Читать книгу Dantes Inferno I - Akron Frey - Страница 18
Die versunkene Libido
ОглавлениеEinen Moment war ich mir nicht sicher, ob ich wachte oder träumte, und ich rief nach Akron und fragte ihn, was mir widerfahren sei, denn ich fühlte mich von meinen inneren Gespenstern und Liebesdämonen umfangen und in die Tiefe gezogen.
«Was ist mit mir geschehen?» fragte ich.
«Du hast dich deiner infantilen Sehnsucht, dieser irisierenden und opalisierenden, aber unerreichbaren inneren Dämonin ausgeliefert. Vielleicht solltest du mir sagen, wie sie ausgesehen hat?»
«Sie hatte grüne Haare und eine unverschämt erotische Ausstrahlung …» Als ich ihm gerade zu schildern begann, wie sie mich durchdrang, meinte er nur, dies sei ohnehin belanglos. Ich solle ihm lieber erzählen, ob sie mich angesehen habe.
Ich sagte ihm, daß sie smaragdene Augen hatte, doch er sprach von der Leiche, die eine entfernte Ähnlichkeit mit mir aufwies und die er vergeblich ins Boot zu ziehen versuchte: «Hat sie dich angeschaut?»
Ich konnte mich an diesen Vorfall nur sehr dunkel erinnern; ich wußte nur noch, daß Akron versuchte, eine Leiche ins Boot zu ziehen und ich ihn in dem Moment, wo er sich gerade anschickte, sie über die Kante an Bord zu hieven, umstieß, weil mir genau an dieser Stelle die Wassernixe erschien. «Ist das wichtig?» erwiderte ich.
«Natürlich ist das wichtig», entgegnete er, «denn die Leiche ist ein Fragment deiner selbst, die Materialisation deiner negativen und aggressiven Gefühle. Hätte sie dich angeblickt, hättest du sterben müssen!»
«Das paßt doch gut. Die Wassernixe hat mich angeschaut, die ich anstelle der Leiche sah», bestätigte ich.
«Die Leiche wurde von der dynamischen Kraft deiner destruktiven Energien geformt. Während du sie bewußt hinter dem Gesicht der Nixe getarnt hast, kanntest du sie unbewußt sehr gut. Du hast die Maske der Sehnsucht auf das Gesicht der Verwesung gepfropft», sagte er nachdenklich, «und damit den Tod vorderhand unschädlich gemacht.»
«Was bedeutet das?» Ich wollte wissen, was der Umstand zu bedeuten hatte, daß mich die Nixe genau an jener Stelle anlächelte, an der er die Leiche aus dem Wasser zog.
«Das bedeutet, daß die schreckliche Veränderung nicht stattfinden konnte, weil du dein Bild nicht auf die Leiche übertragen hast. Hättest du die Leiche erblickt, hätte das nichts anderes besagt, als daß du in jenem Augenblick ertrunken wärst …»
Ich erschrak. Die Welt vor meinen Augen wurde schwarz, und ich stand erstarrt – erstarrt über die ungeheuren Ahnungen, die in mir erwachten, über die Gewalt der psychischen Zusammenhänge, die plötzlich aus der Dämmerung des Unbewußten machtvoll zu mir aufstiegen: «Dann wäre die Leiche ja eine mögliche Materialisation dessen, was sich auch hätte verwirklichen können?»
Akron lachte und ahmte mich nach, wie ich ihn daran hinderte, die Leiche an Bord zu ziehen: «Das war eine erneute Bestätigung, daß der Tod dich noch nicht will», sagte er, «und das gibt uns die Gewißheit, daß wir unsere Reise fortsetzen können. Der Tod ist noch nicht endgültig!»
«Welcher Tod, Akron?» platzte ich heraus.
