter, ob ich hier denn Verwandtschaft hätte, denn sonst sei es meines jungen Alters wegen ein bisschen schwierig, Arbeit für mich zu finden.

Ich berichtete ihm von meinem Cousin, der hier seit vielen Jahren lebte. „Er wird mir helfen können,” meinte ich und er nickte. Doch noch gab er sich nicht damit zufrieden. „Und, war dein Weg schwierig? Ich meine, war es schwer in den Iran zu kommen?”, wollte er wissen. „Ja, es war auf jeden Fall nicht leicht”, antwortete ich ihm. „Besonders gefährlich muss es an der Grenze gewesen sein, oder nicht?“ Ich erzählte ihm ein bisschen davon, aber eigentlich hatte ich keine Lust darüber zu sprechen. Überhaupt redete der Fahrer viel zu viel. Es bereitete mir Mühe ihm zuzuhören. Er wechselte nun das Thema und sprach über Politik. Er meinte, dass er sich nicht sicher sei, ob an der Situation in Afghanistan, die sich zunehmend verschlechtert habe, nicht auch der Iran beteiligt sei bzw. mit verantwortlich, dass in Afghanistan kein Frieden herrscht, wenngleich dies wohl eher Sache der USA sei, die auch etwas mit der schlechten wirtschaftlichen Lage in Afghanistan zu tun habe. „Ein weiteres Problem, das sicher der USA zuzuschreiben ist,“ meinte er. „Denn die haben dem Iran Sanktionen auferlegt,“ sagte er, mehr zu sich als zu mir hingesprochen, um sich über das System zu beklagen. Ich fragte mich, ob er Politik und Wirtschaft studiert hatte und sagte es ihm. Er meinte: „Nein, ich habe nicht studiert, denn damals war unsere finanzielle Lage schwierig. Ich hatte keine Möglichkeit studieren zu gehen. Selbst wenn ich studieren hätte wollen, hätte ich hierfür in eine andere Stadt gehen müssen. Und das wollte ich nicht,“ meinte er und sah mich an.

Ich verstand inhaltlich nicht alles von dem was er sagte. Einerseits, weil er manche Wörter anders aussprach als ich sie kannte und gewohnt war zu hören, und andererseits, weil ich in der Schule nicht viel über Politik und Wirtschaft erfahren hatte. Es war für mich demnach schwierig ihm gedanklich zu folgen, geschweige denn alle Worte zu verstehen, zumal er in einem sehr starken Dialekt sprach. Dennoch bemühte ich mich ihn zu verstehen und seinen Worten zu folgen. Letztendlich habe ich dann doch einiges von dem was er sagte, inhaltlich erfassen und einigermaßen richtig verstehen können. Er fragte mich zuletzt, ob ich mich denn nun freue im Iran zu sein. „Ja schon, aber ich bin auch gespannt, wie es werden wird,” meinte ich und ergänzte dies noch, indem ich ihm sagte, dass ich von vielen gehört hatte, dass es gut ist im Iran zu sein. Denn ich bin wirklich schon sechzehn Tage unterwegs gewesen und hatte allmählich das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Hoffnung und Freude kehrten nun in mein Herz ein. Ein so angenehmes Gefühl. Ich stellte fest, dass ich wirklich glücklich, einfach nur glücklich war nach all der schweren Zeit und nun froh endlich an meinem Ziel angekommen zu sein. „Ich habe es geschafft,“ sagte ich mir innerlich und dachte an all diese Schwierigkeiten der vergangenen Tage, in denen wir nächtelang gelaufen sind. Ich sagte mir nun: „Man kann vieles schaffen, wenn man es wirklich erreichen will oder wenn man es machen muss. Der Wille allein ist alles. Man muss einfach weitermachen und darf nicht aufgeben!“

