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2. Kindheit und Jugend

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In der afghanischen Kultur ist es der Brauch, dass Erstgeborene die Verantwortung für die Familie übernehmen. Sie helfen deshalb viel mit, sodass die Familie ein gutes Leben führen kann.

Meine Familie ist streng religiös und deshalb sind meine Eltern bestrebt gewesen auch ihren Kindern religiöse Vorstellungen zu vermitteln und sie im Glauben dessen zu erziehen.

Ihrer Ansicht nach haben Kinder so aufzuwachsen, wie es ihre Eltern wollen und das zu werden, was sie für ihre Kinder gut und richtig erachten. Deshalb bin auch ich religiös erzogen worden und bestrebt die Wünsche meiner Familie zu erfüllen.

Als Erstgeborenem lag es mir immer am Herzen meinen Aufgaben und Pflichten beizukommen und alle Regeln einzuhalten. Denn die Botschaft meiner Familie lautete: Respektiere andere Menschen, genauso wie dich selbst, und glaube daran, dass es etwas Höheres über dir gibt.

Im Alter von sieben Jahren bin ich auf eine Schule gegangen, in welcher nur Religion unterrichtet wurde und mir die Grundlagen unseres Glaubens vermittelt wurden.

Ich sollte den Koran kennenlernen und ihn beherrschen können oder zumindest etwas verstehen. Dadurch habe ich jedoch auch Lesen und Schreiben gelernt und bin anschließend auf eine Privatschule gekommen.

Diese befand sich etwas entfernt von unserem Haus, obwohl es eine weiterführende Schule ganz in unserer Nähe gab. Doch meinen Eltern war meine Bildung wichtig und dass ich einen guten Unterricht erhielt. Deshalb haben sie mich auf eine Privatschule geschickt und nahmen auch die etwas höheren Kosten hierfür in Kauf.

Das ist insofern bemerkenswert gewesen, da meine Eltern nicht viel Geld hatten. Doch sie wünschten sich, dass ich es einmal besser habe als sie.

Allerdings war diese Schule auch sehr streng. Es gab dort zwei Lehrer, die beide im Iran studiert hatten und mit ihren hohen Qualifikationen nicht nur einen guten Unterricht erteilen konnten, sondern auch hohe Anforderungen an uns stellten und große Erwartungen an uns hatten.

Deshalb nahmen sie alles sehr genau und hatten die Kontrolle über uns, zumal wir nur sehr wenige Schüler waren. Dass wir so wenige Schüler waren lag einerseits daran, dass sich nur wenige Eltern diese Schule für ihre Kinder leisten konnten und andererseits auch daran, dass nicht alle Eltern wollten, dass ihre Kinder eine so strenge Schule besuchen müssen.

Mein Schulweg war recht weit. Ich musste jeden Tag mehr als eine Stunde zu Fuß zurücklegen, und dass hin und zurück mit einem großen, schweren Rucksack auf meinen Schultern.

Meist bin ich allein zur Schule gelaufen, denn nicht viele Schulkameraden, die ich noch aus dem Religionsunterricht kannte, waren zusammen mit mir auf diese Schule gekommen.

Der Schulwechsel fiel mir dementsprechend schwer, zumal mir die Strenge der Lehrer zu schaffen machte. Wenn einer von uns seine Hausaufgaben vergessen hatte, wurde er sogleich ernsthaft zurechtgewiesen und sogar gestraft. Mit einem Kabel haben sie uns geschlagen, das auf beide Handflächen geschleudert, sie schmerzhaft brennen ließ.

Für meine Eltern war das ein Zeichen guten Unterrichts. Damit hatte ich klar zu kommen und zu leben.

Ich habe stets gelernt, immer meine Hausaufgaben gemacht und mich selbst unter Druck gesetzt aus Angst vor den Schlägen.

Darüber hinaus hatte ich immer die Furcht, dass man mich von der Schule werfen könnte und ich mich dann gegenüber meinen Eltern rechtfertigen müsse.

Deshalb bin ich sehr fleißig gewesen. Ich wollte nicht mit diesem dicken Kabel geschlagen werden. Denn es sind höllische Schmerzen, die für ein neunjähriges Kind schwer zu ertragen sind.

Zum Glück war ich einer der besseren Schüler.