«Der Tod ist für dich eine smaragdäugige Hexe mit algengrünem Haar. Mit glänzenden Augen schaut sie dich an, bis dir die Tränen kommen, und dann wird sie sich in die Woge deiner strömenden Sehnsucht stürzen, die dir aus dem Auge quillt, und in deinem Inneren verschwinden, nur noch ein blinder Fleck in deiner Pupille. Die Jahre vergehen, und die Zeit zerrinnt; aber am Ende des Lebens kommt sie zurück. Im Augenblick des Todes taucht sie vor dir auf, ihre Nägel graben sich in deinen Leib und ihre süße Nähe verwandelt deinen Schmerz ins Ungeheure, und jetzt erfährst du es: Es ist dein unerreichtes Mutterbild, das du gleichermaßen haßt wie liebst! Denn sie ist das Tor, das dich ins Leben entläßt; hier tragen dich die Wasser der Lethe in die Nacht der Finsternis zurück.»
Ich war von seinen Worten sehr ergriffen, denn auf eine solche Antwort war ich nicht gefaßt. Lange Zeit konnte ich nichts sagen, und als mir endlich eine Frage einfiel, spürte ich die Wogen alter Erinnerungen über meinen Gedanken zusammenschlagen.
«Los, schau’s dir an! Der Tod ist nicht der Zerstörer des Lebens, sondern die Voraussetzung zur Geburt …» Er gab mir von hinten einen Stoß, und ich fiel über die Bootskante ins Wasser. Dort verwandelte ich mich in eine Eizelle, die in den Tempel des Lebens hineinschoß, und gleichzeitig fühlte ich, wie sich die Gebärmutter mit Lebenswasser füllte. Aber als ich in den Geburtskanal eintrat, da sah ich eine neblige Gestalt.
«Wo bin ich hier?» schrie es in mir.
«Bist du erwacht?» fragte sie.
«Wieso erwacht», erwiderte ich, «ich habe nicht geschlafen …»
«Nein, aber du kommst aus einer anderen Energie. Weißt du noch, aus welcher Idee?»
«Aus einem Boot», versuchte ich meine Gedanken zu ordnen.
«Das Boot ist nur ein oberflächliches Symbol. Geh tiefer! Siehst du nicht ihre wunderschöne Gestalt? Schließe die Augen und erinnere dich …» Ich schloß die Augen, und plötzlich sah ich eine wunderschöne Wassernymphe wie eine feine Nebelsäule aus dem tosenden Abgrund steigen. Sie schien das Wasser nicht zu berühren, sondern wie eine Luftblase darüberzuschweben. Ein weißer Nebelschleier schien als einzige Hülle ihren zarten Leib zu bedecken, und keine Bewegung verschob die Falten ihres Totenhemds. Nur ihre großen, lichtstrahlenden Augen waren nicht verschleiert, sie starrten mir sehnsüchtig ins Auge, bis mir die Tränen kamen, und leise flüsterte sie mir ins Ohr: «Ich bin gekommen, um dich zu lieben, denn meine Liebe ist dein Tod …»
Ich erschrak: «Hör sofort mit dem Unsinn auf!» forderte ich laut.
«Wieso? Es fängt erst an! Hier befindest du dich am Schaltkreis des Energieaustausches zwischen Mann und Frau», tönte es aus dem Nebelschleier, «und zwar exakt am weiblichen Geschlechtseingang. Der Orgasmus ist gewissermaßen die Verbindung der Welten, wo sich nicht nur die Geschlechter, sondern auch Leben und Tod berühren. Hier entscheidet sich dein Weg – du kannst wählen! Auf der inneren Seite empfängt dich die Gebärmutter und du wirst als Knabe wiedergeboren, und auf der äußeren Seite erwartet dich der Tod, der dich über die Wasser der Lethe zu den Gestaden der im Zustand des Ungeborenseins verharrenden Seelen führt.»
«Entweder wurdest du in den Wassern der Lethe zu heiß gebadet», brüllte ich erzürnt, «oder du treibst ein übles Spiel mit mir!»
«Laß dir Zeit! Du bist noch gar nicht richtig in unseren Sphären angekommen», antwortete die Nebelgestalt, ohne im geringsten beleidigt zu sein, «es ist dir zwar gelungen, deine Körperlichkeit aufzuheben und sie in deinen Energiekörper zu integrieren, doch bist du trotzdem noch nicht richtig da. Dein Verstandeszensor ist wahrscheinlich zu stark.»