Ich war nun bei meinem Cousin und hatte es dort gut, doch ich wollte es weiter bis nach Europa schaffen. Wenn ich mir allerdings die Nachrichten im Fernseher ansah, die über die Situation der Flüchtlinge in Europa berichteten, bekam ich große Angst. Ein schreckliches Gefühl überkam mich, besonders als ich die Zahl der sterbenden Leute im Meer hörte, die mit nichts als einem Gummiboot unterwegs gewesen waren und dabei ertrunken sind, anstatt mit einem richtigen Schiff über dieses gigantische blaue Meer zu fahren. Durch die Nachrichten im Fernseher und andere Informationsquellen wurde mir schließlich bewusst und gedanklich klar, dass mir meine eigentliche Reise im Grunde genommen erst noch bevorstand. Sie hatte so gesehen noch nicht einmal begonnen. Ich würde noch vielen weiteren Gefahren begegnen und mit lebensbedrohlichen Situationen konfrontiert werden. Darüber hinaus musste ich jederzeit damit rechnen als Afghane wieder zurückgeschickt zu werden oder in Gefangenschaft zu geraten, und im schlimmsten Fall mich sogar mit meinem Tod auseinandersetzen müssen. Ich hatte unglaublich große Angst angesichts dieser Tatsachen. Doch es gab nur diese einzige Möglichkeit für mich. Und ich hatte mich dazu entschieden, alles auf mich zu nehmen, wenngleich ich mir nun eingestand, dass ich mir zuvor keine großen Gedanken darüber gemacht habe und nicht wusste wie ich über das Meer nach Griechenland gelangen konnte und in Europa ankommen würde. Ich dachte nur an das nächst gelegene, daher wie ich vom Iran aus in die Türkei gelangen könnte. Denn auch an der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei werden viele Flüchtlinge festgenommen und gnadenlos zurück nach Afghanistan geschickt. Wenn man Pech hat, dann wird man für einige Zeit in einem Gefängnis ausharren müssen bis man in sein Heimatland zurückgelangt. All meine Mühe und Anstrengungen wäre dann umsonst gewesen.

Deshalb dachte ich nur daran, wie es mir gelingen kann, die Grenze zu überqueren, wenngleich mir bewusst war, dass es danach immer noch sein könnte, dass ich wie tausend andere Menschen auch im Mittelmeer ertrinke und nie Europa erreichen werde.

Die Wahrscheinlichkeit nach Deutschland zu gelangen, war demnach sehr gering. Deshalb entschied ich mich dafür, vorerst noch im Iran zu bleiben und abzuwarten. Vielleicht ließe sich im Laufe der Zeit eine Alternative dazu finden, einen etwas einfacheren und sicheren Weg, der weniger Gefahren für mich bereithalten würde. Mein Ziel blieb dennoch bestehen: Ich wollte es bis nach Deutschland schaffen. Denn selbst wenn ich im Iran bliebe, gäbe es für mich viele Probleme. Ohne Pass, den ich nicht beantragen durfte, hatte ich im Iran keine Aufenthaltsgenehmigung und konnte jederzeit nach Afghanistan abgeschoben werden. Demnach hielt ich mich illegal im Iran auf. Auf diese Weise konnte ich auch nicht zur Schule gehen. Ich musste mich stets versteckt halten und meinen Lebensunterhalt mit schlechter Arbeit verdienen.

Ich möchte mich darüber in diesem Buch nicht beklagen und über die Politik im Iran oder ihre Gesetze für afghanische Flüchtlinge beschweren oder sie analysieren, um die ungünstige Kooperation der afghanischen und iranischen Regierung aufzuzeigen, sondern sie lediglich aus meiner Perspektive schildern und dementsprechend darstellen. Im Grunde genommen möchte ich nur meine eigene Geschichte erzählen und über meine Erfahrungen und Erlebnisse auf der Flucht von Afghanistan nach Deutschland berichten. Allein dies zu beschreiben und anderen Menschen mitzuteilen, um ein Verständnis für die Situation Geflüchteter herbeizuführen, ist was mir am Herzen liegt und äußerst wertvoll erscheint.

Dass es im Iran keine Gleichberechtigung zwischen Afghanen und Iranern gibt, ist mir sehr bald bewusst geworden. Und wenn ich richtig informiert bin, dann gibt es im Iran auch keine Paragraphen die afghanische Flüchtlinge bzw. Ausländer schützen.

Ähnlich ergeht es den Frauen, die den Männern gegenüber nicht gleichberechtigt sind und ungerecht behandelt werden. Selbst ihre Grundbedürfnisse dürfen sie angesichts der strengen Regeln einiger religiöser Ansichten wegen nicht ausleben.