Doch eines Tages hatte ich aus Eile, um noch pünktlich in die Schule zu kommen, meine Hausaufgaben vergessen bzw. sie einfach auf dem Schreibtisch liegen lassen und es zu spät bemerkt. Der Lehrer betrat den Raum und fragte danach, um sie zu kontrollieren. Ich blickte in meinen kleinen blauen Schulranzen und fand sie nicht. Ich blätterte in allen meinen Büchern und Heften, ohne das besagte Heft mit den Hausaufgaben finden zu können. Panik stieg in mir auf. Es war einfach nicht da. In meiner Verzweiflung wurde mir sehr heiß und ich überlegte mir, was ich nun machen sollte. Ich versuchte ruhig zu bleiben und wartete ab, was geschehen wird. Vor mir saß Ahmad, er hatte seine Hausaufgaben bereits abgegeben und bekam sie kontrolliert zurück. Dann kam ich an die Reihe. Der Lehrer kam zu mir und befahl mit strenger Stimme: „Akbar gib mir deine Hausaufgaben.“ Ich versuchte es mit einer gut begründeten Ausrede: „Ich musste meinem Vater gestern bei der Ernte helfen und da habe ich keine Zeit mehr gehabt, meine Hausaufgaben zu erledigen. Es tut mir furchtbar leid.“ Meine Stimme zitterte, innere Hitze wich der Kälte und mir wurde schlecht. Doch der Lehrer hatte mich ertappt. Allein an meinem Gesichtsausdruck hatte er bemerkte, dass dies gelogen war aus Angst vor den Schlägen. Harsch entgegnete er mir: „Steh auf und komme nach vorn!” Ich hatte große Angst und wollte einfach nicht nach vorn kommen. Ich entschuldigte mich: „Es wird nie wieder vorkommen. Versprochen!” Er sah mich wütend an und ich stand auf. Vorsichtig stellte ich mich neben ihn hin und trat vor die gesamte Klasse. „Wenn du jetzt gleich die Schmerzen auf deinen Händen spürst, dann machst du ab sofort immer deine Hausaufgaben,” meinte der Lehrer. Ich zitterte und wusste: Da muss ich jetzt durch.

Ich hielt ihm meine Hände ausgestreckt entgegen und er traf sie mit dem Kabel mehrere Male, wobei der Schmerz mit jedem Mal größer wurde bis ich es kaum auszuhalten meinte. Nach insgesamt vier Schlägen durfte ich mich wieder setzen. Tränen stiegen mir in den Augen auf. Der Schmerz begleitete mich noch den gesamten Tag über. Dieser Tag ist nun vergangen, aber die Erinnerung daran nicht.

Ich hasste diese Schule und ihre strengen Regeln. Doch mir blieb nichts anderes übrig als mich zu fügen. Denn ich hatte keine andere Wahl als jeden Tag erneut zu kommen.

Mit der Zeit verstand ich jedoch, dass dies mein Schicksal ist und dass diese Regeln eigentlich gar nicht so schlimm sind. Ich gewöhnte mich an sie und ging von nun an gern in die Schule.

Meine Eltern belohnten mich gar, wenn ich ihnen von meinem Schultag erzählte. Jeden Tag hat mich meine Mama geweckt, mir Frühstück zubereitet und mich auf den Weg zur Schule geschickt. Dabei strich sie mir liebevoll über das Haar und gab mir einen Kuss auf die Wange. Sie wollte stets nur das Beste für mich und hat alles, was in ihrer Macht stand, für mich getan.

Als ich ihr erzählte, dass ich meine Hausaufgaben nicht dabei hatte und der Lehrer mich mit dem Kabel geschlagen hat, sagte sie: „Komm her und setze dich zu mir.“ Sie streichelte meine beiden Hände, die noch deutlich erkennbare Striemen hatten und küsste sie. „Siehst du, der Schmerz ist schon wieder weg. Wenn du nicht geschlagen werden willst, dann darfst du deine Hausaufgabe nicht vergessen.”

Ich bin meinen Eltern bis heute dafür dankbar, dass ihnen meine Bildung und Zukunft wichtig ist. Auf Wunsch meiner Eltern sollte ich später einmal in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, oder einer anderen großen Stadt studieren. Sie wollten nur das Beste für mich und es machte mich stolz, wenn meine Mutter beim Abendbrot mit meinen Geschwistern über mich und meine Zukunft redete. Meine Mutter erfüllte der Gedanke, dass ich später einmal studieren werde.