«Halt den Mund», schrie ich sie an, «deine Meinung zählt gar nicht! Du bist nur ein armseliger Wassergeist!»
«Ich bin ein mächtiger Wassergeist mit einer starken Feuerseele. Als du aus dem Boot fielst, da haben sich unsere Energien verbunden, und nun will sich dein Verstand nicht mehr erinnern, was die Voraussetzung zu unserer Verbindung war. Er versucht, die Situation zu verdrängen, indem er sich nicht mehr an den Orgasmus erinnert, der dich in die Tiefe zog.»
Ich machte jede Anstrengung, diese Verneblung in meinem Gedächtnis abzuschütteln, aber ich konnte mich an nichts mehr erinnern. «Ich träume das Ganze nur, nicht wahr?» fragte ich, um eine Bestätigung zu bekommen, denn die ganze Szenerie schien mir so real wie der Wasserdampf in einem türkischen Bad.
«Zwar bist du nicht phantasielos genug, um dir nicht vorstellen zu können, daß es auch ein ungeheurer Alptraum sein könnte», sagte die nebulöse Erscheinung, «aber trotzdem ist es keiner. Normalerweise wird der Sünder durch das Eintauchen in die ozeanischen Tiefengründe seiner direkten Aggressivität beraubt und damit gezwungen, seine Ziele loszulassen und sich dem freien Spiel der Kräfte hinzugeben. Du aber versuchst, das Spiel zu kontrollieren, und dieses Spiel geht hier nicht auf!»
«Dann sage mir, was ich hätte tun sollen?» Ich erinnerte mich daran, wie Akron mir einmal erklärt hatte, daß meine Erlebnisse nur dann Macht über mich hätten, wenn ich sie aus meiner Perspektive akzeptierte. Nur wer seine Sichtweise ändert, kann sich ihr entziehen.
«Nicht herkommen», hallte es aus dem Nebeldunst, «solange du nicht bereit bist, loszulassen. Oder zurückkehren, solange du noch kannst …»
«Und wie soll das geschehen?» fragte ich und sah mich suchend um. Und noch etwas anderes fiel mir ein, was Akron mir gesagt hatte: daß ich, wenn mich meine inneren Bilder allzusehr bedrängten, nur meine Erinnerung loszulassen bräuchte, damit sich meine Träume änderten.
«Wähle deinen Weg», sagte die mysteriöse Gestalt und streckte mir beide Hände entgegen, «und entscheide dich für eine Hand: die linke steht für den blühenden Tod, die rechte für das verdorrende Leben!»
«Ich werde dahin zurückkehren, woher ich gekommen bin», sagte ich mit endgültiger Entschlossenheit und wählte die linke Todeshand. Doch als ich nach ihr griff, löste sie sich wie ein Trugbild auf. Ich strauchelte und verlor meinen Halt.
«Schnell, pack die andere», dröhnte mir eine Stimme im Ohr, «sonst bist du verloren! Zwar ist sie auch nur ein materialisierter Gedanke in diesem Spiel, aber wenn du den Glauben an die Festigkeit deiner Gedanken verlierst, dann bist du in dieser Hölle führerlos!»
Hilflos ruderte ich in der Luft, um wenigstens die Rechte zu erhaschen, doch auch sie löste sich vor meinen Augen auf, als ich sie zu fassen suchte, und als ich mich schon damit abfand, in den Fluten des Unbewußten auf ewig zu versinken, packte mich jemand energisch an der Hand und riß mich ins Boot: «Es scheint, als ob deine Seele die Pforten geöffnet hätte, um dir die Flut der Bilder zu übermitteln, die dort unten lagern; indem du aber wiederum verdrängst, daß du alles immer nur so siehst, wie du es träumst, schützt du dich selbst vor deinem eigenen Erwachen. Noch bist du von den sexuellen Lockrufen der Sirenen besessen, die für die unerlösten Sehnsüchte stehen und dich wieder zu den Urquellen hinunterziehen wollen, gleichzeitig bist du aber schon auf dem Weg zum Großen Geist, denn der höhere Wille zieht dich aus den Wassern des Unbewußten zu den Visionen des himmlischen Erkennens hinauf. Damit befindest du dich auf jener Entdeckungsreise, auf der du deine spirituelle Phantasie im Spiegel deiner kreativen Impotenz erkennst!»