Mein größtes Problem bestand jedoch darin, dass ich noch zu jung zum Arbeiten war und es mein physischer Zustand nicht zuließ, schwere Arbeiten zu übernehmen, weshalb ich meinen Vater anrufen wollte, um ihn darum zu bitten, mir etwas Geld zu schicken. Doch noch bevor ich ihn anrief, sagte mir meine innere Stimme, dass mein Vater auch kein Geld mehr hatte. Er fragte mich, ob ich nach Europa gehen oder hier im Iran bleiben wolle. Ich führte ihm meine Situation vor Augen, um ihm meine Not zu verdeutlichen. „Ich muss nach Europa gelangen, aber der Weg dorthin ist zu gefährlich. Ich kann mich momentan der Gefahr nicht aussetzen,“ sagte ich zu ihm. Wir verständigten uns, dass ich zunächst hier im Iran bei meinem Cousin bleibe und versuchen sollte ein bisschen Geld zu sparen. Sobald der Weg besser sein würde, könnte ich losgehen.

Gemeinsam mit meinem Cousin und einigen anderen Afghanen arbeitete ich nun in einem großen Garten. Ich arbeitete so viel wie ich nur konnte. Doch die anderen, die um einiges älter als ich waren, konnten einfach fleißiger als ich sein. Mir fiel die Arbeit zudem sehr schwer und ich dachte dabei oft an meinen kleinen Bruder, meine Schwester und an meine Mutter. Ich erinnerte mich daran, wie sie mich jeden Tag geweckt hatte, mir ein Frühstück zubereitet und mich zur Schule geschickt hatte. Dabei gab sie mir jedes Mal einen liebevollen Kuss auf meine Stirn.

Auch meine Schulfreunde, mit denen ich jeden Tag etwas erlebt und gemeinsam unternommen hatte, kamen mir nun in den Sinn. Wir haben viel zusammen gelacht, gespielt und jede Menge Spaß gehabt. Ich erinnerte mich an all die schönen Momente, die ich in Afghanistan erleben durfte und die in mir eine große Freude ausgelöst hatten.

Ich vermisste mein Leben in Afghanistan.

Wenn ich nun allein bei der Gartenarbeit war, wurde ich sehr traurig und weinte oft. Meistens versuchte ich mich jedoch zu kontrollieren, damit mein Cousin und auch die anderen nichts davon mitbekamen. Ich wollte nicht, dass sie sahen, dass ich geweint hatte. Denn gemäß unserer Kultur und Tradition dürfen Jungen und Männer nicht weinen. Es ist ein ehernes Gesetz, eine ungeschriebene Regel, die besagt, dass Männer ihre wahren Gefühle nicht zeigen dürfen. Da ich nun mal in eine solche Gesellschaft hineingeboren und darin aufgewachsen bin, achte ich dies, kann mich aber beim bestem Willen nicht daran halten. Demnach hielt ich mich auch nicht an diese gesellschaftliche Etikette. Denn ich bin ein normaler Mensch und als normaler Mensch darf man in schwierigen Zeiten, die traurig sind, durchaus auch mal weinen.

Darüber hinaus bin ich sehr einsam gewesen und hatte geliebte Menschen meines Umfelds verloren. Ich vermisste sie einfach und aus diesem Verlust heraus litt meine Seele.

Ob man will oder nicht, in manchen Situationen kann man sich einfach nicht zurückhalten und beherrschen. Denn Gefühle lassen sich nicht immer kontrollieren und unterdrücken, sie kommen aus dem Herzen.

Mit dieser Einstellung und Haltung möchte ich mich nicht an meiner Kultur, der Gesellschaft gegenüber oder meinen Eltern beklagen. Ich meine damit nur, dass wir freie Menschen sind, die nach ihren eigenen Vorstellungen und Empfindungen leben dürfen sollten.

Wenn ich also manchmal weinen musste, dann wollte ich auch weinen dürfen. Und wenn ich verärgert gewesen bin oder auf irgendetwas sauer, dann mochte ich in diesem Moment auch mal verärgert sein und meine Wut raus lassen dürfen. Umgekehrt bin ich sehr freundlich zu den Menschen gewesen, nicht weil ich es sein musste, sondern weil ich es aus tiefsten Herzen heraus sein wollte.

