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1. Impressionen eines Geflüchteten

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Es ist Abend und das Wasser, aus dem seltsame Geräusche zu uns heraufsteigen, ist schon ganz dunkel. Unsere Augen können nicht sehen, in welchem Teil des Meeres vor Griechenland wir uns gerade befinden.

Mit einem Gummiboot wollen wir das Festland erreichen, das achtundvierzig Menschen verschiedener Nationen über das Meer hinweg tragen soll.

Menschen aus Afghanistan, Syrien, Iran und Irak. Männer und Frauen und auch Kinder unterschiedlichen Alters sitzen in diesem Boot. Eines davon hat gerade erst das Licht der Welt erblickt.

Das Meer aber ist erbarmungslos und das Boot alles andere als sicher. Es bewegt sich hin und her, je nach Wellengang.

Die Wellen, sie kommen mal von der einen und mal von der anderen Seite auf uns zu und prallen an das Boot wie an eine Wand.

Je weiter vom Festland entfernt wir uns auf das offene Meer hinausbegeben, desto stärker und immer stärker, größer und höher werden die Wellen, sodass wir glauben, sie würden bald in das Boot hineinspringen wollen.

Nach jeder einzelnen Welle bewegt sich unser Boot und kommt vom Kurs ab. Die Wellen jonglieren unser Boot wie einen Spielball über die raue See.

Schließlich hüpft es gar und springt hoch und wieder herunter, wobei viel Wasser hineinkommt. Alles wird nass, auch unsere Schuhe und gesamte Kleidung, während sich das Boot zunehmend mit Wasser füllt.

So versuchen wir nach jeder Welle das Wasser herauszuschöpfen. Doch wir haben nichts als unsere Hände. Wir schaufeln mit den Händen das Wasser heraus, was jedoch nicht wirklich hilft.

Und dennoch machen alle mit, um das Wasser so gut es geht hinaus zu befördern. Auch ich halte meine beiden Handflächen fest zusammen und versuche das Wasser so schnell wie möglich herauszubekommen.

Es gelingt uns schließlich eine Seite des Bootes zu leeren, doch auf der anderen Seite füllt es sich ausgelöst durch eine neue Welle schon wieder.

Ich sitze neben meinem Freund Ali-Jan und einer syrischen Frau mit ihrer Tochter im hinteren Teil des Bootes, wo es mächtig schaukelt.

Am Rand platzierte Menschen geraten plötzlich in Panik, sie schreien und halten sich an der Seite des Bootes, aus Angst ins Wasser zu fallen, fest.

Ein großer Mann mit kräftiger Stimme ruft nun: „Werft alle eure Rucksäcke und sämtliche Sachen die Gewicht haben in das Meer.“ Ich beobachte nun wie einige ihre Rucksäcke in das Meer werfen, aber ich will das einfach nicht tun. Ich sage mir innerlich, dass ich meine Sachen nicht hergeben möchte und halte sie mit meinen Beinen fest.

Der große Mann neben dem Bootsfahrer aber schreit: „Wollt ihr eure Rucksäcke hinauswerfen oder soll ich euch mit ihnen zusammen ins Wasser schmeißen?“ Als wir dies hören, werfen wir alle noch verbliebenen Rucksäcke über Bord in das dunkle Nass, und so auch ich den meinen.

Zuvor aber entnehme ich ihm noch mein Handy, denn dieses ist für mich überlebenswichtig. Ich besitze nun nichts mehr als mein Telefon und sehe, wie der große, aggressive Mann eine Wasserflasche öffnet, die er dem Bootsfahrer an den Mund hält.

Der Bootsfahrer trinkt und versucht die Kontrolle über das Boot wiederzuerlangen, während andere über ihn schimpfen in der Annahme, dass er sich mit dem Bootfahren nicht gut auskennt.

Er aber lässt allen Schimpf über sich ergehen, um sich auf das Boot im Kampf mit den Wellen zu konzentrieren.

Wir erkennen nun unsere verzweifelte Lage und viele Menschen beginnen zu beten. Insbesondere die Frauen flüstern „Yaallah“ mit zum Gebet gefalteten Händen.

Sie sprechen es leise aber innig in sich hinein, während andere wiederum schreien und laut „Yaallaaaah! Yaallaaah!“ ausrufen.

Der zweite uns Orientierung gebende Mann gibt uns nun die Anweisung das Wasser noch schneller hinauszuschaffen, denn sonst würden wir alle ertrinken.

Ein Mann aus Syrien ruft: „Ich habe ein Taschenmesser dabei.“ Und noch lauter ruft er: „Ich brauche schnell eine Wasserflasche.”

Ich selbst, der kein Arabisch sprechen kann, verstehe nicht sogleich, was er meint und damit bezwecken will.

Sofort reicht ihm ein junger arabisch sprechender Mann von der vorderen Seite eine Cola-Flasche. Der Mann nimmt die Flasche und halbiert sie. Die eine Hälfte behält er, die andere übergibt er einem weiteren arabisch sprechenden Mann, der sich im mittleren Teil des Bootes befindet. Auf diese Weise versuchen sie etwas effektiver voranzukommen, während andere nur mit ihren bloßen Händen schaufeln, denn unsere Flaschen befinden sich in unseren Rucksäcken, die wir allesamt in das Meer geworfen haben.

Wir können demnach nichts anderes tun und kämpfen mit dem Wasser. Ein jeder versucht etwas beizutragen. Nur leider scheint es so als würden wir rein gar nichts bewirken. Immer mehr Wasser kommt herein anstatt heraus.

Mein Herz schlägt schnell, mein Atem stockt, mein Hals ist trocken und tut weh. Ich sehe zu meinem Freund Ali-Jan herüber und bemerke die Verzweiflung in seinem Gesicht. Ein Anblick, den ich niemals mehr vergessen werde. Es ist der Ausdruck größter Traurigkeit.

Er sagt zu mir: „Wir müssen das Wasser noch viel schneller herausschöpfen,” während ich zu dem kleinen syrischen Mädchen blicke, das seine Mutter fest umschlungen hält.

Von Hoffnungslosigkeit umgeben, ruft plötzlich ein junger Syrer: „Ich kann die Lichter Griechenlands auf der anderen Seite des Meeres sehen. Ein Leuchten am Horizont.“

Erleichtert atmen wir auf und sehen mit hoffnungsvollen Blicken dorthin, obwohl es noch ein weiter Weg mit unserem Boot bis hin zu den Lichtern ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Wellen unser Boot in eine ganz andere Richtung drehen und vom Festland fernhalten, sodass der Fahrer mehrmals die Richtung wechseln muss.

Es gelingt ihm deshalb nicht auf direktem Weg die Lichter anzusteuern. Und dennoch nähern wir uns Stück für Stück mit viel Freude und Hoffnung im Herzen.

Plötzlich aber geht der Motor aus. Wir blicken schockiert zum Bootsfahrer hin, doch auch er kann sich das Versagen des Motors nicht erklären. Es ist dunkel und unser Boot triftet davon, dem Meer wie ausgeliefert entgegen.

Das Leuchten am Horizont

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