Zu jener Zeit verstand ich zwar noch nicht recht, was studieren zu gehen bedeutete, aber ich wusste, dass man dazu viel zu lernen hat. Und so versuchte ich allein auch um ihretwillen fleißig zu sein und immer mehr dazuzulernen.

Nach drei vergangenen Jahren wechselte ich erneut die Schule, um in die Oberstufe zu gehen, die mich auf das Abitur in Kabul vorbereiten sollte. Das Abitur in Kabul besteht aus einer allgemeinen Prüfung. Damit man diese bestehen kann, muss man sich auf alle Fächer, die man in der Schule hatte, adäquat vorbereiten.

Meine neue Schule hieß Lesaie Temran und befand sich etwa eine halbe Stunde entfernt von unserem Haus. Die Lehrer dieser Oberschule kamen aus den unterschiedlichsten Städten Afghanistans, konnten gute Qualifikationen und Abschlüsse vorweisen und waren freundlich zu uns.

Ich mochte sie und ging gern zur Schule, wobei ich gestehen muss, dass alle diese Bestrebungen von meinen Eltern ausgingen. Ich selbst hatte zu dieser Zeit keinen Einfluss auf mein Leben. Ich fügte mich einfach ihren Vorstellungen, denn sie waren bereit dazu, alles für meine Ausbildung zu geben.

In meiner neuen Schule, die mich nun auf das Abitur vorbereiten sollte, waren meine Klassenkameraden wirklich sehr nett. Einundfünfzig Jungs sind wir in dieser Klasse gewesen und hatten sehr viel Spaß in und außerhalb der Schule.

Da unser Klassenraum nicht besonders groß war, saßen wir allesamt in einer Reihe auf dem Fußboden, der mit einem alten, roten Teppich ausgelegt war. Der Raum war so alt, dass man nicht einmal erkennen konnte, welche Farbe die Wand hatte. Ob er eine Tür hatte oder nicht, daran kann ich mich mittlerweile gar nicht mehr erinnern.

Der Lehrer schrieb auf jeden Fall auf einer schwarz bemalten Wand, die ihm als Tafel diente. Alles was er aufzeichnete, schrieben wir ab.

Da wir jedoch keine Tische zum Schreiben und keine Stühle zum Sitzen hatten, saßen wir auf unseren Beinen und schrieben auf unseren Knien, was allerdings nach einer gewissen Zeit nicht mehr so gut funktionierte, da uns nach etwa zwanzig Minuten die Beine einfach einschliefen. Ich erinnere mich noch gut daran wie nach dem Unterricht ein Freund von mir nicht sogleich wieder aufstehen konnte, weil seine Beine eingeschlafen waren. Er versuchte es mehrmals, fiel aber jedes Mal wieder hin. Das Gelächter der Klasse war lautstark und er noch immer am Boden liegend lachte mit.

Im Rückblick muss ich sagen, dass ich wirklich gute Freunde in dieser Schule fand, obwohl ich zuvor keinen kannte. Doch schon bald lernten wir uns kennen und wussten uns zu schätzen. Wir lernten und lachten zusammen und erledigten gemeinsam unsere Hausaufgaben. Wir waren äußert fleißig und hatten viel Spaß am Lernen.

Ständig wollten wir Neues lernen und motivierten uns gegenseitig dazu. Durch das gemeinsame Lernen wurden wir immer besser und schrieben sehr gute Noten. Unsere Lehrer waren äußerst zufrieden mit uns.

Da die Schule allerdings nicht genügend Geld zum Beheizen der Räume hatte und die Lehrer die Kinder nicht in der Kälte unterrichten wollten, hatten wir jährlich von Winteranfang bis zum Winterende drei ganze Monate Ferien.

In dieser Zeit schickten mich meine Eltern erneut auf eine Religionsschule, um unser heiliges Buch, den Koran, zu studieren. Sie waren der Meinung, dass ich die Zeit auch in den Ferien sinnvoll nutzen und stets etwas lernen sollte.

Bereits früh am Morgen hatte ich aufzustehen, mich in die Kälte zu begeben und durch den Schnee zur Schule hindurch zu stapfen, was recht mühsam war, aber ich zu akzeptieren verstand.

Wenn ich dann wieder nach Hause kam, half ich meiner Mutter im Haushalt oder meinem Vater bei einer Arbeit, so dass mein Tag stets gut ausgefüllt gewesen ist.

Das Leuchten am Horizont

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