Ich meine auch das, was ich sage und sage nur das, was mir wirklich von Herzen kommt. Ich verstelle mich der Höflichkeit wegen nicht. Ich muss mich auch für keinen meiner Gefühlsausbrüche schämen. Denn das ist ganz natürlich.

Und manchmal ist es auch notwendig zu etwas oder jemandem „nein“ zu sagen. Ich sage es ihm oder ihr dann ganz offen und ehrlich, ohne verletzend zu sein. Denn ich möchte dabei nicht unhöflich wirken, aber ich muss es eben sagen. Ich muss sagen, wie es ist. Solche Dinge liegen den Afghanen eigentlich nicht fern, aber sie haben es sich abgewöhnt und verhalten sich im Iran etwas anders.

Daran hatte ich mich zu gewöhnen und mich damit abzufinden.

Ich lebte nun also schon eine gewisse Zeit bei meinem Cousin, der sich gut um mich kümmerte und mich mit allem versorgte, was ich brauchte, so dass ich mich ganz wohl bei ihm fühlen durfte. Auch die Mitarbeiter sind zu mir ganz freundlich gewesen. Sie waren allesamt sehr nett und wollten nur mein Bestes. Deshalb erwarteten sie von mir auch nicht, dass ich genauso viel arbeitete wie sie, die sich schon viele Jahre im Iran aufhielten. Trotzdem gab es ab und an Schwierigkeiten, weil ich diese Situation nicht gewohnt war und mich mit dieser Arbeitswelt einfach nicht abfinden wollte. Jeden Tag musste ich um acht Uhr auf der Arbeit sein und mich körperlich anstrengen, wo ich um diese Zeit normalerweise im Klassenraum meiner Schule saß und lernte. Wir arbeiteten zum Teil bis vier oder fünf Uhr am Nachmittag und manche von uns arbeiteten auch etwas länger. Ich aber konnte da einfach nicht mithalten und musste trotzdem irgendwie mitmachen. Ich erkannte bald, dass das Problem einzig und allein an mir lag. Sie sagten zu mir: „Wir sind hier im Iran. Hier wird gearbeitet.“ Ich finde Arbeit gut, aber es widerstrebte mir trotzdem, dass ich als Afghane bzw. Ausländer die Arbeit erledigen sollte, die andere, sprich die Iraner, nicht machen wollten. Ich erkannte ganz genau, dass wir die schlechtere und schwierige Arbeit zugewiesen bekamen. Und dies nur, weil wir aus unserer Heimat geflüchtet waren und als Ausländer galten, ganz so, als ob es unsere eigene Schuld sei, dass wir dort waren.

Deshalb machte mir diese Arbeiten überhaupt keinen Spaß und ich überlegte mir, wie es wäre, wenn ich einfach nach Europa ginge, anstatt im Iran zu bleiben. Denn wenn ich dort bliebe, dann müsste ich mein ganzes Leben lang so hart arbeiten, wie ich es jetzt tat und stets von mir zu tun verlangt wurde.

Darüber hinaus wusste ich nicht, wie lange ich hätte bleiben dürfen. In jeden Moment bestand die Gefahr von der Polizei geschnappt und zurück nach Afghanistan geschickt zu werden. Dies geschah tagtäglich, obwohl sie sich doch denken können mussten, dass die Afghanen nur notgedrungen dort sind und nicht freiwillig ihr Heimatland, ihre Familie und ihre Freunde verlassen haben. Niemand macht das aus Spaß, denn die Risiken die damit einhergehen sind für aus Afghanistan Geflüchtete zum Teil tödlich. Deshalb verlange ich beinahe, dass auch wir Afghanen im Iran wie Menschen behandelt werden.

Nach weiteren Überlegungen rief ich meine Eltern an. Ich wollte wissen, was mein Vater und meine Mutter über meine weitere Reise dachten. Meine Mutter bedankte sich, dass sie mit mir sprechen und meine Stimme hören konnte. Sie meinte, dass der Weg nach Europa sehr gefährlich sei, da ich nicht besonders gut schwimmen könne, um mich zu retten, sollte ich das Meer mit einem Gummiboot überqueren müssen. Sie meinte aber auch, dass es nicht gerade die beste Entscheidung sei, im Iran zu bleiben.