Als ich langsam wieder zu mir kam, wurde mir bewußt, daß ich auf dem Boden des Bootes lag. Göttliche Vibrationen erreichten mich und wurden zu Licht, flossen in meine Seele mit dem Brausen jener überirdischen Harmonie, deren Bedeutung meine Seele jubeln ließ: Akron stand vor mir und goß mir einen Kübel Wasser über den Kopf. Ich schwebte in einer leuchtenden Blase aus flüssigem Licht und nahm sein Gesicht als weißen Nebel wahr, durchdrungen von einem inneren Leuchten, das stärker und stärker wurde. Dieses Leuchten quoll ungefähr an der Stelle hervor, hinter der ich sein linkes Auge vermutete. Das ganze Gesicht schien mir sozusagen vom Auge überstrahlt, und darin schwamm die kleine Nixe.
«Der Tod ist das zeugende Sperma und das empfangende Ei», flüsterte sie erregt, «er ist der Hüter des Lebens, und wer ihn besiegen will, muß mehr sein als ein Gott oder Teufel, nämlich ein Kind …» Ich spürte ihre süße Nähe, und meine Sehnsucht wuchs ins Ungeheure. Ich begriff, wie wunderschön es sein mußte, Auge in Auge, Körper an Körper mit dem Tod alle Gefühle und Sehnsüchte zu genießen und in bodenloser Seligkeit zu vergehen, und in mir wuchs das Verlangen, ihr nahe zu sein, ihr ganz zu gehören, mich restlos den Wonnen der strömenden Wollust zu überlassen, die sie in mir auslöste …
«Empfange jetzt den Todeskuß!» Bebend vor Liebe und Todesnähe neigte ich mich ihr entgegen, und sie küßte mich mit einem himmlischen Kuß, der mich erstickte, sie drückte mich inniger an sich, und mit ihren ekstatischen Lippen erfaßte mich der Tod und entriß mir den Lebensodem. Ihre Tränen drangen in meine Augen, und mit einem Stöhnen der Wollust erfaßte mich der Orgasmus und raubte mir in zuckenden Strömen die Lebensglut, bis mir endlich der Atem erlöschte und ich aus ihrer Umarmung sanft in die Tiefe sank.
In diesem Moment spürte ich in der Gegend des Stirnchakras einen harten Schlag. «Fang nicht wieder zu träumen an – wir sind da!» sagte Akron und nahm den erhobenen Stab wieder herab. Dann befahl er mir, aus dem Boot zu steigen.
Ich geriet in Panik und sprang heraus: «Was ist mit mir geschehen?»
«Zuerst wurdest du von deinen infantilen Sehnsüchten hinuntergezogen, und dann versuchtest du, den negativen Attributen deines Mutterbildes entgegenzutreten und dir die Libido zurückzuholen.»
«Aber ich bin beinahe erstickt», entgegnete ich.
«Weil du dich zwischen dem Hinabgezogen werden und dem Obenbleiben wollen nicht entscheiden konntest. Man könnte dein Verhalten als eine Reaktion beschreiben, vor den eigenen Verdrängungen so zu erschrecken, daß man den Ausgang nicht mehr findet und sozusagen zwischen den Welten vor seinen eigenen Ängsten davonrennt. In diesem Augenblick höchster Not habe ich den Angelhaken deiner eigenen Aggressionslähmung, die Leiche, ins Wasser geworfen. Diesen Köder hast du geschluckt, und so konnte ich dich im letzten Augenblick aus ihren Armen fischen. Jetzt sind die Unerlösten um eine Seele ärmer …»
«Und der Schlag?» wollte ich wissen und sah blinzelnd auf den Stab.
«In diesem Fall war er eine reine Zugabe», lachte er hart.