Ich bemerkte, wie ihre Stimme plötzlich unverständlicher wurde und dass sie zu weinen begann. Sie sagte, dass sie sich viele Sorgen um mich gemacht habe. Denn sie habe spüren können, dass der Weg in den Iran für mich alles andere als leicht und einfach gewesen ist. Ich wollte ihr nicht die Wahrheit sagen und ihr erzählen, was ich wirklich alles auf diesem Weg erlebt hatte. Ich erkannte, dass sie mir sowieso nicht hätte helfen können und sich nur unnötige Sorgen machen musste, die sie letztendlich ganz krankmachen würden. Denn ich kenne meine Mutter und weiß wie besorgt sie um mich ist. Da sie am Telefon weinte, konnte auch ich mich nicht mehr zurückhalten. Meine Stimme ist anders geworden. Ich konnte sie nicht mehr kontrollieren, aber ich wollte auch nicht einfach auflegen oder ihr zu erkennen geben, dass auch ich weinte. Deshalb versuchte ich mich zu ermahnen, klar und verständlich zu sprechen. Ich fragte sie, weshalb sie weine:

„Warum weinst du Mama? Ich bin doch gesund im Iran angekommen und habe den schwierigen Weg von Afghanistan aus über Pakistan bis in den Iran geschafft“. Ich meinte, dass sie Grund zum Glücklichsein habe, da es mir doch gut gehe. Sie schien mir nicht recht zu glauben und fragte mich, ob ich mit der Arbeit und den Menschen dort zurechtkäme. Ich erzählte ihr von meiner aktuellen Situation und wie es mir damit erging. Dabei versuchte ich mich meiner Mutter gegenüber nicht zu beklagen und ihr zu sagen, dass hier doch alles recht anders ist als in Afghanistan und meinem richtigen zu Hause. Zu Hause hätte ich meiner Mutter im Haushalt geholfen, doch hier hatte ich wirklich viel und zum Teil schwer zu arbeiten und auch in der Wohnung meines Cousins viel mitzuhelfen. Alles verlief anders als ich es von zu Hause gewohnt war. Besonders schlecht war auch, dass ich mich nicht frei bewegen durfte und einfach so hinausgehen konnte. Denn ohne Pass oder Aufenthaltsgenehmigung durfte ich mich in der Stadt nicht frei bewegen oder auch nur eine Straße überqueren, um zum Supermarkt zu laufen. Demnach lebte ich sehr zurückgezogen und immer versteckt vor der Öffentlichkeit. Nur in diesem Garten, indem ich zu arbeiten hatte, durfte ich mich ungehindert aufhalten. Beinahe täglich hatte ich früh am Morgen zur Arbeit zu gehen und bin erst spät am Nachmittag zurück in die Wohnung meines Cousins gekommen, in welcher ich mich versteckt zu halten hatte, während andere, die eine Aufenthaltsgenehmigung besaßen, für uns einkaufen gegangen sind.

Nach unserem Telefonat überließ ich mich ganz meiner Trauer und schluchzte heftig in mich hinein. Und auch später noch bei der Gartenarbeit habe ich viel weinen müssen.

Es wurde mir schließlich klar, dass wenn ich hier im Iran bleibe, ich mein ganzes Leben lang auf diesem Feld zu arbeiten hätte. Ich würde dort mein gesamtes Leben als ein gefangener Mensch verbringen und niemals frei sein dürfen. Und wer weiß, ob mich nicht irgendwann doch die Polizei erwischen und nach Afghanistan zurückschicken würde. Ich hatte in dieser Hinsicht keine Verfügungsmacht über mein Leben. Das Schicksal entschied darüber und bestimmte, was mit mir passieren würde.

Ich wünschte so sehr wieder zur Schule zu gehen, aber dies war mir als staatenloser Afghane im Iran verwehrt. Ich hatte so gesehen keine andere Wahl als mich wieder auf den Weg zu machen, um diesmal nicht aus Afghanistan, sondern dem Iran zu fliehen. Alles andere erschien mir sinnlos. Denn es ist ein Grundbedürfnis des Menschen sich frei bewegen zu dürfen, ohne ständig Angst haben zu müssen. Und wenn das nicht gegeben ist, dann ist das Leben nicht recht lebenswert.

Doch vorerst hatte ich es hier auszuhalten und zu akzeptieren, dass diese Situation für die meisten Afghanen normal ist. Beinahe fünfundachtzig Prozent der Afghanen im Iran sind davon betroffen.

Das sind insgesamt über zwei Millionen Menschen. Sie alle haben keine Aufenthaltsgenehmigung und halten sich illegal im Iran auf. Meistens sind es alleinstehende Menschen ohne Familien, die sie aus Sicherheitsgründen in Afghanistan zurücklassen mussten. Und auch ich war einer dieser illegalen Menschen im Iran, weshalb ich mich dazu entschied, nach Deutschland zu gehen.

Hierzu verfolgte ich ständig die Nachrichten, um mich über den aktuellen Zustand des Weges zu informieren. Mein Cousin meinte jedoch, dass das Verfolgen der Nachrichten unnötig sei, da ich dadurch nur entmutigt werden würde, diesen Weg zu gehen. Er meinte, dass wenn es so einfach wäre nach Europa zu gelangen, es beinahe alle tun würden, was es aber nun mal nicht ist. Denn bereits hunderte von Menschen habe es das Leben gekostet.

Daraufhin erzählte er mir von einer afghanischen Familie, die vor Jahren in den Iran geflohen ist und hier in dieser Stadt gewohnt hat. Sie wollten zunächst alle zusammen nach Europa fliehen, konnten es aber aus finanziellen Gründen nicht tun. Stattdessen haben sie ihren neunzehnjährigen Sohn auf den Weg geschickt. Er riskierte alles, um nach Europa zu gelangen. Der Sohn hieß Hossein und er ging nicht nur deshalb nach Europa, sondern auch um sich aus Kriminalität, in die er im Iran hineingeraten war, zu retten. Sein ganzes Leben lang hatte er schon unter verschiedenen Diskriminierungen seiner Herkunft und Identität wegen zu leiden und sich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage befunden. Nachdem es ihm gelang, sich auf den Weg zu machen und die Türkei zu erreichen, telefonierte er noch mit seiner Familie. Danach erhielt die Familie allerdings kein einziges Lebenszeichen mehr von ihm. Seine Familie und Verwandten wissen bis heute nicht, wo er sich aufhält oder ob er überhaupt noch am Leben ist. Sein Handy ist ausgeschalten oder funktioniert nicht mehr. Die Familie kann ihn seit Monaten nicht mehr erreichen. Sie erkundigten sich nach ihm bei all ihren Verwandten. Doch niemand hatte eine Ahnung, wo er sich in der Türkei oder irgendwo sonst aufhalten könnte. Er gilt bis heute als verschollen und wird noch immer vermisst. Niemand hat ihn bisher gefunden. Deshalb sind mittlerweile viele Angehörige und Freunde der Familie der Meinung, dass Hossein in einem Gummiboot sitzend im Meer ums Leben gekommen ist. Genau weiß es allerdings niemand. Es sind alles nur Vermutungen. Deshalb glaubte ich der Erzählung meines Cousins nicht und stellte mir vor, dass Hossein irgendwo untergetaucht ist. Denn ich mochte es einfach nicht glauben und nicht wahrhaben wollen, dass er ums Leben gekommen ist, da mir ganz Ähnliches bevorstand. Insgeheim aber vermutete ich es doch und hoffte nicht wie er ertrinken zu müssen. Ich sah die Nachrichten und wie sie über die Toten in der Türkei und in Griechenland berichteten, die dem Meer zum Opfer gefallen waren. Ich redete mir ein, dass es Sache des Schicksals sei. Wenn das Schicksal beschließt, dass man dabei ertrinken soll, dann wird man auch ertrinken müssen. Wenn nicht, dann nicht. Denn längst nicht alle Flüchtlinge sind auf dem Weg nach Europa ertrunken. Manche haben überlebt und es bis nach Europa geschafft. Deshalb hoffte ich inständig zu diesen dazu gehören zu dürfen. Ich mochte es jedenfalls nicht glauben und akzeptieren müssen, dass auch ich ertrinken sollte. Es passte einfach nicht in meine Vorstellung.

Dennoch hat es mich einiges an Überwindung gekostet meinem Cousin zu sagen, dass ich bereit sei zu gehen. Er und seine Freunde wollten mich von meinem Vorhaben abbringen und versuchten mir einzureden, dass es keine gute Idee sei, sich jetzt auf den Weg nach Europa zu machen.

Ich sagte deshalb zu jedem, dass ich nicht wirklich freiwillig gehen würde, sondern gehen müsse. Denn auch ich möchte mich nicht aus freiem Willen in Gefahr begeben, sondern wie alle anderen Menschen auch ein unbeschwertes Leben führen. Und noch dazu ein freies, selbstbestimmtes und glückliches Leben, ohne ständig Angst haben zu müssen oder sich stets bedroht zu fühlen. Doch sie hörten mir einfach nicht zu.

Irgendwann aber sagte mein Cousin: „Wenn du das wirklich machen willst, dann brauchst du jemanden, der dich auf dieser gefährlichen Reise begleitet und dir hilft, wenn du mal nicht mehr weiterkommst.“ „Ja, du hast ganz recht,“ gab ich ihm zur Antwort.

„Doch wer kann schon mit mir mitkommen und mich begleiten? Meine Eltern sind in Afghanistan und ich kenne sonst niemanden, der mir auf diesem Weg helfen könnte.“ Ich hielt kurz inne.

„Außerdem zeigen mir die Nachrichten, dass mir im Meer sowieso niemand mehr behilflich sein kann. Darin ist man sich selbst überlassen und kann von niemandem gerettet werden, sollte das Boot untergehen oder irgendwelche andere Probleme haben.“ Mein Cousin sah mich traurig an und meinte: „Ja, du hast schon recht, aber ich spreche nicht nur vom Meer, sondern auch den Grenzen innerhalb der einzelnen Länder, die du zu überqueren hast.“ Ich erkannte nun, dass selbst die Grenze vom Iran in die Türkei schwierig werden würde, wie damals von Pakistan aus in den Iran. Ich wurde nachdenklich und gab ihm Recht.

Mein Cousin suchte deshalb nach jemanden, der mich hätte begleiten können, fand aber niemanden. Deshalb sagte ich mir irgendwann, dass ich nicht das Leben eines anderen aufs Spiel setzen möchte, nur damit er mich begleitet. Denn es ging hier um Leben und Tod und dazu sollte sich niemand einfach so verpflichten müssen.

Nachdem wir unsere Diskussion beendet hatten und jeder seine Gedanken geäußert, sah mir mein Cousin tief in die Augen und meinte, dass ich groß genug sei, um selbst entscheiden zu können, ob ich bleibe oder nicht. Ich allein sei für mich und mein Leben verantwortlich. Ich lächelte und sagte: „Ja, das ist wahr,” womit ich ihm gleichzeitig zu verstehen gab, dass ich mir über meine Entscheidung völlig im Klaren war. Ich teilte ihm auch nochmals meine Gedanken und Vorstellungen mit, damit er meine Situation nachvollziehen konnte. Natürlich wollte mein Cousin nur das Beste für mich, aber mein Innerstes sagte mir, dass ich auf meine eigenen Gefühle zu achten habe und das tun sollte, was ich für richtig halte und sich gut in mir anfühlt. Selbst dann, wenn ich nicht genau wusste, wie ich nach Europa, speziell nach Deutschland, gelangen sollte. Es war in der Tat ein unglaubliches Risiko. Natürlich kamen mir dabei auch ständig negative Gedanken in den Kopf, die mir große Sorgen bereiteten und mich furchtsam machten. Ich zögerte und begann schließlich an mir selbst zu zweifeln und mich zu fragen, ob die Entscheidung, die ich getroffen hatte, vielleicht doch keine gute Entscheidung gewesen ist. Trotzdem musste ich gehen. Ich konnte einfach nicht anders. Deshalb bat ich meinen Cousin nach einem guten Schlepper in seinem Freundeskreis Ausschau zu halten. Ich wartete bis dahin ab und hoffte, dass sich in dieser Zeit der Zustand des Weges bessern würde, während ich weiter im Garten arbeitete, um noch ein bisschen Geld dazu zu verdienen.

Mein Cousin war damit einverstanden und bereit mir dabei zu helfen.

„Ich werde einen Schlepper für dich suchen und mit Leuten in Kontakt treten, die jemanden kennen, aber letztendlich wirst du ganz allein auf dich gestellt sein. Das sollte dir klar sein,“ meinte er. „Ja, das ist mir bewusst,“ gab ich ihm selbstsicher zur Antwort.

Bis mein Cousin jemanden gefunden hatte, der zwar nicht selber ein Schlepper war, aber mit den Unterhändlern eines Schleppers in Kontakt stand, vergingen noch weitere zwei Wochen.

Dessen nicht genug versprach mir mein Cousin noch einen Begleiter für mich zu finden, welcher mir auf diesem Weg ein Freund sein sollte. Ich sagte ihm allerdings, dass ich keinen Freund brauchte, denn auf meinem Weg in den Iran sind mir sämtliche Freunde und Begleiter von den Schleppern genommen worden, so dass ich auch jetzt nicht auf einen angewiesen sein würde. „Sie haben mich einfach von ihnen getrennt,“ meinte ich zu meinem Cousin.

„Ich hatte nicht einmal ein Mitspracherecht und deshalb vertraue ich diesen Schleppern auch nicht mehr so wie zu Beginn.“ Mein Cousin aber meinte, dass ich dennoch einem bedurfte und auch auf die Schlepper angewiesen sei. Ich war sozusagen von ihnen abhängig, ob ich wollte oder nicht. Am liebsten hätte ich mich allein auf den Weg gemacht, aber es erschien mir doch wenig ratsam. Ich rief meinen Vater an und teilte ihm mit, dass er und meine Mutter sich keine Sorgen um mich machen müssten, wenn ich mich für eine längere Zeit nicht melden würde, denn ich sei auf dem Weg in die Türkei und da nicht immer erreichbar. Dies sei allerdings auf einem solchen Weg ganz normal. Denn ehrlich gesagt, und dies sagte ich ihm nicht, hat man auf diesem Weg ums Überleben zu kämpfen, daher wenig Zeit und Möglichkeit zum Sprechen.

Der Schlepper meldete sich nun, um meinem Cousin mitzuteilen, dass es noch ein bisschen dauere. Er müsse noch ein paar Menschen mehr einsammeln, aber er habe uns eingeplant, sodass wir keinen anderen Schlepper zu suchen brauchten.

Zwei Tage später klingelte das Handy meines Cousins. Der Schlepper meldete sich mit der Nachricht, dass er nun bereit sei und die Gruppe vollständig. Wir könnten nun einen Treffpunkt mit ihm ausmachen, um uns persönlich mit ihm zu besprechen.

Ich habe mich wirklich sehr darüber gefreut als ich davon erfahren habe. Denn endlich würde ich aus diesem Gefängnis befreit werden.

Sorgen bereitete mir allerdings, dass wir uns in einem öffentlichen Café treffen sollten, denn ich hatte Angst von irgendeinem Polizisten erwischt und nach meiner Aufenthaltsgenehmigung gefragt zu werden. Denn dann würde ich mich in einem wirklichen Gefängnis befinden und zurück nach Afghanistan geschickt werden.

Im Taxi selbst genoss ich es durch die Straßen der Stadt zu fahren, in welcher ich nun schon so lange gelebt hatte, ohne sie kennenzulernen und mit eigenen Augen zu sehen. Wir fuhren durch einen Stadtteil, in dem ich nur zweimal ganz kurz gewesen bin.

Mir fiel auf, wie schön die Straßenlaternen gestaltet sind. Sie bestanden aus verschiedenen Lichtern, was sie sehr romantisch aussehen ließ. Um sie herum liefen die Menschen ohne Angst. Denn sie mussten sich nicht fürchten und verstecken, so wie wir.

Zu gerne wäre ich ein bisschen durch die Stadt gelaufen, um mir all die schönen Dinge anzusehen und vielleicht auch etwas zu kaufen, aber es ging nun mal nicht. Es ist einfach zu riskant gewesen. Wir erreichten das Café.

Das Leuchten am Horizont

Подняться наверх